IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Leider war aber auch auf das Bürgerheer an der Pleiße kein Verlaß, die Weihrauchspenden der liberalen Presse hatten den Hochmuth der be- waffneten Volksmänner bedenklich gesteigert. Im August meuterte ein Theil der Leipziger Communalgardisten, weil ihnen ein neuer Wachsaal nicht behagte; selbst die Studenten nahmen Partei gegen die Aufsässigen, und den schwarzen Schützen, die jetzt, nach Aufhebung der städtischen Privilegien, ihr Standquartier in Leipzig hatten, fiel die undankbare Auf- gabe zu, den Aufruhr mit Waffengewalt niederzuschlagen. Seitdem fühlte die Krone sich wieder sicherer.
Mittlerweile hatte der alte Landtag seine weitläuftigen Berathungen über das Grundgesetz beendigt. Welch ein seltsamer Gegensatz zu Kur- hessen! Während dort der Landtag den Verfassungsentwurf der Minister in liberalem Sinne gänzlich neugestaltete, gingen in Sachsen alle Re- formen von der Regierung aus. Sie bewährte durchweg mehr Einsicht und Unbefangenheit als die Stände; die Ritterschaft so gut wie die Städte verfochten hartnäckig nur ihr eigenes Interesse, und oftmals mußte Lindenau von seinen Standesgenossen Schmähungen anhören weil er die Rechte des Adels preisgebe. Auch die neue Verfassung ruhte auf dem Grundsatze der ständischen Gliederung. Die erste Kammer war in Wahrheit nur ein verkleinertes Abbild des alten Landtags und ebenso selbständig wie dieser gegenüber der Krone, die nur zehn Grundherren auf Lebenszeit ernennen durfte; sie bestand aus den Prälaten, den Stan- desherren, den Vertretern des großen Grundbesitzes und den Bürger- meistern von acht größeren Städten. In der zweiten Kammer behauptete der Grundbesitz ebenfalls das Uebergewicht, weil der Landtag die kühne Behauptung aufstellte, der wirthschaftliche Schwerpunkt dieses gewerb- fleißigen Landes liege, Dank dem gegenwärtigen Nothstande des Handels, allein im Landbau; die Ritterschaft war hier noch einmal, durch zwanzig Abgeordnete vertreten; dazu fünfundzwanzig Bauern, ebensoviel Städter und fünf Vertreter des Gewerbfleißes. Die Kammern standen mithin, obgleich sie nicht nach Curien stimmten, den altständischen Institutionen näher als dem neufranzösischen Repräsentativsystem; für die großstädtische Bildung boten sie wenig Raum, da jeder Abgeordnete in seinem Wahl- bezirke wohnen mußte, freilich krankten sie auch nicht an der Ueberzahl von Beamten, welche in den süddeutschen Landtagen so viel Unfrieden erregten. Die Krone gab die freie Verfügung über das Kammergut auf und begnügte sich fortan mit einer Civilliste; die Stände erhielten das Recht, die Minister vor einem besonderen Staatsgerichtshofe anzuklagen, sie be- willigten das Budget für je drei Jahre und faßten Beschluß über die Gesetzentwürfe, welche die Regierung allein vorlegen durfte. Ein Gesetz und selbst ein Budget sollte aber nur dann als abgelehnt betrachtet werden, wenn in einer der beiden Kammern mindestens zwei Drittel dagegen ge- stimmt hatten; überdies konnte die Krone nöthigenfalls die bisherigen Ab-
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Leider war aber auch auf das Bürgerheer an der Pleiße kein Verlaß, die Weihrauchſpenden der liberalen Preſſe hatten den Hochmuth der be- waffneten Volksmänner bedenklich geſteigert. Im Auguſt meuterte ein Theil der Leipziger Communalgardiſten, weil ihnen ein neuer Wachſaal nicht behagte; ſelbſt die Studenten nahmen Partei gegen die Aufſäſſigen, und den ſchwarzen Schützen, die jetzt, nach Aufhebung der ſtädtiſchen Privilegien, ihr Standquartier in Leipzig hatten, fiel die undankbare Auf- gabe zu, den Aufruhr mit Waffengewalt niederzuſchlagen. Seitdem fühlte die Krone ſich wieder ſicherer.
