sichten der Cabinette zu reden weiß. Jedenfalls kann heute, da die archivalischen Quellen reichlicher fließen, ein autos epha nicht mehr entscheiden.
Wie man in den Kreisen der Mitbegründer des Zollvereins über die Leiter des großen Werkes dachte, das bezeugt ein Aufsatz, den ein freundlicher Zufall unter die Motz'schen Papiere verschlagen hat. L. Kühne, der nächste Vertraute von Motz und Maassen wäh- rend der schweren Jahre 1825 -- 34, begann im Jahre 1841 eine kleine Abhandlung: "wer ist der Stifter des Zollvereins?", als sich die Berliner Zeitungen grade über die Frage stritten, ob Motz oder Maassen ein Denkmal verdiene. Die Arbeit blieb unvol- lendet liegen, und der Verfasser hat späterhin das Bruchstück mit einem freundschaftlichen Briefe an die Familie des Ministers Motz gesendet. Kühne hält von vornherein für aus- gemacht, daß neben Motz und Maassen kein Dritter in Betracht komme. Er erinnert an Goethe's Wort über Schiller, die Deutschen sollten sich freuen zwei solche Kerle zu haben, betont aber nachher stark, daß kein einzelner Mann das Werk geschaffen: "die Gewalt der Sachen ist es, die den Verein gegründet hat." Nun erzählt er kurz von dem Bundestagsjammer, von List's Agitationen, von den süddeutschen Sonderbundsver- suchen, von Preußens zuwartender Haltung und seinen Enclavenverträgen. Dann hebt sich der Ton, und es wird geschildert, wie mit Motz ein frisches Leben in die Finanz- verwaltung kam, wie an ihm das audaces fortuna juvat sich erfüllte, während Maassen als der Bedenklichere erscheint. Nach einer ausführlicheren Darstellung der Finanzreform und der preußisch-hessischen Verhandlungen bricht der Aussatz ab, und man trägt den Eindruck davon, daß der Verfasser in Motz den kühnen Bahnbrecher des Unternehmens sah. Die Abhandlung ist nicht frei von Irrthümern; namentlich scheint der Finanz- mann von der Thätigkeit Eichhorn's und des Auswärtigen Amtes wenig oder nichts gewußt zu haben. Aber die im Jahre 1833 neu gedruckte und dem preußischen Mini- sterium übersendete Nebenius'sche Denkschrift mußte er kennen. Und doch gedenkt er ihrer und ihres Verfassers mit keiner Silbe, während er List, Emil Hoffmann und die anderen Wortführer des Vereins deutscher Kaufleute mit Anerkennung nennt! Der praktische Staatsmann hielt es offenbar für undenkbar, daß man jemals auf den Einfall kommen würde, den Verfasser einer Denkschrift, die ein unmögliches Bundeszollwesen empfahl und ohne jede politische Wirkung blieb, für "den Erfinder des Zollvereins" auszugeben.
Ich denke, die realistische Anschauung des alten Kühne wird auch in der historischen Wissenschaft durchdringen, sobald unsere Gelehrten in der Schule eines freien Staats- lebens lernen, den bedingten Werth der Theorie in der politischen Welt bescheiden anzu- erkennen. Nochmals, ich wäre froh mich von einem Manne wie Roscher überzeugen zu lassen. Aber dieser unglückselige Nebenius-Mythus ist und bleibt ein Mythus, und es wird hohe Zeit, ihn gelassen zu den beiden Eiern des braven Schweppermann und ähn- lichen Kleinodien particular-historischer Sagenbildung zu legen.
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
Nebenius und der deutſche Zollverein.
ſichten der Cabinette zu reden weiß. Jedenfalls kann heute, da die archivaliſchen Quellen reichlicher fließen, ein αὐτὸς ἔφα nicht mehr entſcheiden.
