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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
nicht vorausahnden. Der Casseler Verein war und bleibt ein bedeutendes
Unternehmen, nicht ohne Folgen. Es wird den Stiftern desselben ein ge-
rechtes Urtheil in der Geschichte um so weniger entgehen, je bereitwilliger
sie jetzt das Geständniß ablegen und bethätigen, daß eine ganz neue Zeit
uns gekommen ist."*)

Friedrich Wilhelm antwortete dem Könige von Sachsen sehr freund-
lich, er sei bereit Sachsens Anträge zu erwägen, und sprach sich zugleich
offen aus über die nationalen Ziele seiner Handelspolitik: "Wiewohl der
Abschluß dieser Verträge stets nur mit einzelnen Staaten erfolgte, so hatte
man dennoch dabei nicht ein ausschließliches Interesse der unmittelbar
Betheiligten im Auge, sondern man verfolgte zugleich den Gesichtspunkt,
daß die einzelnen Verträge als Mittel dienen möchten, der Freiheit des
Verkehrs in Deutschland überhaupt eine größere Ausdehnung zu geben."
Dem Weimarischen Hofe drückte der Minister des Auswärtigen seine Freude
aus, daß unser Werk auch in den Augen Weimars "immer klarer als ein
deutsches Werk hervortritt"; dann wiederholte er in schneidenden Aus-
drücken die hundertmal von Preußen ausgesprochene Ermahnung: die Thü-
ringer sollten sich erst unter sich verständigen, bevor Preußen mit ihnen
verhandeln könne.**)

Nach solchen Erfolgen stand in Berlin fester denn je die Ueberzeugung,
daß der eingeschlagene Weg der Einzelverhandlungen allein zum Ziele führe.
Mit voller Sicherheit schrieb Bernstorff dem Könige: "Die Schöpfung eines
allgemeinen deutschen Zoll- und Handelssystems oder irgend einer anderen
bleibenden Institution ähnlicher Natur ist eine Aufgabe, deren Lösung
dem Bunde so lange unmöglich bleiben wird, als derselbe nicht eine andere,
von der jetzigen ganz verschiedene Organisation besitzt." Seit dem Zer-
falle des mitteldeutschen Sonderbundes schien die Bahn frei für die voll-
ständige Vereinigung der beiden befreundeten Zollvereine des Südens und
des Nordens. Was sollte jetzt noch hindern, da beide Theile die Unhalt-
barkeit des bestehenden Zustandes lebhaft empfanden? da die zwischen-
liegenden Staaten nicht mehr feindlich im Wege standen, sondern selbst
um ihre Aufnahme baten? da das Grundgesetz des preußisch-hessischen
Vereins sich von selber darbot als die Regel für den großen Verein? Und
dennoch mußte Preußen wieder und wieder durch den Flugsand waten,
der im Wüstenwinde der deutschen Kleinstaaterei emporwirbelte. Fast
drei Jahre lang, von 1830 bis 1833, spielte in Berlin, vielfach unter-
brochen, eine dreifache Reihe mühseliger Verhandlungen: mit Baiern-
Württemberg, mit Sachsen, mit den thüringischen Staaten; und das Ge-
schäft wäre nie zum Abschluß gelangt, wenn man nicht, dem alterprobten

*) Schweitzer, Schreiben an das preuß. Min. d. A. A., 25. Juli 1830. Fritsch,
Schreiben an das sächs. Min. d. A. A., 31. März 1831.
**) König Friedrich Wilhelm an König Anton v. Sachsen, 24. Jan. 1831. Bern-
storff an das Staatsministerium in Weimar, 22. Oct. 1830.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
nicht vorausahnden. Der Caſſeler Verein war und bleibt ein bedeutendes
Unternehmen, nicht ohne Folgen. Es wird den Stiftern deſſelben ein ge-
rechtes Urtheil in der Geſchichte um ſo weniger entgehen, je bereitwilliger
ſie jetzt das Geſtändniß ablegen und bethätigen, daß eine ganz neue Zeit
uns gekommen iſt.“*)

Friedrich Wilhelm antwortete dem Könige von Sachſen ſehr freund-
lich, er ſei bereit Sachſens Anträge zu erwägen, und ſprach ſich zugleich
offen aus über die nationalen Ziele ſeiner Handelspolitik: „Wiewohl der
Abſchluß dieſer Verträge ſtets nur mit einzelnen Staaten erfolgte, ſo hatte
man dennoch dabei nicht ein ausſchließliches Intereſſe der unmittelbar
Betheiligten im Auge, ſondern man verfolgte zugleich den Geſichtspunkt,
daß die einzelnen Verträge als Mittel dienen möchten, der Freiheit des
Verkehrs in Deutſchland überhaupt eine größere Ausdehnung zu geben.“
Dem Weimariſchen Hofe drückte der Miniſter des Auswärtigen ſeine Freude
aus, daß unſer Werk auch in den Augen Weimars „immer klarer als ein
deutſches Werk hervortritt“; dann wiederholte er in ſchneidenden Aus-
drücken die hundertmal von Preußen ausgeſprochene Ermahnung: die Thü-
ringer ſollten ſich erſt unter ſich verſtändigen, bevor Preußen mit ihnen
verhandeln könne.**)

