Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
Duttlinger, der so lange fast allein im Landtage der reaktionären Mehr-
heit Stand gehalten hatte; aus Heidelberg der Buchhändler "Vater Win-
ter", der alte Kämpe der Preßfreiheit; aus dem Oosthale der Geistliche
Rath Herr, ein volksbeliebter, warmherziger Priester, dem fürstlichen
Hause so treu ergeben, daß er sich bei Hofe jede freimüthige Derbheit
erlauben durfte.

Zum Beginn des Kampfes schwenkte Itzstein sein Weihrauchfaß vor
den Franzosen: "Im Westen Europas erhob sich ein Volk, an Bildung
und Nationalsinn allen vorgehend, und gab sich einen Bürgerkönig."
Nach diesem glorreichen Vorbilde sollte auch das badische Volk seine Frei-
heit zurückfordern und die vor sechs Jahren abgeänderten Artikel seiner
Verfassung wiederherstellen.*) Schaden hatte jene Verfassungsänderung
allerdings nicht angerichtet; nach ihren jüngsten Wahlerfolgen durften
die Liberalen am wenigsten bestreiten, daß der Volkswille jetzt, da die
Kammer aller sechs Jahre vollständig erneuert wurde, sich weit kräftiger
äußern konnte als früherhin, da immer nur ein Viertel der Abgeordneten
ausgeschieden war. Aber das badische Grundgesetz galt nun einmal für
ein Heiligthum; daß die finsteren Zeiten der Reaction je daran gerührt
hatten, durfte nicht ungerochen bleiben, und so ward denn einstimmig be-
schlossen, jene unzweckmäßigen Vorschriften der Verfassung wörtlich wieder
einzuführen. Die Flügelthüren des Saales waren geöffnet, weil die Tri-
bünen die Masse der Zuhörer nicht fassen konnten; nach der Abstimmung
erdröhnte das Haus von Jubelrufen. Auch Winter stimmte zu; er fühlte,
das Rechtsbewußtsein des ganzen Landes fordere diese Sühne. Dann
legte er ein wohldurchdachtes Gemeindegesetz vor, das mit dem alten
Systeme rheinbündischer Bevormundung entschlossen brach. Die Kammer
ging darauf ein; sie veränderte jedoch die Vorschriften über das Wahl-
recht in so radicalem Sinne, daß der politische Parteikampf sofort in die
Gemeindewahlen eindrang und die neue Selbstverwaltung während der
nächsten Jahre sich noch nicht ruhig entwickeln konnte.

Noch heftiger flammten die Leidenschaften auf, als Welcker die so-
fortige Verkündigung eines Preßgesetzes verlangte. Er hatte schon im
vorigen Herbst, in einer gedruckten Petition an den Bundestag, "die voll-
kommene und ganze Preßfreiheit" für Deutschland gefordert; in Frankfurt
abgewiesen, versuchte er nun seine Absicht für Baden allein durchzusetzen.
Also verfiel der Karlsruher Landtag nochmals seinem alten dunklen Ver-
hängniß: er begann wieder, wie so oft schon, einen aussichtslosen Kampf
gegen den Deutschen Bund und trat auch diesmal das geschriebene Recht
mit Füßen. Nichts war begreiflicher als die allgemeine Sehnsucht nach
Preßfreiheit, zumal hier an der Grenze, wo man die Blätter des Auslandes
täglich vor Augen sah. Doch leider durfte der badische Staat über seine

*) Vgl. III. 353.

IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
Duttlinger, der ſo lange faſt allein im Landtage der reaktionären Mehr-
heit Stand gehalten hatte; aus Heidelberg der Buchhändler „Vater Win-
ter“, der alte Kämpe der Preßfreiheit; aus dem Oosthale der Geiſtliche
Rath Herr, ein volksbeliebter, warmherziger Prieſter, dem fürſtlichen
Hauſe ſo treu ergeben, daß er ſich bei Hofe jede freimüthige Derbheit
erlauben durfte.

