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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Luxemburg und die Westmächte.
derte er gar Bezahlung für die preußische Einquartierung. Selbst der
Bundestag beschwerte sich, weil die preußischen Ingenieure im Angesichte
des Feindes die Festungswerke verstärkten, und es währte lange bis er
diese außerordentlichen Ausgaben genehmigte.*) Das Tollste blieb doch,
daß der Bund sich über ein Rayonsgesetz für die Bundesfestungen noch
immer nicht hatte einigen können. Der Commandant mußte also eigen-
mächtig die Abgrenzung des Festungsrayons bestimmen. Als er sich durch
die beharrlichen Neckereien der Belgier genöthigt sah das Festungsgebiet bis
auf einen Umkreis von vier Stunden zu erweitern, da erhob die Bundes-
versammlung Bedenken, und der General antwortete kurzab, diesmal
könne er seinen Frankfurter Vorgesetzten nicht gehorchen.

Um die Verwirrung zu vollenden mischten sich auch noch die West-
mächte ein. Da der Bundestag die Bevollmächtigten des noch nicht an-
erkannten Königs der Belgier mehrmals zurückgewiesen hatte, so betrach-
teten sich England und Frankreich als die natürlichen Vertreter ihres
Schützlings. Alleye und Cartwright erhoben eine Beschwerde nach der
anderen über angebliche Uebergriffe des luxemburgischen Commandanten
und schlugen dabei wieder jenen rohen, zankenden Ton an, der ihnen schon
bei dem Frankfurter Streite so übel bekommen war. Es war, als wollten
sie nochmals der Welt beweisen, was von der gerühmten Civilisation des
Westens zu halten sei. Als Dumoulin einige belgische Soldaten aus dem
Gebiete der deutschen Bundesfestung ausgewiesen hatte, da meinte der
Engländer, "eine solche That launischer Willkür könne sich nur auf das
Recht des Stärkeren stützen"; und als die Aushebung der belgischen Milizen
im Festungsgebiete untersagt wurde, da erklärte Alleye: "die französische
Regierung hat Grund zu der Befürchtung, daß General Dumoulin und
seine Anstifter absichtlich einen Zusammenstoß herbeiführen wollten."**) Und
nicht genug, daß die Beiden das sonnenklare Recht mit dreister Stirn
bestritten; sie traten auch allen diplomatischen Brauch mit Füßen. Sie
unterstanden sich dem Commandanten von Luxemburg unmittelbar ihre
Beschwerden einzusenden; und obwohl sie wußten, daß der Bundestag
nach seiner Geschäftsordnung nur Verbalnoten von den fremden Ge-
sandten annehmen durfte, so versuchten sie doch immer wieder mit dem
präsidirenden Gesandten Münch persönlich zu unterhandeln, ja Alleye hatte
einmal die Unverschämtheit, eine vorgebliche mündliche Aeußerung Münch's
dem Bundestage vorzuhalten mit der Bemerkung: das sei so gut wie ein
Ehrenwort! Das freche Treiben der zwei Diplomaten des Westens währte
jahrelang. Doch mit diesen wohlbekannten Störenfrieden wußte selbst der
Bundestag fertig zu werden; er gab immer nur kurze abweisende Er-

*) Nagler's Berichte, 28. Dec. 1831, 24. Jan., 10. März., 8. Mai 1832.
**) Verbalnoten an Münch, von Cartwright 25. Sept. 1833, von Alleye 26. Fe-
bruar 1834.

Luxemburg und die Weſtmächte.
derte er gar Bezahlung für die preußiſche Einquartierung. Selbſt der
Bundestag beſchwerte ſich, weil die preußiſchen Ingenieure im Angeſichte
des Feindes die Feſtungswerke verſtärkten, und es währte lange bis er
dieſe außerordentlichen Ausgaben genehmigte.*) Das Tollſte blieb doch,
daß der Bund ſich über ein Rayonsgeſetz für die Bundesfeſtungen noch
immer nicht hatte einigen können. Der Commandant mußte alſo eigen-
mächtig die Abgrenzung des Feſtungsrayons beſtimmen. Als er ſich durch
die beharrlichen Neckereien der Belgier genöthigt ſah das Feſtungsgebiet bis
auf einen Umkreis von vier Stunden zu erweitern, da erhob die Bundes-
verſammlung Bedenken, und der General antwortete kurzab, diesmal
könne er ſeinen Frankfurter Vorgeſetzten nicht gehorchen.

