ging er zu Fuß durch die Straßen, in sauberer Bürgerkleidung, den Cylin- der über dem feisten birnenförmigen Bankiersgesichte und der wohlgebürsteten Lockenperrücke, und spannte, wenn der Regen eintrat, höflich seinen Schirm auf um einen überraschten Bourgeois am Arme nach Hause zu geleiten. Nachher, da er sich auf dem Throne sicherer fühlte, mußte er die ehr- geizigen Parteiführer der Kammer gegen einander ausspielen, damit unter dem Scheine der Parlamentsherrschaft sein persönliches Regiment gewahrt blieb. Er bemühte sich eifrig, seinem Hause die Gleichberechtigung mit den legitimen Höfen zu verschaffen, und zügelte den kriegerischen Ueber- muth der Nation weil jeder Krieg die Revolution von Neuem zu entfesseln drohte; doch zugleich benutzte er die Gefahr der Revolution als ein Schreck- mittel um auf die großen Mächte zu drücken und allerhand kleine anmaß- liche Ansprüche Frankreichs durchzusetzen. So hielt er sich lange obenauf, seiner Mäßigung verdankten die Franzosen viele Jahre blühenden Wohl- standes; aber seine Regierung blieb immer nur ein unfruchtbarer Kampf ums Dasein, sie brachte dem Lande niemals einen neuen politischen Ge- danken, sie bereitete durch die sündliche Vernachlässigung der arbeitenden Massen die schweren socialen Kämpfe der Zukunft vor.
An dieser Revolution war nichts zu bewundern außer dem persönlichen Muthe der Barrikadenkämpfer. Mindestens ebenso schwer wie die Ver- messenheit König Karl's wog die Schuld der liberalen Parteien. Sie hatten das gemäßigte Ministerium Martignac gestürzt und durch eine gehässige Opposition den König in eine solche Lage gebracht, daß er nur noch wählen konnte zwischen dem Staatsstreiche und der förmlichen Anerkennung der Parlamentsherrschaft. Als dann der Verfassungsbruch durch die Abdan- kung des Königs gesühnt war, da wagten sie nicht einmal den Versuch das Thronrecht der Dynastie zu retten. Die Briten beriefen sich, als sie die Stuarts vertrieben, auf den unanfechtbaren Rechtssatz, daß ein Papist nicht König von England, nicht Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche sein durfte. Gegen die Regierung Heinrich's V. sprach schlech- terdings kein Rechtsgrund, sondern nur der blinde Haß der Nation und die modische leichtfertige Doctrin, welche Mignet zusammenfaßte in dem Satze: nach einer Revolution muß auch der Thron ebenso neu werden wie alle übrigen Institutionen. Also ward das letzte schwache Band, das noch das neue mit dem alten Frankreich verkettete, unbedachtsam zerrissen. Die Juli-Revolution schloß nicht das Zeitalter der Revolutionen, wie ihre Urheber frohlockten, sie eröffnete vielmehr die Bahn für eine unab- sehbare Reihe neuer bürgerlicher Kämpfe; darum war sie, menschlich in Vielem entschuldbar, durch ihre politische Wirkung die verderblichste der französischen Revolutionen unseres Jahrhunderts. Doch wie hätten die Zeitgenossen alle diese Folgen ahnen können? Am richtigsten urtheilten vielleicht die preußischen Generale und eine kleine Anzahl von besonnenen Conservativen in Deutschland. Die Liberalen aller Länder hielten sich
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
ging er zu Fuß durch die Straßen, in ſauberer Bürgerkleidung, den Cylin- der über dem feiſten birnenförmigen Bankiersgeſichte und der wohlgebürſteten Lockenperrücke, und ſpannte, wenn der Regen eintrat, höflich ſeinen Schirm auf um einen überraſchten Bourgeois am Arme nach Hauſe zu geleiten. Nachher, da er ſich auf dem Throne ſicherer fühlte, mußte er die ehr- geizigen Parteiführer der Kammer gegen einander ausſpielen, damit unter dem Scheine der Parlamentsherrſchaft ſein perſönliches Regiment gewahrt blieb. Er bemühte ſich eifrig, ſeinem Hauſe die Gleichberechtigung mit den legitimen Höfen zu verſchaffen, und zügelte den kriegeriſchen Ueber- muth der Nation weil jeder Krieg die Revolution von Neuem zu entfeſſeln drohte; doch zugleich benutzte er die Gefahr der Revolution als ein Schreck- mittel um auf die großen Mächte zu drücken und allerhand kleine anmaß- liche Anſprüche Frankreichs durchzuſetzen. So hielt er ſich lange obenauf, ſeiner Mäßigung verdankten die Franzoſen viele Jahre blühenden Wohl- ſtandes; aber ſeine Regierung blieb immer nur ein unfruchtbarer Kampf ums Daſein, ſie brachte dem Lande niemals einen neuen politiſchen Ge- danken, ſie bereitete durch die ſündliche Vernachläſſigung der arbeitenden Maſſen die ſchweren ſocialen Kämpfe der Zukunft vor.
