Wellington aber ging auf Oesterreichs Absichten willig ein, und zu An- fang des Jahres 1829 schien ein europäischer Krieg nicht mehr unmöglich: England und Oesterreich auf der einen, Rußland, Frankreich und vielleicht auch Preußen auf der anderen Seite. Radetzky erörterte schon in einer Denkschrift den Fall eines Krieges gegen Rußland und Preußen; er nannte Preußen "den unförmlichsten Staat, den es je auf dem Erdenrund ge- geben hat"; aber selbst der fähigste General der k. k. Armee verfiel nicht auf die Frage, ob es nicht klug sei, diesem unförmlichen Staate die un- entbehrliche Abrundung zu gönnen, sondern erklärte kurzab, mit dem alten ferdinandeischen Uebermuthe: "wir dürfen Preußen keine Vergrößerung gestatten". Unterdessen wüthete Gentz in seinen Zeitungen gegen Ruß- land und den russisch gesinnten Berliner Hof; zu gleicher Zeit flehte er den König von Preußen brieflich um ein Geldgeschenk an. Zur Begutach- tung aufgefordert rieth Bernstorff das erbauliche Gesuch zu bewilligen, da der mächttge Publicist der Gesandtschaft in Wien nützlich sein könne; aber, fügte er hinzu, "Herr v. Gentz ist ein sehr vornehmer, vielfach ver- wöhnter und bedürfnißreicher Bettler"; weniger als vier- bis sechstausend Thaler dürfe man ihm also nicht geben.*)
Ganz unerwartet war Preußen in eine hochwichtige, freilich auch ge- fahrvolle diplomatische Stellung gelangt. Kam es zum Bruch zwischen den beiden Kaisermächten, so konnte der Berliner Hof, da er sich noch nach keiner Seite hin gebunden hatte, leicht den Ausschlag geben. In Kon- stantinopel war er augenblicklich die einzige Macht, deren Meinung von den erbitterten Türken noch angehört wurde. Im vergangenen Frühjahr war der Gesandte, Frhr. v. Miltitz, auf Befehl des Königs wegen grober Pflichtverletzung abgesetzt worden, weil er, tief verschuldet, von einer frem- den Macht -- wahrscheinlich von Oesterreich -- Geschenke angenommen und einmal einen unwahren Bericht eingesendet hatte.**) Dieser wider- wärtige, politisch unerhebliche Zwischenfall wurde indeß schnell vergessen; Miltitz's Nachfolger Royer stand mit der Pforte auf gutem Fuße. Aber welche Aussichten, wenn der europäische Krieg ausbrach! Sollte Preußen, mit dem ungerüsteten Oesterreich verbündet, sich in einem Kampfe gegen Rußland und Frankreich zugleich verbluten, lediglich um Oesterreichs orientalische Interessen, die man in der Hofburg selber nicht verstand, zu wahren? Oder sollte der König mit Rußland und Frankreich vereint gegen Oesterreich kämpfen? Das hieß den deutschen Bund zersprengen, ehe noch irgend ein Ersatz für ihn gefunden war.
Und wie verdächtig blieb doch Frankreichs Bundesgenossenschaft. Trotz der kleinen Freundlichkeiten, die zur Zeit zwischen den beiden Höfen
*) Bernstorff an Lottum, 25. Dec. 1828.
**) Berichte von dem k. k. Dragoman Huszar, 18. März, Ottenfels, 19. März, Jordan, 21. Aug. 1828.
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Preußen und die Großmächte.
Wellington aber ging auf Oeſterreichs Abſichten willig ein, und zu An- fang des Jahres 1829 ſchien ein europäiſcher Krieg nicht mehr unmöglich: England und Oeſterreich auf der einen, Rußland, Frankreich und vielleicht auch Preußen auf der anderen Seite. Radetzky erörterte ſchon in einer Denkſchrift den Fall eines Krieges gegen Rußland und Preußen; er nannte Preußen „den unförmlichſten Staat, den es je auf dem Erdenrund ge- geben hat“; aber ſelbſt der fähigſte General der k. k. Armee verfiel nicht auf die Frage, ob es nicht klug ſei, dieſem unförmlichen Staate die un- entbehrliche Abrundung zu gönnen, ſondern erklärte kurzab, mit dem alten ferdinandeiſchen Uebermuthe: „wir dürfen Preußen keine Vergrößerung geſtatten“. Unterdeſſen wüthete Gentz in ſeinen Zeitungen gegen Ruß- land und den ruſſiſch geſinnten Berliner Hof; zu gleicher Zeit flehte er den König von Preußen brieflich um ein Geldgeſchenk an. Zur Begutach- tung aufgefordert rieth Bernſtorff das erbauliche Geſuch zu bewilligen, da der mächttge Publiciſt der Geſandtſchaft in Wien nützlich ſein könne; aber, fügte er hinzu, „Herr v. Gentz iſt ein ſehr vornehmer, vielfach ver- wöhnter und bedürfnißreicher Bettler“; weniger als vier- bis ſechstauſend Thaler dürfe man ihm alſo nicht geben.*)
Ganz unerwartet war Preußen in eine hochwichtige, freilich auch ge- fahrvolle diplomatiſche Stellung gelangt. Kam es zum Bruch zwiſchen den beiden Kaiſermächten, ſo konnte der Berliner Hof, da er ſich noch nach keiner Seite hin gebunden hatte, leicht den Ausſchlag geben. In Kon- ſtantinopel war er augenblicklich die einzige Macht, deren Meinung von den erbitterten Türken noch angehört wurde. Im vergangenen Frühjahr war der Geſandte, Frhr. v. Miltitz, auf Befehl des Königs wegen grober Pflichtverletzung abgeſetzt worden, weil er, tief verſchuldet, von einer frem- den Macht — wahrſcheinlich von Oeſterreich — Geſchenke angenommen und einmal einen unwahren Bericht eingeſendet hatte.**) Dieſer wider- wärtige, politiſch unerhebliche Zwiſchenfall wurde indeß ſchnell vergeſſen; Miltitz’s Nachfolger Royer ſtand mit der Pforte auf gutem Fuße. Aber welche Ausſichten, wenn der europäiſche Krieg ausbrach! Sollte Preußen, mit dem ungerüſteten Oeſterreich verbündet, ſich in einem Kampfe gegen Rußland und Frankreich zugleich verbluten, lediglich um Oeſterreichs orientaliſche Intereſſen, die man in der Hofburg ſelber nicht verſtand, zu wahren? Oder ſollte der König mit Rußland und Frankreich vereint gegen Oeſterreich kämpfen? Das hieß den deutſchen Bund zerſprengen, ehe noch irgend ein Erſatz für ihn gefunden war.
