Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 3. Preußens Mittelstellung.
ebenso feste Stütze fände wie an dem Grundadel, und forderte darum
außer einem Oberhause, das aus Majoratsbesitzern und aus Vertrauens-
männern der Krone bestehen sollte, eine von den Höchstbesteuerten gewählte
zweite Kammer.

Also traten die neuen Anschauungen, welche sich in den großen
Städten des Rheinlandes unter der Herrschaft des napoleonischen Gesetz-
buchs und der beständigen Einwirkung französischer Ideen gebildet hatten,
zum ersten male freimüthig vor den Thron. Dieser neue Mittelstand
hielt sich in seinem jugendlichen Selbstgefühle für den Staat selber; er
ließ in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt nur noch den einen Unter-
schied gelten, der im Mittelstande vorherrscht, den Unterschied des Geldes
und des Wissens. Der König nahm die Denkschrift nicht unfreundlich
auf, doch weder er noch seine Räthe erkannten, welch eine starke, zukunfts-
sichere sociale Macht hinter den Vorschlägen des rheinischen Kaufmanns
stand. Die Versöhnung zwischen dem Westen und dem Osten, die man
in Berlin schon beendet glaubte, hatte in Wahrheit noch kaum begonnen;
zwischen dem abstrakten Staatsbürgerthum der rheinischen Städter und
der altständischen Gesinnung der brandenburgischen Grundherren lag eine
Kluft, die nur durch die Arbeit langer Jahre überbrückt werden konnte.

Auch im Osten war die Zufriedenheit bei Weitem nicht so ungetrübt,
wie man aus der allgemeinen Stille wohl schließen mochte. Es konnte
nicht fehlen, daß die Gelehrten und Beamten aus den eifrig gelesenen
ausländischen Zeitungen neue Gedanken einsogen, und wenngleich die Zahl
der Constitutionellen noch sehr gering blieb, so bekundete sich doch der alt-
preußische Widerspruchsgeist oft in scharfer Kritik, und die österreichischen wie
die kleinfürstlichen Diplomaten vermochten sich über die liberale Gesinnung
dieser Bureaukratie nicht genug zu verwundern.*) Im Volke aber mußte
die Beamtenherrschaft, wie Tüchtiges sie auch leistete, zuletzt manches
Mißtrauen erregen, weil sie unbeschränkt schaltete. Selbst Reaube's Jahr-
bücher der preußischen Provinzialstände -- die einzige Zeitschrift, die sich
mit dem Stillleben der Provinziallandtage befaßte -- brachten unter
einem Wuste stillvergnügter Philisterbetrachtungen zuweilen schon einen
heftigen Ausfall wider dies ungeheuere Beamtenheer, das sich stets nur
aus sich selbst ergänze, während in England und Frankreich auch ein
Kaufmann oder Grundbesitzer Minister werden könne: in Preußen müssen
immer 49 Menschen arbeiten um einen Beamten zu ernähren!

Noch bitterer äußerte sich der Adelshaß der bürgerlichen Kreise. Der
einzige der altgermanischen Geburtsstände, der sich inmitten der Berufs-
stände der neuen Gesellschaft noch erhalten hatte, konnte der in sich selbst
verliebten modernen Bildung nur widerwärtig erscheinen. Da der Adel zu-
dem auf den Provinzial- und Kreistagen ein ganz unbilliges Uebergewicht

*) Frankenberg's Berichte, Berlin 20. Aug. 1830 ff.

IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
ebenſo feſte Stütze fände wie an dem Grundadel, und forderte darum
außer einem Oberhauſe, das aus Majoratsbeſitzern und aus Vertrauens-
männern der Krone beſtehen ſollte, eine von den Höchſtbeſteuerten gewählte
zweite Kammer.

