Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Ranke's Geschichte der Päpste. schönste seiner Werke, die Geschichte der Päpste -- ein Buch, das nur einDeutscher und unter den Deutschen nur Ranke schreiben konnte. Die Viel- seitigkeit seines Erkennens und Verstehens war bedingt durch eine geniale Einseitigkeit der Charakteranlage, wie sie sich sonst fast nur bei schroffen und harten Naturen findet. Mit einem lebhaften und empfänglichen Geiste verband er von früh auf eine gelassene Ruhe des Gemüths, die selbst das Geschehende wie ein Geschehenes hinnahm. Als Jüngling auf der Schulpforte hatte er einst die Schlachten von Großgörschen und Leipzig nahe vor Augen gesehen, nicht gefühllos, aber auch unberührt von jener glühenden vaterländischen Begeisterung, welche damals so viele andere junge Kursachsen unter die Fahnen der Verbündeten führte. Dann wurde er durch die Theilung Sachsens ein Preuße, und dankbar erkannte er die Ordnung, die Gerechtigkeit, die Bildung des neuen Heimathstaates an; doch das kurz angebundene preußische Wesen, der eigenthümliche "Muck" der Märker blieb ihm ebenso fremd wie der reizbare Stolz preußischer Staatsgesinnung, und soweit sich in seiner durchaus selbständigen Auf- fassung deutscher Geschichte die Spuren alter Ueberlieferungen erkennen ließen, wiesen sie nach Kursachsen zurück, nicht nach Preußen. So ward er auch zur Wahl seines Berufes nicht durch Lebenserfahrungen bestimmt, wie die Mehrzahl der bedeutenden Männer, sondern durch die Arbeit des Erkennens selbst; er las Geschichtswerke ohne Zahl, und erst aus der Fülle des Wissens erwuchs ihm der Entschluß, der Welt die Wirklichkeit des historischen Lebens zu zeigen, rein, zuverlässig, bestimmt, so daß er selber hinter dem Bilde ganz verschwände. Als er die Geschichte der Päpste begann, schlug er die augenblickliche Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 30
Ranke’s Geſchichte der Päpſte. ſchönſte ſeiner Werke, die Geſchichte der Päpſte — ein Buch, das nur einDeutſcher und unter den Deutſchen nur Ranke ſchreiben konnte. Die Viel- ſeitigkeit ſeines Erkennens und Verſtehens war bedingt durch eine geniale Einſeitigkeit der Charakteranlage, wie ſie ſich ſonſt faſt nur bei ſchroffen und harten Naturen findet. Mit einem lebhaften und empfänglichen Geiſte verband er von früh auf eine gelaſſene Ruhe des Gemüths, die ſelbſt das Geſchehende wie ein Geſchehenes hinnahm. Als Jüngling auf der Schulpforte hatte er einſt die Schlachten von Großgörſchen und Leipzig nahe vor Augen geſehen, nicht gefühllos, aber auch unberührt von jener glühenden vaterländiſchen Begeiſterung, welche damals ſo viele andere junge Kurſachſen unter die Fahnen der Verbündeten führte. Dann wurde er durch die Theilung Sachſens ein Preuße, und dankbar erkannte er die Ordnung, die Gerechtigkeit, die Bildung des neuen Heimathſtaates an; doch das kurz angebundene preußiſche Weſen, der eigenthümliche „Muck“ der Märker blieb ihm ebenſo fremd wie der reizbare Stolz preußiſcher Staatsgeſinnung, und ſoweit ſich in ſeiner durchaus ſelbſtändigen Auf- faſſung deutſcher Geſchichte die Spuren alter Ueberlieferungen erkennen ließen, wieſen ſie nach Kurſachſen zurück, nicht nach Preußen. So ward er auch zur Wahl ſeines Berufes nicht durch Lebenserfahrungen beſtimmt, wie die Mehrzahl der bedeutenden Männer, ſondern durch die Arbeit des Erkennens ſelbſt; er las Geſchichtswerke ohne Zahl, und erſt aus der Fülle des Wiſſens erwuchs ihm der Entſchluß, der Welt die Wirklichkeit des hiſtoriſchen Lebens zu zeigen, rein, zuverläſſig, beſtimmt, ſo daß er ſelber hinter dem Bilde ganz verſchwände. Als er die Geſchichte der Päpſte begann, ſchlug er die augenblickliche Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 30
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Ranke’s Geſchichte der Päpſte.