Zum Beginn des Kampfes ſchwenkte Itzſtein ſein Weihrauchfaß vor
den Franzoſen: „Im Weſten Europas erhob ſich ein Volk, an Bildung
und Nationalſinn allen vorgehend, und gab ſich einen Bürgerkönig.“
Nach dieſem glorreichen Vorbilde ſollte auch das badiſche Volk ſeine Frei-
heit zurückfordern und die vor ſechs Jahren abgeänderten Artikel ſeiner
Verfaſſung wiederherſtellen.*) Schaden hatte jene Verfaſſungsänderung
allerdings nicht angerichtet; nach ihren jüngſten Wahlerfolgen durften
die Liberalen am wenigſten beſtreiten, daß der Volkswille jetzt, da die
Kammer aller ſechs Jahre vollſtändig erneuert wurde, ſich weit kräftiger
äußern konnte als früherhin, da immer nur ein Viertel der Abgeordneten
ausgeſchieden war. Aber das badiſche Grundgeſetz galt nun einmal für
ein Heiligthum; daß die finſteren Zeiten der Reaction je daran gerührt
hatten, durfte nicht ungerochen bleiben, und ſo ward denn einſtimmig be-
ſchloſſen, jene unzweckmäßigen Vorſchriften der Verfaſſung wörtlich wieder
einzuführen. Die Flügelthüren des Saales waren geöffnet, weil die Tri-
bünen die Maſſe der Zuhörer nicht faſſen konnten; nach der Abſtimmung
erdröhnte das Haus von Jubelrufen. Auch Winter ſtimmte zu; er fühlte,
das Rechtsbewußtſein des ganzen Landes fordere dieſe Sühne. Dann
legte er ein wohldurchdachtes Gemeindegeſetz vor, das mit dem alten
Syſteme rheinbündiſcher Bevormundung entſchloſſen brach. Die Kammer
ging darauf ein; ſie veränderte jedoch die Vorſchriften über das Wahl-
recht in ſo radicalem Sinne, daß der politiſche Parteikampf ſofort in die
Gemeindewahlen eindrang und die neue Selbſtverwaltung während der
nächſten Jahre ſich noch nicht ruhig entwickeln konnte.

Noch heftiger flammten die Leidenſchaften auf, als Welcker die ſo-
fortige Verkündigung eines Preßgeſetzes verlangte. Er hatte ſchon im
vorigen Herbſt, in einer gedruckten Petition an den Bundestag, „die voll-
kommene und ganze Preßfreiheit“ für Deutſchland gefordert; in Frankfurt
abgewieſen, verſuchte er nun ſeine Abſicht für Baden allein durchzuſetzen.
Alſo verfiel der Karlsruher Landtag nochmals ſeinem alten dunklen Ver-
hängniß: er begann wieder, wie ſo oft ſchon, einen ausſichtsloſen Kampf
gegen den Deutſchen Bund und trat auch diesmal das geſchriebene Recht
mit Füßen. Nichts war begreiflicher als die allgemeine Sehnſucht nach
Preßfreiheit, zumal hier an der Grenze, wo man die Blätter des Auslandes
täglich vor Augen ſah. Doch leider durfte der badiſche Staat über ſeine

