dem leidenschaftlichen Verlangen der Nation nach der Rheingrenze zu widerstehen. Wie sich die Dinge auch wenden mochten, ein Krieg in solcher Lage, um einer Frage willen, welche den deutschen Interessen fern- ablag, konnte dem preußischen Staate nur Opfer und Verlegenheit be- reiten ohne jede Wahrscheinlichkeit großer Erfolge. Friedrich Wilhelm's Friedenspolitik hatte in den napoleonischen Zeiten viel Unheil verschuldet; diesmal war sie vollberechtigt.
Auch Czar Nikolaus wünschte jetzt aufrichtig den Frieden. Ernüchtert durch die bescheidenen Erfolge des ersten Feldzugs verzichtete er vorläufig auf die ehrgeizigen Pläne, mit denen er sich früher wohl getragen hatte, und suchte nur noch auf ehrenvolle Weise aus dem Handel herauszu- kommen. Einem europäischen Kriege sah er mit Besorgniß entgegen, denn auf Preußens Waffenhilfe konnte er noch nicht rechnen, und sein einziger sicherer Bundesgenosse König Karl X. stand am Rande des Grabes. Schon im December betheuerte er dem König von Preußen, wie lebhaft er nach Frieden verlange, und beschwerte sich zugleich heftig über England und das "infame" Betragen Oesterreichs.*) Als der Krieg im Frühjahr unter günstigen Anzeichen von Neuem begann, reiste Nikolaus nach Warschau und empfing dort unheimliche Eindrücke, die ihn in seiner Friedenssehn- sucht nur bestärken konnten. Den Polen war es ein Gräuel, daß ihr König nicht in ihrer alten Johannskathedrale, sondern im Thronsaale des Schlosses und nach griechisch-orthodoxem Ritus die Krönung vollziehen ließ. Die Landboten verharrten in eisigem Schweigen, als der vorge- schriebene Hochruf angestimmt wurde; auch das Volk verhielt sich kalt, fast drohend; Jedermann fühlte, welche Leidenschaften hier gährten.
Von Warschau aus wollte der Czar nach Sibyllenort reisen, um seinen Schwiegervater zu sprechen; Friedrich Wilhelm wünschte auch den Kaiser von Oesterreich zuzuziehen, der aber sagte auf Maltzahn's Andeutungen kein Wort, so bitter war schon der Haß zwischen den beiden Kaiserhöfen.**) Inzwischen wurde der König unwohl und mußte die Reise aufgeben. Da erschien Nikolaus am 6. Juni selber in Berlin, mit seiner Gemahlin und dem kleinen Thronfolger. Es war die erste jener theatralischen Ueber- raschungen, welche sich seitdem noch oft wiederholten; der Czar liebte wie der Donnerer Zeus plötzlich aus dem Gewölk herauszutreten. Die Ber- liner empfingen ihre erlauchten Gäste mit überschwänglichen Huldigungen, sie konnten sich nicht satt sehen an ihrer Charlotte und dem ältesten Enkel ihres Königs. Die Universität begrüßte den Befreier der Hellenen mit einer griechischen Ode; denn die philhellenische Begeisterung beherrschte die liberale Welt so gänzlich, daß selbst H. Heine und seine radicalen Freunde sich über die Waffenerfolge des griechenfreundlichen Czaren freuten. Niko-
*) König Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 3. Dec. 1828.
**) Maltzahn's Bericht, 9. Mai 1829.
Czar Nikolaus in Berlin.
dem leidenſchaftlichen Verlangen der Nation nach der Rheingrenze zu widerſtehen. Wie ſich die Dinge auch wenden mochten, ein Krieg in ſolcher Lage, um einer Frage willen, welche den deutſchen Intereſſen fern- ablag, konnte dem preußiſchen Staate nur Opfer und Verlegenheit be- reiten ohne jede Wahrſcheinlichkeit großer Erfolge. Friedrich Wilhelm’s Friedenspolitik hatte in den napoleoniſchen Zeiten viel Unheil verſchuldet; diesmal war ſie vollberechtigt.
Auch Czar Nikolaus wünſchte jetzt aufrichtig den Frieden. Ernüchtert durch die beſcheidenen Erfolge des erſten Feldzugs verzichtete er vorläufig auf die ehrgeizigen Pläne, mit denen er ſich früher wohl getragen hatte, und ſuchte nur noch auf ehrenvolle Weiſe aus dem Handel herauszu- kommen. Einem europäiſchen Kriege ſah er mit Beſorgniß entgegen, denn auf Preußens Waffenhilfe konnte er noch nicht rechnen, und ſein einziger ſicherer Bundesgenoſſe König Karl X. ſtand am Rande des Grabes. Schon im December betheuerte er dem König von Preußen, wie lebhaft er nach Frieden verlange, und beſchwerte ſich zugleich heftig über England und das „infame“ Betragen Oeſterreichs.*) Als der Krieg im Frühjahr unter günſtigen Anzeichen von Neuem begann, reiſte Nikolaus nach Warſchau und empfing dort unheimliche Eindrücke, die ihn in ſeiner Friedensſehn- ſucht nur beſtärken konnten. Den Polen war es ein Gräuel, daß ihr König nicht in ihrer alten Johannskathedrale, ſondern im Thronſaale des Schloſſes und nach griechiſch-orthodoxem Ritus die Krönung vollziehen ließ. Die Landboten verharrten in eiſigem Schweigen, als der vorge- ſchriebene Hochruf angeſtimmt wurde; auch das Volk verhielt ſich kalt, faſt drohend; Jedermann fühlte, welche Leidenſchaften hier gährten.
