IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
mit dem Kehrreime schloß: "Alles seufzt zum Gott des Lichts: Ach die Hure läßt uns nichts!" Schon begannen die Bauern ihre Frohndienste einzustellen; die Wilddieberei nahm überhand, mehr noch der Schmuggel, denn das Zollwesen war durch die thörichte Handelspolitik des Kurfürsten gänzlich in Verruf gekommen, ein Schlagwort des Tages lautete: "die Mauth ist ein Kind der Finsterniß." In Kassel traten die Zunftmeister zusammen um über die Landesbeschwerden zu berathschlagen; ein Küfer Herbold führte das große Wort und ward mit dem Namen des hessischen Masaniello geehrt, denn diese deutschen Bürgerhelden fühlten sich nur im Schmucke ausländischer Federn stolz und herrlich. Als der Pöbel dann die Bäckerläden zu stürmen versuchte, bewaffneten sich die Bürger und stellten die Ordnung her. Die erschreckte Regierung ließ sie gewähren und öffnete die kurfürstlichen Kornmagazine; das Getreide des Landes- vaters ward aber auch jetzt noch, nach dem alten Brauche des Kurhauses, zu erhöhten Preisen verkauft, und erst nachdem Abgesandte der Bürger- schaft dem Finanzminister drohend ins Haus gerückt waren, entschloß er sich bis zum Marktpreise herabzugehen.
So aufgestört fand der Kurfürst seine friedliche Hauptstadt vor, als er am 12. September, abgespannt und kaum genesen, endlich heimkehrte; seine Geliebte hatte er jenseits der Landesgrenze zurücklassen müssen, weil die Minister sonst das Aergste befürchteten. Am 15. September standen die Bürger dicht gedrängt, in banger Spannung, auf dem Fried- richsplatze, derweil die Stadträthe im Palaste eine Adresse übergaben, welche den Kurfürsten beschwor die Landstände zu berufen und "Sich als Vater mit Ihren Kindern zu berathen, wie unserer Noth zu helfen sei." Droben im Saale ergriff der Bürgermeister Karl Schomburg das Wort, ein echter Hesse, ernst, besonnen, freimüthig, und schilderte in tief er- greifender Rede das Elend des verwahrlosten Landes. Der Kurfürst ver- wünschte im Herzen seine "Bürger-Rebellen", aber er sah auch, was die finsteren Gesichter draußen ankündigten, und gab zitternd seine Zusage. Alsbald eilte der Küfer Herbold an das Geländer vor dem Schlosse, und als er ein weißes Taschentuch schwenkte, durchbrauste stürmisches Freudengeschrei den weiten Platz. Wie oft ist dann in Lied und Bild die Friedensbotschaft des hessischen Masaniello verherrlicht worden; ein schwarzes Tuch in Herbold's Händen -- das wußte Jedermann -- hätte dem Aufruhr das Zeichen gegeben. Mit Tanz, Gesang und feurigen Reden ging dieser "große Tag der hessischen Geschichte" zu Ende; auch vor dem Hause des preußischen Gesandten erklangen jubelnde Hochrufe, denn König Friedrich Wilhelm stand als Bruder und Beschützer der ge- liebten Kurfürstin hoch in Ehren, und nicht selten hörte man unter den Unzufriedenen die Drohung: wir wollen preußisch werden.
Schnell genug verflog der Rausch der Freude. Die Casseler fuhren fort, dem Verbote zum Trotz, ihre Bürgerversammlungen abzuhalten und
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
mit dem Kehrreime ſchloß: „Alles ſeufzt zum Gott des Lichts: Ach die Hure läßt uns nichts!“ Schon begannen die Bauern ihre Frohndienſte einzuſtellen; die Wilddieberei nahm überhand, mehr noch der Schmuggel, denn das Zollweſen war durch die thörichte Handelspolitik des Kurfürſten gänzlich in Verruf gekommen, ein Schlagwort des Tages lautete: „die Mauth iſt ein Kind der Finſterniß.“ In Kaſſel traten die Zunftmeiſter zuſammen um über die Landesbeſchwerden zu berathſchlagen; ein Küfer Herbold führte das große Wort und ward mit dem Namen des heſſiſchen Maſaniello geehrt, denn dieſe deutſchen Bürgerhelden fühlten ſich nur im Schmucke ausländiſcher Federn ſtolz und herrlich. Als der Pöbel dann die Bäckerläden zu ſtürmen verſuchte, bewaffneten ſich die Bürger und ſtellten die Ordnung her. Die erſchreckte Regierung ließ ſie gewähren und öffnete die kurfürſtlichen Kornmagazine; das Getreide des Landes- vaters ward aber auch jetzt noch, nach dem alten Brauche des Kurhauſes, zu erhöhten Preiſen verkauft, und erſt nachdem Abgeſandte der Bürger- ſchaft dem Finanzminiſter drohend ins Haus gerückt waren, entſchloß er ſich bis zum Marktpreiſe herabzugehen.
