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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Unruhen in Leipzig.
zunächſt nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißſtänden
ausließ. Die Unruhen begannen hier ſchon vor der großen Woche der
Pariſer, als im Juni drei Tage lang das Jubelfeſt der Augsburgiſchen
Confeſſion gefeiert wurde. Ein geiſtliches Lied mahnte die Sachſen, auch
das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu
beſchirmen: „dann jubeln frei wie Ihr der Enkel freie Schaaren;“ und
manche der Feſtreden klang wie ein Proteſt des lutheriſchen Volkes gegen
die jeſuitiſchen Umtriebe, die man den ausländiſchen Hofgeiſtlichen des
greiſen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig ſich
dem volksthümlichen Feſte unfreundlich zeigten, ſo kam es in beiden Städten
zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der
aufgeregten Menge ſogar der in Sachſen unerhörte Ruf: hoch Friedrich
Wilhelm der proteſtantiſche König! Die eingeleitete Unterſuchung hüllte
ſich in tiefes Geheimniß, und eine heftige Flugſchrift, die das Gebahren
der wachſamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als „Schatten ohne
Licht“ brandmarkte, mußte zur Beſchämung der Kurſachſen außer Landes,
unter dem Schutze der ſtrengen preußiſchen Cenſur erſcheinen.

In den erſten Septembertagen brach der Groll von Neuem aus; an
zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die
Bürger ſahen ſchadenfroh zu, und als der geängſtete Stadtrath ſie am
4. September zur Hilfe rief, hielten ſie ihm zornig die Sünden ſeines
Vettern-Regimentes vor, bis er endlich Rechenſchaft von ſeiner Verwaltung
abzulegen verſprach. Die ganze nächſte Nacht hindurch tobten die Maſſen
wieder in den Straßen. Da und dort zeigte ſich die franzöſiſche Tricolore,
und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt
der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeiſt
wollte in der erwerbloſen Zeit ſein Müthchen kühlen an gefährlichen Neben-
buhlern. Die Wohnungen mehrerer Rathsherren und Polizeibeamten
wurden „demolirt“ — ſo lautete die ausgegebene Loſung — desgleichen
einige verrufene Häuſer, deren Damen ſich der geheimen Gunſt der Stadt-
behörden erfreuten; die Schloſſer grollten, weil der Rath die eiſernen
Bettſtellen für ein Krankenhaus auswärts beſtellt hatte, die Drucker wollten
die neue Schnellpreſſe zerſtören, die ihnen das Brot vom Munde nahm,
die Lohnkutſcher den Eilwagen im königlichen Poſtſtalle. Am folgenden
Morgen that ſich die Bürgerſchaft zuſammen und bildete eine Commu-
nalgarde; Rector Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und
ermahnte ſie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung
herzuſtellen. Dies gelang denn auch ſogleich und ohne Widerſtand. Die
Communalgarde und die akademiſche Legion bezogen gemeinſam die Wachen
— denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache
der Pleißenburg keine Garniſon aufzunehmen. Die Bürger trugen die
weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin-
dungsuniformen, die ſich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/157>, abgerufen am 04.12.2024.