Wie man in den Kreiſen der Mitbegründer des Zollvereins über die Leiter des großen Werkes dachte, das bezeugt ein Aufſatz, den ein freundlicher Zufall unter die Motz’ſchen Papiere verſchlagen hat. L. Kühne, der nächſte Vertraute von Motz und Maaſſen wäh- rend der ſchweren Jahre 1825 — 34, begann im Jahre 1841 eine kleine Abhandlung: „wer iſt der Stifter des Zollvereins?“, als ſich die Berliner Zeitungen grade über die Frage ſtritten, ob Motz oder Maaſſen ein Denkmal verdiene. Die Arbeit blieb unvol- lendet liegen, und der Verfaſſer hat ſpäterhin das Bruchſtück mit einem freundſchaftlichen Briefe an die Familie des Miniſters Motz geſendet. Kühne hält von vornherein für aus- gemacht, daß neben Motz und Maaſſen kein Dritter in Betracht komme. Er erinnert an Goethe’s Wort über Schiller, die Deutſchen ſollten ſich freuen zwei ſolche Kerle zu haben, betont aber nachher ſtark, daß kein einzelner Mann das Werk geſchaffen: „die Gewalt der Sachen iſt es, die den Verein gegründet hat.“ Nun erzählt er kurz von dem Bundestagsjammer, von Liſt’s Agitationen, von den ſüddeutſchen Sonderbundsver- ſuchen, von Preußens zuwartender Haltung und ſeinen Enclavenverträgen. Dann hebt ſich der Ton, und es wird geſchildert, wie mit Motz ein friſches Leben in die Finanz- verwaltung kam, wie an ihm das audaces fortuna juvat ſich erfüllte, während Maaſſen als der Bedenklichere erſcheint. Nach einer ausführlicheren Darſtellung der Finanzreform und der preußiſch-heſſiſchen Verhandlungen bricht der Auſſatz ab, und man trägt den Eindruck davon, daß der Verfaſſer in Motz den kühnen Bahnbrecher des Unternehmens ſah. Die Abhandlung iſt nicht frei von Irrthümern; namentlich ſcheint der Finanz- mann von der Thätigkeit Eichhorn’s und des Auswärtigen Amtes wenig oder nichts gewußt zu haben. Aber die im Jahre 1833 neu gedruckte und dem preußiſchen Mini- ſterium überſendete Nebenius’ſche Denkſchrift mußte er kennen. Und doch gedenkt er ihrer und ihres Verfaſſers mit keiner Silbe, während er Liſt, Emil Hoffmann und die anderen Wortführer des Vereins deutſcher Kaufleute mit Anerkennung nennt! Der praktiſche Staatsmann hielt es offenbar für undenkbar, daß man jemals auf den Einfall kommen würde, den Verfaſſer einer Denkſchrift, die ein unmögliches Bundeszollweſen empfahl und ohne jede politiſche Wirkung blieb, für „den Erfinder des Zollvereins“ auszugeben.
Ich denke, die realiſtiſche Anſchauung des alten Kühne wird auch in der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft durchdringen, ſobald unſere Gelehrten in der Schule eines freien Staats- lebens lernen, den bedingten Werth der Theorie in der politiſchen Welt beſcheiden anzu- erkennen. Nochmals, ich wäre froh mich von einem Manne wie Roſcher überzeugen zu laſſen. Aber dieſer unglückſelige Nebenius-Mythus iſt und bleibt ein Mythus, und es wird hohe Zeit, ihn gelaſſen zu den beiden Eiern des braven Schweppermann und ähn- lichen Kleinodien particular-hiſtoriſcher Sagenbildung zu legen.
Druck von J. B. Hirſchfeld in Leipzig.
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Nebenius und der deutſche Zollverein.
ſichten der Cabinette zu reden weiß. Jedenfalls kann heute, da die archivaliſchen Quellen
reichlicher fließen, ein αὐτὸς ἔφα nicht mehr entſcheiden.
