acht, fast alle liberal, und vergeblich berief der König den Schweizer Ernst Münch, um in der Stuttgarter Hofzeitung die Opposition zu be- kriegen; das Talent des oberflächlichen Vielschreibers, der vormals zu Rotteck's Füßen gesessen hatte, zeigte sich solchen Gegnern nicht gewachsen. Die schwäbischen Liberalen waren in ihrer Mehrheit gut deutsch gesinnt, für die Pariser Heilslehren minder empfänglich als die Badener, aber nach Landesbrauch sehr eigensinnig, und sobald sie bei den Wahlen zu Anfang 1832 den Sieg davongetragen hatten, forderten sie den sofortigen Zusammentritt des Landtags als ihr unbestreitbares Recht. Der König aber mitsammt seinem vertrauten Duzbruder, dem gewandten Bureau- kraten Maucler hielt ebenso hartköpfig an dem Wortlaut der Verfassung fest und ließ nach der Wahl alle Versammlungen, die sich noch mit Land- tagssachen befassen wollten, streng verbieten.
Mittlerweile tauchte auch Wangenheim wieder auf, da ihm in seinem Coburger Exile ein württembergischer Wahlkreis ein Mandat angeboten hatte. Er war noch ganz der Alte, halb Romantiker, halb constitutio- neller Doctrinär, lauschte im Garten des Geisterhauses zu Weinsberg andächtig den Aeolsharfen seines Freundes Justinus Kerner, in Tübingen den Seherworten des Naturphilosophen Eschenmaier und erbat sich vom Könige, als geborener Ausländer, die Bestätigung oder Erneuerung seines Staatsbürgerrechts. König Wilhelm überwand seinen stillen Groll gegen den entlassenen Minister, er gewährte die Bitte, erstaunte aber sehr, als Wangenheim sich nun sogleich an die Liberalen anschloß und mit ge- wohntem Selbstgefühl erklärte, daß er zwar als ein Mann der rechten Mitte für die Sache der Monarchie, für die Souveränität aller deutschen Fürsten eintreten, aber auch die Segnungen der Juli-Revolution, die er mit glühen- der Begeisterung feierte, den Schwaben übermitteln wolle.*) Im April 1832 ging den erwählten Liberalen die Geduld aus, da sie noch immer nicht einberufen wurden; sie versammelten sich im Bade Boll -- auch Wangen- heim war darunter -- und erklärten feierlich ihr Bedauern über das "Stocken des verfassungsmäßigen Lebens". Im Namen der Boller Ver- sammlung sendete sodann der heißblütige junge Anwalt Schott eine sehr kräftige Bittschrift an den König: "Bis jetzt ist es in den Annalen des constitutionellen Staatslebens noch nicht erhört, daß die Bitten des Volks um Einberufung der Stände keine Beachtung zu erwarten haben".**) König Wilhelm blieb fest und behauptete das Feld noch ein volles Jahr hindurch; das positive Recht erwies sich stärker als das constitutionelle Vernunftrecht. Das Volk aber klagte: so werde den Schwaben gewaltsam der Mund verschlossen. --
*) Wangenheim an Hartmann, 28. Februar, 12. August 1830, 23. 26. October 1831; an König Wilhelm 13. October, 17. November 1831.
**) Schott, Eingabe an den König, 10. Mai 1832.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
acht, faſt alle liberal, und vergeblich berief der König den Schweizer Ernſt Münch, um in der Stuttgarter Hofzeitung die Oppoſition zu be- kriegen; das Talent des oberflächlichen Vielſchreibers, der vormals zu Rotteck’s Füßen geſeſſen hatte, zeigte ſich ſolchen Gegnern nicht gewachſen. Die ſchwäbiſchen Liberalen waren in ihrer Mehrheit gut deutſch geſinnt, für die Pariſer Heilslehren minder empfänglich als die Badener, aber nach Landesbrauch ſehr eigenſinnig, und ſobald ſie bei den Wahlen zu Anfang 1832 den Sieg davongetragen hatten, forderten ſie den ſofortigen Zuſammentritt des Landtags als ihr unbeſtreitbares Recht. Der König aber mitſammt ſeinem vertrauten Duzbruder, dem gewandten Bureau- kraten Maucler hielt ebenſo hartköpfig an dem Wortlaut der Verfaſſung feſt und ließ nach der Wahl alle Verſammlungen, die ſich noch mit Land- tagsſachen befaſſen wollten, ſtreng verbieten.
