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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Klage Hannovers gegen Kurhessen.

Unfähig zum Schaffen war die Hofburg um so thätiger im Hetzen und
Stören. Tagaus tagein brachten ihre Blätter Verdächtigungen gegen Preu-
ßens Handelspolitik; das vielgetreue Haus Thurn und Taxis beförderte die
Briefbeutel von Frankfurt nach der Schweiz durch das Elsaß, um Baden,
den Schützling Preußens, zu schädigen -- und was der Armseligkeit mehr ist.
Den Hauptschlag aber führten die Welfen. Im Sommer 1832 erhoben
Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Nassau, Bremen und Frankfurt beim
Bundestage eine Klage gegen Kurhessen wegen Verletzung des mitteldeutschen
und des Eimbecker Vertrages; sie forderten, daß der Zollverband mit Preußen
aufgehoben und die kurhessischen Durchfuhrzölle wieder auf den früheren
Stand gebracht würden. Der Zeitpunkt war schlau gewählt. Grade in
jenem Augenblicke hatte der Eigensinn Moritz Mohl's die Verhandlungen
zwischen Preußen und Baiern-Württemberg dem Scheitern nahe gebracht;
auch der Dresdener Hof spürte wieder eine Anwandlung seiner alten preußen-
feindlichen Gelüste, ließ am Bundestage tugendhaft erklären: kein Staat dürfe
den zufälligen Vortheil der geographischen Lage mißbrauchen um den freien
Verkehr der Nachbarn zu erschweren. Zudem warnten und schürten die
englischen Gesandten an allen kleinen Höfen. Noch niemals früher hatte
die Verbindung von England und Hannover so schmachvolle Wirkungen
gehabt. Wie die hannoversche Regierung um Englands willen sich weigerte
ihre Bundespflichten in Luxemburg zu erfüllen, so bat sie wieder den
Londoner Hof um Beistand gegen Preußen, damit die dem britischen
Handel so schädlichen Durchfuhrzölle zwischen Bremen und Frankfurt,
Hamburg und Leipzig beseitigt würden. Eine geheime hannoversche Denk-
schrift sagte rund heraus: "Eine solche Dazwischenkunft von Seiten Englands
möchte um so räthlicher scheinen, als Hannover, ohne Englands Beistand
und im Falle daß der beim Bundestag gemachte Antrag nicht angenommen
würde, vielleicht nicht lange im Stande sein dürfte dem großen Handels-
übergewichte Preußens zu widerstehen und vielleicht genöthigt werden möchte
zum Nachtheil des englichen Handels ebenfalls das preußische Zollsystem
anzunehmen."*) So warnte eine deutsche Regierung die Briten vor der
deutschen Einheit. Lord Palmerston aber säumte nicht, diese hannöversche
Denkschrift seinen Gesandten in Deutschland als Instruktion mitzutheilen.

Da der Buchstabe des Rechts gegen Kurhessen sprach, so hielt Münch-
Bellinghausen durch Drohungen und Schmeicheleien für eine kurze Frist
eine Mehrheit zusammen, die der hannöverschen Klage günstig war, und
erntete Metternich's warmes Lob für seinen heiligen Eifer. Ein wider-
wärtiges Schauspiel: die zweifellose Schuld des vertragsbrüchigen Be-
klagten, und die nicht minder zweifellose Gleißnerei dieser Kläger! Darin
lag ja, seit das heilige Reich erstarrt war, das häßlichste sittliche Leiden,

*) Hannöversches Promemoria, den englischen Gesandten in Deutschland und der
Schweiz zur Instruktion zugegangen (durch Eichhorn an Lottum mitgetheilt, 14. Dec. 1832).
25*
Klage Hannovers gegen Kurheſſen.