So aufgeſtört fand der Kurfürſt ſeine friedliche Hauptſtadt vor, als er am 12. September, abgeſpannt und kaum geneſen, endlich heimkehrte; ſeine Geliebte hatte er jenſeits der Landesgrenze zurücklaſſen müſſen, weil die Miniſter ſonſt das Aergſte befürchteten. Am 15. September ſtanden die Bürger dicht gedrängt, in banger Spannung, auf dem Fried- richsplatze, derweil die Stadträthe im Palaſte eine Adreſſe übergaben, welche den Kurfürſten beſchwor die Landſtände zu berufen und „Sich als Vater mit Ihren Kindern zu berathen, wie unſerer Noth zu helfen ſei.“ Droben im Saale ergriff der Bürgermeiſter Karl Schomburg das Wort, ein echter Heſſe, ernſt, beſonnen, freimüthig, und ſchilderte in tief er- greifender Rede das Elend des verwahrloſten Landes. Der Kurfürſt ver- wünſchte im Herzen ſeine „Bürger-Rebellen“, aber er ſah auch, was die finſteren Geſichter draußen ankündigten, und gab zitternd ſeine Zuſage. Alsbald eilte der Küfer Herbold an das Geländer vor dem Schloſſe, und als er ein weißes Taſchentuch ſchwenkte, durchbrauſte ſtürmiſches Freudengeſchrei den weiten Platz. Wie oft iſt dann in Lied und Bild die Friedensbotſchaft des heſſiſchen Maſaniello verherrlicht worden; ein ſchwarzes Tuch in Herbold’s Händen — das wußte Jedermann — hätte dem Aufruhr das Zeichen gegeben. Mit Tanz, Geſang und feurigen Reden ging dieſer „große Tag der heſſiſchen Geſchichte“ zu Ende; auch vor dem Hauſe des preußiſchen Geſandten erklangen jubelnde Hochrufe, denn König Friedrich Wilhelm ſtand als Bruder und Beſchützer der ge- liebten Kurfürſtin hoch in Ehren, und nicht ſelten hörte man unter den Unzufriedenen die Drohung: wir wollen preußiſch werden.
Schnell genug verflog der Rauſch der Freude. Die Caſſeler fuhren fort, dem Verbote zum Trotz, ihre Bürgerverſammlungen abzuhalten und
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
mit dem Kehrreime ſchloß: „Alles ſeufzt zum Gott des Lichts: Ach die
Hure läßt uns nichts!“ Schon begannen die Bauern ihre Frohndienſte
einzuſtellen; die Wilddieberei nahm überhand, mehr noch der Schmuggel,
denn das Zollweſen war durch die thörichte Handelspolitik des Kurfürſten
gänzlich in Verruf gekommen, ein Schlagwort des Tages lautete: „die
Mauth iſt ein Kind der Finſterniß.“ In Kaſſel traten die Zunftmeiſter
zuſammen um über die Landesbeſchwerden zu berathſchlagen; ein Küfer
Herbold führte das große Wort und ward mit dem Namen des heſſiſchen
Maſaniello geehrt, denn dieſe deutſchen Bürgerhelden fühlten ſich nur im
Schmucke ausländiſcher Federn ſtolz und herrlich. Als der Pöbel dann
die Bäckerläden zu ſtürmen verſuchte, bewaffneten ſich die Bürger und
ſtellten die Ordnung her. Die erſchreckte Regierung ließ ſie gewähren
und öffnete die kurfürſtlichen Kornmagazine; das Getreide des Landes-
vaters ward aber auch jetzt noch, nach dem alten Brauche des Kurhauſes,
zu erhöhten Preiſen verkauft, und erſt nachdem Abgeſandte der Bürger-
ſchaft dem Finanzminiſter drohend ins Haus gerückt waren, entſchloß er
ſich bis zum Marktpreiſe herabzugehen.
So aufgeſtört fand der Kurfürſt ſeine friedliche Hauptſtadt vor, als
er am 12. September, abgeſpannt und kaum geneſen, endlich heimkehrte;
ſeine Geliebte hatte er jenſeits der Landesgrenze zurücklaſſen müſſen,
weil die Miniſter ſonſt das Aergſte befürchteten. Am 15. September
ſtanden die Bürger dicht gedrängt, in banger Spannung, auf dem Fried-
richsplatze, derweil die Stadträthe im Palaſte eine Adreſſe übergaben,
welche den Kurfürſten beſchwor die Landſtände zu berufen und „Sich als
Vater mit Ihren Kindern zu berathen, wie unſerer Noth zu helfen ſei.“
Droben im Saale ergriff der Bürgermeiſter Karl Schomburg das Wort,
ein echter Heſſe, ernſt, beſonnen, freimüthig, und ſchilderte in tief er-
greifender Rede das Elend des verwahrloſten Landes. Der Kurfürſt ver-
wünſchte im Herzen ſeine „Bürger-Rebellen“, aber er ſah auch, was die
finſteren Geſichter draußen ankündigten, und gab zitternd ſeine Zuſage.
Alsbald eilte der Küfer Herbold an das Geländer vor dem Schloſſe,
und als er ein weißes Taſchentuch ſchwenkte, durchbrauſte ſtürmiſches
Freudengeſchrei den weiten Platz. Wie oft iſt dann in Lied und Bild
die Friedensbotſchaft des heſſiſchen Maſaniello verherrlicht worden; ein
ſchwarzes Tuch in Herbold’s Händen — das wußte Jedermann — hätte
dem Aufruhr das Zeichen gegeben. Mit Tanz, Geſang und feurigen
Reden ging dieſer „große Tag der heſſiſchen Geſchichte“ zu Ende; auch
vor dem Hauſe des preußiſchen Geſandten erklangen jubelnde Hochrufe,
denn König Friedrich Wilhelm ſtand als Bruder und Beſchützer der ge-
liebten Kurfürſtin hoch in Ehren, und nicht ſelten hörte man unter den
Unzufriedenen die Drohung: wir wollen preußiſch werden.
Schnell genug verflog der Rauſch der Freude. Die Caſſeler fuhren
fort, dem Verbote zum Trotz, ihre Bürgerverſammlungen abzuhalten und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/142>, abgerufen am 23.07.2024.
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