politischen Standpunkt an. Unsere körperliche Schwäche ist erschreckend, wenn man die Nachbarstaaten daneben betrachtet. Wir müssen dieser Schwäche also durch intellectuelle Kräfte zu Hilfe kommen, und diese müssen vornehmlich in dem Heere geweckt und erhalten werden." Mit Verachtung fertigte er die Schwächlinge ab, die schon zu behaupten wagten, "daß es lächerlich sei, mit 11 Millionen eine Rolle zwischen Nationen von 40 Millionen spielen zu wollen. Was einst bei 3 Millionen der Enthusias- mus that, muß jetzt bei 11 Millionen die geweckte und geförderte Intelli- genz thun." Darum hielt er auch nach der Juli-Revolution den Krieg für nothwendig. Die legitimistischen Kapuzinerreden des wenig geliebten mecklenburgischen Oheims berührten seinen heiteren Heldensinn nicht; er wußte aber, das revolutionäre Frankreich werde das Erstarken Preußens im Frieden niemals dulden, und als das Wetter sich verzog, meinte er traurig: Der Kampf ist verschoben, "nicht zum Heile der Menschheit;" der Feind behält Zeit sich zu befestigen.
Sammt und sonders standen diese leitenden Männer Preußens, wie weit sie auch von einander abwichen, den Mächten der Revolution als Feinde, als stolze Monarchisten gegenüber. Und dieselbe Gesinnung hegten auch alle die Großen, welche dem preußischen Staate jetzt verloren gingen. Der Tod hielt eine furchtbare Ernte in Deutschland. Binnen anderthalb Jahren starben erst Motz, dann Niebuhr und Stein, dann Hegel, Gnei- senau, Clausewitz, alle Drei Opfer der Cholera, endlich Goethe. In einer Nation von altbefestigter Einheit mußte nach so schweren Verlusten neben der Trauer doch auch ein Gefühl des Stolzes erwachen; denn wo war noch ein anderes Volk auf der Welt, das so viel Menschengröße zu ver- lieren hatte? Diesem Geschlechte aber war alle Freude an der uner- schöpflichen Fruchtbarkeit des germanischen Genius ganz vergällt durch die ewigen Klagen über das deutsche Elend. Während über Goethe's und Hegel's frischen Gräbern ein häßlicher literarischer Zank entbrannte, wurden die großen Preußen, die dahingingen, von den liberalen Zeitungen der Kleinstaaten kaum beachtet. Von Motz wußte man dort nichts, und Niebuhr's tragisches Ende erregte fast nur Hohn unter den Parteifana- tikern.
Ein Jahr vor der Juli-Revolution hielt Niebuhr in Bonn seine Vorlesungen über neueste Geschichte. Ihm war zu Muthe, als erzähle er sein eigenes Leben; so leidenschaftlich hatte er von jeher an den Zeit- ereignissen theilgenommen. Allen Glanz und allen Schmerz seines großen Herzens legte er in diesen Vorträgen nieder; denn das blieb immer seine oberste Forderung an den Historiker, daß sich ein starkes und lebendiges Ich in seinen Schriften ausspreche, und niemals konnte er sich mit der erkünstelten Objectivität Johannes Müller's befreunden, dem er vorwarf: "der reine Lebensathem der frischen Wahrheit fehlt in allen seinen Schriften; er hat ein außerordentliches Talent sich eine Natur anzunehmen." Es
Tod Stein’s, Gneiſenau’s, Niebuhr’s.
politiſchen Standpunkt an. Unſere körperliche Schwäche iſt erſchreckend, wenn man die Nachbarſtaaten daneben betrachtet. Wir müſſen dieſer Schwäche alſo durch intellectuelle Kräfte zu Hilfe kommen, und dieſe müſſen vornehmlich in dem Heere geweckt und erhalten werden.“ Mit Verachtung fertigte er die Schwächlinge ab, die ſchon zu behaupten wagten, „daß es lächerlich ſei, mit 11 Millionen eine Rolle zwiſchen Nationen von 40 Millionen ſpielen zu wollen. Was einſt bei 3 Millionen der Enthuſias- mus that, muß jetzt bei 11 Millionen die geweckte und geförderte Intelli- genz thun.“ Darum hielt er auch nach der Juli-Revolution den Krieg für nothwendig. Die legitimiſtiſchen Kapuzinerreden des wenig geliebten mecklenburgiſchen Oheims berührten ſeinen heiteren Heldenſinn nicht; er wußte aber, das revolutionäre Frankreich werde das Erſtarken Preußens im Frieden niemals dulden, und als das Wetter ſich verzog, meinte er traurig: Der Kampf iſt verſchoben, „nicht zum Heile der Menſchheit;“ der Feind behält Zeit ſich zu befeſtigen.
Sammt und ſonders ſtanden dieſe leitenden Männer Preußens, wie weit ſie auch von einander abwichen, den Mächten der Revolution als Feinde, als ſtolze Monarchiſten gegenüber. Und dieſelbe Geſinnung hegten auch alle die Großen, welche dem preußiſchen Staate jetzt verloren gingen. Der Tod hielt eine furchtbare Ernte in Deutſchland. Binnen anderthalb Jahren ſtarben erſt Motz, dann Niebuhr und Stein, dann Hegel, Gnei- ſenau, Clauſewitz, alle Drei Opfer der Cholera, endlich Goethe. In einer Nation von altbefeſtigter Einheit mußte nach ſo ſchweren Verluſten neben der Trauer doch auch ein Gefühl des Stolzes erwachen; denn wo war noch ein anderes Volk auf der Welt, das ſo viel Menſchengröße zu ver- lieren hatte? Dieſem Geſchlechte aber war alle Freude an der uner- ſchöpflichen Fruchtbarkeit des germaniſchen Genius ganz vergällt durch die ewigen Klagen über das deutſche Elend. Während über Goethe’s und Hegel’s friſchen Gräbern ein häßlicher literariſcher Zank entbrannte, wurden die großen Preußen, die dahingingen, von den liberalen Zeitungen der Kleinſtaaten kaum beachtet. Von Motz wußte man dort nichts, und Niebuhr’s tragiſches Ende erregte faſt nur Hohn unter den Parteifana- tikern.