Um die Verwirrung zu vollenden miſchten ſich auch noch die Weſt-
mächte ein. Da der Bundestag die Bevollmächtigten des noch nicht an-
erkannten Königs der Belgier mehrmals zurückgewieſen hatte, ſo betrach-
teten ſich England und Frankreich als die natürlichen Vertreter ihres
Schützlings. Alleye und Cartwright erhoben eine Beſchwerde nach der
anderen über angebliche Uebergriffe des luxemburgiſchen Commandanten
und ſchlugen dabei wieder jenen rohen, zankenden Ton an, der ihnen ſchon
bei dem Frankfurter Streite ſo übel bekommen war. Es war, als wollten
ſie nochmals der Welt beweiſen, was von der gerühmten Civiliſation des
Weſtens zu halten ſei. Als Dumoulin einige belgiſche Soldaten aus dem
Gebiete der deutſchen Bundesfeſtung ausgewieſen hatte, da meinte der
Engländer, „eine ſolche That launiſcher Willkür könne ſich nur auf das
Recht des Stärkeren ſtützen“; und als die Aushebung der belgiſchen Milizen
im Feſtungsgebiete unterſagt wurde, da erklärte Alleye: „die franzöſiſche
Regierung hat Grund zu der Befürchtung, daß General Dumoulin und
ſeine Anſtifter abſichtlich einen Zuſammenſtoß herbeiführen wollten.“**) Und
nicht genug, daß die Beiden das ſonnenklare Recht mit dreiſter Stirn
beſtritten; ſie traten auch allen diplomatiſchen Brauch mit Füßen. Sie
unterſtanden ſich dem Commandanten von Luxemburg unmittelbar ihre
Beſchwerden einzuſenden; und obwohl ſie wußten, daß der Bundestag
nach ſeiner Geſchäftsordnung nur Verbalnoten von den fremden Ge-
ſandten annehmen durfte, ſo verſuchten ſie doch immer wieder mit dem
präſidirenden Geſandten Münch perſönlich zu unterhandeln, ja Alleye hatte
einmal die Unverſchämtheit, eine vorgebliche mündliche Aeußerung Münch’s
dem Bundestage vorzuhalten mit der Bemerkung: das ſei ſo gut wie ein
Ehrenwort! Das freche Treiben der zwei Diplomaten des Weſtens währte
jahrelang. Doch mit dieſen wohlbekannten Störenfrieden wußte ſelbſt der
Bundestag fertig zu werden; er gab immer nur kurze abweiſende Er-

*) Nagler’s Berichte, 28. Dec. 1831, 24. Jan., 10. März., 8. Mai 1832.
**) Verbalnoten an Münch, von Cartwright 25. Sept. 1833, von Alleye 26. Fe-
bruar 1834.
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[319/0333] Luxemburg und die Weſtmächte. derte er gar Bezahlung für die preußiſche Einquartierung. Selbſt der Bundestag beſchwerte ſich, weil die preußiſchen Ingenieure im Angeſichte des Feindes die Feſtungswerke verſtärkten, und es währte lange bis er dieſe außerordentlichen Ausgaben genehmigte. *) Das Tollſte blieb doch, daß der Bund ſich über ein Rayonsgeſetz für die Bundesfeſtungen noch immer nicht hatte einigen können. Der Commandant mußte alſo eigen- mächtig die Abgrenzung des Feſtungsrayons beſtimmen. Als er ſich durch die beharrlichen Neckereien der Belgier genöthigt ſah das Feſtungsgebiet bis auf einen Umkreis von vier Stunden zu erweitern, da erhob die Bundes- verſammlung Bedenken, und der General antwortete kurzab, diesmal könne er ſeinen Frankfurter Vorgeſetzten nicht gehorchen. Um die Verwirrung zu vollenden miſchten ſich auch noch die Weſt- mächte ein. Da der Bundestag die Bevollmächtigten des noch nicht an- erkannten Königs der Belgier mehrmals zurückgewieſen hatte, ſo betrach- teten ſich England und Frankreich als die natürlichen Vertreter ihres Schützlings. Alleye und Cartwright erhoben eine Beſchwerde nach der anderen über angebliche Uebergriffe des luxemburgiſchen Commandanten und ſchlugen dabei wieder jenen rohen, zankenden Ton an, der ihnen ſchon bei dem Frankfurter Streite ſo übel bekommen war. Es war, als wollten ſie nochmals der Welt beweiſen, was von der gerühmten Civiliſation des Weſtens zu halten ſei. Als Dumoulin einige belgiſche Soldaten aus dem Gebiete der deutſchen Bundesfeſtung ausgewieſen hatte, da meinte der Engländer, „eine ſolche That launiſcher Willkür könne ſich nur auf das Recht des Stärkeren ſtützen“; und als die Aushebung der belgiſchen Milizen im Feſtungsgebiete unterſagt wurde, da erklärte Alleye: „die franzöſiſche Regierung hat Grund zu der Befürchtung, daß General Dumoulin und ſeine Anſtifter abſichtlich einen Zuſammenſtoß herbeiführen wollten.“ **) Und nicht genug, daß die Beiden das ſonnenklare Recht mit dreiſter Stirn beſtritten; ſie traten auch allen diplomatiſchen Brauch mit Füßen. Sie unterſtanden ſich dem Commandanten von Luxemburg unmittelbar ihre Beſchwerden einzuſenden; und obwohl ſie wußten, daß der Bundestag nach ſeiner Geſchäftsordnung nur Verbalnoten von den fremden Ge- ſandten annehmen durfte, ſo verſuchten ſie doch immer wieder mit dem präſidirenden Geſandten Münch perſönlich zu unterhandeln, ja Alleye hatte einmal die Unverſchämtheit, eine vorgebliche mündliche Aeußerung Münch’s dem Bundestage vorzuhalten mit der Bemerkung: das ſei ſo gut wie ein Ehrenwort! Das freche Treiben der zwei Diplomaten des Weſtens währte jahrelang. Doch mit dieſen wohlbekannten Störenfrieden wußte ſelbſt der Bundestag fertig zu werden; er gab immer nur kurze abweiſende Er- *) Nagler’s Berichte, 28. Dec. 1831, 24. Jan., 10. März., 8. Mai 1832. **) Verbalnoten an Münch, von Cartwright 25. Sept. 1833, von Alleye 26. Fe- bruar 1834.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/333>, abgerufen am 29.03.2024.