Mittlerweile hatte der alte Landtag ſeine weitläuftigen Berathungen über das Grundgeſetz beendigt. Welch ein ſeltſamer Gegenſatz zu Kur- heſſen! Während dort der Landtag den Verfaſſungsentwurf der Miniſter in liberalem Sinne gänzlich neugeſtaltete, gingen in Sachſen alle Re- formen von der Regierung aus. Sie bewährte durchweg mehr Einſicht und Unbefangenheit als die Stände; die Ritterſchaft ſo gut wie die Städte verfochten hartnäckig nur ihr eigenes Intereſſe, und oftmals mußte Lindenau von ſeinen Standesgenoſſen Schmähungen anhören weil er die Rechte des Adels preisgebe. Auch die neue Verfaſſung ruhte auf dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung. Die erſte Kammer war in Wahrheit nur ein verkleinertes Abbild des alten Landtags und ebenſo ſelbſtändig wie dieſer gegenüber der Krone, die nur zehn Grundherren auf Lebenszeit ernennen durfte; ſie beſtand aus den Prälaten, den Stan- desherren, den Vertretern des großen Grundbeſitzes und den Bürger- meiſtern von acht größeren Städten. In der zweiten Kammer behauptete der Grundbeſitz ebenfalls das Uebergewicht, weil der Landtag die kühne Behauptung aufſtellte, der wirthſchaftliche Schwerpunkt dieſes gewerb- fleißigen Landes liege, Dank dem gegenwärtigen Nothſtande des Handels, allein im Landbau; die Ritterſchaft war hier noch einmal, durch zwanzig Abgeordnete vertreten; dazu fünfundzwanzig Bauern, ebenſoviel Städter und fünf Vertreter des Gewerbfleißes. Die Kammern ſtanden mithin, obgleich ſie nicht nach Curien ſtimmten, den altſtändiſchen Inſtitutionen näher als dem neufranzöſiſchen Repräſentativſyſtem; für die großſtädtiſche Bildung boten ſie wenig Raum, da jeder Abgeordnete in ſeinem Wahl- bezirke wohnen mußte, freilich krankten ſie auch nicht an der Ueberzahl von Beamten, welche in den ſüddeutſchen Landtagen ſo viel Unfrieden erregten. Die Krone gab die freie Verfügung über das Kammergut auf und begnügte ſich fortan mit einer Civilliſte; die Stände erhielten das Recht, die Miniſter vor einem beſonderen Staatsgerichtshofe anzuklagen, ſie be- willigten das Budget für je drei Jahre und faßten Beſchluß über die Geſetzentwürfe, welche die Regierung allein vorlegen durfte. Ein Geſetz und ſelbſt ein Budget ſollte aber nur dann als abgelehnt betrachtet werden, wenn in einer der beiden Kammern mindeſtens zwei Drittel dagegen ge- ſtimmt hatten; überdies konnte die Krone nöthigenfalls die bisherigen Ab-
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Leider war aber auch auf das Bürgerheer an der Pleiße kein Verlaß,
die Weihrauchſpenden der liberalen Preſſe hatten den Hochmuth der be-
waffneten Volksmänner bedenklich geſteigert. Im Auguſt meuterte ein
Theil der Leipziger Communalgardiſten, weil ihnen ein neuer Wachſaal
nicht behagte; ſelbſt die Studenten nahmen Partei gegen die Aufſäſſigen,
und den ſchwarzen Schützen, die jetzt, nach Aufhebung der ſtädtiſchen
Privilegien, ihr Standquartier in Leipzig hatten, fiel die undankbare Auf-
gabe zu, den Aufruhr mit Waffengewalt niederzuſchlagen. Seitdem fühlte
die Krone ſich wieder ſicherer.
Mittlerweile hatte der alte Landtag ſeine weitläuftigen Berathungen
über das Grundgeſetz beendigt. Welch ein ſeltſamer Gegenſatz zu Kur-
heſſen! Während dort der Landtag den Verfaſſungsentwurf der Miniſter
in liberalem Sinne gänzlich neugeſtaltete, gingen in Sachſen alle Re-
formen von der Regierung aus. Sie bewährte durchweg mehr Einſicht
und Unbefangenheit als die Stände; die Ritterſchaft ſo gut wie die
Städte verfochten hartnäckig nur ihr eigenes Intereſſe, und oftmals
mußte Lindenau von ſeinen Standesgenoſſen Schmähungen anhören weil
er die Rechte des Adels preisgebe. Auch die neue Verfaſſung ruhte auf
dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung. Die erſte Kammer war in
Wahrheit nur ein verkleinertes Abbild des alten Landtags und ebenſo
ſelbſtändig wie dieſer gegenüber der Krone, die nur zehn Grundherren
auf Lebenszeit ernennen durfte; ſie beſtand aus den Prälaten, den Stan-
desherren, den Vertretern des großen Grundbeſitzes und den Bürger-
meiſtern von acht größeren Städten. In der zweiten Kammer behauptete
der Grundbeſitz ebenfalls das Uebergewicht, weil der Landtag die kühne
Behauptung aufſtellte, der wirthſchaftliche Schwerpunkt dieſes gewerb-
fleißigen Landes liege, Dank dem gegenwärtigen Nothſtande des Handels,
allein im Landbau; die Ritterſchaft war hier noch einmal, durch zwanzig
Abgeordnete vertreten; dazu fünfundzwanzig Bauern, ebenſoviel Städter
und fünf Vertreter des Gewerbfleißes. Die Kammern ſtanden mithin,
obgleich ſie nicht nach Curien ſtimmten, den altſtändiſchen Inſtitutionen
näher als dem neufranzöſiſchen Repräſentativſyſtem; für die großſtädtiſche
Bildung boten ſie wenig Raum, da jeder Abgeordnete in ſeinem Wahl-
bezirke wohnen mußte, freilich krankten ſie auch nicht an der Ueberzahl
von Beamten, welche in den ſüddeutſchen Landtagen ſo viel Unfrieden
erregten. Die Krone gab die freie Verfügung über das Kammergut auf
und begnügte ſich fortan mit einer Civilliſte; die Stände erhielten das Recht,
die Miniſter vor einem beſonderen Staatsgerichtshofe anzuklagen, ſie be-
willigten das Budget für je drei Jahre und faßten Beſchluß über die
Geſetzentwürfe, welche die Regierung allein vorlegen durfte. Ein Geſetz
und ſelbſt ein Budget ſollte aber nur dann als abgelehnt betrachtet werden,
wenn in einer der beiden Kammern mindeſtens zwei Drittel dagegen ge-
ſtimmt hatten; überdies konnte die Krone nöthigenfalls die bisherigen Ab-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/164>, abgerufen am 05.12.2024.
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