Mittlerweile tauchte auch Wangenheim wieder auf, da ihm in ſeinem Coburger Exile ein württembergiſcher Wahlkreis ein Mandat angeboten hatte. Er war noch ganz der Alte, halb Romantiker, halb conſtitutio- neller Doctrinär, lauſchte im Garten des Geiſterhauſes zu Weinsberg andächtig den Aeolsharfen ſeines Freundes Juſtinus Kerner, in Tübingen den Seherworten des Naturphiloſophen Eſchenmaier und erbat ſich vom Könige, als geborener Ausländer, die Beſtätigung oder Erneuerung ſeines Staatsbürgerrechts. König Wilhelm überwand ſeinen ſtillen Groll gegen den entlaſſenen Miniſter, er gewährte die Bitte, erſtaunte aber ſehr, als Wangenheim ſich nun ſogleich an die Liberalen anſchloß und mit ge- wohntem Selbſtgefühl erklärte, daß er zwar als ein Mann der rechten Mitte für die Sache der Monarchie, für die Souveränität aller deutſchen Fürſten eintreten, aber auch die Segnungen der Juli-Revolution, die er mit glühen- der Begeiſterung feierte, den Schwaben übermitteln wolle.*) Im April 1832 ging den erwählten Liberalen die Geduld aus, da ſie noch immer nicht einberufen wurden; ſie verſammelten ſich im Bade Boll — auch Wangen- heim war darunter — und erklärten feierlich ihr Bedauern über das „Stocken des verfaſſungsmäßigen Lebens“. Im Namen der Boller Ver- ſammlung ſendete ſodann der heißblütige junge Anwalt Schott eine ſehr kräftige Bittſchrift an den König: „Bis jetzt iſt es in den Annalen des conſtitutionellen Staatslebens noch nicht erhört, daß die Bitten des Volks um Einberufung der Stände keine Beachtung zu erwarten haben“.**) König Wilhelm blieb feſt und behauptete das Feld noch ein volles Jahr hindurch; das poſitive Recht erwies ſich ſtärker als das conſtitutionelle Vernunftrecht. Das Volk aber klagte: ſo werde den Schwaben gewaltſam der Mund verſchloſſen. —
*) Wangenheim an Hartmann, 28. Februar, 12. Auguſt 1830, 23. 26. October 1831; an König Wilhelm 13. October, 17. November 1831.
**) Schott, Eingabe an den König, 10. Mai 1832.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0254"n="240"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.</fw><lb/>
acht, faſt alle liberal, und vergeblich berief der König den Schweizer<lb/>
Ernſt Münch, um in der Stuttgarter Hofzeitung die Oppoſition zu be-<lb/>
kriegen; das Talent des oberflächlichen Vielſchreibers, der vormals zu<lb/>
Rotteck’s Füßen geſeſſen hatte, zeigte ſich ſolchen Gegnern nicht gewachſen.<lb/>
Die ſchwäbiſchen Liberalen waren in ihrer Mehrheit gut deutſch geſinnt,<lb/>
für die Pariſer Heilslehren minder empfänglich als die Badener, aber<lb/>
nach Landesbrauch ſehr eigenſinnig, und ſobald ſie bei den Wahlen zu<lb/>
Anfang 1832 den Sieg davongetragen hatten, forderten ſie den ſofortigen<lb/>
Zuſammentritt des Landtags als ihr unbeſtreitbares Recht. Der König<lb/>
aber mitſammt ſeinem vertrauten Duzbruder, dem gewandten Bureau-<lb/>
kraten Maucler hielt ebenſo hartköpfig an dem Wortlaut der Verfaſſung<lb/>
feſt und ließ nach der Wahl alle Verſammlungen, die ſich noch mit Land-<lb/>
tagsſachen befaſſen wollten, ſtreng verbieten.</p><lb/><p>Mittlerweile tauchte auch Wangenheim wieder auf, da ihm in ſeinem<lb/>
Coburger Exile ein württembergiſcher Wahlkreis ein Mandat angeboten<lb/>
hatte. Er war noch ganz der Alte, halb Romantiker, halb conſtitutio-<lb/>
neller Doctrinär, lauſchte im Garten des Geiſterhauſes zu Weinsberg<lb/>
andächtig den Aeolsharfen ſeines Freundes Juſtinus Kerner, in Tübingen<lb/>
den Seherworten des Naturphiloſophen Eſchenmaier und erbat ſich vom<lb/>
Könige, als geborener Ausländer, die Beſtätigung oder Erneuerung ſeines<lb/>
Staatsbürgerrechts. König Wilhelm überwand ſeinen ſtillen Groll gegen<lb/>
den entlaſſenen Miniſter, er gewährte die Bitte, erſtaunte aber ſehr, als<lb/>
Wangenheim ſich nun ſogleich an die Liberalen anſchloß und mit ge-<lb/>
wohntem Selbſtgefühl erklärte, daß er zwar als ein Mann der rechten Mitte<lb/>
für die Sache der Monarchie, für die Souveränität aller deutſchen Fürſten<lb/>
eintreten, aber auch die Segnungen der Juli-Revolution, die er mit glühen-<lb/>
der Begeiſterung feierte, den Schwaben übermitteln wolle.<noteplace="foot"n="*)">Wangenheim an Hartmann, 28. Februar, 12. Auguſt 1830, 23. 26. October<lb/>
