matenstücke, Berliner Cabinetsbeschlüsse, Frankfurter Protokolle, Potsdamer Kasernenpuppen und österreichische Soldknechte. Aber wir waren darauf gefaßt. Die große Oper: Volksrache! wird aufgeführt in allen Residenzen, und in Frankfurt die Ouvertüre. Von Mund zu Mund geht jetzt ein kräftiger Wort, als alle Landtagskammern und Zeitungsblätter uns liefer- ten: Fürsten zum Land hinaus! Das ist die große Parole, und unser einzig Gebet ist: Herr, gieb uns unser täglich Schrot! Auf laßt uns be- ginnen! Der Herr hat uns zu Schnittern gemacht, die giftigen Königs- blumen abzumähen!"
Was Herold in wüsten Drohungen herauspolterte, war nur der kräftige Widerhall jener radicalen Schlagworte, mit denen Börne in seinen Pariser Briefen um sich warf; der war jetzt schon so weit, daß er in seiner hämischen Weise den ehrlichen Rotteck für eine alte Vettel erklärte, die nur den Demagogen spiele um ihren schlechten Büchern Absatz zu verschaffen. Gewandter aber noch frecher redete Heine in dem Vorworte zu seinen "Französischen Zuständen". Erstaunlich, wie dieser vaterlands- lose Jude gleich einem Chamäleon beständig die Farbe wechselte, ohne seine angestammte orientalische Eigenart jemals aufzugeben. Wie er einst den Glauben seines Volks verlassen und gleichwohl beharrlich den verfolgten Juden gespielt hatte, so ward er jetzt durch die Diners, die Grisetten und die Zeitungsphrasen der Pariser dermaßen bezaubert, daß er sich gänzlich in einen Franzosen verwandelte; er ließ fortan seine Schriften meist in beiden Sprachen zugleich erscheinen und lebte sich in die wälsche Empfindungsweise so gelehrig ein, daß Thiers ihn mit Recht "den geist- reichsten Franzosen seiner Zeit" nennen konnte. Dabei bewahrte er doch in dem stillen Winkel seines Herzens, der noch deutsch geblieben war, die Sehnsucht nach dem Traumlande seiner Jugend und meinte sich noch immer berechtigt als Deutscher zu seinem verrathenen Heimathlande zu reden. Ueber "diese grandiose Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeschichte tragirt wird", redete er mit einer knechtischen Unterthänigkeit, als ob jeder Pariser Lumpensammler die Blüthe der Menschheit darstellte; sachlich wußte er freilich nichts weiter vorzubringen, als seichtes Feuilleton- geschwätz und die landesüblichen thörichten Schmähungen gegen die Politik Casimir Perier's. Auch "unsere heimische Misere" betrachtete er durch die Brille der Pariser Radicalen. Während die französische Presse Tag für Tag nach den natürlichen Grenzen verlangte, und die deutschen Patrioten, mit Ausnahme einer Handvoll legitimistischer Heißsporne, schlech- terdings nur an die Vertheidigung ihrer vaterländischen Grenzen dachten, stellte Heine mit gewohnter Verlogenheit die Dinge auf den Kopf: er schilderte dies unschuldige, friedfertige Frankreich, wie es beständig durch den künstlich aufgestachelten Nationalhaß der dummen Teutonen bedroht würde, und wollte auf der Welt keine Nationen mehr sehen, sondern nur noch zwei Parteien: die Aristokratie und die Partei der Vernunft. Das
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
matenſtücke, Berliner Cabinetsbeſchlüſſe, Frankfurter Protokolle, Potsdamer Kaſernenpuppen und öſterreichiſche Soldknechte. Aber wir waren darauf gefaßt. Die große Oper: Volksrache! wird aufgeführt in allen Reſidenzen, und in Frankfurt die Ouvertüre. Von Mund zu Mund geht jetzt ein kräftiger Wort, als alle Landtagskammern und Zeitungsblätter uns liefer- ten: Fürſten zum Land hinaus! Das iſt die große Parole, und unſer einzig Gebet iſt: Herr, gieb uns unſer täglich Schrot! Auf laßt uns be- ginnen! Der Herr hat uns zu Schnittern gemacht, die giftigen Königs- blumen abzumähen!“
Was Herold in wüſten Drohungen herauspolterte, war nur der kräftige Widerhall jener radicalen Schlagworte, mit denen Börne in ſeinen Pariſer Briefen um ſich warf; der war jetzt ſchon ſo weit, daß er in ſeiner hämiſchen Weiſe den ehrlichen Rotteck für eine alte Vettel erklärte, die nur den Demagogen ſpiele um ihren ſchlechten Büchern Abſatz zu verſchaffen. Gewandter aber noch frecher redete Heine in dem Vorworte zu ſeinen „Franzöſiſchen Zuſtänden“. Erſtaunlich, wie dieſer vaterlands- loſe Jude gleich einem Chamäleon beſtändig die Farbe wechſelte, ohne ſeine angeſtammte orientaliſche Eigenart jemals aufzugeben. Wie er einſt den Glauben ſeines Volks verlaſſen und gleichwohl beharrlich den verfolgten Juden geſpielt hatte, ſo ward er jetzt durch die Diners, die Griſetten und die Zeitungsphraſen der Pariſer dermaßen bezaubert, daß er ſich gänzlich in einen Franzoſen verwandelte; er ließ fortan ſeine Schriften meiſt in beiden Sprachen zugleich erſcheinen und lebte ſich in die wälſche