Von Stund' an änderte sich die Lage. Der König war in den ersten Jahren seiner Regierung nicht unbeliebt gewesen; jetzt sah er sich von allen Seiten her mit Schmähungen und Verwünschungen überhäuft. Der Schatten der Emigration stellte sich trennend zwischen Thron und Volk. Man entsann sich wieder, daß dieser König und die Polignacs einst, gleich nach dem Bastillesturme, zuerst das böse Beispiel der Aus- wanderung gegeben, daß sie jahrelang gegen ihr Vaterland gekämpft, daß die Sendboten des Pavillons Marsan noch lange nach der Restau- ration die fremden Mächte beständig zur Einmischung in Frankreichs innere Händel aufgestachelt hatten. Eine furchtbare Vergeltung sollte die beiden ersten Emigranten noch einmal für den alten Frevel des Landes- verraths züchtigen. Vergeblich verwahrte sich Polignac in der Kammer dawider, daß man zwei feindliche Völker in der einen Nation schaffen, das neue Frankreich von dem alten trennen wolle. Diese Trennung be- stand schon längst. Die Kluft zwischen der alten und der neuen Zeit that sich sofort wieder gähnend auf, als dieser Mann an's Ruder trat, der beschränkte, ehrliche, bigotte Ultra, der einst seine Verschwörungen gegen Bonaparte mit langer Haft gebüßt und in der Einsamkeit des Kerkers seine hart reactionäre Gesinnung bis zum religiösen Fanatismus gesteigert hatte. Die Blätter der Opposition übertrieben stark, als sie nach der Juli-Revolution höhnisch bekannten, Frankreich habe fünfzehn Jahre lang Komödie gespielt; wahr blieb doch, daß die belebende Kraft der Monarchie, die Gesinnung angestammter Treue, trotz aller Huldigungen für "die unbestrittene Familie", der ungeheueren Mehrzahl der Franzosen verloren gegangen war. Ueber den Wohlthaten der Restauration ver- gaß dies Volk doch nicht, daß sein Königshaus die entscheidenden Tage der nationalen Geschichte im Auslande, im Lager der Feinde verlebt hatte. Den Bourbonen fehlte Alles was das Wesen der wirklichen Legitimität ausmacht: sie konnten sich weder auf eine große, dem ganzen Volke heilige Vergangenheit stützen noch mit Gelassenheit in die Zukunft blicken. Zudem war jetzt, da das Land sich neu gekräftigt fühlte und die Wirren im Orient die Aussicht auf eine europäische Verwicklung zu eröffnen schienen, die übermüthige keltische Kriegslust wieder erwacht. Vernichtung der Verträge von 1815 -- so lautete der Ruf des Tages, und die Schuld dieser Verträge schrieb die von allen Parteien umschmei- chelte und verwöhnte Nation nicht sich selber und ihrer eigenen Ver- blendung zu, sondern den Bourbonen, den Schützlingen des Auslands.
Angesichts der allgemeinen Erbitterung war das Ministerium Po- lignac von Haus aus unhaltbar. In diesem Lande der Volkssouveränität konnte sich keine Regierung mehr gegen den bestimmten Willen der Nation auf die Dauer behaupten; selbst Napoleon blieb nur so lange am Ruder als er glücklich war, als seine Siege die Eitelkeit des Volks befriedigten. Der berechtigte Haß gegen das Cabinet ward aber noch verschärft durch
Letzte Zeiten der Reſtauration.
Von Stund’ an änderte ſich die Lage. Der König war in den erſten Jahren ſeiner Regierung nicht unbeliebt geweſen; jetzt ſah er ſich von allen Seiten her mit Schmähungen und Verwünſchungen überhäuft. Der Schatten der Emigration ſtellte ſich trennend zwiſchen Thron und Volk. Man entſann ſich wieder, daß dieſer König und die Polignacs einſt, gleich nach dem Baſtilleſturme, zuerſt das böſe Beiſpiel der Aus- wanderung gegeben, daß ſie jahrelang gegen ihr Vaterland gekämpft, daß die Sendboten des Pavillons Marſan noch lange nach der Reſtau- ration die fremden Mächte beſtändig zur Einmiſchung in Frankreichs innere Händel aufgeſtachelt hatten. Eine furchtbare Vergeltung ſollte die beiden erſten Emigranten noch einmal für den alten Frevel des Landes- verraths züchtigen. Vergeblich verwahrte ſich Polignac in der Kammer dawider, daß man zwei feindliche Völker in der einen Nation ſchaffen, das neue Frankreich von dem alten trennen wolle. Dieſe Trennung be- ſtand ſchon längſt. Die Kluft zwiſchen der alten und der neuen Zeit that ſich ſofort wieder gähnend auf, als dieſer Mann an’s Ruder trat, der beſchränkte, ehrliche, bigotte Ultra, der einſt ſeine Verſchwörungen gegen Bonaparte mit langer Haft gebüßt und in der Einſamkeit des Kerkers ſeine hart reactionäre Geſinnung bis zum religiöſen Fanatismus geſteigert hatte. Die Blätter der Oppoſition übertrieben ſtark, als ſie nach der Juli-Revolution höhniſch bekannten, Frankreich habe fünfzehn Jahre lang Komödie geſpielt; wahr blieb doch, daß die belebende Kraft der Monarchie, die Geſinnung angeſtammter Treue, trotz aller Huldigungen für „die unbeſtrittene Familie“, der ungeheueren Mehrzahl der Franzoſen verloren gegangen war. Ueber den Wohlthaten der Reſtauration ver- gaß dies Volk doch nicht, daß ſein Königshaus die entſcheidenden Tage der nationalen Geſchichte im Auslande, im Lager der Feinde verlebt hatte. Den Bourbonen fehlte Alles was das Weſen der wirklichen Legitimität ausmacht: ſie konnten ſich weder auf eine große, dem ganzen Volke heilige Vergangenheit ſtützen noch mit Gelaſſenheit in die Zukunft blicken. Zudem war jetzt, da das Land ſich neu gekräftigt fühlte und die Wirren im Orient die Ausſicht auf eine europäiſche Verwicklung zu eröffnen ſchienen, die übermüthige keltiſche Kriegsluſt wieder erwacht. Vernichtung der Verträge von 1815 — ſo lautete der Ruf des Tages, und die Schuld dieſer Verträge ſchrieb die von allen Parteien umſchmei- chelte und verwöhnte Nation nicht ſich ſelber und ihrer eigenen Ver- blendung zu, ſondern den Bourbonen, den Schützlingen des Auslands.
