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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Preußens Zurückhaltung gegen Rußland.
auf die Bändigung des polnischen Aufruhrs, stolzer noch auf die wüthen-
den Schmähreden der liberalen Presse, träumte der Czar nur noch von dem
großen Kreuzzuge für das legitime Recht. Schon um Weihnachten 1830
sagte er in einer geheimen Denkschrift über die Lage Europas: "Bewahren
wir das heilige Feuer für den feierlichen Augenblick, den keine menschliche
Macht abwenden, keine hinausschieben kann, für den Augenblick, da der
Kampf zwischen der Gerechtigkeit und den Grundsätzen der Hölle (le prin-
cipe infernal
) ausbrechen muß." Irgend ein bestimmter politischer Ge-
danke lag in solchen dröhnenden Worten fanatischen Hasses freilich nicht,
und General Schöler urtheilte treffend: "über seine eigentlichen Wünsche
täuscht der Kaiser nicht nur Andere, sondern sich selbst."*) Deutlich war
nur, daß Deutschland in dem Kampfe gegen die Revolution sich verbluten,
und Rußland schließlich mit seiner vielgerühmten "formidablen Reserve",
die sich auf dem Papiere der Petersburger Denkschriften so großartig aus-
nahm, die Früchte des Krieges gemächlich einheimsen sollte.

Je sicherer Nikolaus nach dem Falle Warschaus sich wieder selbst
fühlte, um so tiefer wurmten ihn die Niederlagen, die ihm Preußens
bedachtsame Friedenspolitik bereitet hatte. Noch immer trug er seine
persönliche Verehrung für den König geflissentlich zur Schau und ver-
sicherte inbrünstig: "er ist mein Vater, ich bin sein Sohn." Dies hin-
derte ihn jedoch keineswegs, den Berliner Hof mit Zumuthungen zu über-
schütten, deren gleichen andere Söhne ihren Vätern nicht zu stellen pflegen.
Nach allen den Freundschaftsdiensten, welche ihm Preußen während des
polnischen Aufstands geleistet, wagte er noch zu verlangen, der deutsche
Nachbarstaat möge dicht an der russischen Grenze eine hohe Polizeibehörde
unter Mitwirkung eines russischen Beamten einrichten; ja er bat den
König sogar, jene polnischen Flüchtlinge, welche die Heimkehr verweigerten,
einfach im preußischen Heere unterzustecken (März, Juni 1832). Beide
Bitten wurden rundweg abgeschlagen, und die politische Freundschaft erkaltete
sichtlich. Der neue russische Gesandte Ribeaupierre verstand auch nicht wie
sein Vorgänger Alopeus, sich das persönliche Vertrauen der Berliner Staats-
männer zu gewinnen; General Schöler andererseits begann dem Peters-
burger Hofe lästig zu werden, weil er durch lange Erfahrung gegen die
moskowitischen Schauspielerkünste gepanzert war und immer wieder warnte:
"es ist wahrhaft nationale Eigenschaft der Russen, von ihren Freunden
Opfer jeder Art und nach dem größten Zuschnitt zu fordern, solche aber
nur in ganz entgegengesetztem Verhältniß zu leisten."**)

Obgleich der belgische Streit unter Rußlands eigener Mitwirkung im
Wesentlichen beigelegt war und mithin kein Anlaß zum Kriege mehr bestand,
so forderte der Czar doch unablässig eine förmliche Erneuerung des Bundes

*) Schöler's Bericht, 24. Sept. 1833.
**) Schöler's Bericht, 28. Dec. 1833.
21*

Preußens Zurückhaltung gegen Rußland.
auf die Bändigung des polniſchen Aufruhrs, ſtolzer noch auf die wüthen-
den Schmähreden der liberalen Preſſe, träumte der Czar nur noch von dem
großen Kreuzzuge für das legitime Recht. Schon um Weihnachten 1830
ſagte er in einer geheimen Denkſchrift über die Lage Europas: „Bewahren
wir das heilige Feuer für den feierlichen Augenblick, den keine menſchliche
Macht abwenden, keine hinausſchieben kann, für den Augenblick, da der
Kampf zwiſchen der Gerechtigkeit und den Grundſätzen der Hölle (le prin-
cipe infernal
) ausbrechen muß.“ Irgend ein beſtimmter politiſcher Ge-
danke lag in ſolchen dröhnenden Worten fanatiſchen Haſſes freilich nicht,
und General Schöler urtheilte treffend: „über ſeine eigentlichen Wünſche
täuſcht der Kaiſer nicht nur Andere, ſondern ſich ſelbſt.“*) Deutlich war
nur, daß Deutſchland in dem Kampfe gegen die Revolution ſich verbluten,
und Rußland ſchließlich mit ſeiner vielgerühmten „formidablen Reſerve“,
die ſich auf dem Papiere der Petersburger Denkſchriften ſo großartig aus-
nahm, die Früchte des Krieges gemächlich einheimſen ſollte.