Und wie verdächtig blieb doch Frankreichs Bundesgenoſſenſchaft. Trotz der kleinen Freundlichkeiten, die zur Zeit zwiſchen den beiden Höfen
*) Bernſtorff an Lottum, 25. Dec. 1828.
**) Berichte von dem k. k. Dragoman Huszar, 18. März, Ottenfels, 19. März, Jordan, 21. Aug. 1828.
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Preußen und die Großmächte.
Wellington aber ging auf Oeſterreichs Abſichten willig ein, und zu An-
fang des Jahres 1829 ſchien ein europäiſcher Krieg nicht mehr unmöglich:
England und Oeſterreich auf der einen, Rußland, Frankreich und vielleicht
auch Preußen auf der anderen Seite. Radetzky erörterte ſchon in einer
Denkſchrift den Fall eines Krieges gegen Rußland und Preußen; er nannte
Preußen „den unförmlichſten Staat, den es je auf dem Erdenrund ge-
geben hat“; aber ſelbſt der fähigſte General der k. k. Armee verfiel nicht
auf die Frage, ob es nicht klug ſei, dieſem unförmlichen Staate die un-
entbehrliche Abrundung zu gönnen, ſondern erklärte kurzab, mit dem alten
ferdinandeiſchen Uebermuthe: „wir dürfen Preußen keine Vergrößerung
geſtatten“. Unterdeſſen wüthete Gentz in ſeinen Zeitungen gegen Ruß-
land und den ruſſiſch geſinnten Berliner Hof; zu gleicher Zeit flehte er den
König von Preußen brieflich um ein Geldgeſchenk an. Zur Begutach-
tung aufgefordert rieth Bernſtorff das erbauliche Geſuch zu bewilligen,
da der mächttge Publiciſt der Geſandtſchaft in Wien nützlich ſein könne;
aber, fügte er hinzu, „Herr v. Gentz iſt ein ſehr vornehmer, vielfach ver-
wöhnter und bedürfnißreicher Bettler“; weniger als vier- bis ſechstauſend
Thaler dürfe man ihm alſo nicht geben. *)
Ganz unerwartet war Preußen in eine hochwichtige, freilich auch ge-
fahrvolle diplomatiſche Stellung gelangt. Kam es zum Bruch zwiſchen
den beiden Kaiſermächten, ſo konnte der Berliner Hof, da er ſich noch nach
keiner Seite hin gebunden hatte, leicht den Ausſchlag geben. In Kon-
ſtantinopel war er augenblicklich die einzige Macht, deren Meinung von
den erbitterten Türken noch angehört wurde. Im vergangenen Frühjahr
war der Geſandte, Frhr. v. Miltitz, auf Befehl des Königs wegen grober
Pflichtverletzung abgeſetzt worden, weil er, tief verſchuldet, von einer frem-
den Macht — wahrſcheinlich von Oeſterreich — Geſchenke angenommen
und einmal einen unwahren Bericht eingeſendet hatte. **) Dieſer wider-
wärtige, politiſch unerhebliche Zwiſchenfall wurde indeß ſchnell vergeſſen;
Miltitz’s Nachfolger Royer ſtand mit der Pforte auf gutem Fuße. Aber
welche Ausſichten, wenn der europäiſche Krieg ausbrach! Sollte Preußen,
mit dem ungerüſteten Oeſterreich verbündet, ſich in einem Kampfe gegen
Rußland und Frankreich zugleich verbluten, lediglich um Oeſterreichs
orientaliſche Intereſſen, die man in der Hofburg ſelber nicht verſtand, zu
wahren? Oder ſollte der König mit Rußland und Frankreich vereint gegen
Oeſterreich kämpfen? Das hieß den deutſchen Bund zerſprengen, ehe
noch irgend ein Erſatz für ihn gefunden war.
Und wie verdächtig blieb doch Frankreichs Bundesgenoſſenſchaft.
Trotz der kleinen Freundlichkeiten, die zur Zeit zwiſchen den beiden Höfen
*) Bernſtorff an Lottum, 25. Dec. 1828.
**) Berichte von dem k. k. Dragoman Huszar, 18. März, Ottenfels, 19. März,
Jordan, 21. Aug. 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/755>, abgerufen am 16.02.2025.
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