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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Niebuhr's letzte Tage.
er schmerzlich, "daß die schönen Eigenschaften schwinden, welche die
Zierde unserer Nation machten, Tiefe, Innigkeit, Eigenthümlichkeit,
Herz und Liebe, daß Flachheit und Frechheit herrschend werden." Als
nun der Thron der Bourbonen stürzte, da glaubte er wie Goethe die all-
gemeine Anarchie einbrechen zu sehen; weitsichtig wie jener ahnte er schon
die Stürme des Jahres 1848. Diese Erlebnisse erschütterten ihn so tief,
daß er um ihretwillen von zweien seiner wärmsten Freunde, Stein und
Dahlmann, sich zurückzog: von jenem, weil er die Erwählung des Bürger-
königs doch politisch entschuldbarer fand als der strenge Reichsfreiherr
zugeben wollte; von diesem, weil der jüngere Freund so gar hoffnungsvoll
sagte: "ich freue mich zu erleben was ich lieber schon vor zehn Jahren erlebt
hätte." In der Vorrede zu dem neuen Bande der römischen Geschichte
sprach Niebuhr seine hoffnungslose Ansicht von der Zukunft offen aus,
und gestand einem Freunde: "In einem Buche, welches, wenn es nun
auf mehrere Menschenalter in der hereinbrechenden Barbarei vergessen
wird, doch einmal wieder hervorkommen muß, glaubte ich eine Erklärung
niederlegen zu können, wie unsere Vorfahren einen Bericht von der Gegen-
wart in Grundsteinen oder in der Kugel eines Kirchthurms niederlegten."*)
Noch strenger lauteten seine letzten Worte: das Vorwort zur ersten
philippischen Rede, die er einst in den bangen Tagen vor Austerlitz für
Kaiser Alexander übersetzt hatte und jetzt wieder herausgab um die Deutschen
vor den alten Sünden der Zwietracht und des Preußenhasses zu war-
nen: "Allenthalben, so schrieb er, lachte der Neid, daß Athen Schmach
und Unglück leide; im schlimmsten Fall hofften sie die letzten zu sein,
welche der Kyklop verschlinge: und sollte man ihm nicht entwischen können?
sollte er nicht gütig werden? könnte er nicht auch sterben ehe es so weit
komme? Endlich erwachten Viele mit Entsetzen aus dem Traum. Die
Geschichte beklagt auch sie, die neben den Atheniensern bei Chäronea
fielen. Aber ihre Schuld ist nicht gehoben: durch sie ist Griechenland
untergegangen, das Deutschland des Alterthums."

Unter so finsteren Träumen starb Niebuhr zu Neujahr 1831 --
er, "dessen Dasein allein schon bewies, wie Dahlmann sagte, daß die
Menschheit von höheren Gewalten nicht aufgegeben ist." Wie wunderbar
schnell war dies reiche Leben verrauscht; nur vierundfünfzig Jahre, und
ein solcher Schatz von Wissen und Gedanken, wie ihn kaum Greise er-
werben. Und nun zerrissen die Saiten plötzlich mit einem schrillen Miß-
tone. Geh. Rath Ferber, der fleißige Statistiker, versuchte sogleich in
einer eigenen Schrift, Niebuhr's letzte Ansichten pathologisch zu erklären
und gab den Philistern die tröstliche Versicherung, im Jahre 89 sei die
Entsittlichung vorherrschend gewesen, im Jahre 30 die Sittlichkeit. Tiefer-
blickende erkannten in dem Schmerze, der Niebuhr's Ende verdüsterte,

*) Niebuhr an Bunsen, Dec. 1830.

Niebuhr’s letzte Tage.
er ſchmerzlich, „daß die ſchönen Eigenſchaften ſchwinden, welche die
Zierde unſerer Nation machten, Tiefe, Innigkeit, Eigenthümlichkeit,
Herz und Liebe, daß Flachheit und Frechheit herrſchend werden.“ Als
nun der Thron der Bourbonen ſtürzte, da glaubte er wie Goethe die all-
gemeine Anarchie einbrechen zu ſehen; weitſichtig wie jener ahnte er ſchon
die Stürme des Jahres 1848. Dieſe Erlebniſſe erſchütterten ihn ſo tief,
daß er um ihretwillen von zweien ſeiner wärmſten Freunde, Stein und
Dahlmann, ſich zurückzog: von jenem, weil er die Erwählung des Bürger-
königs doch politiſch entſchuldbarer fand als der ſtrenge Reichsfreiherr
zugeben wollte; von dieſem, weil der jüngere Freund ſo gar hoffnungsvoll
ſagte: „ich freue mich zu erleben was ich lieber ſchon vor zehn Jahren erlebt
hätte.“ In der Vorrede zu dem neuen Bande der römiſchen Geſchichte
ſprach Niebuhr ſeine hoffnungsloſe Anſicht von der Zukunft offen aus,
und geſtand einem Freunde: „In einem Buche, welches, wenn es nun
auf mehrere Menſchenalter in der hereinbrechenden Barbarei vergeſſen
wird, doch einmal wieder hervorkommen muß, glaubte ich eine Erklärung
niederlegen zu können, wie unſere Vorfahren einen Bericht von der Gegen-
wart in Grundſteinen oder in der Kugel eines Kirchthurms niederlegten.“*)
Noch ſtrenger lauteten ſeine letzten Worte: das Vorwort zur erſten
philippiſchen Rede, die er einſt in den bangen Tagen vor Auſterlitz für
Kaiſer Alexander überſetzt hatte und jetzt wieder herausgab um die Deutſchen
vor den alten Sünden der Zwietracht und des Preußenhaſſes zu war-
nen: „Allenthalben, ſo ſchrieb er, lachte der Neid, daß Athen Schmach
und Unglück leide; im ſchlimmſten Fall hofften ſie die letzten zu ſein,
welche der Kyklop verſchlinge: und ſollte man ihm nicht entwiſchen können?
ſollte er nicht gütig werden? könnte er nicht auch ſterben ehe es ſo weit
komme? Endlich erwachten Viele mit Entſetzen aus dem Traum. Die
Geſchichte beklagt auch ſie, die neben den Athenienſern bei Chäronea
fielen. Aber ihre Schuld iſt nicht gehoben: durch ſie iſt Griechenland
untergegangen, das Deutſchland des Alterthums.“