Unfähig zum Schaffen war die Hofburg um ſo thätiger im Hetzen und
Stören. Tagaus tagein brachten ihre Blätter Verdächtigungen gegen Preu-
ßens Handelspolitik; das vielgetreue Haus Thurn und Taxis beförderte die
Briefbeutel von Frankfurt nach der Schweiz durch das Elſaß, um Baden,
den Schützling Preußens, zu ſchädigen — und was der Armſeligkeit mehr iſt.
Den Hauptſchlag aber führten die Welfen. Im Sommer 1832 erhoben
Hannover, Braunſchweig, Oldenburg, Naſſau, Bremen und Frankfurt beim
Bundestage eine Klage gegen Kurheſſen wegen Verletzung des mitteldeutſchen
und des Eimbecker Vertrages; ſie forderten, daß der Zollverband mit Preußen
aufgehoben und die kurheſſiſchen Durchfuhrzölle wieder auf den früheren
Stand gebracht würden. Der Zeitpunkt war ſchlau gewählt. Grade in
jenem Augenblicke hatte der Eigenſinn Moritz Mohl’s die Verhandlungen
zwiſchen Preußen und Baiern-Württemberg dem Scheitern nahe gebracht;
auch der Dresdener Hof ſpürte wieder eine Anwandlung ſeiner alten preußen-
feindlichen Gelüſte, ließ am Bundestage tugendhaft erklären: kein Staat dürfe
den zufälligen Vortheil der geographiſchen Lage mißbrauchen um den freien
Verkehr der Nachbarn zu erſchweren. Zudem warnten und ſchürten die
engliſchen Geſandten an allen kleinen Höfen. Noch niemals früher hatte
die Verbindung von England und Hannover ſo ſchmachvolle Wirkungen
gehabt. Wie die hannoverſche Regierung um Englands willen ſich weigerte
ihre Bundespflichten in Luxemburg zu erfüllen, ſo bat ſie wieder den
Londoner Hof um Beiſtand gegen Preußen, damit die dem britiſchen
Handel ſo ſchädlichen Durchfuhrzölle zwiſchen Bremen und Frankfurt,
Hamburg und Leipzig beſeitigt würden. Eine geheime hannoverſche Denk-
ſchrift ſagte rund heraus: „Eine ſolche Dazwiſchenkunft von Seiten Englands
möchte um ſo räthlicher ſcheinen, als Hannover, ohne Englands Beiſtand
und im Falle daß der beim Bundestag gemachte Antrag nicht angenommen
würde, vielleicht nicht lange im Stande ſein dürfte dem großen Handels-
übergewichte Preußens zu widerſtehen und vielleicht genöthigt werden möchte
zum Nachtheil des englichen Handels ebenfalls das preußiſche Zollſyſtem
anzunehmen.“*) So warnte eine deutſche Regierung die Briten vor der
deutſchen Einheit. Lord Palmerſton aber ſäumte nicht, dieſe hannöverſche
Denkſchrift ſeinen Geſandten in Deutſchland als Inſtruktion mitzutheilen.

Da der Buchſtabe des Rechts gegen Kurheſſen ſprach, ſo hielt Münch-
Bellinghauſen durch Drohungen und Schmeicheleien für eine kurze Friſt
eine Mehrheit zuſammen, die der hannöverſchen Klage günſtig war, und
erntete Metternich’s warmes Lob für ſeinen heiligen Eifer. Ein wider-
wärtiges Schauſpiel: die zweifelloſe Schuld des vertragsbrüchigen Be-
klagten, und die nicht minder zweifelloſe Gleißnerei dieſer Kläger! Darin
lag ja, ſeit das heilige Reich erſtarrt war, das häßlichſte ſittliche Leiden,