*) Vgl. III. 353.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0244" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 4. Landtage und Fe&#x017F;te in Oberdeut&#x017F;chland.</fw><lb/>
Duttlinger, der &#x017F;o lange fa&#x017F;t allein im Landtage der reaktionären Mehr-<lb/>
heit Stand gehalten hatte; aus Heidelberg der Buchhändler &#x201E;Vater Win-<lb/>
ter&#x201C;, der alte Kämpe der Preßfreiheit; aus dem Oosthale der Gei&#x017F;tliche<lb/>
Rath Herr, ein volksbeliebter, warmherziger Prie&#x017F;ter, dem für&#x017F;tlichen<lb/>
Hau&#x017F;e &#x017F;o treu ergeben, daß er &#x017F;ich bei Hofe jede freimüthige Derbheit<lb/>
erlauben durfte.</p><lb/>
          <p>Zum Beginn des Kampfes &#x017F;chwenkte Itz&#x017F;tein &#x017F;ein Weihrauchfaß vor<lb/>
den Franzo&#x017F;en: &#x201E;Im We&#x017F;ten Europas erhob &#x017F;ich ein Volk, an Bildung<lb/>
und National&#x017F;inn allen vorgehend, und gab &#x017F;ich einen Bürgerkönig.&#x201C;<lb/>
Nach die&#x017F;em glorreichen Vorbilde &#x017F;ollte auch das badi&#x017F;che Volk &#x017F;eine Frei-<lb/>
heit zurückfordern und die vor &#x017F;echs Jahren abgeänderten Artikel &#x017F;einer<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung wiederher&#x017F;tellen.<note place="foot" n="*)">Vgl. <hi rendition="#aq">III.</hi> 353.</note> Schaden hatte jene Verfa&#x017F;&#x017F;ungsänderung<lb/>
allerdings nicht angerichtet; nach ihren jüng&#x017F;ten Wahlerfolgen durften<lb/>
die Liberalen am wenig&#x017F;ten be&#x017F;treiten, daß der Volkswille jetzt, da die<lb/>
Kammer aller &#x017F;echs Jahre voll&#x017F;tändig erneuert wurde, &#x017F;ich weit kräftiger<lb/>
äußern konnte als früherhin, da immer nur ein Viertel der Abgeordneten<lb/>
ausge&#x017F;chieden war. Aber das badi&#x017F;che Grundge&#x017F;etz galt nun einmal für<lb/>
ein Heiligthum; daß die fin&#x017F;teren Zeiten der Reaction je daran gerührt<lb/>
hatten, durfte nicht ungerochen bleiben, und &#x017F;o ward denn ein&#x017F;timmig be-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, jene unzweckmäßigen Vor&#x017F;chriften der Verfa&#x017F;&#x017F;ung wörtlich wieder<lb/>
einzuführen. Die Flügelthüren des Saales waren geöffnet, weil die Tri-<lb/>
bünen die Ma&#x017F;&#x017F;e der Zuhörer nicht fa&#x017F;&#x017F;en konnten; nach der Ab&#x017F;timmung<lb/>
erdröhnte das Haus von Jubelrufen. Auch Winter &#x017F;timmte zu; er fühlte,<lb/>
das Rechtsbewußt&#x017F;ein des ganzen Landes fordere die&#x017F;e Sühne. Dann<lb/>
legte er ein wohldurchdachtes Gemeindege&#x017F;etz vor, das mit dem alten<lb/>
Sy&#x017F;teme rheinbündi&#x017F;cher Bevormundung ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en brach. Die Kammer<lb/>
ging darauf ein; &#x017F;ie veränderte jedoch die Vor&#x017F;chriften über das Wahl-<lb/>
recht in &#x017F;o radicalem Sinne, daß der politi&#x017F;che Parteikampf &#x017F;ofort in die<lb/>
Gemeindewahlen eindrang und die neue Selb&#x017F;tverwaltung während der<lb/>
näch&#x017F;ten Jahre &#x017F;ich noch nicht ruhig entwickeln konnte.</p><lb/>
          <p>Noch heftiger flammten die Leiden&#x017F;chaften auf, als Welcker die &#x017F;o-<lb/>
fortige Verkündigung eines Preßge&#x017F;etzes verlangte. Er hatte &#x017F;chon im<lb/>
vorigen Herb&#x017F;t, in einer gedruckten Petition an den Bundestag, &#x201E;die voll-<lb/>
kommene und ganze Preßfreiheit&#x201C; für Deut&#x017F;chland gefordert; in Frankfurt<lb/>
abgewie&#x017F;en, ver&#x017F;uchte er nun &#x017F;eine Ab&#x017F;icht für Baden allein durchzu&#x017F;etzen.<lb/>
Al&#x017F;o verfiel der Karlsruher Landtag nochmals &#x017F;einem alten dunklen Ver-<lb/>
