Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
Zollvereinsverträge wurden abgeschlossen, und da sie allesammt die bundes-
treue Clausel enthielten, daß der Zollverein sich auflösen würde, sobald
der Art. 19 ins Leben träte, so konnte der Bundestag der vollendeten
Thatsache nicht einmal mit den Künsten rabulistischer Silbenstecherei zu
Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit sicher; Münch wagte
nicht mehr die hannöverschen Anträge zur Abstimmung zu bringen. Der
Streit schlief ein; der Bundestag hatte abermals seine unheilbare Ohn-
macht bekundet.

Gleichwohl versuchte der unversöhnliche Welfenhof während der Wiener
Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu-
sprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hansestädte zu den
Welfen. Kein schlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfasser
einer Denkschrift, welche der hannöversche Minister Ompteda den Conferenzen
überreichte. Die alten, soeben am Bundestage glücklich beseitigten Thor-
heiten in neuer Fassung! Ein "dem Bunde fremder Organismus" hat sich
der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke schon mehr Theilnahme
als der Bund selber! Darum muß schleunigst ein permanenter Ausschuß
am Bundestage errichtet werden zur Herstellung des Rechtszustandes und
zur Beförderung des Verkehrs, insbesondere des Durchfuhrhandels. Doch
jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten
Locktöne nicht mehr verfangen. Die Versammlung blieb kalt, nur Oester-
reich und Mecklenburg unterstützten die welfisch-hanseatischen Träumereien.
Selbst der glatte Ancillon faßte sich ein Herz und erklärte jede handels-
politische Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch schärfer
und kräftiger widersprach der Vertreter Baierns, der geistreiche Mieg, der
inzwischen die Gnade seines launischen königlichen Herrn wiedergefunden
hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beschloß
man endlich: die Bundesgesandten sollen mit Instruktionen versehen
werden, damit der Bundestag einen Ausschuß bilden und sich mit der
Handelssache beschäftigen könne. Fast genau derselbe Beschluß war vier-
zehn Jahre zuvor auf den ersten Wiener Conferenzen, unter dem schallen-
den Gelächter der Versammlung, gefaßt worden.*) So irrte die deutsche
Diplomatie unter Metternich's umsichtiger Führung im Kreise umher.
Der gequälte Geist des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des
Grabes.

Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie schloß noch im selben Jahre
(1. Mai 1834) mit Braunschweig den Steuerverein, dem nachher auch
Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerstück
des gesprengten Mitteldeutschen Sonderbundes, aber an Feindseligkeiten
ließ sich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete sich bald ein freund-
nachbarliches Verhältniß zwischen den beiden Vereinen. Sie unterstützten

*) s. o. III. 37.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Zollvereinsverträge wurden abgeſchloſſen, und da ſie alleſammt die bundes-
treue Clauſel enthielten, daß der Zollverein ſich auflöſen würde, ſobald
der Art. 19 ins Leben träte, ſo konnte der Bundestag der vollendeten
Thatſache nicht einmal mit den Künſten rabuliſtiſcher Silbenſtecherei zu
Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit ſicher; Münch wagte
nicht mehr die hannöverſchen Anträge zur Abſtimmung zu bringen. Der
Streit ſchlief ein; der Bundestag hatte abermals ſeine unheilbare Ohn-
macht bekundet.

Gleichwohl verſuchte der unverſöhnliche Welfenhof während der Wiener
Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu-
ſprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hanſeſtädte zu den
Welfen. Kein ſchlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfaſſer
einer Denkſchrift, welche der hannöverſche Miniſter Ompteda den Conferenzen
überreichte. Die alten, ſoeben am Bundestage glücklich beſeitigten Thor-
heiten in neuer Faſſung! Ein „dem Bunde fremder Organismus“ hat ſich
der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke ſchon mehr Theilnahme
als der Bund ſelber! Darum muß ſchleunigſt ein permanenter Ausſchuß
am Bundestage errichtet werden zur Herſtellung des Rechtszuſtandes und
zur Beförderung des Verkehrs, insbeſondere des Durchfuhrhandels. Doch
jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten
Locktöne nicht mehr verfangen. Die Verſammlung blieb kalt, nur Oeſter-
reich und Mecklenburg unterſtützten die welfiſch-hanſeatiſchen Träumereien.
Selbſt der glatte Ancillon faßte ſich ein Herz und erklärte jede handels-
politiſche Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch ſchärfer
und kräftiger widerſprach der Vertreter Baierns, der geiſtreiche Mieg, der
inzwiſchen die Gnade ſeines launiſchen königlichen Herrn wiedergefunden
hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beſchloß
man endlich: die Bundesgeſandten ſollen mit Inſtruktionen verſehen
werden, damit der Bundestag einen Ausſchuß bilden und ſich mit der
Handelsſache beſchäftigen könne. Faſt genau derſelbe Beſchluß war vier-
zehn Jahre zuvor auf den erſten Wiener Conferenzen, unter dem ſchallen-
den Gelächter der Verſammlung, gefaßt worden.*) So irrte die deutſche
Diplomatie unter Metternich’s umſichtiger Führung im Kreiſe umher.
Der gequälte Geiſt des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des
Grabes.

Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie ſchloß noch im ſelben Jahre
(1. Mai 1834) mit Braunſchweig den Steuerverein, dem nachher auch
Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerſtück
des geſprengten Mitteldeutſchen Sonderbundes, aber an Feindſeligkeiten
ließ ſich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete ſich bald ein freund-
nachbarliches Verhältniß zwiſchen den beiden Vereinen. Sie unterſtützten

*) ſ. o. III. 37.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0406" n="392"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 6. Der Deut&#x017F;che Zollverein.</fw><lb/>
Zollvereinsverträge wurden abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und da &#x017F;ie alle&#x017F;ammt die bundes-<lb/>
treue Clau&#x017F;el enthielten, daß der Zollverein &#x017F;ich auflö&#x017F;en würde, &#x017F;obald<lb/>
der Art. 19 ins Leben träte, &#x017F;o konnte der Bundestag der vollendeten<lb/>
That&#x017F;ache nicht einmal mit den Kün&#x017F;ten rabuli&#x017F;ti&#x017F;cher Silben&#x017F;techerei zu<lb/>
Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit &#x017F;icher; Münch wagte<lb/>
nicht mehr die hannöver&#x017F;chen Anträge zur Ab&#x017F;timmung zu bringen. Der<lb/>
Streit &#x017F;chlief ein; der Bundestag hatte abermals &#x017F;eine unheilbare Ohn-<lb/>
macht bekundet.</p><lb/>
          <p>Gleichwohl ver&#x017F;uchte der unver&#x017F;öhnliche Welfenhof während der Wiener<lb/>
Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu-<lb/>
&#x017F;prengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Han&#x017F;e&#x017F;tädte zu den<lb/>
Welfen. Kein &#x017F;chlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
einer Denk&#x017F;chrift, welche der hannöver&#x017F;che Mini&#x017F;ter Ompteda den Conferenzen<lb/>
überreichte. Die alten, &#x017F;oeben am Bundestage glücklich be&#x017F;eitigten Thor-<lb/>
heiten in neuer Fa&#x017F;&#x017F;ung! Ein &#x201E;dem Bunde fremder Organismus&#x201C; hat &#x017F;ich<lb/>
der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke &#x017F;chon mehr Theilnahme<lb/>
als der Bund &#x017F;elber! Darum muß &#x017F;chleunig&#x017F;t ein permanenter Aus&#x017F;chuß<lb/>
am Bundestage errichtet werden zur Her&#x017F;tellung des Rechtszu&#x017F;tandes und<lb/>
zur Beförderung des Verkehrs, insbe&#x017F;ondere des Durchfuhrhandels. Doch<lb/>
jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten<lb/>
Locktöne nicht mehr verfangen. Die Ver&#x017F;ammlung blieb kalt, nur Oe&#x017F;ter-<lb/>
reich und Mecklenburg unter&#x017F;tützten die welfi&#x017F;ch-han&#x017F;eati&#x017F;chen Träumereien.<lb/>
Selb&#x017F;t der glatte Ancillon faßte &#x017F;ich ein Herz und erklärte jede handels-<lb/>
politi&#x017F;che Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch &#x017F;chärfer<lb/>
und kräftiger wider&#x017F;prach der Vertreter Baierns, der gei&#x017F;treiche Mieg, der<lb/>
inzwi&#x017F;chen die Gnade &#x017F;eines launi&#x017F;chen königlichen Herrn wiedergefunden<lb/>
hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, be&#x017F;chloß<lb/>
man endlich: die Bundesge&#x017F;andten &#x017F;ollen mit In&#x017F;truktionen ver&#x017F;ehen<lb/>
werden, damit der Bundestag einen Aus&#x017F;chuß bilden und &#x017F;ich mit der<lb/>
Handels&#x017F;ache be&#x017F;chäftigen könne. Fa&#x017F;t genau der&#x017F;elbe Be&#x017F;chluß war vier-<lb/>
zehn Jahre zuvor auf den er&#x017F;ten Wiener Conferenzen, unter dem &#x017F;challen-<lb/>
den Gelächter der Ver&#x017F;ammlung, gefaßt worden.<note place="foot" n="*)">&#x017F;. o. <hi rendition="#aq">III.</hi> 37.</note> So irrte die deut&#x017F;che<lb/>
Diplomatie unter Metternich&#x2019;s um&#x017F;ichtiger Führung im Krei&#x017F;e umher.<lb/>
