hätte ein so unharmonischer Charakter nur pathologische Theilnahme er- weckt; in der Verwirrung und Verbitterung der deutschen Parteikämpfe konnte er eine Weile die Rolle des Volkstribunen spielen. Die Größen unserer classischen Literatur standen diesem Kopfe zu hoch; er hielt sich an Jean Paul und versank in seiner Jugend so tief in weinerliche Selbst- bespiegelung, daß er sich, als er in die schöne Henriette Hertz verliebt war, die Stunden und Minuten seiner "Seelenhypochondrie" und ihrer erhabenen Gefühle sorgfältig im Tagebuch aufzeichnete. Nachher raffte er sich zusammen und errang sich zuerst als Theaterkritiker einen Ruf, der allerdings durch die Beflissenheit seiner Stammgenossen ungebührlich vergrößert wurde, aber nicht ganz unverdient war; ohne durchgebildeten Schönheitssinn, besaß er doch den gesunden Naturalismus des Menschen- verstandes. Er geißelte nicht nur mit treffendem Spott den Aberwitz der Schicksalstragödie und andere grobe Geschmacksverirrungen, sondern fand auch mit richtigem Blick einzelne verkannte Talente, wie Kleist und Immer- mann aus dem Haufen heraus.
Zugleich begann er in der Wage, den Zeitschwingen und anderen Blättern über Politik und Gesellschaft zu schreiben. Diese Thätigkeit nahm ihn bald ganz in Anspruch, als Politiker entfaltete er alle Künste seines Hohnes. Der Hohn ist aber nur dann berechtigt, wenn er dem edlen Zorne eines überlegenen Geistes entspringt, und diesem Manne fehlte schlechterdings Alles, was den Publicisten macht: der Sinn für das Wirk- liche, das Machtgefühl, die Voraussicht und sogar die gewöhnliche Sach- kenntniß. Den Fleiß, der seine Stammgenossen sonst auszeichnet, hielt er in der Politik für überflüssig. Seine politischen Aufsätze sind sammt und sonders leichte Feuilleton-Artikel, kein einziger darunter, der eine ernst- hafte Beschäftigung mit dem Stoffe verriethe. Durch Börne kam bei uns "das souveräne Feuilleton" in Schwang, das der unfertigen politischen Bildung der Deutschen unsäglich schadete: der vorwitzige Dilettantismus erdreistete sich, mit einigen Späßen, Wortspielen, Bildern und Entrüstungs- rufen über alle ernsten Fragen der Staatskunst abzusprechen.
Wo der Witz allein ausreichte da war Börne in seinem Element. Die Abderitenstreiche der deutschen Kleinstädter verhöhnte er mit guter Laune, freilich auch mit einem ungeheueren Lärm, der zu der Winzigkeit des Gegenstandes wenig stimmte. Der Witz ist ein Kind des Augenblicks, und die Nachwelt wird dem schnell Veralteten selten ganz gerecht. Indeß wußte Börne über Allerhöchstdieselben, über Hof- und Commerzienräthe, über die Geheimraths-Waisen, über die Taxissche Post und den Eßkünstler an der Wirthstafel wirklich lustig zu reden; diese Späße sind das Un- sterbliche in seinen Werken, das Einzige, was noch heute eine flüchtige Aufmerksamkeit erregen kann. Sobald er aber versuchte sich aus diesem Philisterjammer in die Politik zu erheben, dann zeigte sich die erschreckende Gedankenarmuth eines dürren Verstandes, der bei jedem verwickelten poli-
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
hätte ein ſo unharmoniſcher Charakter nur pathologiſche Theilnahme er- weckt; in der Verwirrung und Verbitterung der deutſchen Parteikämpfe konnte er eine Weile die Rolle des Volkstribunen ſpielen. Die Größen unſerer claſſiſchen Literatur ſtanden dieſem Kopfe zu hoch; er hielt ſich an Jean Paul und verſank in ſeiner Jugend ſo tief in weinerliche Selbſt- beſpiegelung, daß er ſich, als er in die ſchöne Henriette Hertz verliebt war, die Stunden und Minuten ſeiner „Seelenhypochondrie“ und ihrer erhabenen Gefühle ſorgfältig im Tagebuch aufzeichnete. Nachher raffte er ſich zuſammen und errang ſich zuerſt als Theaterkritiker einen Ruf, der allerdings durch die Befliſſenheit ſeiner Stammgenoſſen ungebührlich vergrößert wurde, aber nicht ganz unverdient war; ohne durchgebildeten Schönheitsſinn, beſaß er doch den geſunden Naturalismus des Menſchen- verſtandes. Er geißelte nicht nur mit treffendem Spott den Aberwitz der Schickſalstragödie und andere grobe Geſchmacksverirrungen, ſondern fand auch mit richtigem Blick einzelne verkannte Talente, wie Kleiſt und Immer- mann aus dem Haufen heraus.
Zugleich begann er in der Wage, den Zeitſchwingen und anderen Blättern über Politik und Geſellſchaft zu ſchreiben. Dieſe Thätigkeit nahm ihn bald ganz in Anſpruch, als Politiker entfaltete er alle Künſte ſeines Hohnes. Der Hohn iſt aber nur dann berechtigt, wenn er dem edlen Zorne eines überlegenen Geiſtes entſpringt, und dieſem Manne fehlte ſchlechterdings Alles, was den Publiciſten macht: der Sinn für das Wirk- liche, das Machtgefühl, die Vorausſicht und ſogar die gewöhnliche Sach- kenntniß. Den Fleiß, der ſeine Stammgenoſſen ſonſt auszeichnet, hielt er in der Politik für überflüſſig. Seine politiſchen Aufſätze ſind ſammt und ſonders leichte Feuilleton-Artikel, kein einziger darunter, der eine ernſt- hafte Beſchäftigung mit dem Stoffe verriethe. Durch Börne kam bei uns „das ſouveräne Feuilleton“ in Schwang, das der unfertigen politiſchen Bildung der Deutſchen unſäglich ſchadete: der vorwitzige Dilettantismus erdreiſtete ſich, mit einigen Späßen, Wortſpielen, Bildern und Entrüſtungs- rufen über alle ernſten Fragen der Staatskunſt abzuſprechen.
