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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Nassaus Beitritt. Frankfurt und England.
Faust fortzuführen und im Bunde mit England dem Zollverein entgegen-
zutreten. Am 13. Mai 1832 schloß Senator Harnier in London mit
Palmerston und Lord Auckland einen "Handels- und Schifffahrtsvertrag"
auf zehn Jahre, der die Flaggen beider Mächte gleich stellte und zugleich
ausbedang, daß kein dritter Staat im Zollwesen zum Nachtheil der Con-
trahenten bevorzugt werden dürfe. Die Absicht war deutlich: englische
Schiffe sollten ihre Waaren den freien Rhein hinauf nach Frankfurt führen
zur Weiterbeförderung durch die Schmuggler, dafür blieb die deutsche
Stadt zehn Jahre lang dem preußischen Handelsbunde fern und getröstete
sich des Glaubens, daß vielleicht einmal ein Schiff unter Frankfurter
Flagge nach England segeln würde. So stattete Frankfurt seinen Dank
ab für die durch Preußens langjährige Arbeit endlich erreichte Befreiung
der Rheinschifffahrt. Die Presse des Zollvereins tobte, der alte Haß
gegen England brach wieder aus, der Darmstädter Landtag erklärte sich
entrüstet wider diese Preisgebung der nationalen Ehre. In der That
scheint trotz der Ableugnungen des Frankfurter Senats unbestreitbar, daß
die deutsche Stadt und nicht England die Anregung gegeben hatte zu dem
unsauberen Geschäfte, wie ja auch Nassau bei jenem französischen Ver-
trage der treibende Theil war. Die Times und die besseren englischen
Blätter schalten auf den begehrlichen Krämersinn ihres Cabinets: wie
lächerlich dieser Schifffahrtsvertrag mit einer Binnenstadt, die doch auf
die Dauer sich nicht absondern kann von der nationalen Handelspolitik!

In Frankfurt selbst stieg die Unzufriedenheit. Bittere Erfahrungen
lehrten, daß die beliebte Vergleichung Frankfurts und der anderen "freien
Städte" auf beiden Füßen hinkte. Während in Hamburg der gesammte
Zwischenhandel Skandinaviens seinen Mittelpunkt fand, war der Binnen-
platz wesenlich auf den deutschen Handel angewiesen. Auf eine Firma, die
mit englischen und französischen Waaren handelte, kamen zwanzig deutsche
Geschäfte. Der Umfang des Speditionshandels sank auf die Hälfte herab,
seit Kurhessen sich an Preußen angeschlossen; das blühende Geschäft in
Leder und Wein lag jetzt ganz darnieder. Die wenigen englischen Schiffe,
die den Main herauf kamen, boten keinen Ersatz für den gesperrten nach-
barlichen Verkehr. Alle Nachbarstädte wuchsen zusehends: Hanau, Vilbel
und der aufblühende Meßplatz Offenbach. Auch die alten Nebenbuhler
zu Mainz frohlockten in nachbarlicher Schadenfreude. Schon mußte der
Frankfurter Kaufmann in Offenbach zu hohen Preisen Keller und Speicher
miethen, derweil daheim die Speicher leer standen. Wie lange sollte der
schimpfliche Schmuggel noch währen, und konnte Preußen nicht endlich
die Geduld verlieren, die Schrecken seines Enclavensystems über die trotzige
Stadt verhängen? Beredte Flugschriften schilderten den Nothstand. Im
Februar 1834 verlangte endlich die Handelskammer, die schon seit Langem
getheilten Sinnes war, den Anschluß an Preußen.

Nach langwierigen Vorberathungen mit dem Darmstädter Hofmann

Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 26

Naſſaus Beitritt. Frankfurt und England.
Fauſt fortzuführen und im Bunde mit England dem Zollverein entgegen-
zutreten. Am 13. Mai 1832 ſchloß Senator Harnier in London mit
Palmerſton und Lord Auckland einen „Handels- und Schifffahrtsvertrag“
auf zehn Jahre, der die Flaggen beider Mächte gleich ſtellte und zugleich
ausbedang, daß kein dritter Staat im Zollweſen zum Nachtheil der Con-
trahenten bevorzugt werden dürfe. Die Abſicht war deutlich: engliſche
Schiffe ſollten ihre Waaren den freien Rhein hinauf nach Frankfurt führen
zur Weiterbeförderung durch die Schmuggler, dafür blieb die deutſche
Stadt zehn Jahre lang dem preußiſchen Handelsbunde fern und getröſtete
ſich des Glaubens, daß vielleicht einmal ein Schiff unter Frankfurter
Flagge nach England ſegeln würde. So ſtattete Frankfurt ſeinen Dank
ab für die durch Preußens langjährige Arbeit endlich erreichte Befreiung
der Rheinſchifffahrt. Die Preſſe des Zollvereins tobte, der alte Haß
gegen England brach wieder aus, der Darmſtädter Landtag erklärte ſich
entrüſtet wider dieſe Preisgebung der nationalen Ehre. In der That
ſcheint trotz der Ableugnungen des Frankfurter Senats unbeſtreitbar, daß
die deutſche Stadt und nicht England die Anregung gegeben hatte zu dem
unſauberen Geſchäfte, wie ja auch Naſſau bei jenem franzöſiſchen Ver-
trage der treibende Theil war. Die Times und die beſſeren engliſchen
Blätter ſchalten auf den begehrlichen Krämerſinn ihres Cabinets: wie
lächerlich dieſer Schifffahrtsvertrag mit einer Binnenſtadt, die doch auf
die Dauer ſich nicht abſondern kann von der nationalen Handelspolitik!

