wie Gustav Schwab mit liebenswürdiger Bescheidenheit sagte. Unter dem jungen Nachwuchs, der sich um die beiden Patriarchen Uhland und Kerner schaarte, besaß nur Einer, Eduard Mörike, die wundersame Gabe Alles durch den Glanz der Poesie zu verklären; aber auch den beiden Pfizer, auch Schwab und Karl Mayer gelang in guten Stunden zuweilen eine frische Ballade, ein geistvolles Sinngedicht oder ein wohlgestimmtes Natur- bild, und sie Alle betrachteten die Poesie nicht, wie die weltschmerzfrohen Jungdeutschen, als einen quälenden Fluch, sondern als eine lichte Himmels- gabe, die den Dichter selbst beglücken und ihn befähigen sollte, auch Andere beglückend über das Wirrsal des Lebens emporzuheben. Fröhliche Stunden, wenn die schwäbischen Poeten beim Schoppen zusammensaßen und die beiden jungen österreichischen Dichter Lenau und Auersperg oder die Gebrüder Adolf und August Stöber aus Straßburg, die tapferen Vorkämpfer deutscher Sprache und Dichtung in der verwälschten Westmark, zum Besuch herüber- kamen. Hier war deutsches Leben, deutsche Kunst und Laune; wie prosaisch erschien daneben die Betriebsamkeit der Gedankenverfertiger am Theetisch der Rahel oder gar das alberne Grisetten-Gekicher bei Heine's kleinen Diners.
Darum hielt sich Gustav Pfizer berechtigt, im Namen der deutschen Kunst gegen Heine und seine Gefolgschaft zu Felde zu ziehen. In seinem poetischen Schaffen war er sehr ungleich, die spröde Form wollte sich dem reichen Gedankengehalt der meist betrachtenden Gedichte nicht immer fügen, nur einzelne seiner Gestalten, wie der Hermes Psychopompos, traten "ewig schön und ewig heiter" vor das Auge des Lesers; doch er besaß ein sicheres, durchgebildetes Verständniß für das Schöne, und Niemand durfte den Bruder Paul Pfizer's, den erklärten Liberalen, des politischen Parteihasses beschuldigen, als er in Cotta's neuer Deutschen Vierteljahrsschrift (1838) die ästhetischen Sünden des Jungen Deutschlands mit würdigen, gemessenen Worten schonungslos aufwies. Was sei die gerühmte reizende Verwirrung des Heinischen Feuilletonstiles denn anders als ein läppischer Versuch, die längst durch Lessing festgestellten Grenzen von Poesie und Prosa wieder einzureißen? und was anders als die Zerstörung aller Schönheit müsse erfolgen, wenn die jungen Poeten sich im Wetteifer die Haare zurückstrichen um ihre Faunenohren und Satyrshörner recht zu zeigen? Ganz Schwaben stimmte ihm zu. Selbst der junge Aesthetiker Vischer, ein hitziger Radi- caler in Politik und Religion, wollte den gesunden Schönheitssinn seines Stammes nicht verleugnen und sprach ehrlich aus, solche Werke der Re- flexion wie die Novellen von Gutzkow oder Laube seien überhaupt keine Poesie. Es war das Verdienst der Schwaben, daß das Junge Deutsch- land niemals in unserem Oberlande Fuß faßte, sondern immer nur ein Sumpfgewächs der großen Städte des Nordens blieb. Und dieser sieg- reiche Widerstand der nationalen Empfindung gegen die jüdisch-französische Zwitter-Literatur ging von demselben liberalen Süden aus, der die poli- tischen Heilslehren der Franzosen so willig aufnahm. Daraus ergab sich
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