Wo der Witz allein ausreichte da war Börne in ſeinem Element. Die Abderitenſtreiche der deutſchen Kleinſtädter verhöhnte er mit guter Laune, freilich auch mit einem ungeheueren Lärm, der zu der Winzigkeit des Gegenſtandes wenig ſtimmte. Der Witz iſt ein Kind des Augenblicks, und die Nachwelt wird dem ſchnell Veralteten ſelten ganz gerecht. Indeß wußte Börne über Allerhöchſtdieſelben, über Hof- und Commerzienräthe, über die Geheimraths-Waiſen, über die Taxisſche Poſt und den Eßkünſtler an der Wirthstafel wirklich luſtig zu reden; dieſe Späße ſind das Un- ſterbliche in ſeinen Werken, das Einzige, was noch heute eine flüchtige Aufmerkſamkeit erregen kann. Sobald er aber verſuchte ſich aus dieſem Philiſterjammer in die Politik zu erheben, dann zeigte ſich die erſchreckende Gedankenarmuth eines dürren Verſtandes, der bei jedem verwickelten poli-
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hätte ein ſo unharmoniſcher Charakter nur pathologiſche Theilnahme er-
weckt; in der Verwirrung und Verbitterung der deutſchen Parteikämpfe
konnte er eine Weile die Rolle des Volkstribunen ſpielen. Die Größen
unſerer claſſiſchen Literatur ſtanden dieſem Kopfe zu hoch; er hielt ſich
an Jean Paul und verſank in ſeiner Jugend ſo tief in weinerliche Selbſt-
beſpiegelung, daß er ſich, als er in die ſchöne Henriette Hertz verliebt
war, die Stunden und Minuten ſeiner „Seelenhypochondrie“ und ihrer
erhabenen Gefühle ſorgfältig im Tagebuch aufzeichnete. Nachher raffte
er ſich zuſammen und errang ſich zuerſt als Theaterkritiker einen Ruf,
der allerdings durch die Befliſſenheit ſeiner Stammgenoſſen ungebührlich
vergrößert wurde, aber nicht ganz unverdient war; ohne durchgebildeten
Schönheitsſinn, beſaß er doch den geſunden Naturalismus des Menſchen-
verſtandes. Er geißelte nicht nur mit treffendem Spott den Aberwitz der
Schickſalstragödie und andere grobe Geſchmacksverirrungen, ſondern fand
auch mit richtigem Blick einzelne verkannte Talente, wie Kleiſt und Immer-
mann aus dem Haufen heraus.
Zugleich begann er in der Wage, den Zeitſchwingen und anderen
Blättern über Politik und Geſellſchaft zu ſchreiben. Dieſe Thätigkeit nahm
ihn bald ganz in Anſpruch, als Politiker entfaltete er alle Künſte ſeines
Hohnes. Der Hohn iſt aber nur dann berechtigt, wenn er dem edlen
Zorne eines überlegenen Geiſtes entſpringt, und dieſem Manne fehlte
ſchlechterdings Alles, was den Publiciſten macht: der Sinn für das Wirk-
liche, das Machtgefühl, die Vorausſicht und ſogar die gewöhnliche Sach-
kenntniß. Den Fleiß, der ſeine Stammgenoſſen ſonſt auszeichnet, hielt er
in der Politik für überflüſſig. Seine politiſchen Aufſätze ſind ſammt und
ſonders leichte Feuilleton-Artikel, kein einziger darunter, der eine ernſt-
hafte Beſchäftigung mit dem Stoffe verriethe. Durch Börne kam bei uns
„das ſouveräne Feuilleton“ in Schwang, das der unfertigen politiſchen
Bildung der Deutſchen unſäglich ſchadete: der vorwitzige Dilettantismus
erdreiſtete ſich, mit einigen Späßen, Wortſpielen, Bildern und Entrüſtungs-
rufen über alle ernſten Fragen der Staatskunſt abzuſprechen.
Wo der Witz allein ausreichte da war Börne in ſeinem Element.
Die Abderitenſtreiche der deutſchen Kleinſtädter verhöhnte er mit guter
Laune, freilich auch mit einem ungeheueren Lärm, der zu der Winzigkeit
des Gegenſtandes wenig ſtimmte. Der Witz iſt ein Kind des Augenblicks,
und die Nachwelt wird dem ſchnell Veralteten ſelten ganz gerecht. Indeß
wußte Börne über Allerhöchſtdieſelben, über Hof- und Commerzienräthe,
über die Geheimraths-Waiſen, über die Taxisſche Poſt und den Eßkünſtler
an der Wirthstafel wirklich luſtig zu reden; dieſe Späße ſind das Un-
ſterbliche in ſeinen Werken, das Einzige, was noch heute eine flüchtige
Aufmerkſamkeit erregen kann. Sobald er aber verſuchte ſich aus dieſem
Philiſterjammer in die Politik zu erheben, dann zeigte ſich die erſchreckende
Gedankenarmuth eines dürren Verſtandes, der bei jedem verwickelten poli-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/722>, abgerufen am 26.11.2024.
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