In Frankfurt ſelbſt ſtieg die Unzufriedenheit. Bittere Erfahrungen
lehrten, daß die beliebte Vergleichung Frankfurts und der anderen „freien
Städte“ auf beiden Füßen hinkte. Während in Hamburg der geſammte
Zwiſchenhandel Skandinaviens ſeinen Mittelpunkt fand, war der Binnen-
platz weſenlich auf den deutſchen Handel angewieſen. Auf eine Firma, die
mit engliſchen und franzöſiſchen Waaren handelte, kamen zwanzig deutſche
Geſchäfte. Der Umfang des Speditionshandels ſank auf die Hälfte herab,
ſeit Kurheſſen ſich an Preußen angeſchloſſen; das blühende Geſchäft in
Leder und Wein lag jetzt ganz darnieder. Die wenigen engliſchen Schiffe,
die den Main herauf kamen, boten keinen Erſatz für den geſperrten nach-
barlichen Verkehr. Alle Nachbarſtädte wuchſen zuſehends: Hanau, Vilbel
und der aufblühende Meßplatz Offenbach. Auch die alten Nebenbuhler
zu Mainz frohlockten in nachbarlicher Schadenfreude. Schon mußte der
Frankfurter Kaufmann in Offenbach zu hohen Preiſen Keller und Speicher
miethen, derweil daheim die Speicher leer ſtanden. Wie lange ſollte der
ſchimpfliche Schmuggel noch währen, und konnte Preußen nicht endlich
die Geduld verlieren, die Schrecken ſeines Enclavenſyſtems über die trotzige
Stadt verhängen? Beredte Flugſchriften ſchilderten den Nothſtand. Im
Februar 1834 verlangte endlich die Handelskammer, die ſchon ſeit Langem
getheilten Sinnes war, den Anſchluß an Preußen.

Nach langwierigen Vorberathungen mit dem Darmſtädter Hofmann

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[401/0415] Naſſaus Beitritt. Frankfurt und England. Fauſt fortzuführen und im Bunde mit England dem Zollverein entgegen- zutreten. Am 13. Mai 1832 ſchloß Senator Harnier in London mit Palmerſton und Lord Auckland einen „Handels- und Schifffahrtsvertrag“ auf zehn Jahre, der die Flaggen beider Mächte gleich ſtellte und zugleich ausbedang, daß kein dritter Staat im Zollweſen zum Nachtheil der Con- trahenten bevorzugt werden dürfe. Die Abſicht war deutlich: engliſche Schiffe ſollten ihre Waaren den freien Rhein hinauf nach Frankfurt führen zur Weiterbeförderung durch die Schmuggler, dafür blieb die deutſche Stadt zehn Jahre lang dem preußiſchen Handelsbunde fern und getröſtete ſich des Glaubens, daß vielleicht einmal ein Schiff unter Frankfurter Flagge nach England ſegeln würde. So ſtattete Frankfurt ſeinen Dank ab für die durch Preußens langjährige Arbeit endlich erreichte Befreiung der Rheinſchifffahrt. Die Preſſe des Zollvereins tobte, der alte Haß gegen England brach wieder aus, der Darmſtädter Landtag erklärte ſich entrüſtet wider dieſe Preisgebung der nationalen Ehre. In der That ſcheint trotz der Ableugnungen des Frankfurter Senats unbeſtreitbar, daß die deutſche Stadt und nicht England die Anregung gegeben hatte zu dem unſauberen Geſchäfte, wie ja auch Naſſau bei jenem franzöſiſchen Ver- trage der treibende Theil war. Die Times und die beſſeren engliſchen Blätter ſchalten auf den begehrlichen Krämerſinn ihres Cabinets: wie lächerlich dieſer Schifffahrtsvertrag mit einer Binnenſtadt, die doch auf die Dauer ſich nicht abſondern kann von der nationalen Handelspolitik! In Frankfurt ſelbſt ſtieg die Unzufriedenheit. Bittere Erfahrungen lehrten, daß die beliebte Vergleichung Frankfurts und der anderen „freien Städte“ auf beiden Füßen hinkte. Während in Hamburg der geſammte Zwiſchenhandel Skandinaviens ſeinen Mittelpunkt fand, war der Binnen- platz weſenlich auf den deutſchen Handel angewieſen. Auf eine Firma, die mit engliſchen und franzöſiſchen Waaren handelte, kamen zwanzig deutſche Geſchäfte. Der Umfang des Speditionshandels ſank auf die Hälfte herab, ſeit Kurheſſen ſich an Preußen angeſchloſſen; das blühende Geſchäft in Leder und Wein lag jetzt ganz darnieder. Die wenigen engliſchen Schiffe, die den Main herauf kamen, boten keinen Erſatz für den geſperrten nach- barlichen Verkehr. Alle Nachbarſtädte wuchſen zuſehends: Hanau, Vilbel und der aufblühende Meßplatz Offenbach. Auch die alten Nebenbuhler zu Mainz frohlockten in nachbarlicher Schadenfreude. Schon mußte der Frankfurter Kaufmann in Offenbach zu hohen Preiſen Keller und Speicher miethen, derweil daheim die Speicher leer ſtanden. Wie lange ſollte der ſchimpfliche Schmuggel noch währen, und konnte Preußen nicht endlich die Geduld verlieren, die Schrecken ſeines Enclavenſyſtems über die trotzige Stadt verhängen? Beredte Flugſchriften ſchilderten den Nothſtand. Im Februar 1834 verlangte endlich die Handelskammer, die ſchon ſeit Langem getheilten Sinnes war, den Anſchluß an Preußen. Nach langwierigen Vorberathungen mit dem Darmſtädter Hofmann Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 26

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/415>, abgerufen am 24.11.2024.