Oesterreich und Preußen begrüßten den Friedensschluß mit aufrichtiger Freude; die Revolution war ja besiegt, der Bestand der Türkei dem Namen nach gesichert. In Paris dagegen wurde die Niederlage schmerzlich empfun- den; auch Palmerston erkannte zu spät was er versäumt hatte, und tröstete das Parlament mit dem behaglichen, britischen Hörern immer willkommenen Gemeinplatze: England führe niemals Krieg für abstrakte Grundsätze. Als- bald sollte man noch deutlicher erkennen, was Rußlands Schutzherrschaft in dem geschwächten Türkenreiche bedeutete. Auf den ersten Wink des Sultans zogen die Truppen des nordischen Erretters gefällig heimwärts, aber am 8. Juli 1833 ward zwischen beiden Mächten zu Hunkiar Iskelessi ein Bündnißvertrag abgeschlossen: beide verbürgten einander ihren Länder- bestand, und da der Sultan außer Stande war seine Zusage zu halten, so versprach er die Dardanellen allen fremden Kriegsflotten zu verschließen. Die Einfahrt nach Konstantinopel ward mithin den Westmächten ver- schlossen, den Russen vom Pontus her stand sie jederzeit offen.
Also ohne Schwertstreich errang Rußland das Uebergewicht im Osten, und nach so glänzenden Erfolgen wähnte sich der Czar stark genug, auch dem Abendlande die Herrscherstirne zu zeigen. Er wollte der Revolution, auf die Gefahr des Weltkrieges hin, mindestens grundsätzlich den Kampf ankündigen; er hoffte die schönen Tage von Troppau zu erneuern, obgleich seine eigenen Räthe lebhaft widersprachen und ein triftiger Grund für eine Zusammenkunft der Monarchen nirgends vorhanden war. Die erste Ein- ladung zu diesem neuen Congresse war von Wien ausgegangen. Kaiser Franz fragte durch Ficquelmont vertraulich an, ob er im Sommer 1833 den russischen Kaiser in dem böhmischen Schlosse Münchengrätz begrüßen dürfe. Bei einiger Höflichkeit ließ sich die Versammlung sehr leicht so einrichten, daß auch der König von Preußen auf seiner alljährlichen Teplitzer Bade- reise daran theilnehmen konnte. Metternich aber wünschte den Czaren, den er als Kaiser noch nie gesehen, für sich allein zu haben; er fürchtete die Anwesenheit des alten Herrn, der von seinem Schwiegersohne wie von allen seinen Kindern mit einer gewissen Scheu verehrt wurde und wenn es zu beschwichtigen oder zu verneinen galt sich sehr zähe zu zeigen pflegte. Darum wurden die Vorbereitungen zu der Conferenz mit einem so auf- fälligen Ungeschick betrieben, daß General Schöler ärgerlich sagte: diese Kaiserreise "droht eine Art von Pasquill auf alle Monarchen-Zusammen- künfte zu werden".*) König Friedrich Wilhelm erhielt nur die Mittheilung, daß sein Schwiegersohn ihn und den Kaiser von Oesterreich zu besuchen denke; über den Zeitpunkt der Reise erfuhr er nichts Sicheres. Nach längerem Warten brach er endlich im Juli nach Teplitz auf, traf am 14. August in Theresienstadt mit Kaiser Franz, gleich darauf in Teplitz selbst mit Metternich zusammen und besprach sich mit Beiden über die
*) Schöler's Bericht, 16. Sept. 1833.
Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi.
Oeſterreich und Preußen begrüßten den Friedensſchluß mit aufrichtiger Freude; die Revolution war ja beſiegt, der Beſtand der Türkei dem Namen nach geſichert. In Paris dagegen wurde die Niederlage ſchmerzlich empfun- den; auch Palmerſton erkannte zu ſpät was er verſäumt hatte, und tröſtete das Parlament mit dem behaglichen, britiſchen Hörern immer willkommenen Gemeinplatze: England führe niemals Krieg für abſtrakte Grundſätze. Als- bald ſollte man noch deutlicher erkennen, was Rußlands Schutzherrſchaft in dem geſchwächten Türkenreiche bedeutete. Auf den erſten Wink des Sultans zogen die Truppen des nordiſchen Erretters gefällig heimwärts, aber am 8. Juli 1833 ward zwiſchen beiden Mächten zu Hunkiar Iskeleſſi ein Bündnißvertrag abgeſchloſſen: beide verbürgten einander ihren Länder- beſtand, und da der Sultan außer Stande war ſeine Zuſage zu halten, ſo verſprach er die Dardanellen allen fremden Kriegsflotten zu verſchließen. Die Einfahrt nach Konſtantinopel ward mithin den Weſtmächten ver- ſchloſſen, den Ruſſen vom Pontus her ſtand ſie jederzeit offen.