ſchönſte ſeiner Werke, die Geſchichte der Päpſte — ein Buch, das nur ein
Deutſcher und unter den Deutſchen nur Ranke ſchreiben konnte. Die Viel-
ſeitigkeit ſeines Erkennens und Verſtehens war bedingt durch eine geniale
Einſeitigkeit der Charakteranlage, wie ſie ſich ſonſt faſt nur bei ſchroffen
und harten Naturen findet. Mit einem lebhaften und empfänglichen
Geiſte verband er von früh auf eine gelaſſene Ruhe des Gemüths, die
ſelbſt das Geſchehende wie ein Geſchehenes hinnahm. Als Jüngling auf
der Schulpforte hatte er einſt die Schlachten von Großgörſchen und Leipzig
nahe vor Augen geſehen, nicht gefühllos, aber auch unberührt von jener
glühenden vaterländiſchen Begeiſterung, welche damals ſo viele andere
junge Kurſachſen unter die Fahnen der Verbündeten führte. Dann wurde
er durch die Theilung Sachſens ein Preuße, und dankbar erkannte er die
Ordnung, die Gerechtigkeit, die Bildung des neuen Heimathſtaates an;
doch das kurz angebundene preußiſche Weſen, der eigenthümliche „Muck“
der Märker blieb ihm ebenſo fremd wie der reizbare Stolz preußiſcher
Staatsgeſinnung, und ſoweit ſich in ſeiner durchaus ſelbſtändigen Auf-
faſſung deutſcher Geſchichte die Spuren alter Ueberlieferungen erkennen
ließen, wieſen ſie nach Kurſachſen zurück, nicht nach Preußen. So ward
er auch zur Wahl ſeines Berufes nicht durch Lebenserfahrungen beſtimmt,
wie die Mehrzahl der bedeutenden Männer, ſondern durch die Arbeit des
Erkennens ſelbſt; er las Geſchichtswerke ohne Zahl, und erſt aus der
Fülle des Wiſſens erwuchs ihm der Entſchluß, der Welt die Wirklichkeit
des hiſtoriſchen Lebens zu zeigen, rein, zuverläſſig, beſtimmt, ſo daß er
ſelber hinter dem Bilde ganz verſchwände.
Als er die Geſchichte der Päpſte begann, ſchlug er die augenblickliche
Macht des Vaticans ſehr niedrig an. „Das Verhältniß der päpſtlichen
Gewalt zu uns, ſagte er gleichmüthig, übt keinen weſentlichen Einfluß weiter
aus. Die Zeiten wo wir etwas fürchten konnten ſind vorüber, wir fühlen
uns allzu wohl geſichert.“ Es war ein Irrthum, den er mit der geſammten
Zeit theilte; in ſpäteren Jahren nahm er ihn ſelbſt zurück und geſtand,
eine neue Epoche des Papſtthums habe begonnen. Aber jenem glücklichen
Gefühle der Sicherheit verdankte ſein Buch den künſtleriſchen Zauber.
Mit einer Unbefangenheit, die in der allezeit ſtreitbaren Kirchengeſchichte
ohne gleichen daſtand, ſchilderte er die große Tragödie der Gegenrefor-
mation und übertrug Niebuhr’s kritiſche Methode zum erſten male in die
Erforſchung der neuen Geſchichte. Mochte er freien Blicks die weithin
über die Erde verzweigten Pläne der geiſtlichen Weltherrſchaft überſchauen
oder Art und Unart der handelnden Männer mit feinen, ſauberen Strichen
zeichnen, das Große wie das Kleine der hiſtoriſchen Welt war ihm gleich
vertraut. Zum erſten male ſeit Schiller’s gewaltigen hiſtoriſchen Charakter-
ſchilderungen ſchuf ein deutſcher Geſchichtsſchreiber wieder die Bilder leben-
diger Menſchen, aber nicht blos mit künſtleriſcher Phantaſie, ſondern auch
mit gelehrter Sachkenntniß. Hinter der leichten Anmuth der Erzählung
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 30
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