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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Büchner. Pückler-Muskau. Ch. Stieglitz.
Innigkeit, die verhaltene Leidenschaft des Volkslieds ließ er gelten. Als
er in seiner Novelle "Lenz" die Lieblingszeit der Jungdeutschen, die Epoche
der Stürmer und Dränger behandelte, verschmähte er jede Tendenz und
erzählte mit grausamer Wahrhaftigkeit, mit einem unheimlichen congenialen
Verständniß, wie der stille Wahnsinn Herr ward über den Jugendfreund
Goethe's. Noch ehe das Gedicht vollendet war, starb er plötzlich, im Fe-
bruar 1836, wenige Tage nach Börne's Tode, und der an Talenten so
arme deutsche Radicalismus versäumte nicht, sich mit diesem Namen zu
brüsten. Der junge Herwegb besang Büchner und Börne als die deut-
schen Dioskuren.

Gleich Büchner hing auch Fürst Pückler-Muskau nur mittelbar mit
dem Jungen Deutschland zusammen, mehr durch die Verwandtschaft der
Gesinnung, als durch persönlichen Verkehr. Indeß hatte er im Salon der
Rahel seine Gabe liebenswürdiger Plauderei zum Virtuosenthum ausge-
bildet, und auf Varnhagen's Rath ließ er die Briefe eines Verstorbenen
erscheinen, eine geistreiche Reisebeschreibung, die den Jugendschriften Gutz-
kow's oder Laube's weit überlegen war; denn der vornehme Weltmann
hatte Vieles wirklich erlebt, was Jene nur erkünstelten, er sagte über die
Heuchelei der englischen Sitten manches treffende Wort, auch der leichte
spöttische Ton seiner anmuthigen Erzählung entsprach seinem Charakter, und
selbst die Sprachmengerei, die er sehr weit trieb, klang bei ihm nicht so
unnatürlich wie bei den jungdeutschen Plebejern, weil die aristokratische
Gesellschaft in der That noch in solchem Kauderwälsch zu reden pflegte.
Als vorurtheilsfreier Weltbürger, als Verächter der langweiligen ehrbaren
Mittelklassen, insbesondere des preußischen Beamtenthums, wurde der
Fürst anfangs von den Kritikern des Jungen Deutschlands willkommen
geheißen. Auf die Dauer konnte er dem Fluche des Dilettantismus doch
nicht entgehen. Da er die Feder nur mit läßlicher Geringschätzung führte,
so schrieb er sich bald aus; seine wunderbaren Reiseabenteuer in aller
Herren Ländern, die wahren wie die erfundenen, verschafften ihm für kurze
Zeit einen Weltruf, schließlich begannen die Leser der Weltgänge Semi-
lasso's und seiner zunehmenden Blasirtheit selber müde zu werden. Was
er von schöpferischer Kraft besaß, das zeigte er als Meister der Garten-
kunst in den herrlichen Parkanlagen seiner Schlösser Muskau und Branitz.

Der Zank vor Schleiermacher's Grabe war noch nicht verstummt,
da rief ein neuer Todesfall die Kämpen des Jungen Deutschlands schon
zu neuen Thaten auf. Im December 1834 erdolchte sich Charlotte, die
schöne hochsinnige Gattin des jungen Poeten Heinrich Stieglitz; in einigen
hinterlassenen Zeilen sprach sie dem Gatten den Wunsch aus, er möge
"glücklicher werden im wahrhaften Unglück", sie schien zu hoffen, der un-
geheure Schmerz würde ihm das dichterische Vermögen, die tragische Leiden-
schaft stärken. Wer sich auf Weiberherzen verstand, konnte diesen Selbstmord
kaum räthselhaft finden. Heinrich Stieglitz zählte zu jenen bedauerns-