Alſo traten die neuen Anſchauungen, welche ſich in den großen
Städten des Rheinlandes unter der Herrſchaft des napoleoniſchen Geſetz-
buchs und der beſtändigen Einwirkung franzöſiſcher Ideen gebildet hatten,
zum erſten male freimüthig vor den Thron. Dieſer neue Mittelſtand
hielt ſich in ſeinem jugendlichen Selbſtgefühle für den Staat ſelber; er
ließ in der bürgerlichen Geſellſchaft überhaupt nur noch den einen Unter-
ſchied gelten, der im Mittelſtande vorherrſcht, den Unterſchied des Geldes
und des Wiſſens. Der König nahm die Denkſchrift nicht unfreundlich
auf, doch weder er noch ſeine Räthe erkannten, welch eine ſtarke, zukunfts-
ſichere ſociale Macht hinter den Vorſchlägen des rheiniſchen Kaufmanns
ſtand. Die Verſöhnung zwiſchen dem Weſten und dem Oſten, die man
in Berlin ſchon beendet glaubte, hatte in Wahrheit noch kaum begonnen;
zwiſchen dem abſtrakten Staatsbürgerthum der rheiniſchen Städter und
der altſtändiſchen Geſinnung der brandenburgiſchen Grundherren lag eine
Kluft, die nur durch die Arbeit langer Jahre überbrückt werden konnte.

Auch im Oſten war die Zufriedenheit bei Weitem nicht ſo ungetrübt,
wie man aus der allgemeinen Stille wohl ſchließen mochte. Es konnte
nicht fehlen, daß die Gelehrten und Beamten aus den eifrig geleſenen
ausländiſchen Zeitungen neue Gedanken einſogen, und wenngleich die Zahl
der Conſtitutionellen noch ſehr gering blieb, ſo bekundete ſich doch der alt-
preußiſche Widerſpruchsgeiſt oft in ſcharfer Kritik, und die öſterreichiſchen wie
die kleinfürſtlichen Diplomaten vermochten ſich über die liberale Geſinnung
dieſer Bureaukratie nicht genug zu verwundern.*) Im Volke aber mußte
die Beamtenherrſchaft, wie Tüchtiges ſie auch leiſtete, zuletzt manches
Mißtrauen erregen, weil ſie unbeſchränkt ſchaltete. Selbſt Reaube’s Jahr-
bücher der preußiſchen Provinzialſtände — die einzige Zeitſchrift, die ſich
mit dem Stillleben der Provinziallandtage befaßte — brachten unter
einem Wuſte ſtillvergnügter Philiſterbetrachtungen zuweilen ſchon einen
heftigen Ausfall wider dies ungeheuere Beamtenheer, das ſich ſtets nur
aus ſich ſelbſt ergänze, während in England und Frankreich auch ein
Kaufmann oder Grundbeſitzer Miniſter werden könne: in Preußen müſſen
immer 49 Menſchen arbeiten um einen Beamten zu ernähren!

Noch bitterer äußerte ſich der Adelshaß der bürgerlichen Kreiſe. Der
einzige der altgermaniſchen Geburtsſtände, der ſich inmitten der Berufs-
ſtände der neuen Geſellſchaft noch erhalten hatte, konnte der in ſich ſelbſt
verliebten modernen Bildung nur widerwärtig erſcheinen. Da der Adel zu-
dem auf den Provinzial- und Kreistagen ein ganz unbilliges Uebergewicht