Der gequälte Gei&#x017F;t des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des<lb/>
Grabes.</p><lb/>
          <p>Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie &#x017F;chloß noch im &#x017F;elben Jahre<lb/>
(1. Mai 1834) mit Braun&#x017F;chweig den Steuerverein, dem nachher auch<lb/>
Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmer&#x017F;tück<lb/>
des ge&#x017F;prengten Mitteldeut&#x017F;chen Sonderbundes, aber an Feind&#x017F;eligkeiten<lb/>
ließ &#x017F;ich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete &#x017F;ich bald ein freund-<lb/>
nachbarliches Verhältniß zwi&#x017F;chen den beiden Vereinen. Sie unter&#x017F;tützten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0406] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. Zollvereinsverträge wurden abgeſchloſſen, und da ſie alleſammt die bundes- treue Clauſel enthielten, daß der Zollverein ſich auflöſen würde, ſobald der Art. 19 ins Leben träte, ſo konnte der Bundestag der vollendeten Thatſache nicht einmal mit den Künſten rabuliſtiſcher Silbenſtecherei zu Leibe gehen. Preußen war fortan der Mehrheit ſicher; Münch wagte nicht mehr die hannöverſchen Anträge zur Abſtimmung zu bringen. Der Streit ſchlief ein; der Bundestag hatte abermals ſeine unheilbare Ohn- macht bekundet. Gleichwohl verſuchte der unverſöhnliche Welfenhof während der Wiener Conferenzen von 1834 noch einmal, auf dem traurigen Art. 19 herauszu- ſprengen gegen den Zollverein. Und wieder hielten die Hanſeſtädte zu den Welfen. Kein ſchlechterer Mann als der Bremer Smidt war der Verfaſſer einer Denkſchrift, welche der hannöverſche Miniſter Ompteda den Conferenzen überreichte. Die alten, ſoeben am Bundestage glücklich beſeitigten Thor- heiten in neuer Faſſung! Ein „dem Bunde fremder Organismus“ hat ſich der Handelsfrage bemächtigt und erregt im Volke ſchon mehr Theilnahme als der Bund ſelber! Darum muß ſchleunigſt ein permanenter Ausſchuß am Bundestage errichtet werden zur Herſtellung des Rechtszuſtandes und zur Beförderung des Verkehrs, insbeſondere des Durchfuhrhandels. Doch jetzt, da der große Zollverein bereits ins Leben getreten war, wollten die alten Locktöne nicht mehr verfangen. Die Verſammlung blieb kalt, nur Oeſter- reich und Mecklenburg unterſtützten die welfiſch-hanſeatiſchen Träumereien. Selbſt der glatte Ancillon faßte ſich ein Herz und erklärte jede handels- politiſche Thätigkeit des Bundestages für hoffnungslos. Noch ſchärfer und kräftiger widerſprach der Vertreter Baierns, der geiſtreiche Mieg, der inzwiſchen die Gnade ſeines launiſchen königlichen Herrn wiedergefunden hatte. Um die Welfen nicht durch ein rundes Nein zu kränken, beſchloß man endlich: die Bundesgeſandten ſollen mit Inſtruktionen verſehen werden, damit der Bundestag einen Ausſchuß bilden und ſich mit der Handelsſache beſchäftigen könne. Faſt genau derſelbe Beſchluß war vier- zehn Jahre zuvor auf den erſten Wiener Conferenzen, unter dem ſchallen- den Gelächter der Verſammlung, gefaßt worden. *) So irrte die deutſche Diplomatie unter Metternich’s umſichtiger Führung im Kreiſe umher. Der gequälte Geiſt des Art. 19 fand nunmehr endlich den Frieden des Grabes. Die Welfenkrone blieb unbelehrt. Sie ſchloß noch im ſelben Jahre (1. Mai 1834) mit Braunſchweig den Steuerverein, dem nachher auch Oldenburg und Bückeburg beitraten. Es war das letzte Trümmerſtück des geſprengten Mitteldeutſchen Sonderbundes, aber an Feindſeligkeiten ließ ſich jetzt nicht mehr denken. Vielmehr bildete ſich bald ein freund- nachbarliches Verhältniß zwiſchen den beiden Vereinen. Sie unterſtützten *) ſ. o. III. 37.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/406
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/406>, abgerufen am 27.04.2024.