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Büchner. Pückler-Muskau. Ch. Stieglitz.
Innigkeit, die verhaltene Leidenſchaft des Volkslieds ließ er gelten. Als
er in ſeiner Novelle „Lenz“ die Lieblingszeit der Jungdeutſchen, die Epoche
der Stürmer und Dränger behandelte, verſchmähte er jede Tendenz und
erzählte mit grauſamer Wahrhaftigkeit, mit einem unheimlichen congenialen
Verſtändniß, wie der ſtille Wahnſinn Herr ward über den Jugendfreund
Goethe’s. Noch ehe das Gedicht vollendet war, ſtarb er plötzlich, im Fe-
bruar 1836, wenige Tage nach Börne’s Tode, und der an Talenten ſo
arme deutſche Radicalismus verſäumte nicht, ſich mit dieſem Namen zu
brüſten. Der junge Herwegb beſang Büchner und Börne als die deut-
ſchen Dioskuren.

Gleich Büchner hing auch Fürſt Pückler-Muskau nur mittelbar mit
dem Jungen Deutſchland zuſammen, mehr durch die Verwandtſchaft der
Geſinnung, als durch perſönlichen Verkehr. Indeß hatte er im Salon der
Rahel ſeine Gabe liebenswürdiger Plauderei zum Virtuoſenthum ausge-
bildet, und auf Varnhagen’s Rath ließ er die Briefe eines Verſtorbenen
erſcheinen, eine geiſtreiche Reiſebeſchreibung, die den Jugendſchriften Gutz-
kow’s oder Laube’s weit überlegen war; denn der vornehme Weltmann
hatte Vieles wirklich erlebt, was Jene nur erkünſtelten, er ſagte über die
Heuchelei der engliſchen Sitten manches treffende Wort, auch der leichte
ſpöttiſche Ton ſeiner anmuthigen Erzählung entſprach ſeinem Charakter, und
ſelbſt die Sprachmengerei, die er ſehr weit trieb, klang bei ihm nicht ſo
unnatürlich wie bei den jungdeutſchen Plebejern, weil die ariſtokratiſche
Geſellſchaft in der That noch in ſolchem Kauderwälſch zu reden pflegte.
Als vorurtheilsfreier Weltbürger, als Verächter der langweiligen ehrbaren
Mittelklaſſen, insbeſondere des preußiſchen Beamtenthums, wurde der
Fürſt anfangs von den Kritikern des Jungen Deutſchlands willkommen
geheißen. Auf die Dauer konnte er dem Fluche des Dilettantismus doch
nicht entgehen. Da er die Feder nur mit läßlicher Geringſchätzung führte,
ſo ſchrieb er ſich bald aus; ſeine wunderbaren Reiſeabenteuer in aller
Herren Ländern, die wahren wie die erfundenen, verſchafften ihm für kurze
Zeit einen Weltruf, ſchließlich begannen die Leſer der Weltgänge Semi-
laſſo’s und ſeiner zunehmenden Blaſirtheit ſelber müde zu werden. Was
er von ſchöpferiſcher Kraft beſaß, das zeigte er als Meiſter der Garten-
kunſt in den herrlichen Parkanlagen ſeiner Schlöſſer Muskau und Branitz.

Der Zank vor Schleiermacher’s Grabe war noch nicht verſtummt,
da rief ein neuer Todesfall die Kämpen des Jungen Deutſchlands ſchon
zu neuen Thaten auf. Im December 1834 erdolchte ſich Charlotte, die
ſchöne hochſinnige Gattin des jungen Poeten Heinrich Stieglitz; in einigen
hinterlaſſenen Zeilen ſprach ſie dem Gatten den Wunſch aus, er möge
„glücklicher werden im wahrhaften Unglück“, ſie ſchien zu hoffen, der un-
geheure Schmerz würde ihm das dichteriſche Vermögen, die tragiſche Leiden-
ſchaft ſtärken. Wer ſich auf Weiberherzen verſtand, konnte dieſen Selbſtmord
kaum räthſelhaft finden. Heinrich Stieglitz zählte zu jenen bedauerns-