*) Frankenberg’s Berichte, Berlin 20. Aug. 1830 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="188"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 3. Preußens Mittel&#x017F;tellung.</fw><lb/>
eben&#x017F;o fe&#x017F;te Stütze fände wie an dem Grundadel, und forderte darum<lb/>
außer einem Oberhau&#x017F;e, das aus Majoratsbe&#x017F;itzern und aus Vertrauens-<lb/>
männern der Krone be&#x017F;tehen &#x017F;ollte, eine von den Höch&#x017F;tbe&#x017F;teuerten gewählte<lb/>
zweite Kammer.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o traten die neuen An&#x017F;chauungen, welche &#x017F;ich in den großen<lb/>
Städten des Rheinlandes unter der Herr&#x017F;chaft des napoleoni&#x017F;chen Ge&#x017F;etz-<lb/>
buchs und der be&#x017F;tändigen Einwirkung franzö&#x017F;i&#x017F;cher Ideen gebildet hatten,<lb/>
zum er&#x017F;ten male freimüthig vor den Thron. Die&#x017F;er neue Mittel&#x017F;tand<lb/>
hielt &#x017F;ich in &#x017F;einem jugendlichen Selb&#x017F;tgefühle für den Staat &#x017F;elber; er<lb/>
ließ in der bürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft überhaupt nur noch den einen Unter-<lb/>
&#x017F;chied gelten, der im Mittel&#x017F;tande vorherr&#x017F;cht, den Unter&#x017F;chied des Geldes<lb/>
und des Wi&#x017F;&#x017F;ens. Der König nahm die Denk&#x017F;chrift nicht unfreundlich<lb/>
auf, doch weder er noch &#x017F;eine Räthe erkannten, welch eine &#x017F;tarke, zukunfts-<lb/>
&#x017F;ichere &#x017F;ociale Macht hinter den Vor&#x017F;chlägen des rheini&#x017F;chen Kaufmanns<lb/>
&#x017F;tand. Die Ver&#x017F;öhnung zwi&#x017F;chen dem We&#x017F;ten und dem O&#x017F;ten, die man<lb/>
in Berlin &#x017F;chon beendet glaubte, hatte in Wahrheit noch kaum begonnen;<lb/>
zwi&#x017F;chen dem ab&#x017F;trakten Staatsbürgerthum der rheini&#x017F;chen Städter und<lb/>
der alt&#x017F;tändi&#x017F;chen Ge&#x017F;innung der brandenburgi&#x017F;chen Grundherren lag eine<lb/>
Kluft, die nur durch die Arbeit langer Jahre überbrückt werden konnte.</p><lb/>
          <p>Auch im O&#x017F;ten war die Zufriedenheit bei Weitem nicht &#x017F;o ungetrübt,<lb/>
wie man aus der allgemeinen Stille wohl &#x017F;chließen mochte. Es konnte<lb/>
nicht fehlen, daß die Gelehrten und Beamten aus den eifrig gele&#x017F;enen<lb/>
ausländi&#x017F;chen Zeitungen neue Gedanken ein&#x017F;ogen, und wenngleich die Zahl<lb/>
der Con&#x017F;titutionellen noch &#x017F;ehr gering blieb, &#x017F;o bekundete &#x017F;ich doch der alt-<lb/>
preußi&#x017F;che Wider&#x017F;pruchsgei&#x017F;t oft in &#x017F;charfer Kritik, und die ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen wie<lb/>
die kleinfür&#x017F;tlichen Diplomaten vermochten &#x017F;ich über die liberale Ge&#x017F;innung<lb/>
die&#x017F;er Bureaukratie nicht genug zu verwundern.<note place="foot" n="*)">Frankenberg&#x2019;s Berichte, Berlin 20. Aug. 1830 ff.</note> Im Volke aber mußte<lb/>
die Beamtenherr&#x017F;chaft, wie Tüchtiges &#x017F;ie auch lei&#x017F;tete, zuletzt manches<lb/>
Mißtrauen erregen, weil &#x017F;ie unbe&#x017F;chränkt &#x017F;chaltete. Selb&#x017F;t Reaube&#x2019;s Jahr-<lb/>
bücher der preußi&#x017F;chen Provinzial&#x017F;tände &#x2014; die einzige Zeit&#x017F;chrift, die &#x017F;ich<lb/>
mit dem Stillleben der Provinziallandtage befaßte &#x2014; brachten unter<lb/>
einem Wu&#x017F;te &#x017F;tillvergnügter Phili&#x017F;terbetrachtungen zuweilen &#x017F;chon einen<lb/>
heftigen Ausfall wider dies ungeheuere Beamtenheer, das &#x017F;ich &#x017F;tets nur<lb/>
aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ergänze, während in England und Frankreich auch ein<lb/>
Kaufmann oder Grundbe&#x017F;itzer Mini&#x017F;ter werden könne: in Preußen mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
