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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Conservativen auf der Conferenz.
geradehin für unmöglich erklärte. In der Stille gewann seine dritte Ge-
mahlin Gräfin Melanie Zichy große Macht über den Alternden, eine
schöne, feurige junge Dame, die ihre streng legitimistische Gesinnung her-
ausfordernd zur Schau trug und durch ihr beleidigendes Betragen gegen
den französischen Gesandten zuweilen den Gatten selbst in Verlegenheit
brachte. Sie vergötterte ihren Clemens und hielt ihn für den Retter
der Welt; sie entdeckte sogar, was noch kein anderer Sterblicher bemerkt
hatte, eine auffällige Gesinnungsverwandtschaft zwischen ihrem Gemahl und
dem Apostel Paulus. Unter der Leitung dieser sanften Hände wurde
Metternich unvermerkt den clericalen Ansichten näher geführt. Er gedachte
wieder mit Stolz seines Vorfahren, jenes trierschen Kurfürsten Lothar,
der einst die katholische Liga mitbegründet hatte, und aller der anderen
kirchlichen Erinnerungen seines alten Domherrengeschlechts. Obwohl er
das Weltkind des achtzehnten Jahrhunderts nie ganz verleugnen konnte,
so ließ er sich's doch wohl gefallen, daß jetzt statt des Kantianers Gentz
der Renegat Jarcke das Scepter schwang unter den Publicisten der Hof-
burg. Je mehr er sich in seinen hochconservativen Anschauungen ver-
härtete, um so sichtlicher schwand auch jener Zauber bestrickender Liebens-
würdigkeit, dem er einst so große diplomatische Erfolge verdankt hatte. Der
schwerhörige alte Herr, der allen Einwürfen unzugänglich, immer nur in
strengem Docententone dieselben Gedanken wiederholte, verblüffte die Neu-
linge durch seine feierliche Würde, und Niemand bestritt ihm den Ruhm
des Nestors der europäischen Diplomatie; zu gewinnen, zu überreden ver-
mochte er nur noch selten.

Unter allen Mitgliedern der Conferenz stand Ancillon der Hofburg
am nächsten. Wie stolz fühlte er sich, als er in die Versammlung ein-
trat und ihr salbungsvoll zurief: "die Augen von Deutschland und ganz
Europa sind auf uns gerichtet." Mit allgemeiner Verehrung wurde er
aufgenommen, denn von dem neuesten glänzenden Erfolge der preußischen
Politik, der Gründung des Zollvereins, fiel ein Wiederschein auf sein un-
schuldiges Haupt zurück. Er blieb nur sechs Wochen in Wien, weil die
Amtsgeschäfte ihn heimriefen; die übrigen vier Monate hindurch vertrat
ihn, da man den der Hofburg so tief verhaßten Eichhorn nicht zu senden
wagte, der Geheime Justizrath Graf Alvensleben, ein tüchtiger Jurist von
gemäßigt conservativer Gesinnung, aber erklärter Anhänger Oesterreichs
und darum von Wittgenstein dem Könige empfohlen.*) Die Wahl war
ein arger Mißgriff; denn als ein Beamter mittleren Ranges und streng
an seine Instruktionen gebunden, durfte Alvensleben nicht wagen, gegen
Metternich so selbständig wie vormals Bernstorff aufzutreten. Im Uebrigen
war Preußens Stellung durch ein fast unentrinnbares tragisches Ver-
hängniß vorgezeichnet. Wie einst die Hohenstaufen, eingepreßt zwischen

*) Frankenberg's Bericht, 1. Jan. 1834.
22*

Die Conſervativen auf der Conferenz.
geradehin für unmöglich erklärte. In der Stille gewann ſeine dritte Ge-
mahlin Gräfin Melanie Zichy große Macht über den Alternden, eine
ſchöne, feurige junge Dame, die ihre ſtreng legitimiſtiſche Geſinnung her-
ausfordernd zur Schau trug und durch ihr beleidigendes Betragen gegen
den franzöſiſchen Geſandten zuweilen den Gatten ſelbſt in Verlegenheit
brachte. Sie vergötterte ihren Clemens und hielt ihn für den Retter
der Welt; ſie entdeckte ſogar, was noch kein anderer Sterblicher bemerkt
hatte, eine auffällige Geſinnungsverwandtſchaft zwiſchen ihrem Gemahl und
dem Apoſtel Paulus. Unter der Leitung dieſer ſanften Hände wurde
Metternich unvermerkt den clericalen Anſichten näher geführt. Er gedachte
wieder mit Stolz ſeines Vorfahren, jenes trierſchen Kurfürſten Lothar,
der einſt die katholiſche Liga mitbegründet hatte, und aller der anderen
kirchlichen Erinnerungen ſeines alten Domherrengeſchlechts. Obwohl er
das Weltkind des achtzehnten Jahrhunderts nie ganz verleugnen konnte,
ſo ließ er ſich’s doch wohl gefallen, daß jetzt ſtatt des Kantianers Gentz
der Renegat Jarcke das Scepter ſchwang unter den Publiciſten der Hof-
burg. Je mehr er ſich in ſeinen hochconſervativen Anſchauungen ver-
härtete, um ſo ſichtlicher ſchwand auch jener Zauber beſtrickender Liebens-
würdigkeit, dem er einſt ſo große diplomatiſche Erfolge verdankt hatte. Der
ſchwerhörige alte Herr, der allen Einwürfen unzugänglich, immer nur in
ſtrengem Docententone dieſelben Gedanken wiederholte, verblüffte die Neu-
linge durch ſeine feierliche Würde, und Niemand beſtritt ihm den Ruhm
des Neſtors der europäiſchen Diplomatie; zu gewinnen, zu überreden ver-
mochte er nur noch ſelten.

