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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 3. Preußens Mittelstellung.
zu einer vertraulichen Besprechung und stellte ihnen vor, daß diese Tage
der Gährung außerordentliche Vorsichtsmaßregeln erheischten; denn "der
Bund beruht seinem eigentlichsten Wesen nach auf dem Princip der wechsel-
seitigen Intervention in allen den Fällen wo sonst das Völkerrecht ent-
scheidet".*) Man beabsichtigte zunächst mehrere tausend Mann Bundes-
truppen in der Nachbarschaft Frankfurts aufzustellen, nöthigenfalls auch
einige fliegende Corps durch das unruhige Mitteldeutschland zu senden.
Da erhob Baiern Einsprache. König Ludwig wollte nichts dulden was
seine Souveränität irgend schmälerte: nimmermehr könne Baiern, das
an dreizehn Nachbarn angrenze, fremden Weisungen gehorchen oder gar,
wie man in Frankfurt verlangte, einige seiner Bataillone einem nassaui-
schen General unterordnen; nur als souveräne Macht, nicht als Bundes-
staat werde sein Staat den Nachbarn Hilfe leisten. Er selbst wähnte sich
völlig sicher, da sein Land bisher noch ruhig blieb und die Münchener
ihr Octoberfest mit der üblichen Bierseligkeit feierten. Seinem Bundesge-
sandten schrieb er sehr gereizt: "Wir sind bereitwillig Unsere bundesmäßige
Hilfe nach den Bestimmungen der Bundesgesetze mit teutsch-patriotischen
Gesinnungen zu leisten; aber Wir haben keinen Grund zum Schutze der
Grenzen Unseres Reiches eine fremde Hilfe zu verlangen;" und sein
Minister Zentner fügte hinzu: "Einquartierungen im Frieden sind ver-
haßt und werden es noch mehr, wenn der brave Bürger für Dritte, für
Angehörige anderer Staaten büßen soll."**)

Metternich fürchtete schon, die alte Sonderpolitik Baierns werde von
Neuem beginnen und griff in seiner Angst zu einem sehr ungewöhn-
lichen Unterhandlungsmittel. Er schickte König Ludwigs eignen Gesand-
ten, den Grafen Bray, nach München, mit einem Handschreiben des
Kaisers Franz und zwei großen Denkschriften, welche dem Wittelsbacher
die Gefahr der Lage vor die Augen führen sollten: "Für die Fürsten
und die Völker handelt es sich heute darum, zu leben und nicht die
Beute jener Klasse von Proletariern zu werden, welche Ziele verfolgen,
die sie selbst nicht angeben wollen oder können und welche immer nur
umstürzen, niemals etwas schaffen werden".***) Anfangs empfing König
Ludwig seinen Gesandten, der ihm also k. k. Politik predigen sollte, mit
erklärlichem Unwillen; er lenkte jedoch bald ein, dankte dem Kaiser in
einem verbindlichen Schreiben für seine "erhabenen Ansichten" und ver-
wahrte sich wider den Verdacht, daß er Spaltungen am Bunde hervor-
rufen wolle.+)

*) Blittersdorff's Bericht, 18. September 1830.
**) K. Ludwig, Weisungen an Lerchenfeld 4. 6. 9. October. "Erörterungen" des bair.
Ministeriums, 9. October 1830.
***) K. Franz an K. Ludwig, Preßburg 9. October 1830, nebst zwei Beilagen:
Points pour le Comte Orlow; Points pour le Comte Bray.
+) K. Ludwig an K. Franz, 24. October 1830.

IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
zu einer vertraulichen Beſprechung und ſtellte ihnen vor, daß dieſe Tage
der Gährung außerordentliche Vorſichtsmaßregeln erheiſchten; denn „der
Bund beruht ſeinem eigentlichſten Weſen nach auf dem Princip der wechſel-
ſeitigen Intervention in allen den Fällen wo ſonſt das Völkerrecht ent-
ſcheidet“.*) Man beabſichtigte zunächſt mehrere tauſend Mann Bundes-
truppen in der Nachbarſchaft Frankfurts aufzuſtellen, nöthigenfalls auch
einige fliegende Corps durch das unruhige Mitteldeutſchland zu ſenden.
Da erhob Baiern Einſprache. König Ludwig wollte nichts dulden was
ſeine Souveränität irgend ſchmälerte: nimmermehr könne Baiern, das
an dreizehn Nachbarn angrenze, fremden Weiſungen gehorchen oder gar,
wie man in Frankfurt verlangte, einige ſeiner Bataillone einem naſſaui-
ſchen General unterordnen; nur als ſouveräne Macht, nicht als Bundes-
ſtaat werde ſein Staat den Nachbarn Hilfe leiſten. Er ſelbſt wähnte ſich
völlig ſicher, da ſein Land bisher noch ruhig blieb und die Münchener
ihr Octoberfeſt mit der üblichen Bierſeligkeit feierten. Seinem Bundesge-
ſandten ſchrieb er ſehr gereizt: „Wir ſind bereitwillig Unſere bundesmäßige
Hilfe nach den Beſtimmungen der Bundesgeſetze mit teutſch-patriotiſchen
Geſinnungen zu leiſten; aber Wir haben keinen Grund zum Schutze der
Grenzen Unſeres Reiches eine fremde Hilfe zu verlangen;“ und ſein
Miniſter Zentner fügte hinzu: „Einquartierungen im Frieden ſind ver-
haßt und werden es noch mehr, wenn der brave Bürger für Dritte, für
Angehörige anderer Staaten büßen ſoll.“**)

