Weisung, sich jeder Einmischung zu enthalten; auch den Austritt Grol- mann's aus dem auswärtigen Amte hielt Bernstorff nicht für wünschens- werth, weil der Verdrängte dann auf die Meinung der großen Mächte noch weniger Rücksicht nehmen würde.*) Bei solcher Gesinnung der preu- ßischen Staatsmänner wollte Metternich ebenfalls keinen entscheidenden Schritt thun, obwohl er einmal eine sehr unfreundliche Note nach Darm- stadt sendete: so lange die Abwehr der italienischen Revolution seine ganze Kraft in Anspruch nahm, sollte in Deutschland jede Verwicklung vermieden werden.
Unterdessen hatten sich die Ultras in Darmstadt von ihrem Schrecken erholt, da die Haltung der Kammern durchaus den Erwartungen des Ministers entsprach. Beschwichtigt durch die Zusage der Verfassung, zeigten sich die Abgeordneten fortan sehr nachgiebig, und Grolmann konnte mit vollem Rechte dem preußischen Gesandten versichern, der Entschluß des Großherzogs habe der radikalen Partei eine Niederlage bereitet, auf das Vertrauen des Volks gestützt stehe die Regierung jetzt mächtiger da denn zuvor. Auch Arens redete dem besorgten Preußen zu: -- es sei unmög- lich, den Strom der allgemeinen Opinion aufzuhalten, möge das für Preußen ein Fingerzeig sein! -- und Gagern diktirte ihm eine Denk- schrift in die Feder, welche dem Berliner Hofe auseinandersetzte, daß die Hessen nimmermehr hinter ihren süddeutschen Nachbarn zurückbleiben wollten, und mithin nur eine Verfassungsurkunde den Landtag zufrieden stellen könne.**) Das Zureden wirkte, und wohlmeinend wie er war, hielt es Otterstedt nunmehr für seine Pflicht, den grollenden österreichi- schen Gesandten v. Handel zu beschwichtigen und auch die noch immer ver- stimmten beiden Prinzen zur Besonnenheit zu mahnen. Auf seine und du Thil's Vorstellungen sahen die Prinzen ein, daß es ihnen nicht zieme, öffentlich wider ihren Vater aufzutreten; Beide gaben in der ersten Kammer versöhnliche Erklärungen ab. Um seine Söhne vollends zu gewinnen, be- rief sie der Großherzog sodann in sein Ministerium; damit war, wie Prinz Emil befriedigt schrieb, von Neuem bewiesen, daß der alte Herr "das monarchische Princip kräftig aufrechthalten wollte".***)
Im Ministerrathe einigte man sich hierauf über einen guten Ge- danken, der den Doktrinären des monarchischen Princips ihre letzten Formbedenken aus der Hand schlug. Man beschloß, daß die Verfassungs- urkunde zwar genau nach den angenommenen Vorschlägen der Stände abgefaßt, dann aber ohne nochmalige Befragung des Landtags, vom Throne herab als ein freies Geschenk fürstlicher Gnade dem Lande ver-
*) Weisungen an Otterstedt: von Bernstorff, Troppau, 11. Nov., von Ancillon, Berlin, 11. Nov. 1820.
**) Grolmann an Otterstedt, 17. Okt.; Arens an Otterstedt, 15. Okt.; Memoire du Baron de Gagern, 29. Okt. 1820.
***) Prinz Emil von Hessen an Otterstedt, 29. Okt. 1820.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 5
Verſtändigung über die Verfaſſung.
Weiſung, ſich jeder Einmiſchung zu enthalten; auch den Austritt Grol- mann’s aus dem auswärtigen Amte hielt Bernſtorff nicht für wünſchens- werth, weil der Verdrängte dann auf die Meinung der großen Mächte noch weniger Rückſicht nehmen würde.*) Bei ſolcher Geſinnung der preu- ßiſchen Staatsmänner wollte Metternich ebenfalls keinen entſcheidenden Schritt thun, obwohl er einmal eine ſehr unfreundliche Note nach Darm- ſtadt ſendete: ſo lange die Abwehr der italieniſchen Revolution ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, ſollte in Deutſchland jede Verwicklung vermieden werden.
