Bläser, Wolff und, Alle überragend, der Kursachse Ernst Rietschel, ein sanfter, romantisch gestimmter Geist, der erst durch Rauch in die antike Welt eingeführt, dann aber schnell erstarkt des Meisters Lieblingsschüler wurde.
Wie schwächlich erschien neben diesem classischen Realismus der Ber- liner Schule die Schnellfertigkeit Schwanthaler's. Er war und blieb ein Romantiker; das mußte Jeder fühlen, der ihn auf seiner Burg Schwaneck hoch über der Isar nach mittelalterlichem Ritterbrauche leben sah. Den entsagenden Fleiß, den die Strenge der Antike ihren Schülern aufzwingt, kannte er nicht. Wahrhaft lebendig war in der Münchener plastischen Kunst nur die Erzgießerei. Sie erlangte einen Weltruf, seit Miller die Leitung des Gießhauses übernommen hatte; selbst die Amerikaner bestell- ten sich dort die ehernen Thüren für ihr Capitol. --
Ein Glück für Rauch, daß ihm die Baiern so viel Beschäftigung gaben. Preußen mußte jetzt mit Aufträgen kargen, da die Kriegsrüstungen alle verfügbaren Mittel verschlungen hatten; was für die Kunst noch übrig blieb, wurde großentheils für die Vollendung des Museums dahingegeben. So konnte auch Schinkel nur noch einmal eine Aufgabe bewältigen, die seines Genius würdig war. Widerwillig hatte er sich bei den meisten seiner Bauten bisher mit dem Blendwerk der Verputzung beholfen. Er wußte wohl, daß die Werke seiner geliebten Alten ihre majestätische Wirkung nicht blos dem Adel der Formen, sondern auch der tadellosen Gediegenheit des Rohstoffes verdankten. Da die Staatskassen den Haustein nicht zu er- schwingen vermochten, so griff er zurück zu der volksthümlichen, natur- gemäßen Bauweise der Ebene und schuf in der Berliner Bauakademie das edle Vorbild für den Backstein-Rohbau, der seitdem in seiner alten norddeutschen Heimath wieder aufzublühen begann. Es war vielleicht das eigenthümlichste seiner Werke, ein mächtiger Würfel, trutzig wie die floren- tinischen Paläste des Mittelalters, und doch voll Anmuth; blaue Back- steinstreifen belebten die düster-rothen Wände -- ein ganz neuer Versuch in diesen des Farbensinnes entwöhnten Tagen; die classischen Terracotten- Ornamente fügten sich in die Flachbogen der breiten Fenster harmonisch ein.
Sonst wurden ihm nur noch kleinere Arbeiten zugewiesen, und sehr schmerzlich empfand er, wie die Ungunst der Zeit ihm die Schwingen beschnitt, denn er stellte die Kunst sogar noch höher als die Sprache; der Sieg der hellenischen Cultur über die Nacht der Urzeit, den er in den Zeichnungen für die Vorhalle des Museums schilderte, war ihm der eigentliche Inhalt aller Geschichte. Aber auch bei unscheinbaren Werken blieb er immer treu seinem Spruche: "die Kunst ist überhaupt nichts, wenn sie nicht neu ist, überall wo man sucht ist man wahrhaft lebendig." Mochte er für die Berliner Vorstadt Moabit oder für das entlegene Litthauer Städtchen Darkehmen eine Kirche bauen, immer suchte er auf neue Weise die Frage zu lösen, wie sich die praktischen Bedürfnisse des evangelischen Cultus mit den Ge-
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Bläſer, Wolff und, Alle überragend, der Kurſachſe Ernſt Rietſchel, ein ſanfter, romantiſch geſtimmter Geiſt, der erſt durch Rauch in die antike Welt eingeführt, dann aber ſchnell erſtarkt des Meiſters Lieblingsſchüler wurde.
Wie ſchwächlich erſchien neben dieſem claſſiſchen Realismus der Ber- liner Schule die Schnellfertigkeit Schwanthaler’s. Er war und blieb ein Romantiker; das mußte Jeder fühlen, der ihn auf ſeiner Burg Schwaneck hoch über der Iſar nach mittelalterlichem Ritterbrauche leben ſah. Den entſagenden Fleiß, den die Strenge der Antike ihren Schülern aufzwingt, kannte er nicht. Wahrhaft lebendig war in der Münchener plaſtiſchen Kunſt nur die Erzgießerei. Sie erlangte einen Weltruf, ſeit Miller die Leitung des Gießhauſes übernommen hatte; ſelbſt die Amerikaner beſtell- ten ſich dort die ehernen Thüren für ihr Capitol. —
Ein Glück für Rauch, daß ihm die Baiern ſo viel Beſchäftigung gaben. Preußen mußte jetzt mit Aufträgen kargen, da die Kriegsrüſtungen alle verfügbaren Mittel verſchlungen hatten; was für die Kunſt noch übrig blieb, wurde großentheils für die Vollendung des Muſeums dahingegeben. So konnte auch Schinkel nur noch einmal eine Aufgabe bewältigen, die ſeines Genius würdig war. Widerwillig hatte er ſich bei den meiſten ſeiner Bauten bisher mit dem Blendwerk der Verputzung beholfen. Er wußte wohl, daß die Werke ſeiner geliebten Alten ihre majeſtätiſche Wirkung nicht blos dem Adel der Formen, ſondern auch der tadelloſen Gediegenheit des Rohſtoffes verdankten. Da die Staatskaſſen den Hauſtein nicht zu er- ſchwingen vermochten, ſo griff er zurück zu der volksthümlichen, natur- gemäßen Bauweiſe der Ebene und ſchuf in der Berliner Bauakademie das edle Vorbild für den Backſtein-Rohbau, der ſeitdem in ſeiner alten norddeutſchen Heimath wieder aufzublühen begann. Es war vielleicht das eigenthümlichſte ſeiner Werke, ein mächtiger Würfel, trutzig wie die floren- tiniſchen Paläſte des Mittelalters, und doch voll Anmuth; blaue Back- ſteinſtreifen belebten die düſter-rothen Wände — ein ganz neuer Verſuch in dieſen des Farbenſinnes entwöhnten Tagen; die claſſiſchen Terracotten- Ornamente fügten ſich in die Flachbogen der breiten Fenſter harmoniſch ein.