Metternich fürchtete ſchon, die alte Sonderpolitik Baierns werde von
Neuem beginnen und griff in ſeiner Angſt zu einem ſehr ungewöhn-
lichen Unterhandlungsmittel. Er ſchickte König Ludwigs eignen Geſand-
ten, den Grafen Bray, nach München, mit einem Handſchreiben des
Kaiſers Franz und zwei großen Denkſchriften, welche dem Wittelsbacher
die Gefahr der Lage vor die Augen führen ſollten: „Für die Fürſten
und die Völker handelt es ſich heute darum, zu leben und nicht die
Beute jener Klaſſe von Proletariern zu werden, welche Ziele verfolgen,
die ſie ſelbſt nicht angeben wollen oder können und welche immer nur
umſtürzen, niemals etwas ſchaffen werden“.***) Anfangs empfing König
Ludwig ſeinen Geſandten, der ihm alſo k. k. Politik predigen ſollte, mit
erklärlichem Unwillen; er lenkte jedoch bald ein, dankte dem Kaiſer in
einem verbindlichen Schreiben für ſeine „erhabenen Anſichten“ und ver-
wahrte ſich wider den Verdacht, daß er Spaltungen am Bunde hervor-
rufen wolle.†)

*) Blittersdorff’s Bericht, 18. September 1830.
**) K. Ludwig, Weiſungen an Lerchenfeld 4. 6. 9. October. „Erörterungen“ des bair.
Miniſteriums, 9. October 1830.
***) K. Franz an K. Ludwig, Preßburg 9. October 1830, nebſt zwei Beilagen:
Points pour le Comte Orlow; Points pour le Comte Bray.
†) K. Ludwig an K. Franz, 24. October 1830.
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[212/0226] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. zu einer vertraulichen Beſprechung und ſtellte ihnen vor, daß dieſe Tage der Gährung außerordentliche Vorſichtsmaßregeln erheiſchten; denn „der Bund beruht ſeinem eigentlichſten Weſen nach auf dem Princip der wechſel- ſeitigen Intervention in allen den Fällen wo ſonſt das Völkerrecht ent- ſcheidet“. *) Man beabſichtigte zunächſt mehrere tauſend Mann Bundes- truppen in der Nachbarſchaft Frankfurts aufzuſtellen, nöthigenfalls auch einige fliegende Corps durch das unruhige Mitteldeutſchland zu ſenden. Da erhob Baiern Einſprache. König Ludwig wollte nichts dulden was ſeine Souveränität irgend ſchmälerte: nimmermehr könne Baiern, das an dreizehn Nachbarn angrenze, fremden Weiſungen gehorchen oder gar, wie man in Frankfurt verlangte, einige ſeiner Bataillone einem naſſaui- ſchen General unterordnen; nur als ſouveräne Macht, nicht als Bundes- ſtaat werde ſein Staat den Nachbarn Hilfe leiſten. Er ſelbſt wähnte ſich völlig ſicher, da ſein Land bisher noch ruhig blieb und die Münchener ihr Octoberfeſt mit der üblichen Bierſeligkeit feierten. Seinem Bundesge- ſandten ſchrieb er ſehr gereizt: „Wir ſind bereitwillig Unſere bundesmäßige Hilfe nach den Beſtimmungen der Bundesgeſetze mit teutſch-patriotiſchen Geſinnungen zu leiſten; aber Wir haben keinen Grund zum Schutze der Grenzen Unſeres Reiches eine fremde Hilfe zu verlangen;“ und ſein Miniſter Zentner fügte hinzu: „Einquartierungen im Frieden ſind ver- haßt und werden es noch mehr, wenn der brave Bürger für Dritte, für Angehörige anderer Staaten büßen ſoll.“ **) Metternich fürchtete ſchon, die alte Sonderpolitik Baierns werde von Neuem beginnen und griff in ſeiner Angſt zu einem ſehr ungewöhn- lichen Unterhandlungsmittel. Er ſchickte König Ludwigs eignen Geſand- ten, den Grafen Bray, nach München, mit einem Handſchreiben des Kaiſers Franz und zwei großen Denkſchriften, welche dem Wittelsbacher die Gefahr der Lage vor die Augen führen ſollten: „Für die Fürſten und die Völker handelt es ſich heute darum, zu leben und nicht die Beute jener Klaſſe von Proletariern zu werden, welche Ziele verfolgen, die ſie ſelbſt nicht angeben wollen oder können und welche immer nur umſtürzen, niemals etwas ſchaffen werden“. ***) Anfangs empfing König Ludwig ſeinen Geſandten, der ihm alſo k. k. Politik predigen ſollte, mit erklärlichem Unwillen; er lenkte jedoch bald ein, dankte dem Kaiſer in einem verbindlichen Schreiben für ſeine „erhabenen Anſichten“ und ver- wahrte ſich wider den Verdacht, daß er Spaltungen am Bunde hervor- rufen wolle. †) *) Blittersdorff’s Bericht, 18. September 1830. **) K. Ludwig, Weiſungen an Lerchenfeld 4. 6. 9. October. „Erörterungen“ des bair. Miniſteriums, 9. October 1830. ***) K. Franz an K. Ludwig, Preßburg 9. October 1830, nebſt zwei Beilagen: Points pour le Comte Orlow; Points pour le Comte Bray. †) K. Ludwig an K. Franz, 24. October 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/226>, abgerufen am 26.11.2024.