Wie man in den Kreiſen der Mitbegründer des Zollvereins über die Leiter des großen
Werkes dachte, das bezeugt ein Aufſatz, den ein freundlicher Zufall unter die Motz’ſchen
Papiere verſchlagen hat. L. Kühne, der nächſte Vertraute von Motz und Maaſſen wäh-
rend der ſchweren Jahre 1825 — 34, begann im Jahre 1841 eine kleine Abhandlung:
„wer iſt der Stifter des Zollvereins?“, als ſich die Berliner Zeitungen grade über die
Frage ſtritten, ob Motz oder Maaſſen ein Denkmal verdiene. Die Arbeit blieb unvol-
lendet liegen, und der Verfaſſer hat ſpäterhin das Bruchſtück mit einem freundſchaftlichen
Briefe an die Familie des Miniſters Motz geſendet. Kühne hält von vornherein für aus-
gemacht, daß neben Motz und Maaſſen kein Dritter in Betracht komme. Er erinnert
an Goethe’s Wort über Schiller, die Deutſchen ſollten ſich freuen zwei ſolche Kerle zu
haben, betont aber nachher ſtark, daß kein einzelner Mann das Werk geſchaffen: „die
Gewalt der Sachen iſt es, die den Verein gegründet hat.“ Nun erzählt er kurz von
dem Bundestagsjammer, von Liſt’s Agitationen, von den ſüddeutſchen Sonderbundsver-
ſuchen, von Preußens zuwartender Haltung und ſeinen Enclavenverträgen. Dann hebt
ſich der Ton, und es wird geſchildert, wie mit Motz ein friſches Leben in die Finanz-
verwaltung kam, wie an ihm das audaces fortuna juvat ſich erfüllte, während Maaſſen
als der Bedenklichere erſcheint. Nach einer ausführlicheren Darſtellung der Finanzreform
und der preußiſch-heſſiſchen Verhandlungen bricht der Auſſatz ab, und man trägt den
Eindruck davon, daß der Verfaſſer in Motz den kühnen Bahnbrecher des Unternehmens
ſah. Die Abhandlung iſt nicht frei von Irrthümern; namentlich ſcheint der Finanz-
mann von der Thätigkeit Eichhorn’s und des Auswärtigen Amtes wenig oder nichts
gewußt zu haben. Aber die im Jahre 1833 neu gedruckte und dem preußiſchen Mini-
ſterium überſendete Nebenius’ſche Denkſchrift mußte er kennen. Und doch gedenkt er ihrer
und ihres Verfaſſers mit keiner Silbe, während er Liſt, Emil Hoffmann und die anderen
Wortführer des Vereins deutſcher Kaufleute mit Anerkennung nennt! Der praktiſche
Staatsmann hielt es offenbar für undenkbar, daß man jemals auf den Einfall kommen
würde, den Verfaſſer einer Denkſchrift, die ein unmögliches Bundeszollweſen empfahl
und ohne jede politiſche Wirkung blieb, für „den Erfinder des Zollvereins“ auszugeben.
Ich denke, die realiſtiſche Anſchauung des alten Kühne wird auch in der hiſtoriſchen
Wiſſenſchaft durchdringen, ſobald unſere Gelehrten in der Schule eines freien Staats-
lebens lernen, den bedingten Werth der Theorie in der politiſchen Welt beſcheiden anzu-
erkennen. Nochmals, ich wäre froh mich von einem Manne wie Roſcher überzeugen zu
laſſen. Aber dieſer unglückſelige Nebenius-Mythus iſt und bleibt ein Mythus, und es
wird hohe Zeit, ihn gelaſſen zu den beiden Eiern des braven Schweppermann und ähn-
lichen Kleinodien particular-hiſtoriſcher Sagenbildung zu legen.
Druck von J. B. Hirſchfeld in Leipzig.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/794>, abgerufen am 22.11.2024.
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