den Landständen das Recht der unbeschränkten Steuerverweigerung. Die Zeitungsverbote standen in Einklang mit dem Bundespreßgesetze, und wenn der Bund "zur Erhaltung der inneren Sicherheit" auch die Vereine und Versammlungen überwachte, so durfte er sich auf die freie Zustimmung der sämmtlichen deutschen Souveräne berufen.
Doch unmöglich konnte die tief enttäuschte liberale Partei sich bei der formalen Gesetzlichkeit der Bundesbeschlüsse beruhigen. Die Sechs Ar- tikel erschienen vier Wochen nach dem Hambacher Feste; sie wurden da- her, obgleich sie schon seit Monaten vorbereitet waren, allgemein als die Antwort des Bundestags auf die Hambacher Drohreden, als ein Werk schimpflicher Angst betrachtet, und alle Welt erzählte sich, daß Metternich geäußert haben sollte: "das Hambacher Fest, wenn es gut benutzt wird, kann das Fest der Guten werden, die Schlechten haben sich mindestens zu sehr übereilt." Wie zuversichtlich hatte man gehofft, der neue Tag, den der schmetternde Weckruf des gallischen Hahnes angekündigt, werde auch den Deutschen die Preßfreiheit und die Parlamentsherrschaft bringen, und nun legte der Bundestag die vorhandenen bescheidenen Rechte der Landtage im strengsten monarchischen Sinne aus. Immer nur der Stein statt des Brotes: statt der Preßfreiheit eine gehässige Verfolgung, die neben den revolutionären Schriften doch auch gebildete und wohlmeinende Blätter, wie Rotteck's Annalen, mit ihren Peitschenschlägen traf. Wie schwärmerisch hatte man sich nach der Herrlichkeit eines großen Vater- landes gesehnt, und nun ward der Nation sogar ihre in ehrlicher Be- geisterung entfaltete neue Tricolore verboten. Im Wächter am Rhein klagte Stromeyer: "So verschwinde denn für einen Augenblick vor dem Antlitz deiner Feinde, o du heilige Dreifarbe, du himmlisches Bild der Reinheit und des muthigen Ernstes! Ziehe dich zurück auf unsere nackte Brust. Dort hüpft dir grüßend jeder Schlag unseres Herzens entgegen und empfängt von dir die elektrische Einströmung des heiligen Feuers." So schwülstig auch die Worte klangen, die Klage selbst war vollberechtigt: welch ein verschrobener, unwahrer Zustand, wenn die höchste deutsche Be- hörde, in der sich die Einheit der Nation verkörpern sollte, das Symbol der Einheit wie ein verbrecherisches Abzeichen verfolgte!
Auch der Inhalt der Sechs Artikel selbst bot dem Liberalismus guten Grund zum Mißtrauen; denn auch sie litten, wie alle Bundesbeschlüsse, an jener gefährlichen Vieldeutigkeit, welche die gesetzgeberischen Arbeiten juri- stischer Dilettanten gemeinhin auszeichnet. Diese Eigenthümlichkeit der Bun- desgesetzgebung war in Frankfurt selbst so bekannt, daß Blittersdorff einmal mit seiner gewohnten cynischen Dreistigkeit bei seinem Minister anfragte: Es giebt eine zweifache Auslegung der Bundesgesetze, eine constitutionell- liberale und eine monarchische; welche von beiden soll ich jetzt anwenden?*)
*) Blittersdorff's Bericht, 7. Jan. 1832.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 18
Bedeutung der Sechs Artikel.
den Landſtänden das Recht der unbeſchränkten Steuerverweigerung. Die Zeitungsverbote ſtanden in Einklang mit dem Bundespreßgeſetze, und wenn der Bund „zur Erhaltung der inneren Sicherheit“ auch die Vereine und Verſammlungen überwachte, ſo durfte er ſich auf die freie Zuſtimmung der ſämmtlichen deutſchen Souveräne berufen.
Doch unmöglich konnte die tief enttäuſchte liberale Partei ſich bei der formalen Geſetzlichkeit der Bundesbeſchlüſſe beruhigen. Die Sechs Ar- tikel erſchienen vier Wochen nach dem Hambacher Feſte; ſie wurden da- her, obgleich ſie ſchon ſeit Monaten vorbereitet waren, allgemein als die Antwort des Bundestags auf die Hambacher Drohreden, als ein Werk ſchimpflicher Angſt betrachtet, und alle Welt erzählte ſich, daß Metternich geäußert haben ſollte: „das Hambacher Feſt, wenn es gut benutzt wird, kann das Feſt der Guten werden, die Schlechten haben ſich mindeſtens zu ſehr übereilt.“ Wie zuverſichtlich hatte man gehofft, der neue Tag, den der ſchmetternde Weckruf des galliſchen Hahnes angekündigt, werde auch den Deutſchen die Preßfreiheit und die Parlamentsherrſchaft bringen, und nun legte der Bundestag die vorhandenen beſcheidenen Rechte der Landtage im ſtrengſten monarchiſchen Sinne aus. Immer nur der Stein ſtatt des Brotes: ſtatt der Preßfreiheit eine gehäſſige Verfolgung, die neben den revolutionären Schriften doch auch gebildete und wohlmeinende Blätter, wie Rotteck’s Annalen, mit ihren Peitſchenſchlägen traf. Wie ſchwärmeriſch hatte man ſich nach der Herrlichkeit eines großen Vater- landes geſehnt, und nun ward der Nation ſogar ihre in ehrlicher Be- geiſterung entfaltete neue Tricolore verboten. Im Wächter am Rhein klagte Stromeyer: „So verſchwinde denn für einen Augenblick vor dem Antlitz deiner Feinde, o du heilige Dreifarbe, du himmliſches Bild der Reinheit und des muthigen Ernſtes! Ziehe dich zurück auf unſere nackte Bruſt. Dort hüpft dir grüßend jeder Schlag unſeres Herzens entgegen und empfängt von dir die elektriſche Einſtrömung des heiligen Feuers.“ So ſchwülſtig auch die Worte klangen, die Klage ſelbſt war vollberechtigt: welch ein verſchrobener, unwahrer Zuſtand, wenn die höchſte deutſche Be- hörde, in der ſich die Einheit der Nation verkörpern ſollte, das Symbol der Einheit wie ein verbrecheriſches Abzeichen verfolgte!