Sonſt wurden ihm nur noch kleinere Arbeiten zugewieſen, und ſehr ſchmerzlich empfand er, wie die Ungunſt der Zeit ihm die Schwingen beſchnitt, denn er ſtellte die Kunſt ſogar noch höher als die Sprache; der Sieg der helleniſchen Cultur über die Nacht der Urzeit, den er in den Zeichnungen für die Vorhalle des Muſeums ſchilderte, war ihm der eigentliche Inhalt aller Geſchichte. Aber auch bei unſcheinbaren Werken blieb er immer treu ſeinem Spruche: „die Kunſt iſt überhaupt nichts, wenn ſie nicht neu iſt, überall wo man ſucht iſt man wahrhaft lebendig.“ Mochte er für die Berliner Vorſtadt Moabit oder für das entlegene Litthauer Städtchen Darkehmen eine Kirche bauen, immer ſuchte er auf neue Weiſe die Frage zu löſen, wie ſich die praktiſchen Bedürfniſſe des evangeliſchen Cultus mit den Ge-
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Bläſer, Wolff und, Alle überragend, der Kurſachſe Ernſt Rietſchel, ein
ſanfter, romantiſch geſtimmter Geiſt, der erſt durch Rauch in die antike
Welt eingeführt, dann aber ſchnell erſtarkt des Meiſters Lieblingsſchüler
wurde.
Wie ſchwächlich erſchien neben dieſem claſſiſchen Realismus der Ber-
liner Schule die Schnellfertigkeit Schwanthaler’s. Er war und blieb ein
Romantiker; das mußte Jeder fühlen, der ihn auf ſeiner Burg Schwaneck
hoch über der Iſar nach mittelalterlichem Ritterbrauche leben ſah. Den
entſagenden Fleiß, den die Strenge der Antike ihren Schülern aufzwingt,
kannte er nicht. Wahrhaft lebendig war in der Münchener plaſtiſchen
Kunſt nur die Erzgießerei. Sie erlangte einen Weltruf, ſeit Miller die
Leitung des Gießhauſes übernommen hatte; ſelbſt die Amerikaner beſtell-
ten ſich dort die ehernen Thüren für ihr Capitol. —
Ein Glück für Rauch, daß ihm die Baiern ſo viel Beſchäftigung
gaben. Preußen mußte jetzt mit Aufträgen kargen, da die Kriegsrüſtungen
alle verfügbaren Mittel verſchlungen hatten; was für die Kunſt noch übrig
blieb, wurde großentheils für die Vollendung des Muſeums dahingegeben.
So konnte auch Schinkel nur noch einmal eine Aufgabe bewältigen, die
ſeines Genius würdig war. Widerwillig hatte er ſich bei den meiſten ſeiner
Bauten bisher mit dem Blendwerk der Verputzung beholfen. Er wußte
wohl, daß die Werke ſeiner geliebten Alten ihre majeſtätiſche Wirkung nicht
blos dem Adel der Formen, ſondern auch der tadelloſen Gediegenheit des
Rohſtoffes verdankten. Da die Staatskaſſen den Hauſtein nicht zu er-
ſchwingen vermochten, ſo griff er zurück zu der volksthümlichen, natur-
gemäßen Bauweiſe der Ebene und ſchuf in der Berliner Bauakademie
das edle Vorbild für den Backſtein-Rohbau, der ſeitdem in ſeiner alten
norddeutſchen Heimath wieder aufzublühen begann. Es war vielleicht das
eigenthümlichſte ſeiner Werke, ein mächtiger Würfel, trutzig wie die floren-
tiniſchen Paläſte des Mittelalters, und doch voll Anmuth; blaue Back-
ſteinſtreifen belebten die düſter-rothen Wände — ein ganz neuer Verſuch
in dieſen des Farbenſinnes entwöhnten Tagen; die claſſiſchen Terracotten-
Ornamente fügten ſich in die Flachbogen der breiten Fenſter harmoniſch ein.
Sonſt wurden ihm nur noch kleinere Arbeiten zugewieſen, und ſehr
ſchmerzlich empfand er, wie die Ungunſt der Zeit ihm die Schwingen beſchnitt,
denn er ſtellte die Kunſt ſogar noch höher als die Sprache; der Sieg der
helleniſchen Cultur über die Nacht der Urzeit, den er in den Zeichnungen für
die Vorhalle des Muſeums ſchilderte, war ihm der eigentliche Inhalt aller
Geſchichte. Aber auch bei unſcheinbaren Werken blieb er immer treu ſeinem
Spruche: „die Kunſt iſt überhaupt nichts, wenn ſie nicht neu iſt, überall
wo man ſucht iſt man wahrhaft lebendig.“ Mochte er für die Berliner
Vorſtadt Moabit oder für das entlegene Litthauer Städtchen Darkehmen
eine Kirche bauen, immer ſuchte er auf neue Weiſe die Frage zu löſen,
wie ſich die praktiſchen Bedürfniſſe des evangeliſchen Cultus mit den Ge-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/476>, abgerufen am 24.11.2024.
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