Je ſicherer Nikolaus nach dem Falle Warſchaus ſich wieder ſelbſt
fühlte, um ſo tiefer wurmten ihn die Niederlagen, die ihm Preußens
bedachtſame Friedenspolitik bereitet hatte. Noch immer trug er ſeine
perſönliche Verehrung für den König gefliſſentlich zur Schau und ver-
ſicherte inbrünſtig: „er iſt mein Vater, ich bin ſein Sohn.“ Dies hin-
derte ihn jedoch keineswegs, den Berliner Hof mit Zumuthungen zu über-
ſchütten, deren gleichen andere Söhne ihren Vätern nicht zu ſtellen pflegen.
Nach allen den Freundſchaftsdienſten, welche ihm Preußen während des
polniſchen Aufſtands geleiſtet, wagte er noch zu verlangen, der deutſche
Nachbarſtaat möge dicht an der ruſſiſchen Grenze eine hohe Polizeibehörde
unter Mitwirkung eines ruſſiſchen Beamten einrichten; ja er bat den
König ſogar, jene polniſchen Flüchtlinge, welche die Heimkehr verweigerten,
einfach im preußiſchen Heere unterzuſtecken (März, Juni 1832). Beide
Bitten wurden rundweg abgeſchlagen, und die politiſche Freundſchaft erkaltete
ſichtlich. Der neue ruſſiſche Geſandte Ribeaupierre verſtand auch nicht wie
ſein Vorgänger Alopeus, ſich das perſönliche Vertrauen der Berliner Staats-
männer zu gewinnen; General Schöler andererſeits begann dem Peters-
burger Hofe läſtig zu werden, weil er durch lange Erfahrung gegen die
moskowitiſchen Schauſpielerkünſte gepanzert war und immer wieder warnte:
„es iſt wahrhaft nationale Eigenſchaft der Ruſſen, von ihren Freunden
Opfer jeder Art und nach dem größten Zuſchnitt zu fordern, ſolche aber
nur in ganz entgegengeſetztem Verhältniß zu leiſten.“**)

Obgleich der belgiſche Streit unter Rußlands eigener Mitwirkung im
Weſentlichen beigelegt war und mithin kein Anlaß zum Kriege mehr beſtand,
ſo forderte der Czar doch unabläſſig eine förmliche Erneuerung des Bundes

*) Schöler’s Bericht, 24. Sept. 1833.
**) Schöler’s Bericht, 28. Dec. 1833.
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[323/0337] Preußens Zurückhaltung gegen Rußland. auf die Bändigung des polniſchen Aufruhrs, ſtolzer noch auf die wüthen- den Schmähreden der liberalen Preſſe, träumte der Czar nur noch von dem großen Kreuzzuge für das legitime Recht. Schon um Weihnachten 1830 ſagte er in einer geheimen Denkſchrift über die Lage Europas: „Bewahren wir das heilige Feuer für den feierlichen Augenblick, den keine menſchliche Macht abwenden, keine hinausſchieben kann, für den Augenblick, da der Kampf zwiſchen der Gerechtigkeit und den Grundſätzen der Hölle (le prin- cipe infernal) ausbrechen muß.“ Irgend ein beſtimmter politiſcher Ge- danke lag in ſolchen dröhnenden Worten fanatiſchen Haſſes freilich nicht, und General Schöler urtheilte treffend: „über ſeine eigentlichen Wünſche täuſcht der Kaiſer nicht nur Andere, ſondern ſich ſelbſt.“ *) Deutlich war nur, daß Deutſchland in dem Kampfe gegen die Revolution ſich verbluten, und Rußland ſchließlich mit ſeiner vielgerühmten „formidablen Reſerve“, die ſich auf dem Papiere der Petersburger Denkſchriften ſo großartig aus- nahm, die Früchte des Krieges gemächlich einheimſen ſollte. Je ſicherer Nikolaus nach dem Falle Warſchaus ſich wieder ſelbſt fühlte, um ſo tiefer wurmten ihn die Niederlagen, die ihm Preußens bedachtſame Friedenspolitik bereitet hatte. Noch immer trug er ſeine perſönliche Verehrung für den König gefliſſentlich zur Schau und ver- ſicherte inbrünſtig: „er iſt mein Vater, ich bin ſein Sohn.“ Dies hin- derte ihn jedoch keineswegs, den Berliner Hof mit Zumuthungen zu über- ſchütten, deren gleichen andere Söhne ihren Vätern nicht zu ſtellen pflegen. Nach allen den Freundſchaftsdienſten, welche ihm Preußen während des polniſchen Aufſtands geleiſtet, wagte er noch zu verlangen, der deutſche Nachbarſtaat möge dicht an der ruſſiſchen Grenze eine hohe Polizeibehörde unter Mitwirkung eines ruſſiſchen Beamten einrichten; ja er bat den König ſogar, jene polniſchen Flüchtlinge, welche die Heimkehr verweigerten, einfach im preußiſchen Heere unterzuſtecken (März, Juni 1832). Beide Bitten wurden rundweg abgeſchlagen, und die politiſche Freundſchaft erkaltete ſichtlich. Der neue ruſſiſche Geſandte Ribeaupierre verſtand auch nicht wie ſein Vorgänger Alopeus, ſich das perſönliche Vertrauen der Berliner Staats- männer zu gewinnen; General Schöler andererſeits begann dem Peters- burger Hofe läſtig zu werden, weil er durch lange Erfahrung gegen die moskowitiſchen Schauſpielerkünſte gepanzert war und immer wieder warnte: „es iſt wahrhaft nationale Eigenſchaft der Ruſſen, von ihren Freunden Opfer jeder Art und nach dem größten Zuſchnitt zu fordern, ſolche aber nur in ganz entgegengeſetztem Verhältniß zu leiſten.“ **) Obgleich der belgiſche Streit unter Rußlands eigener Mitwirkung im Weſentlichen beigelegt war und mithin kein Anlaß zum Kriege mehr beſtand, ſo forderte der Czar doch unabläſſig eine förmliche Erneuerung des Bundes *) Schöler’s Bericht, 24. Sept. 1833. **) Schöler’s Bericht, 28. Dec. 1833. 21*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/337>, abgerufen am 24.11.2024.