Unterdeſſen hatten ſich die Ultras in Darmſtadt von ihrem Schrecken erholt, da die Haltung der Kammern durchaus den Erwartungen des Miniſters entſprach. Beſchwichtigt durch die Zuſage der Verfaſſung, zeigten ſich die Abgeordneten fortan ſehr nachgiebig, und Grolmann konnte mit vollem Rechte dem preußiſchen Geſandten verſichern, der Entſchluß des Großherzogs habe der radikalen Partei eine Niederlage bereitet, auf das Vertrauen des Volks geſtützt ſtehe die Regierung jetzt mächtiger da denn zuvor. Auch Arens redete dem beſorgten Preußen zu: — es ſei unmög- lich, den Strom der allgemeinen Opinion aufzuhalten, möge das für Preußen ein Fingerzeig ſein! — und Gagern diktirte ihm eine Denk- ſchrift in die Feder, welche dem Berliner Hofe auseinanderſetzte, daß die Heſſen nimmermehr hinter ihren ſüddeutſchen Nachbarn zurückbleiben wollten, und mithin nur eine Verfaſſungsurkunde den Landtag zufrieden ſtellen könne.**) Das Zureden wirkte, und wohlmeinend wie er war, hielt es Otterſtedt nunmehr für ſeine Pflicht, den grollenden öſterreichi- ſchen Geſandten v. Handel zu beſchwichtigen und auch die noch immer ver- ſtimmten beiden Prinzen zur Beſonnenheit zu mahnen. Auf ſeine und du Thil’s Vorſtellungen ſahen die Prinzen ein, daß es ihnen nicht zieme, öffentlich wider ihren Vater aufzutreten; Beide gaben in der erſten Kammer verſöhnliche Erklärungen ab. Um ſeine Söhne vollends zu gewinnen, be- rief ſie der Großherzog ſodann in ſein Miniſterium; damit war, wie Prinz Emil befriedigt ſchrieb, von Neuem bewieſen, daß der alte Herr „das monarchiſche Princip kräftig aufrechthalten wollte“.***)
Im Miniſterrathe einigte man ſich hierauf über einen guten Ge- danken, der den Doktrinären des monarchiſchen Princips ihre letzten Formbedenken aus der Hand ſchlug. Man beſchloß, daß die Verfaſſungs- urkunde zwar genau nach den angenommenen Vorſchlägen der Stände abgefaßt, dann aber ohne nochmalige Befragung des Landtags, vom Throne herab als ein freies Geſchenk fürſtlicher Gnade dem Lande ver-
*) Weiſungen an Otterſtedt: von Bernſtorff, Troppau, 11. Nov., von Ancillon, Berlin, 11. Nov. 1820.
**) Grolmann an Otterſtedt, 17. Okt.; Arens an Otterſtedt, 15. Okt.; Mémoire du Baron de Gagern, 29. Okt. 1820.
***) Prinz Emil von Heſſen an Otterſtedt, 29. Okt. 1820.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 5
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mann’s aus dem auswärtigen Amte hielt Bernſtorff nicht für wünſchens-
werth, weil der Verdrängte dann auf die Meinung der großen Mächte
noch weniger Rückſicht nehmen würde. *) Bei ſolcher Geſinnung der preu-
ßiſchen Staatsmänner wollte Metternich ebenfalls keinen entſcheidenden
Schritt thun, obwohl er einmal eine ſehr unfreundliche Note nach Darm-
ſtadt ſendete: ſo lange die Abwehr der italieniſchen Revolution ſeine ganze
Kraft in Anſpruch nahm, ſollte in Deutſchland jede Verwicklung vermieden
werden.
Unterdeſſen hatten ſich die Ultras in Darmſtadt von ihrem Schrecken
erholt, da die Haltung der Kammern durchaus den Erwartungen des
Miniſters entſprach. Beſchwichtigt durch die Zuſage der Verfaſſung, zeigten
ſich die Abgeordneten fortan ſehr nachgiebig, und Grolmann konnte mit
vollem Rechte dem preußiſchen Geſandten verſichern, der Entſchluß des
Großherzogs habe der radikalen Partei eine Niederlage bereitet, auf das
Vertrauen des Volks geſtützt ſtehe die Regierung jetzt mächtiger da denn
zuvor. Auch Arens redete dem beſorgten Preußen zu: — es ſei unmög-
lich, den Strom der allgemeinen Opinion aufzuhalten, möge das für
Preußen ein Fingerzeig ſein! — und Gagern diktirte ihm eine Denk-
ſchrift in die Feder, welche dem Berliner Hofe auseinanderſetzte, daß
die Heſſen nimmermehr hinter ihren ſüddeutſchen Nachbarn zurückbleiben
wollten, und mithin nur eine Verfaſſungsurkunde den Landtag zufrieden
ſtellen könne. **) Das Zureden wirkte, und wohlmeinend wie er war,
hielt es Otterſtedt nunmehr für ſeine Pflicht, den grollenden öſterreichi-
ſchen Geſandten v. Handel zu beſchwichtigen und auch die noch immer ver-
ſtimmten beiden Prinzen zur Beſonnenheit zu mahnen. Auf ſeine und
du Thil’s Vorſtellungen ſahen die Prinzen ein, daß es ihnen nicht zieme,
öffentlich wider ihren Vater aufzutreten; Beide gaben in der erſten Kammer
verſöhnliche Erklärungen ab. Um ſeine Söhne vollends zu gewinnen, be-
rief ſie der Großherzog ſodann in ſein Miniſterium; damit war, wie
Prinz Emil befriedigt ſchrieb, von Neuem bewieſen, daß der alte Herr
„das monarchiſche Princip kräftig aufrechthalten wollte“. ***)
Im Miniſterrathe einigte man ſich hierauf über einen guten Ge-
danken, der den Doktrinären des monarchiſchen Princips ihre letzten
Formbedenken aus der Hand ſchlug. Man beſchloß, daß die Verfaſſungs-
urkunde zwar genau nach den angenommenen Vorſchlägen der Stände
abgefaßt, dann aber ohne nochmalige Befragung des Landtags, vom
Throne herab als ein freies Geſchenk fürſtlicher Gnade dem Lande ver-
*) Weiſungen an Otterſtedt: von Bernſtorff, Troppau, 11. Nov., von Ancillon,
Berlin, 11. Nov. 1820.
**) Grolmann an Otterſtedt, 17. Okt.; Arens an Otterſtedt, 15. Okt.; Mémoire
du Baron de Gagern, 29. Okt. 1820.
***) Prinz Emil von Heſſen an Otterſtedt, 29. Okt. 1820.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 5
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/81>, abgerufen am 22.11.2024.
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