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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
den Czaren, als dieser sich über Oesterreichs Treulosigkeit beschwerte, väter-
lich: er möge die Nothwendigkeit der Eintracht zwischen den drei Ost-
mächten bedenken und die Nothwendigkeit des Friedens nach so vielen
Kriegen.*)

An seinem Hofe stritten sich zwei Parteien. Die Hochconservativen
Wittgenstein, Karl von Mecklenburg, Schuckmann, Ancillon schworen,
wie immer, auf die Worte ihres Wiener Meisters; die freieren Köpfe,
Witzleben, Motz, Bernstorff, Eichhorn neigten sich der Politik des Drei-
bundes zu, die Einen, weil sie die philhellenische Gesinnung der Zeit
theilten, die Andern, weil sie den Staat der Vormundschaft Oesterreichs
ganz entledigen wollten. Auch Prinz Wilhelm und die anderen jüngeren
Prinzen des königlichen Hauses verhehlten nicht, daß sie die Politik des
russischen Schwagers mit ihren guten Wünschen begleiteten. Selbst in
der Armee wagten sich die Philhellenen jetzt offen heraus; Gneisenau's
Schwiegersohn, der Sohn Scharnhorst's, meldete sich zum Eintritt in das
griechische Heer. Nur der Kronprinz zeigte sich unsicher, er schwankte
zwischen Metternich und Nikolaus. Der Parteikampf ward bald so lebhaft,
daß Ancillon seine Entlassung forderte, weil Bernstorff ihn nicht mehr
beschäftigte. Durch einige freundliche Worte des Königs ließ er sich freilich
beschwichtigen;**) aber der Streit währte fort, bis im Herbst 1827 die öster-
reichische Partei allen Einfluß verlor.

Den Anlaß zu dieser glücklichen Entscheidung gaben die Wiener Ge-
sandtschaftsberichte; denn jetzt endlich, seit dem Tode des Fürsten Hatzfeldt,
erhielt der König wieder unbefangene Mittheilungen über die Zustände
und Stimmungen in Oesterreich. Der junge Legationsrath Frhr. v.
Maltzahn, der bis zur Ankunft seines zum Gesandten ernannten älteren
Bruders die Geschäfte führte, bekleidete seinen Posten noch nicht acht
Wochen, da durchschaute er schon die Verlogenheit Metternich's, die der
verblendete alte Fürst in vielen Jahren nicht bemerkt hatte. "Es ist
meine Pflicht, meldete er schon im April, offen zu gestehen, daß Fürst
Metternich keineswegs in gutem Glauben ist," wenn er der feindlichen
Gesinnungen der Pforte sicher zu sein behauptet; er wünscht dies auch
gar nicht, sondern will nur dem Sultan freie Hand verschaffen um die
Griechen zu bändigen, und er ist überzeugt, daß England, wenn auch mit
andern Mitteln und aus anderen Gründen, denselben Zweck verfolgt.***)
Als dann der neue Gesandte selbst in Wien eingetroffen war, ein stolzer
Preuße, der sich durch seine conservative Gesinnung das nüchterne Urtheil
nicht trüben ließ, da folgten Woche für Woche Berichte ähnlichen Inhalts.

*) K. Friedrich Wilhelms Antwort auf K. Nikolaus Schreiben v. 4./16. Aug. 1827.
**) Ancillon, Eingabe an den König, 12. Mai. Cabinetsordre an Ancillon, 19.
Mai 1827.
***) Bericht des Frhrn. v. Maltzahn d. J., 14. April 1827.

III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage.
den Czaren, als dieſer ſich über Oeſterreichs Treuloſigkeit beſchwerte, väter-
lich: er möge die Nothwendigkeit der Eintracht zwiſchen den drei Oſt-
mächten bedenken und die Nothwendigkeit des Friedens nach ſo vielen
Kriegen.*)

An ſeinem Hofe ſtritten ſich zwei Parteien. Die Hochconſervativen
Wittgenſtein, Karl von Mecklenburg, Schuckmann, Ancillon ſchworen,
wie immer, auf die Worte ihres Wiener Meiſters; die freieren Köpfe,
Witzleben, Motz, Bernſtorff, Eichhorn neigten ſich der Politik des Drei-
bundes zu, die Einen, weil ſie die philhelleniſche Geſinnung der Zeit
theilten, die Andern, weil ſie den Staat der Vormundſchaft Oeſterreichs
ganz entledigen wollten. Auch Prinz Wilhelm und die anderen jüngeren
Prinzen des königlichen Hauſes verhehlten nicht, daß ſie die Politik des
ruſſiſchen Schwagers mit ihren guten Wünſchen begleiteten. Selbſt in
der Armee wagten ſich die Philhellenen jetzt offen heraus; Gneiſenau’s
Schwiegerſohn, der Sohn Scharnhorſt’s, meldete ſich zum Eintritt in das
griechiſche Heer. Nur der Kronprinz zeigte ſich unſicher, er ſchwankte
zwiſchen Metternich und Nikolaus. Der Parteikampf ward bald ſo lebhaft,
daß Ancillon ſeine Entlaſſung forderte, weil Bernſtorff ihn nicht mehr
beſchäftigte. Durch einige freundliche Worte des Königs ließ er ſich freilich
beſchwichtigen;**) aber der Streit währte fort, bis im Herbſt 1827 die öſter-
reichiſche Partei allen Einfluß verlor.