1831; an König Wilhelm 13. October, 17. November 1831.</note> Im April<lb/>
1832 ging den erwählten Liberalen die Geduld aus, da ſie noch immer nicht<lb/>
einberufen wurden; ſie verſammelten ſich im Bade Boll — auch Wangen-<lb/>
heim war darunter — und erklärten feierlich ihr Bedauern über das<lb/>„Stocken des verfaſſungsmäßigen Lebens“. Im Namen der Boller Ver-<lb/>ſammlung ſendete ſodann der heißblütige junge Anwalt Schott eine ſehr<lb/>
kräftige Bittſchrift an den König: „Bis jetzt iſt es in den Annalen des<lb/>
conſtitutionellen Staatslebens noch nicht erhört, daß die Bitten des Volks<lb/>
um Einberufung der Stände keine Beachtung zu erwarten haben“.<noteplace="foot"n="**)">Schott, Eingabe an den König, 10. Mai 1832.</note><lb/>
König Wilhelm blieb feſt und behauptete das Feld noch ein volles Jahr<lb/>
hindurch; das poſitive Recht erwies ſich ſtärker als das conſtitutionelle<lb/>
Vernunftrecht. Das Volk aber klagte: ſo werde den Schwaben gewaltſam<lb/>
der Mund verſchloſſen. —</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[240/0254]
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
acht, faſt alle liberal, und vergeblich berief der König den Schweizer
Ernſt Münch, um in der Stuttgarter Hofzeitung die Oppoſition zu be-
kriegen; das Talent des oberflächlichen Vielſchreibers, der vormals zu
Rotteck’s Füßen geſeſſen hatte, zeigte ſich ſolchen Gegnern nicht gewachſen.
Die ſchwäbiſchen Liberalen waren in ihrer Mehrheit gut deutſch geſinnt,
für die Pariſer Heilslehren minder empfänglich als die Badener, aber
nach Landesbrauch ſehr eigenſinnig, und ſobald ſie bei den Wahlen zu
Anfang 1832 den Sieg davongetragen hatten, forderten ſie den ſofortigen
Zuſammentritt des Landtags als ihr unbeſtreitbares Recht. Der König
aber mitſammt ſeinem vertrauten Duzbruder, dem gewandten Bureau-
kraten Maucler hielt ebenſo hartköpfig an dem Wortlaut der Verfaſſung
feſt und ließ nach der Wahl alle Verſammlungen, die ſich noch mit Land-
tagsſachen befaſſen wollten, ſtreng verbieten.
Mittlerweile tauchte auch Wangenheim wieder auf, da ihm in ſeinem
Coburger Exile ein württembergiſcher Wahlkreis ein Mandat angeboten
hatte. Er war noch ganz der Alte, halb Romantiker, halb conſtitutio-
neller Doctrinär, lauſchte im Garten des Geiſterhauſes zu Weinsberg
andächtig den Aeolsharfen ſeines Freundes Juſtinus Kerner, in Tübingen
den Seherworten des Naturphiloſophen Eſchenmaier und erbat ſich vom
Könige, als geborener Ausländer, die Beſtätigung oder Erneuerung ſeines
Staatsbürgerrechts. König Wilhelm überwand ſeinen ſtillen Groll gegen
den entlaſſenen Miniſter, er gewährte die Bitte, erſtaunte aber ſehr, als
Wangenheim ſich nun ſogleich an die Liberalen anſchloß und mit ge-
wohntem Selbſtgefühl erklärte, daß er zwar als ein Mann der rechten Mitte
für die Sache der Monarchie, für die Souveränität aller deutſchen Fürſten
eintreten, aber auch die Segnungen der Juli-Revolution, die er mit glühen-
der Begeiſterung feierte, den Schwaben übermitteln wolle. *) Im April
1832 ging den erwählten Liberalen die Geduld aus, da ſie noch immer nicht
einberufen wurden; ſie verſammelten ſich im Bade Boll — auch Wangen-
heim war darunter — und erklärten feierlich ihr Bedauern über das
„Stocken des verfaſſungsmäßigen Lebens“. Im Namen der Boller Ver-
ſammlung ſendete ſodann der heißblütige junge Anwalt Schott eine ſehr
kräftige Bittſchrift an den König: „Bis jetzt iſt es in den Annalen des
conſtitutionellen Staatslebens noch nicht erhört, daß die Bitten des Volks
um Einberufung der Stände keine Beachtung zu erwarten haben“. **)
König Wilhelm blieb feſt und behauptete das Feld noch ein volles Jahr
hindurch; das poſitive Recht erwies ſich ſtärker als das conſtitutionelle
Vernunftrecht. Das Volk aber klagte: ſo werde den Schwaben gewaltſam
der Mund verſchloſſen. —
*) Wangenheim an Hartmann, 28. Februar, 12. Auguſt 1830, 23. 26. October
1831; an König Wilhelm 13. October, 17. November 1831.
**) Schott, Eingabe an den König, 10. Mai 1832.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/254>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.