Alſo ohne Schwertſtreich errang Rußland das Uebergewicht im Oſten, und nach ſo glänzenden Erfolgen wähnte ſich der Czar ſtark genug, auch dem Abendlande die Herrſcherſtirne zu zeigen. Er wollte der Revolution, auf die Gefahr des Weltkrieges hin, mindeſtens grundſätzlich den Kampf ankündigen; er hoffte die ſchönen Tage von Troppau zu erneuern, obgleich ſeine eigenen Räthe lebhaft widerſprachen und ein triftiger Grund für eine Zuſammenkunft der Monarchen nirgends vorhanden war. Die erſte Ein- ladung zu dieſem neuen Congreſſe war von Wien ausgegangen. Kaiſer Franz fragte durch Ficquelmont vertraulich an, ob er im Sommer 1833 den ruſſiſchen Kaiſer in dem böhmiſchen Schloſſe Münchengrätz begrüßen dürfe. Bei einiger Höflichkeit ließ ſich die Verſammlung ſehr leicht ſo einrichten, daß auch der König von Preußen auf ſeiner alljährlichen Teplitzer Bade- reiſe daran theilnehmen konnte. Metternich aber wünſchte den Czaren, den er als Kaiſer noch nie geſehen, für ſich allein zu haben; er fürchtete die Anweſenheit des alten Herrn, der von ſeinem Schwiegerſohne wie von allen ſeinen Kindern mit einer gewiſſen Scheu verehrt wurde und wenn es zu beſchwichtigen oder zu verneinen galt ſich ſehr zähe zu zeigen pflegte. Darum wurden die Vorbereitungen zu der Conferenz mit einem ſo auf- fälligen Ungeſchick betrieben, daß General Schöler ärgerlich ſagte: dieſe Kaiſerreiſe „droht eine Art von Pasquill auf alle Monarchen-Zuſammen- künfte zu werden“.*) König Friedrich Wilhelm erhielt nur die Mittheilung, daß ſein Schwiegerſohn ihn und den Kaiſer von Oeſterreich zu beſuchen denke; über den Zeitpunkt der Reiſe erfuhr er nichts Sicheres. Nach längerem Warten brach er endlich im Juli nach Teplitz auf, traf am 14. Auguſt in Thereſienſtadt mit Kaiſer Franz, gleich darauf in Teplitz ſelbſt mit Metternich zuſammen und beſprach ſich mit Beiden über die
*) Schöler’s Bericht, 16. Sept. 1833.
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Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi.
Oeſterreich und Preußen begrüßten den Friedensſchluß mit aufrichtiger
Freude; die Revolution war ja beſiegt, der Beſtand der Türkei dem Namen
nach geſichert. In Paris dagegen wurde die Niederlage ſchmerzlich empfun-
den; auch Palmerſton erkannte zu ſpät was er verſäumt hatte, und tröſtete
das Parlament mit dem behaglichen, britiſchen Hörern immer willkommenen
Gemeinplatze: England führe niemals Krieg für abſtrakte Grundſätze. Als-
bald ſollte man noch deutlicher erkennen, was Rußlands Schutzherrſchaft
in dem geſchwächten Türkenreiche bedeutete. Auf den erſten Wink des
Sultans zogen die Truppen des nordiſchen Erretters gefällig heimwärts,
aber am 8. Juli 1833 ward zwiſchen beiden Mächten zu Hunkiar Iskeleſſi
ein Bündnißvertrag abgeſchloſſen: beide verbürgten einander ihren Länder-
beſtand, und da der Sultan außer Stande war ſeine Zuſage zu halten,
ſo verſprach er die Dardanellen allen fremden Kriegsflotten zu verſchließen.
Die Einfahrt nach Konſtantinopel ward mithin den Weſtmächten ver-
ſchloſſen, den Ruſſen vom Pontus her ſtand ſie jederzeit offen.
Alſo ohne Schwertſtreich errang Rußland das Uebergewicht im Oſten,
und nach ſo glänzenden Erfolgen wähnte ſich der Czar ſtark genug, auch
dem Abendlande die Herrſcherſtirne zu zeigen. Er wollte der Revolution,
auf die Gefahr des Weltkrieges hin, mindeſtens grundſätzlich den Kampf
ankündigen; er hoffte die ſchönen Tage von Troppau zu erneuern, obgleich
ſeine eigenen Räthe lebhaft widerſprachen und ein triftiger Grund für eine
Zuſammenkunft der Monarchen nirgends vorhanden war. Die erſte Ein-
ladung zu dieſem neuen Congreſſe war von Wien ausgegangen. Kaiſer
Franz fragte durch Ficquelmont vertraulich an, ob er im Sommer 1833 den
ruſſiſchen Kaiſer in dem böhmiſchen Schloſſe Münchengrätz begrüßen dürfe.
Bei einiger Höflichkeit ließ ſich die Verſammlung ſehr leicht ſo einrichten,
daß auch der König von Preußen auf ſeiner alljährlichen Teplitzer Bade-
reiſe daran theilnehmen konnte. Metternich aber wünſchte den Czaren,
den er als Kaiſer noch nie geſehen, für ſich allein zu haben; er fürchtete
die Anweſenheit des alten Herrn, der von ſeinem Schwiegerſohne wie von
allen ſeinen Kindern mit einer gewiſſen Scheu verehrt wurde und wenn es
zu beſchwichtigen oder zu verneinen galt ſich ſehr zähe zu zeigen pflegte.
Darum wurden die Vorbereitungen zu der Conferenz mit einem ſo auf-
fälligen Ungeſchick betrieben, daß General Schöler ärgerlich ſagte: dieſe
Kaiſerreiſe „droht eine Art von Pasquill auf alle Monarchen-Zuſammen-
künfte zu werden“. *) König Friedrich Wilhelm erhielt nur die Mittheilung,
daß ſein Schwiegerſohn ihn und den Kaiſer von Oeſterreich zu beſuchen
denke; über den Zeitpunkt der Reiſe erfuhr er nichts Sicheres. Nach
längerem Warten brach er endlich im Juli nach Teplitz auf, traf am
14. Auguſt in Thereſienſtadt mit Kaiſer Franz, gleich darauf in Teplitz
ſelbſt mit Metternich zuſammen und beſprach ſich mit Beiden über die
*) Schöler’s Bericht, 16. Sept. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/341>, abgerufen am 24.11.2024.
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