Den Anlaß zu dieſer glücklichen Entſcheidung gaben die Wiener Ge-
ſandtſchaftsberichte; denn jetzt endlich, ſeit dem Tode des Fürſten Hatzfeldt,
erhielt der König wieder unbefangene Mittheilungen über die Zuſtände
und Stimmungen in Oeſterreich. Der junge Legationsrath Frhr. v.
Maltzahn, der bis zur Ankunft ſeines zum Geſandten ernannten älteren
Bruders die Geſchäfte führte, bekleidete ſeinen Poſten noch nicht acht
Wochen, da durchſchaute er ſchon die Verlogenheit Metternich’s, die der
verblendete alte Fürſt in vielen Jahren nicht bemerkt hatte. „Es iſt
meine Pflicht, meldete er ſchon im April, offen zu geſtehen, daß Fürſt
Metternich keineswegs in gutem Glauben iſt,“ wenn er der feindlichen
Geſinnungen der Pforte ſicher zu ſein behauptet; er wünſcht dies auch
gar nicht, ſondern will nur dem Sultan freie Hand verſchaffen um die
Griechen zu bändigen, und er iſt überzeugt, daß England, wenn auch mit
andern Mitteln und aus anderen Gründen, denſelben Zweck verfolgt.***)
Als dann der neue Geſandte ſelbſt in Wien eingetroffen war, ein ſtolzer
Preuße, der ſich durch ſeine conſervative Geſinnung das nüchterne Urtheil
nicht trüben ließ, da folgten Woche für Woche Berichte ähnlichen Inhalts.

*) K. Friedrich Wilhelms Antwort auf K. Nikolaus Schreiben v. 4./16. Aug. 1827.
**) Ancillon, Eingabe an den König, 12. Mai. Cabinetsordre an Ancillon, 19.
Mai 1827.
***) Bericht des Frhrn. v. Maltzahn d. J., 14. April 1827.
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[734/0750] III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage. den Czaren, als dieſer ſich über Oeſterreichs Treuloſigkeit beſchwerte, väter- lich: er möge die Nothwendigkeit der Eintracht zwiſchen den drei Oſt- mächten bedenken und die Nothwendigkeit des Friedens nach ſo vielen Kriegen. *) An ſeinem Hofe ſtritten ſich zwei Parteien. Die Hochconſervativen Wittgenſtein, Karl von Mecklenburg, Schuckmann, Ancillon ſchworen, wie immer, auf die Worte ihres Wiener Meiſters; die freieren Köpfe, Witzleben, Motz, Bernſtorff, Eichhorn neigten ſich der Politik des Drei- bundes zu, die Einen, weil ſie die philhelleniſche Geſinnung der Zeit theilten, die Andern, weil ſie den Staat der Vormundſchaft Oeſterreichs ganz entledigen wollten. Auch Prinz Wilhelm und die anderen jüngeren Prinzen des königlichen Hauſes verhehlten nicht, daß ſie die Politik des ruſſiſchen Schwagers mit ihren guten Wünſchen begleiteten. Selbſt in der Armee wagten ſich die Philhellenen jetzt offen heraus; Gneiſenau’s Schwiegerſohn, der Sohn Scharnhorſt’s, meldete ſich zum Eintritt in das griechiſche Heer. Nur der Kronprinz zeigte ſich unſicher, er ſchwankte zwiſchen Metternich und Nikolaus. Der Parteikampf ward bald ſo lebhaft, daß Ancillon ſeine Entlaſſung forderte, weil Bernſtorff ihn nicht mehr beſchäftigte. Durch einige freundliche Worte des Königs ließ er ſich freilich beſchwichtigen; **) aber der Streit währte fort, bis im Herbſt 1827 die öſter- reichiſche Partei allen Einfluß verlor. Den Anlaß zu dieſer glücklichen Entſcheidung gaben die Wiener Ge- ſandtſchaftsberichte; denn jetzt endlich, ſeit dem Tode des Fürſten Hatzfeldt, erhielt der König wieder unbefangene Mittheilungen über die Zuſtände und Stimmungen in Oeſterreich. Der junge Legationsrath Frhr. v. Maltzahn, der bis zur Ankunft ſeines zum Geſandten ernannten älteren Bruders die Geſchäfte führte, bekleidete ſeinen Poſten noch nicht acht Wochen, da durchſchaute er ſchon die Verlogenheit Metternich’s, die der verblendete alte Fürſt in vielen Jahren nicht bemerkt hatte. „Es iſt meine Pflicht, meldete er ſchon im April, offen zu geſtehen, daß Fürſt Metternich keineswegs in gutem Glauben iſt,“ wenn er der feindlichen Geſinnungen der Pforte ſicher zu ſein behauptet; er wünſcht dies auch gar nicht, ſondern will nur dem Sultan freie Hand verſchaffen um die Griechen zu bändigen, und er iſt überzeugt, daß England, wenn auch mit andern Mitteln und aus anderen Gründen, denſelben Zweck verfolgt. ***) Als dann der neue Geſandte ſelbſt in Wien eingetroffen war, ein ſtolzer Preuße, der ſich durch ſeine conſervative Geſinnung das nüchterne Urtheil nicht trüben ließ, da folgten Woche für Woche Berichte ähnlichen Inhalts. *) K. Friedrich Wilhelms Antwort auf K. Nikolaus Schreiben v. 4./16. Aug. 1827. **) Ancillon, Eingabe an den König, 12. Mai. Cabinetsordre an Ancillon, 19. Mai 1827. ***) Bericht des Frhrn. v. Maltzahn d. J., 14. April 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/750>, abgerufen am 22.11.2024.