Von Warſchau aus wollte der Czar nach Sibyllenort reiſen, um ſeinen Schwiegervater zu ſprechen; Friedrich Wilhelm wünſchte auch den Kaiſer von Oeſterreich zuzuziehen, der aber ſagte auf Maltzahn’s Andeutungen kein Wort, ſo bitter war ſchon der Haß zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen.**) Inzwiſchen wurde der König unwohl und mußte die Reiſe aufgeben. Da erſchien Nikolaus am 6. Juni ſelber in Berlin, mit ſeiner Gemahlin und dem kleinen Thronfolger. Es war die erſte jener theatraliſchen Ueber- raſchungen, welche ſich ſeitdem noch oft wiederholten; der Czar liebte wie der Donnerer Zeus plötzlich aus dem Gewölk herauszutreten. Die Ber- liner empfingen ihre erlauchten Gäſte mit überſchwänglichen Huldigungen, ſie konnten ſich nicht ſatt ſehen an ihrer Charlotte und dem älteſten Enkel ihres Königs. Die Univerſität begrüßte den Befreier der Hellenen mit einer griechiſchen Ode; denn die philhelleniſche Begeiſterung beherrſchte die liberale Welt ſo gänzlich, daß ſelbſt H. Heine und ſeine radicalen Freunde ſich über die Waffenerfolge des griechenfreundlichen Czaren freuten. Niko-
*) König Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 3. Dec. 1828.
**) Maltzahn’s Bericht, 9. Mai 1829.
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Czar Nikolaus in Berlin.
dem leidenſchaftlichen Verlangen der Nation nach der Rheingrenze zu
widerſtehen. Wie ſich die Dinge auch wenden mochten, ein Krieg in
ſolcher Lage, um einer Frage willen, welche den deutſchen Intereſſen fern-
ablag, konnte dem preußiſchen Staate nur Opfer und Verlegenheit be-
reiten ohne jede Wahrſcheinlichkeit großer Erfolge. Friedrich Wilhelm’s
Friedenspolitik hatte in den napoleoniſchen Zeiten viel Unheil verſchuldet;
diesmal war ſie vollberechtigt.
Auch Czar Nikolaus wünſchte jetzt aufrichtig den Frieden. Ernüchtert
durch die beſcheidenen Erfolge des erſten Feldzugs verzichtete er vorläufig
auf die ehrgeizigen Pläne, mit denen er ſich früher wohl getragen hatte,
und ſuchte nur noch auf ehrenvolle Weiſe aus dem Handel herauszu-
kommen. Einem europäiſchen Kriege ſah er mit Beſorgniß entgegen, denn
auf Preußens Waffenhilfe konnte er noch nicht rechnen, und ſein einziger
ſicherer Bundesgenoſſe König Karl X. ſtand am Rande des Grabes. Schon
im December betheuerte er dem König von Preußen, wie lebhaft er nach
Frieden verlange, und beſchwerte ſich zugleich heftig über England und
das „infame“ Betragen Oeſterreichs. *) Als der Krieg im Frühjahr unter
günſtigen Anzeichen von Neuem begann, reiſte Nikolaus nach Warſchau
und empfing dort unheimliche Eindrücke, die ihn in ſeiner Friedensſehn-
ſucht nur beſtärken konnten. Den Polen war es ein Gräuel, daß ihr
König nicht in ihrer alten Johannskathedrale, ſondern im Thronſaale des
Schloſſes und nach griechiſch-orthodoxem Ritus die Krönung vollziehen
ließ. Die Landboten verharrten in eiſigem Schweigen, als der vorge-
ſchriebene Hochruf angeſtimmt wurde; auch das Volk verhielt ſich kalt,
faſt drohend; Jedermann fühlte, welche Leidenſchaften hier gährten.
Von Warſchau aus wollte der Czar nach Sibyllenort reiſen, um ſeinen
Schwiegervater zu ſprechen; Friedrich Wilhelm wünſchte auch den Kaiſer von
Oeſterreich zuzuziehen, der aber ſagte auf Maltzahn’s Andeutungen kein
Wort, ſo bitter war ſchon der Haß zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen. **)
Inzwiſchen wurde der König unwohl und mußte die Reiſe aufgeben.
Da erſchien Nikolaus am 6. Juni ſelber in Berlin, mit ſeiner Gemahlin
und dem kleinen Thronfolger. Es war die erſte jener theatraliſchen Ueber-
raſchungen, welche ſich ſeitdem noch oft wiederholten; der Czar liebte wie
der Donnerer Zeus plötzlich aus dem Gewölk herauszutreten. Die Ber-
liner empfingen ihre erlauchten Gäſte mit überſchwänglichen Huldigungen,
ſie konnten ſich nicht ſatt ſehen an ihrer Charlotte und dem älteſten Enkel
ihres Königs. Die Univerſität begrüßte den Befreier der Hellenen mit
einer griechiſchen Ode; denn die philhelleniſche Begeiſterung beherrſchte die
liberale Welt ſo gänzlich, daß ſelbſt H. Heine und ſeine radicalen Freunde
ſich über die Waffenerfolge des griechenfreundlichen Czaren freuten. Niko-
*) König Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 3. Dec. 1828.
**) Maltzahn’s Bericht, 9. Mai 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/757>, abgerufen am 22.11.2024.
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