Auch der Inhalt der Sechs Artikel ſelbſt bot dem Liberalismus guten Grund zum Mißtrauen; denn auch ſie litten, wie alle Bundesbeſchlüſſe, an jener gefährlichen Vieldeutigkeit, welche die geſetzgeberiſchen Arbeiten juri- ſtiſcher Dilettanten gemeinhin auszeichnet. Dieſe Eigenthümlichkeit der Bun- desgeſetzgebung war in Frankfurt ſelbſt ſo bekannt, daß Blittersdorff einmal mit ſeiner gewohnten cyniſchen Dreiſtigkeit bei ſeinem Miniſter anfragte: Es giebt eine zweifache Auslegung der Bundesgeſetze, eine conſtitutionell- liberale und eine monarchiſche; welche von beiden ſoll ich jetzt anwenden?*)
*) Blittersdorff’s Bericht, 7. Jan. 1832.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 18
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Bedeutung der Sechs Artikel.
den Landſtänden das Recht der unbeſchränkten Steuerverweigerung. Die
Zeitungsverbote ſtanden in Einklang mit dem Bundespreßgeſetze, und
wenn der Bund „zur Erhaltung der inneren Sicherheit“ auch die Vereine
und Verſammlungen überwachte, ſo durfte er ſich auf die freie Zuſtimmung
der ſämmtlichen deutſchen Souveräne berufen.
Doch unmöglich konnte die tief enttäuſchte liberale Partei ſich bei der
formalen Geſetzlichkeit der Bundesbeſchlüſſe beruhigen. Die Sechs Ar-
tikel erſchienen vier Wochen nach dem Hambacher Feſte; ſie wurden da-
her, obgleich ſie ſchon ſeit Monaten vorbereitet waren, allgemein als die
Antwort des Bundestags auf die Hambacher Drohreden, als ein Werk
ſchimpflicher Angſt betrachtet, und alle Welt erzählte ſich, daß Metternich
geäußert haben ſollte: „das Hambacher Feſt, wenn es gut benutzt wird,
kann das Feſt der Guten werden, die Schlechten haben ſich mindeſtens
zu ſehr übereilt.“ Wie zuverſichtlich hatte man gehofft, der neue Tag,
den der ſchmetternde Weckruf des galliſchen Hahnes angekündigt, werde
auch den Deutſchen die Preßfreiheit und die Parlamentsherrſchaft bringen,
und nun legte der Bundestag die vorhandenen beſcheidenen Rechte der
Landtage im ſtrengſten monarchiſchen Sinne aus. Immer nur der Stein
ſtatt des Brotes: ſtatt der Preßfreiheit eine gehäſſige Verfolgung, die
neben den revolutionären Schriften doch auch gebildete und wohlmeinende
Blätter, wie Rotteck’s Annalen, mit ihren Peitſchenſchlägen traf. Wie
ſchwärmeriſch hatte man ſich nach der Herrlichkeit eines großen Vater-
landes geſehnt, und nun ward der Nation ſogar ihre in ehrlicher Be-
geiſterung entfaltete neue Tricolore verboten. Im Wächter am Rhein
klagte Stromeyer: „So verſchwinde denn für einen Augenblick vor dem
Antlitz deiner Feinde, o du heilige Dreifarbe, du himmliſches Bild der
Reinheit und des muthigen Ernſtes! Ziehe dich zurück auf unſere nackte
Bruſt. Dort hüpft dir grüßend jeder Schlag unſeres Herzens entgegen
und empfängt von dir die elektriſche Einſtrömung des heiligen Feuers.“
So ſchwülſtig auch die Worte klangen, die Klage ſelbſt war vollberechtigt:
welch ein verſchrobener, unwahrer Zuſtand, wenn die höchſte deutſche Be-
hörde, in der ſich die Einheit der Nation verkörpern ſollte, das Symbol
der Einheit wie ein verbrecheriſches Abzeichen verfolgte!
Auch der Inhalt der Sechs Artikel ſelbſt bot dem Liberalismus guten
Grund zum Mißtrauen; denn auch ſie litten, wie alle Bundesbeſchlüſſe, an
jener gefährlichen Vieldeutigkeit, welche die geſetzgeberiſchen Arbeiten juri-
ſtiſcher Dilettanten gemeinhin auszeichnet. Dieſe Eigenthümlichkeit der Bun-
desgeſetzgebung war in Frankfurt ſelbſt ſo bekannt, daß Blittersdorff einmal
mit ſeiner gewohnten cyniſchen Dreiſtigkeit bei ſeinem Miniſter anfragte:
Es giebt eine zweifache Auslegung der Bundesgeſetze, eine conſtitutionell-
liberale und eine monarchiſche; welche von beiden ſoll ich jetzt anwenden? *)
*) Blittersdorff’s Bericht, 7. Jan. 1832.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 18
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/287>, abgerufen am 24.11.2024.
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