immer 49 Men&#x017F;chen arbeiten um einen Beamten zu ernähren!</p><lb/>
          <p>Noch bitterer äußerte &#x017F;ich der Adelshaß der bürgerlichen Krei&#x017F;e. Der<lb/>
einzige der altgermani&#x017F;chen Geburts&#x017F;tände, der &#x017F;ich inmitten der Berufs-<lb/>
&#x017F;tände der neuen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft noch erhalten hatte, konnte der in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
verliebten modernen Bildung nur widerwärtig er&#x017F;cheinen. Da der Adel zu-<lb/>
dem auf den Provinzial- und Kreistagen ein ganz unbilliges Uebergewicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0202] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. ebenſo feſte Stütze fände wie an dem Grundadel, und forderte darum außer einem Oberhauſe, das aus Majoratsbeſitzern und aus Vertrauens- männern der Krone beſtehen ſollte, eine von den Höchſtbeſteuerten gewählte zweite Kammer. Alſo traten die neuen Anſchauungen, welche ſich in den großen Städten des Rheinlandes unter der Herrſchaft des napoleoniſchen Geſetz- buchs und der beſtändigen Einwirkung franzöſiſcher Ideen gebildet hatten, zum erſten male freimüthig vor den Thron. Dieſer neue Mittelſtand hielt ſich in ſeinem jugendlichen Selbſtgefühle für den Staat ſelber; er ließ in der bürgerlichen Geſellſchaft überhaupt nur noch den einen Unter- ſchied gelten, der im Mittelſtande vorherrſcht, den Unterſchied des Geldes und des Wiſſens. Der König nahm die Denkſchrift nicht unfreundlich auf, doch weder er noch ſeine Räthe erkannten, welch eine ſtarke, zukunfts- ſichere ſociale Macht hinter den Vorſchlägen des rheiniſchen Kaufmanns ſtand. Die Verſöhnung zwiſchen dem Weſten und dem Oſten, die man in Berlin ſchon beendet glaubte, hatte in Wahrheit noch kaum begonnen; zwiſchen dem abſtrakten Staatsbürgerthum der rheiniſchen Städter und der altſtändiſchen Geſinnung der brandenburgiſchen Grundherren lag eine Kluft, die nur durch die Arbeit langer Jahre überbrückt werden konnte. Auch im Oſten war die Zufriedenheit bei Weitem nicht ſo ungetrübt, wie man aus der allgemeinen Stille wohl ſchließen mochte. Es konnte nicht fehlen, daß die Gelehrten und Beamten aus den eifrig geleſenen ausländiſchen Zeitungen neue Gedanken einſogen, und wenngleich die Zahl der Conſtitutionellen noch ſehr gering blieb, ſo bekundete ſich doch der alt- preußiſche Widerſpruchsgeiſt oft in ſcharfer Kritik, und die öſterreichiſchen wie die kleinfürſtlichen Diplomaten vermochten ſich über die liberale Geſinnung dieſer Bureaukratie nicht genug zu verwundern. *) Im Volke aber mußte die Beamtenherrſchaft, wie Tüchtiges ſie auch leiſtete, zuletzt manches Mißtrauen erregen, weil ſie unbeſchränkt ſchaltete. Selbſt Reaube’s Jahr- bücher der preußiſchen Provinzialſtände — die einzige Zeitſchrift, die ſich mit dem Stillleben der Provinziallandtage befaßte — brachten unter einem Wuſte ſtillvergnügter Philiſterbetrachtungen zuweilen ſchon einen heftigen Ausfall wider dies ungeheuere Beamtenheer, das ſich ſtets nur aus ſich ſelbſt ergänze, während in England und Frankreich auch ein Kaufmann oder Grundbeſitzer Miniſter werden könne: in Preußen müſſen immer 49 Menſchen arbeiten um einen Beamten zu ernähren! Noch bitterer äußerte ſich der Adelshaß der bürgerlichen Kreiſe. Der einzige der altgermaniſchen Geburtsſtände, der ſich inmitten der Berufs- ſtände der neuen Geſellſchaft noch erhalten hatte, konnte der in ſich ſelbſt verliebten modernen Bildung nur widerwärtig erſcheinen. Da der Adel zu- dem auf den Provinzial- und Kreistagen ein ganz unbilliges Uebergewicht *) Frankenberg’s Berichte, Berlin 20. Aug. 1830 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/202
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/202>, abgerufen am 28.11.2024.