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[435/0449] Büchner. Pückler-Muskau. Ch. Stieglitz. Innigkeit, die verhaltene Leidenſchaft des Volkslieds ließ er gelten. Als er in ſeiner Novelle „Lenz“ die Lieblingszeit der Jungdeutſchen, die Epoche der Stürmer und Dränger behandelte, verſchmähte er jede Tendenz und erzählte mit grauſamer Wahrhaftigkeit, mit einem unheimlichen congenialen Verſtändniß, wie der ſtille Wahnſinn Herr ward über den Jugendfreund Goethe’s. Noch ehe das Gedicht vollendet war, ſtarb er plötzlich, im Fe- bruar 1836, wenige Tage nach Börne’s Tode, und der an Talenten ſo arme deutſche Radicalismus verſäumte nicht, ſich mit dieſem Namen zu brüſten. Der junge Herwegb beſang Büchner und Börne als die deut- ſchen Dioskuren. Gleich Büchner hing auch Fürſt Pückler-Muskau nur mittelbar mit dem Jungen Deutſchland zuſammen, mehr durch die Verwandtſchaft der Geſinnung, als durch perſönlichen Verkehr. Indeß hatte er im Salon der Rahel ſeine Gabe liebenswürdiger Plauderei zum Virtuoſenthum ausge- bildet, und auf Varnhagen’s Rath ließ er die Briefe eines Verſtorbenen erſcheinen, eine geiſtreiche Reiſebeſchreibung, die den Jugendſchriften Gutz- kow’s oder Laube’s weit überlegen war; denn der vornehme Weltmann hatte Vieles wirklich erlebt, was Jene nur erkünſtelten, er ſagte über die Heuchelei der engliſchen Sitten manches treffende Wort, auch der leichte ſpöttiſche Ton ſeiner anmuthigen Erzählung entſprach ſeinem Charakter, und ſelbſt die Sprachmengerei, die er ſehr weit trieb, klang bei ihm nicht ſo unnatürlich wie bei den jungdeutſchen Plebejern, weil die ariſtokratiſche Geſellſchaft in der That noch in ſolchem Kauderwälſch zu reden pflegte. Als vorurtheilsfreier Weltbürger, als Verächter der langweiligen ehrbaren Mittelklaſſen, insbeſondere des preußiſchen Beamtenthums, wurde der Fürſt anfangs von den Kritikern des Jungen Deutſchlands willkommen geheißen. Auf die Dauer konnte er dem Fluche des Dilettantismus doch nicht entgehen. Da er die Feder nur mit läßlicher Geringſchätzung führte, ſo ſchrieb er ſich bald aus; ſeine wunderbaren Reiſeabenteuer in aller Herren Ländern, die wahren wie die erfundenen, verſchafften ihm für kurze Zeit einen Weltruf, ſchließlich begannen die Leſer der Weltgänge Semi- laſſo’s und ſeiner zunehmenden Blaſirtheit ſelber müde zu werden. Was er von ſchöpferiſcher Kraft beſaß, das zeigte er als Meiſter der Garten- kunſt in den herrlichen Parkanlagen ſeiner Schlöſſer Muskau und Branitz. Der Zank vor Schleiermacher’s Grabe war noch nicht verſtummt, da rief ein neuer Todesfall die Kämpen des Jungen Deutſchlands ſchon zu neuen Thaten auf. Im December 1834 erdolchte ſich Charlotte, die ſchöne hochſinnige Gattin des jungen Poeten Heinrich Stieglitz; in einigen hinterlaſſenen Zeilen ſprach ſie dem Gatten den Wunſch aus, er möge „glücklicher werden im wahrhaften Unglück“, ſie ſchien zu hoffen, der un- geheure Schmerz würde ihm das dichteriſche Vermögen, die tragiſche Leiden- ſchaft ſtärken. Wer ſich auf Weiberherzen verſtand, konnte dieſen Selbſtmord kaum räthſelhaft finden. Heinrich Stieglitz zählte zu jenen bedauerns- 28*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/449>, abgerufen am 25.11.2024.