sich jedoch bald als ein schwerer Mißgriff. Der König war fortan von Rechtswegen der Eidgenossenschaft fremd und nahm doch thatsächlich an den Beschlüssen ihrer Tagsatzung theil, da der Neuenburger Staatsrath nur aus Beamten des Landesherrn bestand. Aus diesen unklaren Ver- hältnissen entwickelte sich nun unausbleiblich ein Parteikampf, der im alten Jahrhundert unmöglich gewesen wäre: in den Kreisen der radicalen Jugend entstand eine schweizerisch-republikanische Partei, welche die Trennung von dem Fürstenhause erstrebte, während die Patricier allesammt und auch noch die große Mehrheit des Volks sich ihrer royalistischen Treue rühmten.
Der Gegensatz blieb verhüllt so lange in den Nachbarcantonen die alten Herrengeschlechter ihr stilles Regiment führten; aber sobald nach der Julirevolution die radicale Partei in der Schweiz sich erhob, richtete sie ihre Pfeile sogleich gegen den Fürstenhut der Hohenzollern. Ihr Ziel war die Volksherrschaft in den Cantonen und die Verstärkung der Bundes- gewalt. Beides hing unzertrennlich zusammen, denn nur wenn die Can- tonalverfassungen allesammt auf denselben demokratischen Grundsätzen beruhten, konnte der lockere Staatenbund sich in einen festen Bundesstaat verwandeln. Die Presse der Schweizer begann mit ihrer eigenthümlichen Grobheit den Federkrieg gegen Neuenburg; sie schilderte die Zustände des bestverwalteten aller Cantone als eine empörende Tyrannei, da nach schwei- zerischer Anschauung die Freiheit lediglich im Nichtvorhandensein einer monarchischen Gewalt besteht, und erzählte ungeheuerliche Märchen von allen den Schätzen, welche aus der reichen Schweiz in den brandenburgischen Sand geflossen seien. Auch die Zeitungen im nahen Baden ließen sich durch die republikanischen Schlagworte blenden und schämten sich nicht die Neuenburger gegen ihren deutschen Fürsten aufzuwiegeln.
Der König versprach dem Fürstenthum eine Reform der Verfassung, dergestalt daß die Mehrzahl der Ständemitglieder fortan nach allge- meinem Stimmrecht gewählt werden sollte, und sendete im Mai 1831 den General Pfuel mit außerordentlicher Vollmacht ins Land, jenen rüstigen Teutonen, der einst als Commandant von Paris so gut verstanden hatte mit den Wälschen auszukommen. Der neue Landtag ward versammelt, und Alles schien versöhnt. Aber kaum hatte der General im September das Land wieder verlassen, so überrumpelte ein durch eidgenössischen Zu- zug verstärkter Pöbelhaufe das Neuenburger Schloß, und die Tagsatzung sah sich genöthigt durch ihre Truppen die Ruhe wiederherzustellen. Nun kehrte Pfuel zurück, berief die treuen Milizen ein, verhaftete die Rädels- führer, und als die Aufständischen im December sich von Neuem erhoben, jagte er sie nach einigen Gefechten im Val de Travers binnen drei Tagen auseinander. Das Land frohlockte; Jedermann wußte, daß die Unruhen nur durch den jungen Tollkopf Leutnant Bourquin und einige radicale Sendlinge aus der Nachbarschaft künstlich angezettelt waren. Ueberall erklang das alte Royalistenlied:
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
ſich jedoch bald als ein ſchwerer Mißgriff. Der König war fortan von Rechtswegen der Eidgenoſſenſchaft fremd und nahm doch thatſächlich an den Beſchlüſſen ihrer Tagſatzung theil, da der Neuenburger Staatsrath nur aus Beamten des Landesherrn beſtand. Aus dieſen unklaren Ver- hältniſſen entwickelte ſich nun unausbleiblich ein Parteikampf, der im alten Jahrhundert unmöglich geweſen wäre: in den Kreiſen der radicalen Jugend entſtand eine ſchweizeriſch-republikaniſche Partei, welche die Trennung von dem Fürſtenhauſe erſtrebte, während die Patricier alleſammt und auch noch die große Mehrheit des Volks ſich ihrer royaliſtiſchen Treue rühmten.
Der Gegenſatz blieb verhüllt ſo lange in den Nachbarcantonen die alten Herrengeſchlechter ihr ſtilles Regiment führten; aber ſobald nach der Julirevolution die radicale Partei in der Schweiz ſich erhob, richtete ſie ihre Pfeile ſogleich gegen den Fürſtenhut der Hohenzollern. Ihr Ziel war die Volksherrſchaft in den Cantonen und die Verſtärkung der Bundes- gewalt. Beides hing unzertrennlich zuſammen, denn nur wenn die Can- tonalverfaſſungen alleſammt auf denſelben demokratiſchen Grundſätzen beruhten, konnte der lockere Staatenbund ſich in einen feſten Bundesſtaat verwandeln. Die Preſſe der Schweizer begann mit ihrer eigenthümlichen Grobheit den Federkrieg gegen Neuenburg; ſie ſchilderte die Zuſtände des beſtverwalteten aller Cantone als eine empörende Tyrannei, da nach ſchwei- zeriſcher Anſchauung die Freiheit lediglich im Nichtvorhandenſein einer monarchiſchen Gewalt beſteht, und erzählte ungeheuerliche Märchen von allen den Schätzen, welche aus der reichen Schweiz in den brandenburgiſchen Sand gefloſſen ſeien. Auch die Zeitungen im nahen Baden ließen ſich durch die republikaniſchen Schlagworte blenden und ſchämten ſich nicht die Neuenburger gegen ihren deutſchen Fürſten aufzuwiegeln.