*) Hannöverſches Promemoria, den engliſchen Geſandten in Deutſchland und der
Schweiz zur Inſtruktion zugegangen (durch Eichhorn an Lottum mitgetheilt, 14. Dec. 1832).
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[387/0401] Klage Hannovers gegen Kurheſſen. Unfähig zum Schaffen war die Hofburg um ſo thätiger im Hetzen und Stören. Tagaus tagein brachten ihre Blätter Verdächtigungen gegen Preu- ßens Handelspolitik; das vielgetreue Haus Thurn und Taxis beförderte die Briefbeutel von Frankfurt nach der Schweiz durch das Elſaß, um Baden, den Schützling Preußens, zu ſchädigen — und was der Armſeligkeit mehr iſt. Den Hauptſchlag aber führten die Welfen. Im Sommer 1832 erhoben Hannover, Braunſchweig, Oldenburg, Naſſau, Bremen und Frankfurt beim Bundestage eine Klage gegen Kurheſſen wegen Verletzung des mitteldeutſchen und des Eimbecker Vertrages; ſie forderten, daß der Zollverband mit Preußen aufgehoben und die kurheſſiſchen Durchfuhrzölle wieder auf den früheren Stand gebracht würden. Der Zeitpunkt war ſchlau gewählt. Grade in jenem Augenblicke hatte der Eigenſinn Moritz Mohl’s die Verhandlungen zwiſchen Preußen und Baiern-Württemberg dem Scheitern nahe gebracht; auch der Dresdener Hof ſpürte wieder eine Anwandlung ſeiner alten preußen- feindlichen Gelüſte, ließ am Bundestage tugendhaft erklären: kein Staat dürfe den zufälligen Vortheil der geographiſchen Lage mißbrauchen um den freien Verkehr der Nachbarn zu erſchweren. Zudem warnten und ſchürten die engliſchen Geſandten an allen kleinen Höfen. Noch niemals früher hatte die Verbindung von England und Hannover ſo ſchmachvolle Wirkungen gehabt. Wie die hannoverſche Regierung um Englands willen ſich weigerte ihre Bundespflichten in Luxemburg zu erfüllen, ſo bat ſie wieder den Londoner Hof um Beiſtand gegen Preußen, damit die dem britiſchen Handel ſo ſchädlichen Durchfuhrzölle zwiſchen Bremen und Frankfurt, Hamburg und Leipzig beſeitigt würden. Eine geheime hannoverſche Denk- ſchrift ſagte rund heraus: „Eine ſolche Dazwiſchenkunft von Seiten Englands möchte um ſo räthlicher ſcheinen, als Hannover, ohne Englands Beiſtand und im Falle daß der beim Bundestag gemachte Antrag nicht angenommen würde, vielleicht nicht lange im Stande ſein dürfte dem großen Handels- übergewichte Preußens zu widerſtehen und vielleicht genöthigt werden möchte zum Nachtheil des englichen Handels ebenfalls das preußiſche Zollſyſtem anzunehmen.“ *) So warnte eine deutſche Regierung die Briten vor der deutſchen Einheit. Lord Palmerſton aber ſäumte nicht, dieſe hannöverſche Denkſchrift ſeinen Geſandten in Deutſchland als Inſtruktion mitzutheilen. Da der Buchſtabe des Rechts gegen Kurheſſen ſprach, ſo hielt Münch- Bellinghauſen durch Drohungen und Schmeicheleien für eine kurze Friſt eine Mehrheit zuſammen, die der hannöverſchen Klage günſtig war, und erntete Metternich’s warmes Lob für ſeinen heiligen Eifer. Ein wider- wärtiges Schauſpiel: die zweifelloſe Schuld des vertragsbrüchigen Be- klagten, und die nicht minder zweifelloſe Gleißnerei dieſer Kläger! Darin lag ja, ſeit das heilige Reich erſtarrt war, das häßlichſte ſittliche Leiden, *) Hannöverſches Promemoria, den engliſchen Geſandten in Deutſchland und der Schweiz zur Inſtruktion zugegangen (durch Eichhorn an Lottum mitgetheilt, 14. Dec. 1832). 25*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/401>, abgerufen am 24.11.2024.