wie Guſtav Schwab mit liebenswürdiger Beſcheidenheit ſagte. Unter dem jungen Nachwuchs, der ſich um die beiden Patriarchen Uhland und Kerner ſchaarte, beſaß nur Einer, Eduard Mörike, die wunderſame Gabe Alles durch den Glanz der Poeſie zu verklären; aber auch den beiden Pfizer, auch Schwab und Karl Mayer gelang in guten Stunden zuweilen eine friſche Ballade, ein geiſtvolles Sinngedicht oder ein wohlgeſtimmtes Natur- bild, und ſie Alle betrachteten die Poeſie nicht, wie die weltſchmerzfrohen Jungdeutſchen, als einen quälenden Fluch, ſondern als eine lichte Himmels- gabe, die den Dichter ſelbſt beglücken und ihn befähigen ſollte, auch Andere beglückend über das Wirrſal des Lebens emporzuheben. Fröhliche Stunden, wenn die ſchwäbiſchen Poeten beim Schoppen zuſammenſaßen und die beiden jungen öſterreichiſchen Dichter Lenau und Auersperg oder die Gebrüder Adolf und Auguſt Stöber aus Straßburg, die tapferen Vorkämpfer deutſcher Sprache und Dichtung in der verwälſchten Weſtmark, zum Beſuch herüber- kamen. Hier war deutſches Leben, deutſche Kunſt und Laune; wie proſaiſch erſchien daneben die Betriebſamkeit der Gedankenverfertiger am Theetiſch der Rahel oder gar das alberne Griſetten-Gekicher bei Heine’s kleinen Diners.
Darum hielt ſich Guſtav Pfizer berechtigt, im Namen der deutſchen Kunſt gegen Heine und ſeine Gefolgſchaft zu Felde zu ziehen. In ſeinem poetiſchen Schaffen war er ſehr ungleich, die ſpröde Form wollte ſich dem reichen Gedankengehalt der meiſt betrachtenden Gedichte nicht immer fügen, nur einzelne ſeiner Geſtalten, wie der Hermes Pſychopompos, traten „ewig ſchön und ewig heiter“ vor das Auge des Leſers; doch er beſaß ein ſicheres, durchgebildetes Verſtändniß für das Schöne, und Niemand durfte den Bruder Paul Pfizer’s, den erklärten Liberalen, des politiſchen Parteihaſſes beſchuldigen, als er in Cotta’s neuer Deutſchen Vierteljahrsſchrift (1838) die äſthetiſchen Sünden des Jungen Deutſchlands mit würdigen, gemeſſenen Worten ſchonungslos aufwies. Was ſei die gerühmte reizende Verwirrung des Heiniſchen Feuilletonſtiles denn anders als ein läppiſcher Verſuch, die längſt durch Leſſing feſtgeſtellten Grenzen von Poeſie und Proſa wieder einzureißen? und was anders als die Zerſtörung aller Schönheit müſſe erfolgen, wenn die jungen Poeten ſich im Wetteifer die Haare zurückſtrichen um ihre Faunenohren und Satyrshörner recht zu zeigen? Ganz Schwaben ſtimmte ihm zu. Selbſt der junge Aeſthetiker Viſcher, ein hitziger Radi- caler in Politik und Religion, wollte den geſunden Schönheitsſinn ſeines Stammes nicht verleugnen und ſprach ehrlich aus, ſolche Werke der Re- flexion wie die Novellen von Gutzkow oder Laube ſeien überhaupt keine Poeſie. Es war das Verdienſt der Schwaben, daß das Junge Deutſch- land niemals in unſerem Oberlande Fuß faßte, ſondern immer nur ein Sumpfgewächs der großen Städte des Nordens blieb. Und dieſer ſieg- reiche Widerſtand der nationalen Empfindung gegen die jüdiſch-franzöſiſche Zwitter-Literatur ging von demſelben liberalen Süden aus, der die poli- tiſchen Heilslehren der Franzoſen ſo willig aufnahm. Daraus ergab ſich
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wie Guſtav Schwab mit liebenswürdiger Beſcheidenheit ſagte. Unter dem