Angeſichts der allgemeinen Erbitterung war das Miniſterium Po- lignac von Haus aus unhaltbar. In dieſem Lande der Volksſouveränität konnte ſich keine Regierung mehr gegen den beſtimmten Willen der Nation auf die Dauer behaupten; ſelbſt Napoleon blieb nur ſo lange am Ruder als er glücklich war, als ſeine Siege die Eitelkeit des Volks befriedigten. Der berechtigte Haß gegen das Cabinet ward aber noch verſchärft durch
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[9/0023]
Letzte Zeiten der Reſtauration.
Von Stund’ an änderte ſich die Lage. Der König war in den
erſten Jahren ſeiner Regierung nicht unbeliebt geweſen; jetzt ſah er ſich
von allen Seiten her mit Schmähungen und Verwünſchungen überhäuft.
Der Schatten der Emigration ſtellte ſich trennend zwiſchen Thron und
Volk. Man entſann ſich wieder, daß dieſer König und die Polignacs
einſt, gleich nach dem Baſtilleſturme, zuerſt das böſe Beiſpiel der Aus-
wanderung gegeben, daß ſie jahrelang gegen ihr Vaterland gekämpft,
daß die Sendboten des Pavillons Marſan noch lange nach der Reſtau-
ration die fremden Mächte beſtändig zur Einmiſchung in Frankreichs
innere Händel aufgeſtachelt hatten. Eine furchtbare Vergeltung ſollte die
beiden erſten Emigranten noch einmal für den alten Frevel des Landes-
verraths züchtigen. Vergeblich verwahrte ſich Polignac in der Kammer
dawider, daß man zwei feindliche Völker in der einen Nation ſchaffen,
das neue Frankreich von dem alten trennen wolle. Dieſe Trennung be-
ſtand ſchon längſt. Die Kluft zwiſchen der alten und der neuen Zeit
that ſich ſofort wieder gähnend auf, als dieſer Mann an’s Ruder trat,
der beſchränkte, ehrliche, bigotte Ultra, der einſt ſeine Verſchwörungen
gegen Bonaparte mit langer Haft gebüßt und in der Einſamkeit des
Kerkers ſeine hart reactionäre Geſinnung bis zum religiöſen Fanatismus
geſteigert hatte. Die Blätter der Oppoſition übertrieben ſtark, als ſie
nach der Juli-Revolution höhniſch bekannten, Frankreich habe fünfzehn
Jahre lang Komödie geſpielt; wahr blieb doch, daß die belebende Kraft
der Monarchie, die Geſinnung angeſtammter Treue, trotz aller Huldigungen
für „die unbeſtrittene Familie“, der ungeheueren Mehrzahl der Franzoſen
verloren gegangen war. Ueber den Wohlthaten der Reſtauration ver-
gaß dies Volk doch nicht, daß ſein Königshaus die entſcheidenden Tage
der nationalen Geſchichte im Auslande, im Lager der Feinde verlebt
hatte. Den Bourbonen fehlte Alles was das Weſen der wirklichen
Legitimität ausmacht: ſie konnten ſich weder auf eine große, dem ganzen
Volke heilige Vergangenheit ſtützen noch mit Gelaſſenheit in die Zukunft
blicken. Zudem war jetzt, da das Land ſich neu gekräftigt fühlte und
die Wirren im Orient die Ausſicht auf eine europäiſche Verwicklung zu
eröffnen ſchienen, die übermüthige keltiſche Kriegsluſt wieder erwacht.
Vernichtung der Verträge von 1815 — ſo lautete der Ruf des Tages,
und die Schuld dieſer Verträge ſchrieb die von allen Parteien umſchmei-
chelte und verwöhnte Nation nicht ſich ſelber und ihrer eigenen Ver-
blendung zu, ſondern den Bourbonen, den Schützlingen des Auslands.
Angeſichts der allgemeinen Erbitterung war das Miniſterium Po-
lignac von Haus aus unhaltbar. In dieſem Lande der Volksſouveränität
konnte ſich keine Regierung mehr gegen den beſtimmten Willen der Nation
auf die Dauer behaupten; ſelbſt Napoleon blieb nur ſo lange am Ruder
als er glücklich war, als ſeine Siege die Eitelkeit des Volks befriedigten.
Der berechtigte Haß gegen das Cabinet ward aber noch verſchärft durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/23>, abgerufen am 24.11.2024.
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