freien Bergstadt und wurden nur durch das Versprechen höheren Lohnes beschwichtigt. Hier ward das Haus eines katholischen Kaufmanns ge- plündert, dort ein Rathsherr wegen seiner Strenge, ein Fabrikant wegen seiner Maschinen, ein Kirchenpatron wegen des unbilligen Preises der Kirchenstühle bedroht; alle Herzensneigungen des Philisterthums kamen an den Tag, denn die Zügel des Regiments schleiften am Boden.
Nach und nach wurden auch politische Wünsche laut, da die ver- haßte städtische Verwaltung mit der alten Ständeverfassung so eng zu- sammenhing. Ein bei den Mittelklassen hochbeliebter tüchtiger Beamter, C. G. Eisenstuck, der durch die Kenntniß der englischen Zustände freiere Anschauungen gewonnen hatte, verfaßte für die Bürger der Dresdener Neustadt eine Adresse an die Krone und wagte hier zuerst neben der Beseitigung der städtischen Mißbräuche auch "eine dem Zeitgeist entspre- chende Repräsentation", vornehmlich eine Vertretung des Bauernstandes zu fordern.
In aller Unschuld ward unter den Communalgardisten der Haupt- stadt schon die Frage erwogen: ob man nicht, da so Vieles zu ändern sei, den guten alten König Anton durch freundliche Bitten zur Abdankung bewegen solle; dann könne sein Neffe, der junge Prinz Friedrich August, den Thron besteigen und vielleicht auch aus Liebe zum Volke den luthe- rischen Glauben annehmen. Solche Pläne erschienen der aufgeregten Zeit ganz unverfänglich, war doch Ludwig Philipp von den alten Mächten schon thatsächlich anerkannt; die neue französische Revolution wirkte darum so verführerisch auf das gutmüthige deutsche Bürgerthum, weil sie so glatt verlief und so viel unschuldiger schien als die gräuelvolle erste. Der deutsche Prinz aber dachte anders als der Orleans; er wies jene An- schläge sobald er davon hörte entrüstet zurück und sagte: ich will nicht König von Rebellen sein!
Ein festes Ziel gewann die unstäte Bewegung erst als das hohe Beamtenthum selber sich der Leitung bemächtigte. Die jüngeren Mit- glieder des Geheimen Rathes empfanden schon längst mit Unmuth die Uebermacht des Geheimen Cabinets, das sie ganz von dem Monarchen absperrte, und den starren Dünkel des Cabinetsministers Einsiedel; sie konnten sich auch nicht mehr verbergen, daß der König bei dem drohenden Zusammenbruche des alten Systems mindestens der Beihilfe einer jugend- lichen Kraft bedurfte. Dem alten Herrn waren die Unruhen ganz unbe- greiflich; ich habe ja, sagte er traurig, Alles beim Alten gelassen und Keinem je etwas zu Leide gethan! Endlich begann er doch einzusehen, wie gänzlich Graf Einsiedel ihn und sich selber über die Stimmung des Volkes getäuscht hatte. Am 13. September mußte der Graf auf die Auf- forderung des Königs sein Abschiedsgesuch einreichen; unwillig räumte er den so lange behaupteten Posten und schrieb dem preußischen Gesandten: "S. Maj. hat es für nöthig gehalten, daß ich ihn um meine Entlassung
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 10
Entlaſſung Einſiedel’s.
freien Bergſtadt und wurden nur durch das Verſprechen höheren Lohnes beſchwichtigt. Hier ward das Haus eines katholiſchen Kaufmanns ge- plündert, dort ein Rathsherr wegen ſeiner Strenge, ein Fabrikant wegen ſeiner Maſchinen, ein Kirchenpatron wegen des unbilligen Preiſes der Kirchenſtühle bedroht; alle Herzensneigungen des Philiſterthums kamen an den Tag, denn die Zügel des Regiments ſchleiften am Boden.
Nach und nach wurden auch politiſche Wünſche laut, da die ver- haßte ſtädtiſche Verwaltung mit der alten Ständeverfaſſung ſo eng zu- ſammenhing. Ein bei den Mittelklaſſen hochbeliebter tüchtiger Beamter, C. G. Eiſenſtuck, der durch die Kenntniß der engliſchen Zuſtände freiere Anſchauungen gewonnen hatte, verfaßte für die Bürger der Dresdener Neuſtadt eine Adreſſe an die Krone und wagte hier zuerſt neben der Beſeitigung der ſtädtiſchen Mißbräuche auch „eine dem Zeitgeiſt entſpre- chende Repräſentation“, vornehmlich eine Vertretung des Bauernſtandes zu fordern.
In aller Unſchuld ward unter den Communalgardiſten der Haupt- ſtadt ſchon die Frage erwogen: ob man nicht, da ſo Vieles zu ändern ſei, den guten alten König Anton durch freundliche Bitten zur Abdankung bewegen ſolle; dann könne ſein Neffe, der junge Prinz Friedrich Auguſt, den Thron beſteigen und vielleicht auch aus Liebe zum Volke den luthe- riſchen Glauben annehmen. Solche Pläne erſchienen der aufgeregten Zeit ganz unverfänglich, war doch Ludwig Philipp von den alten Mächten ſchon thatſächlich anerkannt; die neue franzöſiſche Revolution wirkte darum ſo verführeriſch auf das gutmüthige deutſche Bürgerthum, weil ſie ſo glatt verlief und ſo viel unſchuldiger ſchien als die gräuelvolle erſte. Der deutſche Prinz aber dachte anders als der Orleans; er wies jene An- ſchläge ſobald er davon hörte entrüſtet zurück und ſagte: ich will nicht König von Rebellen ſein!