Nach ſolchen Erfolgen ſtand in Berlin feſter denn je die Ueberzeugung,
daß der eingeſchlagene Weg der Einzelverhandlungen allein zum Ziele führe.
Mit voller Sicherheit ſchrieb Bernſtorff dem Könige: „Die Schöpfung eines
allgemeinen deutſchen Zoll- und Handelsſyſtems oder irgend einer anderen
bleibenden Inſtitution ähnlicher Natur iſt eine Aufgabe, deren Löſung
dem Bunde ſo lange unmöglich bleiben wird, als derſelbe nicht eine andere,
von der jetzigen ganz verſchiedene Organiſation beſitzt.“ Seit dem Zer-
falle des mitteldeutſchen Sonderbundes ſchien die Bahn frei für die voll-
ſtändige Vereinigung der beiden befreundeten Zollvereine des Südens und
des Nordens. Was ſollte jetzt noch hindern, da beide Theile die Unhalt-
barkeit des beſtehenden Zuſtandes lebhaft empfanden? da die zwiſchen-
liegenden Staaten nicht mehr feindlich im Wege ſtanden, ſondern ſelbſt
um ihre Aufnahme baten? da das Grundgeſetz des preußiſch-heſſiſchen
Vereins ſich von ſelber darbot als die Regel für den großen Verein? Und
dennoch mußte Preußen wieder und wieder durch den Flugſand waten,
der im Wüſtenwinde der deutſchen Kleinſtaaterei emporwirbelte. Faſt
drei Jahre lang, von 1830 bis 1833, ſpielte in Berlin, vielfach unter-
brochen, eine dreifache Reihe mühſeliger Verhandlungen: mit Baiern-
Württemberg, mit Sachſen, mit den thüringiſchen Staaten; und das Ge-
ſchäft wäre nie zum Abſchluß gelangt, wenn man nicht, dem alterprobten

*) Schweitzer, Schreiben an das preuß. Min. d. A. A., 25. Juli 1830. Fritſch,
Schreiben an das ſächſ. Min. d. A. A., 31. März 1831.
**) König Friedrich Wilhelm an König Anton v. Sachſen, 24. Jan. 1831. Bern-
ſtorff an das Staatsminiſterium in Weimar, 22. Oct. 1830.
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[356/0370] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. nicht vorausahnden. Der Caſſeler Verein war und bleibt ein bedeutendes Unternehmen, nicht ohne Folgen. Es wird den Stiftern deſſelben ein ge- rechtes Urtheil in der Geſchichte um ſo weniger entgehen, je bereitwilliger ſie jetzt das Geſtändniß ablegen und bethätigen, daß eine ganz neue Zeit uns gekommen iſt.“ *) Friedrich Wilhelm antwortete dem Könige von Sachſen ſehr freund- lich, er ſei bereit Sachſens Anträge zu erwägen, und ſprach ſich zugleich offen aus über die nationalen Ziele ſeiner Handelspolitik: „Wiewohl der Abſchluß dieſer Verträge ſtets nur mit einzelnen Staaten erfolgte, ſo hatte man dennoch dabei nicht ein ausſchließliches Intereſſe der unmittelbar Betheiligten im Auge, ſondern man verfolgte zugleich den Geſichtspunkt, daß die einzelnen Verträge als Mittel dienen möchten, der Freiheit des Verkehrs in Deutſchland überhaupt eine größere Ausdehnung zu geben.“ Dem Weimariſchen Hofe drückte der Miniſter des Auswärtigen ſeine Freude aus, daß unſer Werk auch in den Augen Weimars „immer klarer als ein deutſches Werk hervortritt“; dann wiederholte er in ſchneidenden Aus- drücken die hundertmal von Preußen ausgeſprochene Ermahnung: die Thü- ringer ſollten ſich erſt unter ſich verſtändigen, bevor Preußen mit ihnen verhandeln könne. **) Nach ſolchen Erfolgen ſtand in Berlin feſter denn je die Ueberzeugung, daß der eingeſchlagene Weg der Einzelverhandlungen allein zum Ziele führe. Mit voller Sicherheit ſchrieb Bernſtorff dem Könige: „Die Schöpfung eines allgemeinen deutſchen Zoll- und Handelsſyſtems oder irgend einer anderen bleibenden Inſtitution ähnlicher Natur iſt eine Aufgabe, deren Löſung dem Bunde ſo lange unmöglich bleiben wird, als derſelbe nicht eine andere, von der jetzigen ganz verſchiedene Organiſation beſitzt.“ Seit dem Zer- falle des mitteldeutſchen Sonderbundes ſchien die Bahn frei für die voll- ſtändige Vereinigung der beiden befreundeten Zollvereine des Südens und des Nordens. Was ſollte jetzt noch hindern, da beide Theile die Unhalt- barkeit des beſtehenden Zuſtandes lebhaft empfanden? da die zwiſchen- liegenden Staaten nicht mehr feindlich im Wege ſtanden, ſondern ſelbſt um ihre Aufnahme baten? da das Grundgeſetz des preußiſch-heſſiſchen Vereins ſich von ſelber darbot als die Regel für den großen Verein? Und dennoch mußte Preußen wieder und wieder durch den Flugſand waten, der im Wüſtenwinde der deutſchen Kleinſtaaterei emporwirbelte. Faſt drei Jahre lang, von 1830 bis 1833, ſpielte in Berlin, vielfach unter- brochen, eine dreifache Reihe mühſeliger Verhandlungen: mit Baiern- Württemberg, mit Sachſen, mit den thüringiſchen Staaten; und das Ge- ſchäft wäre nie zum Abſchluß gelangt, wenn man nicht, dem alterprobten *) Schweitzer, Schreiben an das preuß. Min. d. A. A., 25. Juli 1830. Fritſch, Schreiben an das ſächſ. Min. d. A. A., 31. März 1831. **) König Friedrich Wilhelm an König Anton v. Sachſen, 24. Jan. 1831. Bern- ſtorff an das Staatsminiſterium in Weimar, 22. Oct. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/370>, abgerufen am 24.11.2024.