Unter ſo finſteren Träumen ſtarb Niebuhr zu Neujahr 1831 —
er, „deſſen Daſein allein ſchon bewies, wie Dahlmann ſagte, daß die
Menſchheit von höheren Gewalten nicht aufgegeben iſt.“ Wie wunderbar
ſchnell war dies reiche Leben verrauſcht; nur vierundfünfzig Jahre, und
ein ſolcher Schatz von Wiſſen und Gedanken, wie ihn kaum Greiſe er-
werben. Und nun zerriſſen die Saiten plötzlich mit einem ſchrillen Miß-
tone. Geh. Rath Ferber, der fleißige Statiſtiker, verſuchte ſogleich in
einer eigenen Schrift, Niebuhr’s letzte Anſichten pathologiſch zu erklären
und gab den Philiſtern die tröſtliche Verſicherung, im Jahre 89 ſei die
Entſittlichung vorherrſchend geweſen, im Jahre 30 die Sittlichkeit. Tiefer-
blickende erkannten in dem Schmerze, der Niebuhr’s Ende verdüſterte,

*) Niebuhr an Bunſen, Dec. 1830.
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[201/0215] Niebuhr’s letzte Tage. er ſchmerzlich, „daß die ſchönen Eigenſchaften ſchwinden, welche die Zierde unſerer Nation machten, Tiefe, Innigkeit, Eigenthümlichkeit, Herz und Liebe, daß Flachheit und Frechheit herrſchend werden.“ Als nun der Thron der Bourbonen ſtürzte, da glaubte er wie Goethe die all- gemeine Anarchie einbrechen zu ſehen; weitſichtig wie jener ahnte er ſchon die Stürme des Jahres 1848. Dieſe Erlebniſſe erſchütterten ihn ſo tief, daß er um ihretwillen von zweien ſeiner wärmſten Freunde, Stein und Dahlmann, ſich zurückzog: von jenem, weil er die Erwählung des Bürger- königs doch politiſch entſchuldbarer fand als der ſtrenge Reichsfreiherr zugeben wollte; von dieſem, weil der jüngere Freund ſo gar hoffnungsvoll ſagte: „ich freue mich zu erleben was ich lieber ſchon vor zehn Jahren erlebt hätte.“ In der Vorrede zu dem neuen Bande der römiſchen Geſchichte ſprach Niebuhr ſeine hoffnungsloſe Anſicht von der Zukunft offen aus, und geſtand einem Freunde: „In einem Buche, welches, wenn es nun auf mehrere Menſchenalter in der hereinbrechenden Barbarei vergeſſen wird, doch einmal wieder hervorkommen muß, glaubte ich eine Erklärung niederlegen zu können, wie unſere Vorfahren einen Bericht von der Gegen- wart in Grundſteinen oder in der Kugel eines Kirchthurms niederlegten.“ *) Noch ſtrenger lauteten ſeine letzten Worte: das Vorwort zur erſten philippiſchen Rede, die er einſt in den bangen Tagen vor Auſterlitz für Kaiſer Alexander überſetzt hatte und jetzt wieder herausgab um die Deutſchen vor den alten Sünden der Zwietracht und des Preußenhaſſes zu war- nen: „Allenthalben, ſo ſchrieb er, lachte der Neid, daß Athen Schmach und Unglück leide; im ſchlimmſten Fall hofften ſie die letzten zu ſein, welche der Kyklop verſchlinge: und ſollte man ihm nicht entwiſchen können? ſollte er nicht gütig werden? könnte er nicht auch ſterben ehe es ſo weit komme? Endlich erwachten Viele mit Entſetzen aus dem Traum. Die Geſchichte beklagt auch ſie, die neben den Athenienſern bei Chäronea fielen. Aber ihre Schuld iſt nicht gehoben: durch ſie iſt Griechenland untergegangen, das Deutſchland des Alterthums.“ Unter ſo finſteren Träumen ſtarb Niebuhr zu Neujahr 1831 — er, „deſſen Daſein allein ſchon bewies, wie Dahlmann ſagte, daß die Menſchheit von höheren Gewalten nicht aufgegeben iſt.“ Wie wunderbar ſchnell war dies reiche Leben verrauſcht; nur vierundfünfzig Jahre, und ein ſolcher Schatz von Wiſſen und Gedanken, wie ihn kaum Greiſe er- werben. Und nun zerriſſen die Saiten plötzlich mit einem ſchrillen Miß- tone. Geh. Rath Ferber, der fleißige Statiſtiker, verſuchte ſogleich in einer eigenen Schrift, Niebuhr’s letzte Anſichten pathologiſch zu erklären und gab den Philiſtern die tröſtliche Verſicherung, im Jahre 89 ſei die Entſittlichung vorherrſchend geweſen, im Jahre 30 die Sittlichkeit. Tiefer- blickende erkannten in dem Schmerze, der Niebuhr’s Ende verdüſterte, *) Niebuhr an Bunſen, Dec. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/215>, abgerufen am 27.04.2024.