gearbeiteten brauchbaren Bühnenstücke waren wärmer empfunden als Rau- pach's Werke, ganz deutsch gedacht, niemals unwahr oder unnatürlich, freilich auch so harmlos, daß Schiller wohl wieder hätte fragen können: Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht? --
Sogar die Oper empfand den wachsenden Einfluß Frankreichs. Der erste Dramatiker unter den Tonsetzern, der Berliner Giacomo Meyerbeer war nach Paris gezogen und betrieb von dort aus seine internationale Kunstthätigkeit, immer in Fühlung mit den Stimmungen der Franzosen. Sein Robert der Teufel, der die lange Reihe seiner europäischen Triumphe eröffnete, war der Neuromantik Victor Hugo's nahe verwandt, und als nachher die kirchlichen Gegensätze sich verschärften, griff er zu dem wirk- samen Stoffe der Hugenotten. Durch prächtige theatralische Effecte und reizende Melodien riß er die Massen widerstandslos mit sich fort; alle möglichen Formen und Stile mischte er durch einander wenn sie nur die Nerven aufregten. Von der schlichten Großheit deutscher Kunst war nichts in ihm.
Da seine Manier allen schlechten und einigen guten Neigungen der Zeit entsprach, so hätte sie wohl auch in Deutschland die Alleinherrschaft erlangt, wenn ihr nicht ein überlegener Geist entgegengetreten wäre. Wie Meyerbeer war auch Felix Mendelssohn in den verwöhnten Kreisen des Berliner Reichthums aufgewachsen, aber seine reine, liebenswürdige Natur nahm nur die guten und tüchtigen Züge des Berliner Wesens an: die viel- seitige Bildung, den freien Blick, die gesellschaftliche Gewandtheit und die Gabe der beredten Mittheilung. Ein Deutscher vom Wirbel bis zur Zehe, konnte er sich selbst in dem Zauber der südlichen Landschaft nicht auf die Dauer wohl fühlen, und von allen Ausländern haben ihn nur die ger- manischen Engländer, niemals die Franzosen ganz verstanden. Er er- weckte durch seinen Paulus das Oratorium der Protestanten zu neuem Leben und gab dem deutschen Liede einen tiefen, weihevollen musikalischen Ausdruck. Fast ebenso folgenreich wie diese Compositionen, die ihn weit über alle lebenden Tonsetzer emporhoben, wurde seine Thätigkeit in den Concertsälen. Als zwanzigjähriger Jüngling wagte er zuerst (1829) in Berlin Sebastian Bach's vergessene Passion aufzuführen, und seitdem be- mühte er sich unablässig, die edlen echt deutschen Kunstformen der Sym- phonie, des Oratoriums, der Sonate den Gebildeten wieder an's Herz zu legen. Die Werke Bach's und Händel's, auch Beethoven's letzte Sym- phonien, die lange für ungenießbar gegolten hatten, erschloß er dem Ver- ständniß der Nation. Seit er, überall in Deutschland gekannt und geliebt, zu Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig seinen Taktstock schwang, wurde die fast zum Zeitvertreibe herabgesunkene Musik wieder als hohe Kunst geehrt. Ihm dankten die Deutschen, daß sich in der Hörerschaft immer noch ein Kern reinen Geschmackes erhielt auch als die Anarchie in der Oper einriß. So führte ein Deutscher jüdischer Abstammung unsere gebildete Gesell-
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
gearbeiteten brauchbaren Bühnenſtücke waren wärmer empfunden als Rau- pach’s Werke, ganz deutſch gedacht, niemals unwahr oder unnatürlich, freilich auch ſo harmlos, daß Schiller wohl wieder hätte fragen können: Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch ſelber nur ſucht? —
Sogar die Oper empfand den wachſenden Einfluß Frankreichs. Der erſte Dramatiker unter den Tonſetzern, der Berliner Giacomo Meyerbeer war nach Paris gezogen und betrieb von dort aus ſeine internationale Kunſtthätigkeit, immer in Fühlung mit den Stimmungen der Franzoſen. Sein Robert der Teufel, der die lange Reihe ſeiner europäiſchen Triumphe eröffnete, war der Neuromantik Victor Hugo’s nahe verwandt, und als nachher die kirchlichen Gegenſätze ſich verſchärften, griff er zu dem wirk- ſamen Stoffe der Hugenotten. Durch prächtige theatraliſche Effecte und reizende Melodien riß er die Maſſen widerſtandslos mit ſich fort; alle möglichen Formen und Stile miſchte er durch einander wenn ſie nur die Nerven aufregten. Von der ſchlichten Großheit deutſcher Kunſt war nichts in ihm.