Unter allen Mitgliedern der Conferenz ſtand Ancillon der Hofburg
am nächſten. Wie ſtolz fühlte er ſich, als er in die Verſammlung ein-
trat und ihr ſalbungsvoll zurief: „die Augen von Deutſchland und ganz
Europa ſind auf uns gerichtet.“ Mit allgemeiner Verehrung wurde er
aufgenommen, denn von dem neueſten glänzenden Erfolge der preußiſchen
Politik, der Gründung des Zollvereins, fiel ein Wiederſchein auf ſein un-
ſchuldiges Haupt zurück. Er blieb nur ſechs Wochen in Wien, weil die
Amtsgeſchäfte ihn heimriefen; die übrigen vier Monate hindurch vertrat
ihn, da man den der Hofburg ſo tief verhaßten Eichhorn nicht zu ſenden
wagte, der Geheime Juſtizrath Graf Alvensleben, ein tüchtiger Juriſt von
gemäßigt conſervativer Geſinnung, aber erklärter Anhänger Oeſterreichs
und darum von Wittgenſtein dem Könige empfohlen.*) Die Wahl war
ein arger Mißgriff; denn als ein Beamter mittleren Ranges und ſtreng
an ſeine Inſtruktionen gebunden, durfte Alvensleben nicht wagen, gegen
Metternich ſo ſelbſtändig wie vormals Bernſtorff aufzutreten. Im Uebrigen
war Preußens Stellung durch ein faſt unentrinnbares tragiſches Ver-
hängniß vorgezeichnet. Wie einſt die Hohenſtaufen, eingepreßt zwiſchen

*) Frankenberg’s Bericht, 1. Jan. 1834.
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[339/0353] Die Conſervativen auf der Conferenz. geradehin für unmöglich erklärte. In der Stille gewann ſeine dritte Ge- mahlin Gräfin Melanie Zichy große Macht über den Alternden, eine ſchöne, feurige junge Dame, die ihre ſtreng legitimiſtiſche Geſinnung her- ausfordernd zur Schau trug und durch ihr beleidigendes Betragen gegen den franzöſiſchen Geſandten zuweilen den Gatten ſelbſt in Verlegenheit brachte. Sie vergötterte ihren Clemens und hielt ihn für den Retter der Welt; ſie entdeckte ſogar, was noch kein anderer Sterblicher bemerkt hatte, eine auffällige Geſinnungsverwandtſchaft zwiſchen ihrem Gemahl und dem Apoſtel Paulus. Unter der Leitung dieſer ſanften Hände wurde Metternich unvermerkt den clericalen Anſichten näher geführt. Er gedachte wieder mit Stolz ſeines Vorfahren, jenes trierſchen Kurfürſten Lothar, der einſt die katholiſche Liga mitbegründet hatte, und aller der anderen kirchlichen Erinnerungen ſeines alten Domherrengeſchlechts. Obwohl er das Weltkind des achtzehnten Jahrhunderts nie ganz verleugnen konnte, ſo ließ er ſich’s doch wohl gefallen, daß jetzt ſtatt des Kantianers Gentz der Renegat Jarcke das Scepter ſchwang unter den Publiciſten der Hof- burg. Je mehr er ſich in ſeinen hochconſervativen Anſchauungen ver- härtete, um ſo ſichtlicher ſchwand auch jener Zauber beſtrickender Liebens- würdigkeit, dem er einſt ſo große diplomatiſche Erfolge verdankt hatte. Der ſchwerhörige alte Herr, der allen Einwürfen unzugänglich, immer nur in ſtrengem Docententone dieſelben Gedanken wiederholte, verblüffte die Neu- linge durch ſeine feierliche Würde, und Niemand beſtritt ihm den Ruhm des Neſtors der europäiſchen Diplomatie; zu gewinnen, zu überreden ver- mochte er nur noch ſelten. Unter allen Mitgliedern der Conferenz ſtand Ancillon der Hofburg am nächſten. Wie ſtolz fühlte er ſich, als er in die Verſammlung ein- trat und ihr ſalbungsvoll zurief: „die Augen von Deutſchland und ganz Europa ſind auf uns gerichtet.“ Mit allgemeiner Verehrung wurde er aufgenommen, denn von dem neueſten glänzenden Erfolge der preußiſchen Politik, der Gründung des Zollvereins, fiel ein Wiederſchein auf ſein un- ſchuldiges Haupt zurück. Er blieb nur ſechs Wochen in Wien, weil die Amtsgeſchäfte ihn heimriefen; die übrigen vier Monate hindurch vertrat ihn, da man den der Hofburg ſo tief verhaßten Eichhorn nicht zu ſenden wagte, der Geheime Juſtizrath Graf Alvensleben, ein tüchtiger Juriſt von gemäßigt conſervativer Geſinnung, aber erklärter Anhänger Oeſterreichs und darum von Wittgenſtein dem Könige empfohlen. *) Die Wahl war ein arger Mißgriff; denn als ein Beamter mittleren Ranges und ſtreng an ſeine Inſtruktionen gebunden, durfte Alvensleben nicht wagen, gegen Metternich ſo ſelbſtändig wie vormals Bernſtorff aufzutreten. Im Uebrigen war Preußens Stellung durch ein faſt unentrinnbares tragiſches Ver- hängniß vorgezeichnet. Wie einſt die Hohenſtaufen, eingepreßt zwiſchen *) Frankenberg’s Bericht, 1. Jan. 1834. 22*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/353>, abgerufen am 24.11.2024.