Ein feſtes Ziel gewann die unſtäte Bewegung erſt als das hohe Beamtenthum ſelber ſich der Leitung bemächtigte. Die jüngeren Mit- glieder des Geheimen Rathes empfanden ſchon längſt mit Unmuth die Uebermacht des Geheimen Cabinets, das ſie ganz von dem Monarchen abſperrte, und den ſtarren Dünkel des Cabinetsminiſters Einſiedel; ſie konnten ſich auch nicht mehr verbergen, daß der König bei dem drohenden Zuſammenbruche des alten Syſtems mindeſtens der Beihilfe einer jugend- lichen Kraft bedurfte. Dem alten Herrn waren die Unruhen ganz unbe- greiflich; ich habe ja, ſagte er traurig, Alles beim Alten gelaſſen und Keinem je etwas zu Leide gethan! Endlich begann er doch einzuſehen, wie gänzlich Graf Einſiedel ihn und ſich ſelber über die Stimmung des Volkes getäuſcht hatte. Am 13. September mußte der Graf auf die Auf- forderung des Königs ſein Abſchiedsgeſuch einreichen; unwillig räumte er den ſo lange behaupteten Poſten und ſchrieb dem preußiſchen Geſandten: „S. Maj. hat es für nöthig gehalten, daß ich ihn um meine Entlaſſung
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 10
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Entlaſſung Einſiedel’s.
freien Bergſtadt und wurden nur durch das Verſprechen höheren Lohnes
beſchwichtigt. Hier ward das Haus eines katholiſchen Kaufmanns ge-
plündert, dort ein Rathsherr wegen ſeiner Strenge, ein Fabrikant wegen
ſeiner Maſchinen, ein Kirchenpatron wegen des unbilligen Preiſes der
Kirchenſtühle bedroht; alle Herzensneigungen des Philiſterthums kamen
an den Tag, denn die Zügel des Regiments ſchleiften am Boden.
Nach und nach wurden auch politiſche Wünſche laut, da die ver-
haßte ſtädtiſche Verwaltung mit der alten Ständeverfaſſung ſo eng zu-
ſammenhing. Ein bei den Mittelklaſſen hochbeliebter tüchtiger Beamter,
C. G. Eiſenſtuck, der durch die Kenntniß der engliſchen Zuſtände freiere
Anſchauungen gewonnen hatte, verfaßte für die Bürger der Dresdener
Neuſtadt eine Adreſſe an die Krone und wagte hier zuerſt neben der
Beſeitigung der ſtädtiſchen Mißbräuche auch „eine dem Zeitgeiſt entſpre-
chende Repräſentation“, vornehmlich eine Vertretung des Bauernſtandes
zu fordern.
In aller Unſchuld ward unter den Communalgardiſten der Haupt-
ſtadt ſchon die Frage erwogen: ob man nicht, da ſo Vieles zu ändern
ſei, den guten alten König Anton durch freundliche Bitten zur Abdankung
bewegen ſolle; dann könne ſein Neffe, der junge Prinz Friedrich Auguſt,
den Thron beſteigen und vielleicht auch aus Liebe zum Volke den luthe-
riſchen Glauben annehmen. Solche Pläne erſchienen der aufgeregten Zeit
ganz unverfänglich, war doch Ludwig Philipp von den alten Mächten ſchon
thatſächlich anerkannt; die neue franzöſiſche Revolution wirkte darum ſo
verführeriſch auf das gutmüthige deutſche Bürgerthum, weil ſie ſo glatt
verlief und ſo viel unſchuldiger ſchien als die gräuelvolle erſte. Der
deutſche Prinz aber dachte anders als der Orleans; er wies jene An-
ſchläge ſobald er davon hörte entrüſtet zurück und ſagte: ich will nicht
König von Rebellen ſein!
Ein feſtes Ziel gewann die unſtäte Bewegung erſt als das hohe
Beamtenthum ſelber ſich der Leitung bemächtigte. Die jüngeren Mit-
glieder des Geheimen Rathes empfanden ſchon längſt mit Unmuth die
Uebermacht des Geheimen Cabinets, das ſie ganz von dem Monarchen
abſperrte, und den ſtarren Dünkel des Cabinetsminiſters Einſiedel; ſie
konnten ſich auch nicht mehr verbergen, daß der König bei dem drohenden
Zuſammenbruche des alten Syſtems mindeſtens der Beihilfe einer jugend-
lichen Kraft bedurfte. Dem alten Herrn waren die Unruhen ganz unbe-
greiflich; ich habe ja, ſagte er traurig, Alles beim Alten gelaſſen und
Keinem je etwas zu Leide gethan! Endlich begann er doch einzuſehen,
wie gänzlich Graf Einſiedel ihn und ſich ſelber über die Stimmung des
Volkes getäuſcht hatte. Am 13. September mußte der Graf auf die Auf-
forderung des Königs ſein Abſchiedsgeſuch einreichen; unwillig räumte er
den ſo lange behaupteten Poſten und ſchrieb dem preußiſchen Geſandten:
„S. Maj. hat es für nöthig gehalten, daß ich ihn um meine Entlaſſung
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 10
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/159>, abgerufen am 05.12.2024.
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