hängniß: er begann wieder, wie &#x017F;o oft &#x017F;chon, einen aus&#x017F;ichtslo&#x017F;en Kampf<lb/>
gegen den Deut&#x017F;chen Bund und trat auch diesmal das ge&#x017F;chriebene Recht<lb/>
mit Füßen. Nichts war begreiflicher als die allgemeine Sehn&#x017F;ucht nach<lb/>
Preßfreiheit, zumal hier an der Grenze, wo man die Blätter des Auslandes<lb/>
täglich vor Augen &#x017F;ah. Doch leider durfte der badi&#x017F;che Staat über &#x017F;eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0244] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. Duttlinger, der ſo lange faſt allein im Landtage der reaktionären Mehr- heit Stand gehalten hatte; aus Heidelberg der Buchhändler „Vater Win- ter“, der alte Kämpe der Preßfreiheit; aus dem Oosthale der Geiſtliche Rath Herr, ein volksbeliebter, warmherziger Prieſter, dem fürſtlichen Hauſe ſo treu ergeben, daß er ſich bei Hofe jede freimüthige Derbheit erlauben durfte. Zum Beginn des Kampfes ſchwenkte Itzſtein ſein Weihrauchfaß vor den Franzoſen: „Im Weſten Europas erhob ſich ein Volk, an Bildung und Nationalſinn allen vorgehend, und gab ſich einen Bürgerkönig.“ Nach dieſem glorreichen Vorbilde ſollte auch das badiſche Volk ſeine Frei- heit zurückfordern und die vor ſechs Jahren abgeänderten Artikel ſeiner Verfaſſung wiederherſtellen. *) Schaden hatte jene Verfaſſungsänderung allerdings nicht angerichtet; nach ihren jüngſten Wahlerfolgen durften die Liberalen am wenigſten beſtreiten, daß der Volkswille jetzt, da die Kammer aller ſechs Jahre vollſtändig erneuert wurde, ſich weit kräftiger äußern konnte als früherhin, da immer nur ein Viertel der Abgeordneten ausgeſchieden war. Aber das badiſche Grundgeſetz galt nun einmal für ein Heiligthum; daß die finſteren Zeiten der Reaction je daran gerührt hatten, durfte nicht ungerochen bleiben, und ſo ward denn einſtimmig be- ſchloſſen, jene unzweckmäßigen Vorſchriften der Verfaſſung wörtlich wieder einzuführen. Die Flügelthüren des Saales waren geöffnet, weil die Tri- bünen die Maſſe der Zuhörer nicht faſſen konnten; nach der Abſtimmung erdröhnte das Haus von Jubelrufen. Auch Winter ſtimmte zu; er fühlte, das Rechtsbewußtſein des ganzen Landes fordere dieſe Sühne. Dann legte er ein wohldurchdachtes Gemeindegeſetz vor, das mit dem alten Syſteme rheinbündiſcher Bevormundung entſchloſſen brach. Die Kammer ging darauf ein; ſie veränderte jedoch die Vorſchriften über das Wahl- recht in ſo radicalem Sinne, daß der politiſche Parteikampf ſofort in die Gemeindewahlen eindrang und die neue Selbſtverwaltung während der nächſten Jahre ſich noch nicht ruhig entwickeln konnte. Noch heftiger flammten die Leidenſchaften auf, als Welcker die ſo- fortige Verkündigung eines Preßgeſetzes verlangte. Er hatte ſchon im vorigen Herbſt, in einer gedruckten Petition an den Bundestag, „die voll- kommene und ganze Preßfreiheit“ für Deutſchland gefordert; in Frankfurt abgewieſen, verſuchte er nun ſeine Abſicht für Baden allein durchzuſetzen. Alſo verfiel der Karlsruher Landtag nochmals ſeinem alten dunklen Ver- hängniß: er begann wieder, wie ſo oft ſchon, einen ausſichtsloſen Kampf gegen den Deutſchen Bund und trat auch diesmal das geſchriebene Recht mit Füßen. Nichts war begreiflicher als die allgemeine Sehnſucht nach Preßfreiheit, zumal hier an der Grenze, wo man die Blätter des Auslandes täglich vor Augen ſah. Doch leider durfte der badiſche Staat über ſeine *) Vgl. III. 353.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/244
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/244>, abgerufen am 24.11.2024.