Empfindungsweiſe ſo gelehrig ein, daß Thiers ihn mit Recht „den geiſt- reichſten Franzoſen ſeiner Zeit“ nennen konnte. Dabei bewahrte er doch in dem ſtillen Winkel ſeines Herzens, der noch deutſch geblieben war, die Sehnſucht nach dem Traumlande ſeiner Jugend und meinte ſich noch immer berechtigt als Deutſcher zu ſeinem verrathenen Heimathlande zu reden. Ueber „dieſe grandioſe Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeſchichte tragirt wird“, redete er mit einer knechtiſchen Unterthänigkeit, als ob jeder Pariſer Lumpenſammler die Blüthe der Menſchheit darſtellte; ſachlich wußte er freilich nichts weiter vorzubringen, als ſeichtes Feuilleton- geſchwätz und die landesüblichen thörichten Schmähungen gegen die Politik Caſimir Perier’s. Auch „unſere heimiſche Miſere“ betrachtete er durch die Brille der Pariſer Radicalen. Während die franzöſiſche Preſſe Tag für Tag nach den natürlichen Grenzen verlangte, und die deutſchen Patrioten, mit Ausnahme einer Handvoll legitimiſtiſcher Heißſporne, ſchlech- terdings nur an die Vertheidigung ihrer vaterländiſchen Grenzen dachten, ſtellte Heine mit gewohnter Verlogenheit die Dinge auf den Kopf: er ſchilderte dies unſchuldige, friedfertige Frankreich, wie es beſtändig durch den künſtlich aufgeſtachelten Nationalhaß der dummen Teutonen bedroht würde, und wollte auf der Welt keine Nationen mehr ſehen, ſondern nur noch zwei Parteien: die Ariſtokratie und die Partei der Vernunft. Das
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
matenſtücke, Berliner Cabinetsbeſchlüſſe, Frankfurter Protokolle, Potsdamer
Kaſernenpuppen und öſterreichiſche Soldknechte. Aber wir waren darauf
gefaßt. Die große Oper: Volksrache! wird aufgeführt in allen Reſidenzen,
und in Frankfurt die Ouvertüre. Von Mund zu Mund geht jetzt ein
kräftiger Wort, als alle Landtagskammern und Zeitungsblätter uns liefer-
ten: Fürſten zum Land hinaus! Das iſt die große Parole, und unſer
einzig Gebet iſt: Herr, gieb uns unſer täglich Schrot! Auf laßt uns be-
ginnen! Der Herr hat uns zu Schnittern gemacht, die giftigen Königs-
blumen abzumähen!“
Was Herold in wüſten Drohungen herauspolterte, war nur der
kräftige Widerhall jener radicalen Schlagworte, mit denen Börne in ſeinen
Pariſer Briefen um ſich warf; der war jetzt ſchon ſo weit, daß er in
ſeiner hämiſchen Weiſe den ehrlichen Rotteck für eine alte Vettel erklärte,
die nur den Demagogen ſpiele um ihren ſchlechten Büchern Abſatz zu
verſchaffen. Gewandter aber noch frecher redete Heine in dem Vorworte
zu ſeinen „Franzöſiſchen Zuſtänden“. Erſtaunlich, wie dieſer vaterlands-
loſe Jude gleich einem Chamäleon beſtändig die Farbe wechſelte, ohne ſeine
angeſtammte orientaliſche Eigenart jemals aufzugeben. Wie er einſt den
Glauben ſeines Volks verlaſſen und gleichwohl beharrlich den verfolgten
Juden geſpielt hatte, ſo ward er jetzt durch die Diners, die Griſetten
und die Zeitungsphraſen der Pariſer dermaßen bezaubert, daß er ſich
gänzlich in einen Franzoſen verwandelte; er ließ fortan ſeine Schriften
meiſt in beiden Sprachen zugleich erſcheinen und lebte ſich in die wälſche
Empfindungsweiſe ſo gelehrig ein, daß Thiers ihn mit Recht „den geiſt-
reichſten Franzoſen ſeiner Zeit“ nennen konnte. Dabei bewahrte er doch
in dem ſtillen Winkel ſeines Herzens, der noch deutſch geblieben war, die
Sehnſucht nach dem Traumlande ſeiner Jugend und meinte ſich noch
immer berechtigt als Deutſcher zu ſeinem verrathenen Heimathlande zu
reden. Ueber „dieſe grandioſe Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeſchichte
tragirt wird“, redete er mit einer knechtiſchen Unterthänigkeit, als ob jeder
Pariſer Lumpenſammler die Blüthe der Menſchheit darſtellte; ſachlich
wußte er freilich nichts weiter vorzubringen, als ſeichtes Feuilleton-
geſchwätz und die landesüblichen thörichten Schmähungen gegen die Politik
Caſimir Perier’s. Auch „unſere heimiſche Miſere“ betrachtete er durch
die Brille der Pariſer Radicalen. Während die franzöſiſche Preſſe Tag
für Tag nach den natürlichen Grenzen verlangte, und die deutſchen
Patrioten, mit Ausnahme einer Handvoll legitimiſtiſcher Heißſporne, ſchlech-
terdings nur an die Vertheidigung ihrer vaterländiſchen Grenzen dachten,
ſtellte Heine mit gewohnter Verlogenheit die Dinge auf den Kopf: er
ſchilderte dies unſchuldige, friedfertige Frankreich, wie es beſtändig durch
den künſtlich aufgeſtachelten Nationalhaß der dummen Teutonen bedroht
würde, und wollte auf der Welt keine Nationen mehr ſehen, ſondern nur
noch zwei Parteien: die Ariſtokratie und die Partei der Vernunft. Das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/308>, abgerufen am 24.11.2024.
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