jungen Nachwuchs, der ſich um die beiden Patriarchen Uhland und Kerner
ſchaarte, beſaß nur Einer, Eduard Mörike, die wunderſame Gabe Alles
durch den Glanz der Poeſie zu verklären; aber auch den beiden Pfizer,
auch Schwab und Karl Mayer gelang in guten Stunden zuweilen eine
friſche Ballade, ein geiſtvolles Sinngedicht oder ein wohlgeſtimmtes Natur-
bild, und ſie Alle betrachteten die Poeſie nicht, wie die weltſchmerzfrohen
Jungdeutſchen, als einen quälenden Fluch, ſondern als eine lichte Himmels-
gabe, die den Dichter ſelbſt beglücken und ihn befähigen ſollte, auch Andere
beglückend über das Wirrſal des Lebens emporzuheben. Fröhliche Stunden,
wenn die ſchwäbiſchen Poeten beim Schoppen zuſammenſaßen und die beiden
jungen öſterreichiſchen Dichter Lenau und Auersperg oder die Gebrüder
Adolf und Auguſt Stöber aus Straßburg, die tapferen Vorkämpfer deutſcher
Sprache und Dichtung in der verwälſchten Weſtmark, zum Beſuch herüber-
kamen. Hier war deutſches Leben, deutſche Kunſt und Laune; wie proſaiſch
erſchien daneben die Betriebſamkeit der Gedankenverfertiger am Theetiſch der
Rahel oder gar das alberne Griſetten-Gekicher bei Heine’s kleinen Diners.
Darum hielt ſich Guſtav Pfizer berechtigt, im Namen der deutſchen
Kunſt gegen Heine und ſeine Gefolgſchaft zu Felde zu ziehen. In ſeinem
poetiſchen Schaffen war er ſehr ungleich, die ſpröde Form wollte ſich dem
reichen Gedankengehalt der meiſt betrachtenden Gedichte nicht immer fügen,
nur einzelne ſeiner Geſtalten, wie der Hermes Pſychopompos, traten „ewig
ſchön und ewig heiter“ vor das Auge des Leſers; doch er beſaß ein ſicheres,
durchgebildetes Verſtändniß für das Schöne, und Niemand durfte den
Bruder Paul Pfizer’s, den erklärten Liberalen, des politiſchen Parteihaſſes
beſchuldigen, als er in Cotta’s neuer Deutſchen Vierteljahrsſchrift (1838)
die äſthetiſchen Sünden des Jungen Deutſchlands mit würdigen, gemeſſenen
Worten ſchonungslos aufwies. Was ſei die gerühmte reizende Verwirrung
des Heiniſchen Feuilletonſtiles denn anders als ein läppiſcher Verſuch, die
längſt durch Leſſing feſtgeſtellten Grenzen von Poeſie und Proſa wieder
einzureißen? und was anders als die Zerſtörung aller Schönheit müſſe
erfolgen, wenn die jungen Poeten ſich im Wetteifer die Haare zurückſtrichen
um ihre Faunenohren und Satyrshörner recht zu zeigen? Ganz Schwaben
ſtimmte ihm zu. Selbſt der junge Aeſthetiker Viſcher, ein hitziger Radi-
caler in Politik und Religion, wollte den geſunden Schönheitsſinn ſeines
Stammes nicht verleugnen und ſprach ehrlich aus, ſolche Werke der Re-
flexion wie die Novellen von Gutzkow oder Laube ſeien überhaupt keine
Poeſie. Es war das Verdienſt der Schwaben, daß das Junge Deutſch-
land niemals in unſerem Oberlande Fuß faßte, ſondern immer nur ein
Sumpfgewächs der großen Städte des Nordens blieb. Und dieſer ſieg-
reiche Widerſtand der nationalen Empfindung gegen die jüdiſch-franzöſiſche
Zwitter-Literatur ging von demſelben liberalen Süden aus, der die poli-
tiſchen Heilslehren der Franzoſen ſo willig aufnahm. Daraus ergab ſich
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/452>, abgerufen am 24.11.2024.
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