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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Byron.
Poet fühlen, daß der Byronische Weltschmerz keine Nachahmung zuließ.
Neben den großen sittlichen Mächten, welche das historische Leben zusam-
menhalten, erscheint der Einzelne so klein, daß nur ein gottbegnadeter
Dichter, der selber eine Welt im Herzen trug, sich ihnen entgegenstemmen
durfte, ohne der Lächerlichkeit eitler Selbstbespiegelung zu verfallen. Byron
hatte, so sagte sein Freund Shelley, die Schönheit nackt gesehen und wurde
dann wie Aktäon von ihren Hunden zerrissen. In seinem schönsten und
frechsten Werke, dem Don Juan, offenbarte sich neben einer Fülle frivolen
Spottes eine so wunderbare Kenntniß der süßen Geheimnisse des Herzens,
neben einem Radicalismus, der alles Heilige in Frage zu stellen schien,
eine so lautere Begeisterung für echte Menschengröße, daß die Dichtung
wohl unreife junge Köpfe verwirren konnte, aber alle tiefen und freien
Geister bezaubern mußte. Ueber allen seinen Werken lag jener Zauber
des eigenen Erlebnisses, dem die Dichtung ihre Macht verdankt. Er war
was er schrieb; er durfte aller alten Ordnung den Frieden aufsagen, der
kühne Heimathslose. Geächtet von der heuchlerischen Sitte seines Vater-
landes, stand er ganz auf sich selbst allein und fand im Kampfe für die
Freiheit der Völker einen glorreichen Tod.

Mit allen seinen Sünden ein großer und wahrhaftiger Mensch,
ragte er hoch empor über den deutschen Dichter, der zuerst versuchte unsere
Poesie mit einem Hauche Byronischen Weltschmerzes zu erfüllen. Hein-
rich Heine war in Düsseldorf aufgewachsen, mitten in der Herrlichkeit
der rheinischen Sagen und hatte sich, wie alle die jüngeren Romantiker,
an den Liedern des Wunderhorns begeistert; doch er vermochte an diese
Wunderwelt nicht so naiv zu glauben, wie der Schwärmer Eichendorff.
Sein scharfer, in der Schule Hegel's durchgebildeter jüdischer Verstand
und die frühreife cynische Welterfahrung, die er unter den sittenlosen
Millionären Hamburgs angesammelt hatte, lehnten sich beständig auf
wider die romantischen Träume. Aus diesen Widersprüchen kam er nie
heraus. Von der menschlischen Größe unserer classischen Dichter besaß er
nichts. Geistreich ohne Tiefe, witzig ohne Ueberzeugung, selbstisch, lüstern,
verlogen und doch zuweilen unwiderstehlich liebenswürdig, war er auch als
Dichter charakterlos und darum merkwürdig ungleich in seinem Schaffen.
Er erlebte Augenblicke wahrer Begeisterung, wo die Muse seine Lippen
weihte, wo er den Naturlaut starker Empfindung traf und mit bewun-
derungswürdiger plastischer Kraft anschauliche Bilder gestaltete. Oft aber
mißbrauchte er sein virtuoses Formtalent um seelenlos das Anempfundene
nachzudichten. Noch öfter überwältigte ihn der Drang der Selbstverhöh-
nung also, daß er sich von der Höhe des idealen Gefühles plötzlich mit
einem Bocksprunge in die Plattheit der Zote oder des schlechten Witzes
hinabstürzte und den Lesern grinsend die Unwahrheit seiner eigenen Em-
pfindung eingestand.

An seinen Versen, die so leicht hingeworfen schienen, feilte er unab-

Byron.
Poet fühlen, daß der Byroniſche Weltſchmerz keine Nachahmung zuließ.
Neben den großen ſittlichen Mächten, welche das hiſtoriſche Leben zuſam-
menhalten, erſcheint der Einzelne ſo klein, daß nur ein gottbegnadeter
Dichter, der ſelber eine Welt im Herzen trug, ſich ihnen entgegenſtemmen
durfte, ohne der Lächerlichkeit eitler Selbſtbeſpiegelung zu verfallen. Byron
hatte, ſo ſagte ſein Freund Shelley, die Schönheit nackt geſehen und wurde
dann wie Aktäon von ihren Hunden zerriſſen. In ſeinem ſchönſten und
frechſten Werke, dem Don Juan, offenbarte ſich neben einer Fülle frivolen
Spottes eine ſo wunderbare Kenntniß der ſüßen Geheimniſſe des Herzens,
neben einem Radicalismus, der alles Heilige in Frage zu ſtellen ſchien,
eine ſo lautere Begeiſterung für echte Menſchengröße, daß die Dichtung
wohl unreife junge Köpfe verwirren konnte, aber alle tiefen und freien
Geiſter bezaubern mußte. Ueber allen ſeinen Werken lag jener Zauber
des eigenen Erlebniſſes, dem die Dichtung ihre Macht verdankt. Er war
was er ſchrieb; er durfte aller alten Ordnung den Frieden aufſagen, der
kühne Heimathsloſe. Geächtet von der heuchleriſchen Sitte ſeines Vater-
landes, ſtand er ganz auf ſich ſelbſt allein und fand im Kampfe für die
Freiheit der Völker einen glorreichen Tod.