Der König verſprach dem Fürſtenthum eine Reform der Verfaſſung, dergeſtalt daß die Mehrzahl der Ständemitglieder fortan nach allge- meinem Stimmrecht gewählt werden ſollte, und ſendete im Mai 1831 den General Pfuel mit außerordentlicher Vollmacht ins Land, jenen rüſtigen Teutonen, der einſt als Commandant von Paris ſo gut verſtanden hatte mit den Wälſchen auszukommen. Der neue Landtag ward verſammelt, und Alles ſchien verſöhnt. Aber kaum hatte der General im September das Land wieder verlaſſen, ſo überrumpelte ein durch eidgenöſſiſchen Zu- zug verſtärkter Pöbelhaufe das Neuenburger Schloß, und die Tagſatzung ſah ſich genöthigt durch ihre Truppen die Ruhe wiederherzuſtellen. Nun kehrte Pfuel zurück, berief die treuen Milizen ein, verhaftete die Rädels- führer, und als die Aufſtändiſchen im December ſich von Neuem erhoben, jagte er ſie nach einigen Gefechten im Val de Travers binnen drei Tagen auseinander. Das Land frohlockte; Jedermann wußte, daß die Unruhen nur durch den jungen Tollkopf Leutnant Bourquin und einige radicale Sendlinge aus der Nachbarſchaft künſtlich angezettelt waren. Ueberall erklang das alte Royaliſtenlied:
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ſich jedoch bald als ein ſchwerer Mißgriff. Der König war fortan von
Rechtswegen der Eidgenoſſenſchaft fremd und nahm doch thatſächlich an
den Beſchlüſſen ihrer Tagſatzung theil, da der Neuenburger Staatsrath
nur aus Beamten des Landesherrn beſtand. Aus dieſen unklaren Ver-
hältniſſen entwickelte ſich nun unausbleiblich ein Parteikampf, der im alten
Jahrhundert unmöglich geweſen wäre: in den Kreiſen der radicalen Jugend
entſtand eine ſchweizeriſch-republikaniſche Partei, welche die Trennung von
dem Fürſtenhauſe erſtrebte, während die Patricier alleſammt und auch
noch die große Mehrheit des Volks ſich ihrer royaliſtiſchen Treue rühmten.
Der Gegenſatz blieb verhüllt ſo lange in den Nachbarcantonen die
alten Herrengeſchlechter ihr ſtilles Regiment führten; aber ſobald nach der
Julirevolution die radicale Partei in der Schweiz ſich erhob, richtete ſie
ihre Pfeile ſogleich gegen den Fürſtenhut der Hohenzollern. Ihr Ziel war
die Volksherrſchaft in den Cantonen und die Verſtärkung der Bundes-
gewalt. Beides hing unzertrennlich zuſammen, denn nur wenn die Can-
tonalverfaſſungen alleſammt auf denſelben demokratiſchen Grundſätzen
beruhten, konnte der lockere Staatenbund ſich in einen feſten Bundesſtaat
verwandeln. Die Preſſe der Schweizer begann mit ihrer eigenthümlichen
Grobheit den Federkrieg gegen Neuenburg; ſie ſchilderte die Zuſtände des
beſtverwalteten aller Cantone als eine empörende Tyrannei, da nach ſchwei-
zeriſcher Anſchauung die Freiheit lediglich im Nichtvorhandenſein einer
monarchiſchen Gewalt beſteht, und erzählte ungeheuerliche Märchen von
allen den Schätzen, welche aus der reichen Schweiz in den brandenburgiſchen
Sand gefloſſen ſeien. Auch die Zeitungen im nahen Baden ließen ſich
durch die republikaniſchen Schlagworte blenden und ſchämten ſich nicht
die Neuenburger gegen ihren deutſchen Fürſten aufzuwiegeln.
Der König verſprach dem Fürſtenthum eine Reform der Verfaſſung,
dergeſtalt daß die Mehrzahl der Ständemitglieder fortan nach allge-
meinem Stimmrecht gewählt werden ſollte, und ſendete im Mai 1831
den General Pfuel mit außerordentlicher Vollmacht ins Land, jenen rüſtigen
Teutonen, der einſt als Commandant von Paris ſo gut verſtanden hatte
mit den Wälſchen auszukommen. Der neue Landtag ward verſammelt,
und Alles ſchien verſöhnt. Aber kaum hatte der General im September
das Land wieder verlaſſen, ſo überrumpelte ein durch eidgenöſſiſchen Zu-
zug verſtärkter Pöbelhaufe das Neuenburger Schloß, und die Tagſatzung
ſah ſich genöthigt durch ihre Truppen die Ruhe wiederherzuſtellen. Nun
kehrte Pfuel zurück, berief die treuen Milizen ein, verhaftete die Rädels-
führer, und als die Aufſtändiſchen im December ſich von Neuem erhoben,
jagte er ſie nach einigen Gefechten im Val de Travers binnen drei Tagen
auseinander. Das Land frohlockte; Jedermann wußte, daß die Unruhen
nur durch den jungen Tollkopf Leutnant Bourquin und einige radicale
Sendlinge aus der Nachbarſchaft künſtlich angezettelt waren. Ueberall
erklang das alte Royaliſtenlied:
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/196>, abgerufen am 29.11.2024.
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