Ein Jahr vor der Juli-Revolution hielt Niebuhr in Bonn ſeine Vorleſungen über neueſte Geſchichte. Ihm war zu Muthe, als erzähle er ſein eigenes Leben; ſo leidenſchaftlich hatte er von jeher an den Zeit- ereigniſſen theilgenommen. Allen Glanz und allen Schmerz ſeines großen Herzens legte er in dieſen Vorträgen nieder; denn das blieb immer ſeine oberſte Forderung an den Hiſtoriker, daß ſich ein ſtarkes und lebendiges Ich in ſeinen Schriften ausſpreche, und niemals konnte er ſich mit der erkünſtelten Objectivität Johannes Müller’s befreunden, dem er vorwarf: „der reine Lebensathem der friſchen Wahrheit fehlt in allen ſeinen Schriften; er hat ein außerordentliches Talent ſich eine Natur anzunehmen.“ Es
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Tod Stein’s, Gneiſenau’s, Niebuhr’s.
politiſchen Standpunkt an. Unſere körperliche Schwäche iſt erſchreckend,
wenn man die Nachbarſtaaten daneben betrachtet. Wir müſſen dieſer
Schwäche alſo durch intellectuelle Kräfte zu Hilfe kommen, und dieſe
müſſen vornehmlich in dem Heere geweckt und erhalten werden.“ Mit
Verachtung fertigte er die Schwächlinge ab, die ſchon zu behaupten wagten,
„daß es lächerlich ſei, mit 11 Millionen eine Rolle zwiſchen Nationen von
40 Millionen ſpielen zu wollen. Was einſt bei 3 Millionen der Enthuſias-
mus that, muß jetzt bei 11 Millionen die geweckte und geförderte Intelli-
genz thun.“ Darum hielt er auch nach der Juli-Revolution den Krieg
für nothwendig. Die legitimiſtiſchen Kapuzinerreden des wenig geliebten
mecklenburgiſchen Oheims berührten ſeinen heiteren Heldenſinn nicht; er
wußte aber, das revolutionäre Frankreich werde das Erſtarken Preußens
im Frieden niemals dulden, und als das Wetter ſich verzog, meinte er
traurig: Der Kampf iſt verſchoben, „nicht zum Heile der Menſchheit;“
der Feind behält Zeit ſich zu befeſtigen.
Sammt und ſonders ſtanden dieſe leitenden Männer Preußens, wie
weit ſie auch von einander abwichen, den Mächten der Revolution als
Feinde, als ſtolze Monarchiſten gegenüber. Und dieſelbe Geſinnung hegten
auch alle die Großen, welche dem preußiſchen Staate jetzt verloren gingen.
Der Tod hielt eine furchtbare Ernte in Deutſchland. Binnen anderthalb
Jahren ſtarben erſt Motz, dann Niebuhr und Stein, dann Hegel, Gnei-
ſenau, Clauſewitz, alle Drei Opfer der Cholera, endlich Goethe. In einer
Nation von altbefeſtigter Einheit mußte nach ſo ſchweren Verluſten neben
der Trauer doch auch ein Gefühl des Stolzes erwachen; denn wo war
noch ein anderes Volk auf der Welt, das ſo viel Menſchengröße zu ver-
lieren hatte? Dieſem Geſchlechte aber war alle Freude an der uner-
ſchöpflichen Fruchtbarkeit des germaniſchen Genius ganz vergällt durch
die ewigen Klagen über das deutſche Elend. Während über Goethe’s und
Hegel’s friſchen Gräbern ein häßlicher literariſcher Zank entbrannte, wurden
die großen Preußen, die dahingingen, von den liberalen Zeitungen der
Kleinſtaaten kaum beachtet. Von Motz wußte man dort nichts, und
Niebuhr’s tragiſches Ende erregte faſt nur Hohn unter den Parteifana-
tikern.
Ein Jahr vor der Juli-Revolution hielt Niebuhr in Bonn ſeine
Vorleſungen über neueſte Geſchichte. Ihm war zu Muthe, als erzähle
er ſein eigenes Leben; ſo leidenſchaftlich hatte er von jeher an den Zeit-
ereigniſſen theilgenommen. Allen Glanz und allen Schmerz ſeines großen
Herzens legte er in dieſen Vorträgen nieder; denn das blieb immer ſeine
oberſte Forderung an den Hiſtoriker, daß ſich ein ſtarkes und lebendiges
Ich in ſeinen Schriften ausſpreche, und niemals konnte er ſich mit der
erkünſtelten Objectivität Johannes Müller’s befreunden, dem er vorwarf:
„der reine Lebensathem der friſchen Wahrheit fehlt in allen ſeinen Schriften;
er hat ein außerordentliches Talent ſich eine Natur anzunehmen.“ Es
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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