An dieſer Revolution war nichts zu bewundern außer dem perſönlichen Muthe der Barrikadenkämpfer. Mindeſtens ebenſo ſchwer wie die Ver- meſſenheit König Karl’s wog die Schuld der liberalen Parteien. Sie hatten das gemäßigte Miniſterium Martignac geſtürzt und durch eine gehäſſige Oppoſition den König in eine ſolche Lage gebracht, daß er nur noch wählen konnte zwiſchen dem Staatsſtreiche und der förmlichen Anerkennung der Parlamentsherrſchaft. Als dann der Verfaſſungsbruch durch die Abdan- kung des Königs geſühnt war, da wagten ſie nicht einmal den Verſuch das Thronrecht der Dynaſtie zu retten. Die Briten beriefen ſich, als ſie die Stuarts vertrieben, auf den unanfechtbaren Rechtsſatz, daß ein Papiſt nicht König von England, nicht Oberhaupt der anglikaniſchen Staatskirche ſein durfte. Gegen die Regierung Heinrich’s V. ſprach ſchlech- terdings kein Rechtsgrund, ſondern nur der blinde Haß der Nation und die modiſche leichtfertige Doctrin, welche Mignet zuſammenfaßte in dem Satze: nach einer Revolution muß auch der Thron ebenſo neu werden wie alle übrigen Inſtitutionen. Alſo ward das letzte ſchwache Band, das noch das neue mit dem alten Frankreich verkettete, unbedachtſam zerriſſen. Die Juli-Revolution ſchloß nicht das Zeitalter der Revolutionen, wie ihre Urheber frohlockten, ſie eröffnete vielmehr die Bahn für eine unab- ſehbare Reihe neuer bürgerlicher Kämpfe; darum war ſie, menſchlich in Vielem entſchuldbar, durch ihre politiſche Wirkung die verderblichſte der franzöſiſchen Revolutionen unſeres Jahrhunderts. Doch wie hätten die Zeitgenoſſen alle dieſe Folgen ahnen können? Am richtigſten urtheilten vielleicht die preußiſchen Generale und eine kleine Anzahl von beſonnenen Conſervativen in Deutſchland. Die Liberalen aller Länder hielten ſich
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ging er zu Fuß durch die Straßen, in ſauberer Bürgerkleidung, den Cylin-
der über dem feiſten birnenförmigen Bankiersgeſichte und der wohlgebürſteten
Lockenperrücke, und ſpannte, wenn der Regen eintrat, höflich ſeinen Schirm
auf um einen überraſchten Bourgeois am Arme nach Hauſe zu geleiten.
Nachher, da er ſich auf dem Throne ſicherer fühlte, mußte er die ehr-
geizigen Parteiführer der Kammer gegen einander ausſpielen, damit unter
dem Scheine der Parlamentsherrſchaft ſein perſönliches Regiment gewahrt
blieb. Er bemühte ſich eifrig, ſeinem Hauſe die Gleichberechtigung mit
den legitimen Höfen zu verſchaffen, und zügelte den kriegeriſchen Ueber-
muth der Nation weil jeder Krieg die Revolution von Neuem zu entfeſſeln
drohte; doch zugleich benutzte er die Gefahr der Revolution als ein Schreck-
mittel um auf die großen Mächte zu drücken und allerhand kleine anmaß-
liche Anſprüche Frankreichs durchzuſetzen. So hielt er ſich lange obenauf,
ſeiner Mäßigung verdankten die Franzoſen viele Jahre blühenden Wohl-
ſtandes; aber ſeine Regierung blieb immer nur ein unfruchtbarer Kampf
ums Daſein, ſie brachte dem Lande niemals einen neuen politiſchen Ge-
danken, ſie bereitete durch die ſündliche Vernachläſſigung der arbeitenden
Maſſen die ſchweren ſocialen Kämpfe der Zukunft vor.
An dieſer Revolution war nichts zu bewundern außer dem perſönlichen
Muthe der Barrikadenkämpfer. Mindeſtens ebenſo ſchwer wie die Ver-
meſſenheit König Karl’s wog die Schuld der liberalen Parteien. Sie hatten
das gemäßigte Miniſterium Martignac geſtürzt und durch eine gehäſſige
Oppoſition den König in eine ſolche Lage gebracht, daß er nur noch wählen
konnte zwiſchen dem Staatsſtreiche und der förmlichen Anerkennung der
Parlamentsherrſchaft. Als dann der Verfaſſungsbruch durch die Abdan-
kung des Königs geſühnt war, da wagten ſie nicht einmal den Verſuch
das Thronrecht der Dynaſtie zu retten. Die Briten beriefen ſich, als
ſie die Stuarts vertrieben, auf den unanfechtbaren Rechtsſatz, daß ein
Papiſt nicht König von England, nicht Oberhaupt der anglikaniſchen
Staatskirche ſein durfte. Gegen die Regierung Heinrich’s V. ſprach ſchlech-
terdings kein Rechtsgrund, ſondern nur der blinde Haß der Nation und
die modiſche leichtfertige Doctrin, welche Mignet zuſammenfaßte in dem
Satze: nach einer Revolution muß auch der Thron ebenſo neu werden
wie alle übrigen Inſtitutionen. Alſo ward das letzte ſchwache Band, das
noch das neue mit dem alten Frankreich verkettete, unbedachtſam zerriſſen.
Die Juli-Revolution ſchloß nicht das Zeitalter der Revolutionen, wie
ihre Urheber frohlockten, ſie eröffnete vielmehr die Bahn für eine unab-
ſehbare Reihe neuer bürgerlicher Kämpfe; darum war ſie, menſchlich in
Vielem entſchuldbar, durch ihre politiſche Wirkung die verderblichſte der
franzöſiſchen Revolutionen unſeres Jahrhunderts. Doch wie hätten die
Zeitgenoſſen alle dieſe Folgen ahnen können? Am richtigſten urtheilten
vielleicht die preußiſchen Generale und eine kleine Anzahl von beſonnenen
Conſervativen in Deutſchland. Die Liberalen aller Länder hielten ſich
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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