Da ſeine Manier allen ſchlechten und einigen guten Neigungen der Zeit entſprach, ſo hätte ſie wohl auch in Deutſchland die Alleinherrſchaft erlangt, wenn ihr nicht ein überlegener Geiſt entgegengetreten wäre. Wie Meyerbeer war auch Felix Mendelsſohn in den verwöhnten Kreiſen des Berliner Reichthums aufgewachſen, aber ſeine reine, liebenswürdige Natur nahm nur die guten und tüchtigen Züge des Berliner Weſens an: die viel- ſeitige Bildung, den freien Blick, die geſellſchaftliche Gewandtheit und die Gabe der beredten Mittheilung. Ein Deutſcher vom Wirbel bis zur Zehe, konnte er ſich ſelbſt in dem Zauber der ſüdlichen Landſchaft nicht auf die Dauer wohl fühlen, und von allen Ausländern haben ihn nur die ger- maniſchen Engländer, niemals die Franzoſen ganz verſtanden. Er er- weckte durch ſeinen Paulus das Oratorium der Proteſtanten zu neuem Leben und gab dem deutſchen Liede einen tiefen, weihevollen muſikaliſchen Ausdruck. Faſt ebenſo folgenreich wie dieſe Compoſitionen, die ihn weit über alle lebenden Tonſetzer emporhoben, wurde ſeine Thätigkeit in den Concertſälen. Als zwanzigjähriger Jüngling wagte er zuerſt (1829) in Berlin Sebaſtian Bach’s vergeſſene Paſſion aufzuführen, und ſeitdem be- mühte er ſich unabläſſig, die edlen echt deutſchen Kunſtformen der Sym- phonie, des Oratoriums, der Sonate den Gebildeten wieder an’s Herz zu legen. Die Werke Bach’s und Händel’s, auch Beethoven’s letzte Sym- phonien, die lange für ungenießbar gegolten hatten, erſchloß er dem Ver- ſtändniß der Nation. Seit er, überall in Deutſchland gekannt und geliebt, zu Berlin, Düſſeldorf, Frankfurt, Leipzig ſeinen Taktſtock ſchwang, wurde die faſt zum Zeitvertreibe herabgeſunkene Muſik wieder als hohe Kunſt geehrt. Ihm dankten die Deutſchen, daß ſich in der Hörerſchaft immer noch ein Kern reinen Geſchmackes erhielt auch als die Anarchie in der Oper einriß. So führte ein Deutſcher jüdiſcher Abſtammung unſere gebildete Geſell-
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
gearbeiteten brauchbaren Bühnenſtücke waren wärmer empfunden als Rau-
pach’s Werke, ganz deutſch gedacht, niemals unwahr oder unnatürlich,
freilich auch ſo harmlos, daß Schiller wohl wieder hätte fragen können:
Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch ſelber nur ſucht? —
Sogar die Oper empfand den wachſenden Einfluß Frankreichs. Der
erſte Dramatiker unter den Tonſetzern, der Berliner Giacomo Meyerbeer
war nach Paris gezogen und betrieb von dort aus ſeine internationale
Kunſtthätigkeit, immer in Fühlung mit den Stimmungen der Franzoſen.
Sein Robert der Teufel, der die lange Reihe ſeiner europäiſchen Triumphe
eröffnete, war der Neuromantik Victor Hugo’s nahe verwandt, und als
nachher die kirchlichen Gegenſätze ſich verſchärften, griff er zu dem wirk-
ſamen Stoffe der Hugenotten. Durch prächtige theatraliſche Effecte und
reizende Melodien riß er die Maſſen widerſtandslos mit ſich fort; alle
möglichen Formen und Stile miſchte er durch einander wenn ſie nur die
Nerven aufregten. Von der ſchlichten Großheit deutſcher Kunſt war nichts
in ihm.
Da ſeine Manier allen ſchlechten und einigen guten Neigungen der
Zeit entſprach, ſo hätte ſie wohl auch in Deutſchland die Alleinherrſchaft
erlangt, wenn ihr nicht ein überlegener Geiſt entgegengetreten wäre. Wie
Meyerbeer war auch Felix Mendelsſohn in den verwöhnten Kreiſen des
Berliner Reichthums aufgewachſen, aber ſeine reine, liebenswürdige Natur
nahm nur die guten und tüchtigen Züge des Berliner Weſens an: die viel-
ſeitige Bildung, den freien Blick, die geſellſchaftliche Gewandtheit und die
Gabe der beredten Mittheilung. Ein Deutſcher vom Wirbel bis zur Zehe,
konnte er ſich ſelbſt in dem Zauber der ſüdlichen Landſchaft nicht auf die
Dauer wohl fühlen, und von allen Ausländern haben ihn nur die ger-
maniſchen Engländer, niemals die Franzoſen ganz verſtanden. Er er-
weckte durch ſeinen Paulus das Oratorium der Proteſtanten zu neuem
Leben und gab dem deutſchen Liede einen tiefen, weihevollen muſikaliſchen
Ausdruck. Faſt ebenſo folgenreich wie dieſe Compoſitionen, die ihn weit
über alle lebenden Tonſetzer emporhoben, wurde ſeine Thätigkeit in den
Concertſälen. Als zwanzigjähriger Jüngling wagte er zuerſt (1829) in
Berlin Sebaſtian Bach’s vergeſſene Paſſion aufzuführen, und ſeitdem be-
mühte er ſich unabläſſig, die edlen echt deutſchen Kunſtformen der Sym-
phonie, des Oratoriums, der Sonate den Gebildeten wieder an’s Herz zu
legen. Die Werke Bach’s und Händel’s, auch Beethoven’s letzte Sym-
phonien, die lange für ungenießbar gegolten hatten, erſchloß er dem Ver-
ſtändniß der Nation. Seit er, überall in Deutſchland gekannt und geliebt,
zu Berlin, Düſſeldorf, Frankfurt, Leipzig ſeinen Taktſtock ſchwang, wurde die
faſt zum Zeitvertreibe herabgeſunkene Muſik wieder als hohe Kunſt geehrt.
Ihm dankten die Deutſchen, daß ſich in der Hörerſchaft immer noch ein
Kern reinen Geſchmackes erhielt auch als die Anarchie in der Oper einriß.
So führte ein Deutſcher jüdiſcher Abſtammung unſere gebildete Geſell-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/468>, abgerufen am 24.11.2024.
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