Mit allen ſeinen Sünden ein großer und wahrhaftiger Menſch,
ragte er hoch empor über den deutſchen Dichter, der zuerſt verſuchte unſere
Poeſie mit einem Hauche Byroniſchen Weltſchmerzes zu erfüllen. Hein-
rich Heine war in Düſſeldorf aufgewachſen, mitten in der Herrlichkeit
der rheiniſchen Sagen und hatte ſich, wie alle die jüngeren Romantiker,
an den Liedern des Wunderhorns begeiſtert; doch er vermochte an dieſe
Wunderwelt nicht ſo naiv zu glauben, wie der Schwärmer Eichendorff.
Sein ſcharfer, in der Schule Hegel’s durchgebildeter jüdiſcher Verſtand
und die frühreife cyniſche Welterfahrung, die er unter den ſittenloſen
Millionären Hamburgs angeſammelt hatte, lehnten ſich beſtändig auf
wider die romantiſchen Träume. Aus dieſen Widerſprüchen kam er nie
heraus. Von der menſchliſchen Größe unſerer claſſiſchen Dichter beſaß er
nichts. Geiſtreich ohne Tiefe, witzig ohne Ueberzeugung, ſelbſtiſch, lüſtern,
verlogen und doch zuweilen unwiderſtehlich liebenswürdig, war er auch als
Dichter charakterlos und darum merkwürdig ungleich in ſeinem Schaffen.
Er erlebte Augenblicke wahrer Begeiſterung, wo die Muſe ſeine Lippen
weihte, wo er den Naturlaut ſtarker Empfindung traf und mit bewun-
derungswürdiger plaſtiſcher Kraft anſchauliche Bilder geſtaltete. Oft aber
mißbrauchte er ſein virtuoſes Formtalent um ſeelenlos das Anempfundene
nachzudichten. Noch öfter überwältigte ihn der Drang der Selbſtverhöh-
nung alſo, daß er ſich von der Höhe des idealen Gefühles plötzlich mit
einem Bockſprunge in die Plattheit der Zote oder des ſchlechten Witzes
hinabſtürzte und den Leſern grinſend die Unwahrheit ſeiner eigenen Em-
pfindung eingeſtand.

An ſeinen Verſen, die ſo leicht hingeworfen ſchienen, feilte er unab-

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[711/0727] Byron. Poet fühlen, daß der Byroniſche Weltſchmerz keine Nachahmung zuließ. Neben den großen ſittlichen Mächten, welche das hiſtoriſche Leben zuſam- menhalten, erſcheint der Einzelne ſo klein, daß nur ein gottbegnadeter Dichter, der ſelber eine Welt im Herzen trug, ſich ihnen entgegenſtemmen durfte, ohne der Lächerlichkeit eitler Selbſtbeſpiegelung zu verfallen. Byron hatte, ſo ſagte ſein Freund Shelley, die Schönheit nackt geſehen und wurde dann wie Aktäon von ihren Hunden zerriſſen. In ſeinem ſchönſten und frechſten Werke, dem Don Juan, offenbarte ſich neben einer Fülle frivolen Spottes eine ſo wunderbare Kenntniß der ſüßen Geheimniſſe des Herzens, neben einem Radicalismus, der alles Heilige in Frage zu ſtellen ſchien, eine ſo lautere Begeiſterung für echte Menſchengröße, daß die Dichtung wohl unreife junge Köpfe verwirren konnte, aber alle tiefen und freien Geiſter bezaubern mußte. Ueber allen ſeinen Werken lag jener Zauber des eigenen Erlebniſſes, dem die Dichtung ihre Macht verdankt. Er war was er ſchrieb; er durfte aller alten Ordnung den Frieden aufſagen, der kühne Heimathsloſe. Geächtet von der heuchleriſchen Sitte ſeines Vater- landes, ſtand er ganz auf ſich ſelbſt allein und fand im Kampfe für die Freiheit der Völker einen glorreichen Tod. Mit allen ſeinen Sünden ein großer und wahrhaftiger Menſch, ragte er hoch empor über den deutſchen Dichter, der zuerſt verſuchte unſere Poeſie mit einem Hauche Byroniſchen Weltſchmerzes zu erfüllen. Hein- rich Heine war in Düſſeldorf aufgewachſen, mitten in der Herrlichkeit der rheiniſchen Sagen und hatte ſich, wie alle die jüngeren Romantiker, an den Liedern des Wunderhorns begeiſtert; doch er vermochte an dieſe Wunderwelt nicht ſo naiv zu glauben, wie der Schwärmer Eichendorff. Sein ſcharfer, in der Schule Hegel’s durchgebildeter jüdiſcher Verſtand und die frühreife cyniſche Welterfahrung, die er unter den ſittenloſen Millionären Hamburgs angeſammelt hatte, lehnten ſich beſtändig auf wider die romantiſchen Träume. Aus dieſen Widerſprüchen kam er nie heraus. Von der menſchliſchen Größe unſerer claſſiſchen Dichter beſaß er nichts. Geiſtreich ohne Tiefe, witzig ohne Ueberzeugung, ſelbſtiſch, lüſtern, verlogen und doch zuweilen unwiderſtehlich liebenswürdig, war er auch als Dichter charakterlos und darum merkwürdig ungleich in ſeinem Schaffen. Er erlebte Augenblicke wahrer Begeiſterung, wo die Muſe ſeine Lippen weihte, wo er den Naturlaut ſtarker Empfindung traf und mit bewun- derungswürdiger plaſtiſcher Kraft anſchauliche Bilder geſtaltete. Oft aber mißbrauchte er ſein virtuoſes Formtalent um ſeelenlos das Anempfundene nachzudichten. Noch öfter überwältigte ihn der Drang der Selbſtverhöh- nung alſo, daß er ſich von der Höhe des idealen Gefühles plötzlich mit einem Bockſprunge in die Plattheit der Zote oder des ſchlechten Witzes hinabſtürzte und den Leſern grinſend die Unwahrheit ſeiner eigenen Em- pfindung eingeſtand. An ſeinen Verſen, die ſo leicht hingeworfen ſchienen, feilte er unab-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/727>, abgerufen am 22.11.2024.