Doch betrugen die Zolleinnahmen nur 91/2 Sgr. auf den Kopf der Be- völkerung, während Preußen das Zweiundeinhalbfache, 24 Sgr., einnahm. Die Kosten der Zollverwaltung verschlangen mindestens 44 Proc. der Ein- künfte; in Baiern war der Rohertrag für das Rechnungsjahr 1828--1829: 2,842 Mill. Fl., der Reinertrag nur 1,582 Mill. Fl. Die geringen Zölle genügten nicht die heimische Industrie wirksam zu schützen, und doch blieb jede Erhöhung unmöglich, wenn nicht der gesammte Reingewinn den Staatskassen verloren gehen sollte. Am Kläglichsten befand sich die bai- rische Pfalz. Die entlegene Provinz sollte vor der Hand außerhalb der Mauthlinien bleiben und ihre eigenen Erzeugnisse zollfrei in das Vereins- land einführen, was denn sofort französische, badische, rheinpreußische, hessische Fabrikanten zu großartigem Schmuggel veranlaßte. Gewichtige Stimmen in der Pfalz forderten laut den Anschluß an Preußen; einer der ersten Industriellen der Provinz, Geh. Rath Camuzzi, schrieb in diesem Sinne an die Allgemeine Zeitung, ward aber von der Firma Cotta ab- gewiesen.
König Ludwig wollte die Gebrechen des Vereines lange nicht bemerken. Wie war er stolz auf seiner Hände Werk, den ersten deutschen Zollverein; wie schwelgte er in erhabenen Träumen von historischer Unsterblichkeit. Er wollte fortleben im Munde später Geschlechter als der Vollender der fossa Carolina, jenes Canales zwischen der Nordsee und dem schwarzen Meer, den Karl der Große ersonnen doch nicht ausgeführt hatte, und be- schäftigte sich auch mit großen Eisenbahnplänen, seit Franz Baader im Nymphenburger Park einen Dampfwagen fahren ließ. "Jetzt sind die Zollsysteme der beiden Großmächte nicht mehr furchtbar" -- hieß es bei Hofe. Schon war ein Unterhändler nach Zürich gesendet, um die Schweiz zum Eintritt in den süddeutschen Verein oder doch zu einem Handels- vertrage zu bewegen. Niemals hatte Baierns Gestirn glänzender geleuchtet als im Januar 1828; niemals zuvor hatte der König eine so stolze Sprache gegen den Bundestag geführt. "Die antisocialen, antiföderalistischen Tendenzen der bairischen Politik" traten, wie Blittersdorff klagte, dem Präsidialgesandten schroff entgegen. Sofort nach der Unterzeichnung des süddeutschen Zollvertrages ging Frhr. v. Zu Rhein nach Darmstadt um das Großherzogthum zum Beitritt einzuladen und ihm die Parität, welche ihm die beiden Königreiche bisher verweigert hatten, bedingungslos zu- zugestehen.*) War Hessen gewonnen, so mußte das widerhaarige Baden auf Gnade oder Ungnade sich ergeben.
Mitten in diese holden Träume fiel niederschmetternd die Kunde von dem preußisch-hessischen Vertrage. Durch diesen Verein, das sprang in die Augen, verlor der süddeutsche Verein sofort Sinn und Bedeutung. König Ludwig sah seine theuersten Hoffnungen zerstört, blieb mehrere
*) Nach du Thil's Aufzeichnungen.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Doch betrugen die Zolleinnahmen nur 9½ Sgr. auf den Kopf der Be- völkerung, während Preußen das Zweiundeinhalbfache, 24 Sgr., einnahm. Die Koſten der Zollverwaltung verſchlangen mindeſtens 44 Proc. der Ein- künfte; in Baiern war der Rohertrag für das Rechnungsjahr 1828—1829: 2,842 Mill. Fl., der Reinertrag nur 1,582 Mill. Fl. Die geringen Zölle genügten nicht die heimiſche Induſtrie wirkſam zu ſchützen, und doch blieb jede Erhöhung unmöglich, wenn nicht der geſammte Reingewinn den Staatskaſſen verloren gehen ſollte. Am Kläglichſten befand ſich die bai- riſche Pfalz. Die entlegene Provinz ſollte vor der Hand außerhalb der Mauthlinien bleiben und ihre eigenen Erzeugniſſe zollfrei in das Vereins- land einführen, was denn ſofort franzöſiſche, badiſche, rheinpreußiſche, heſſiſche Fabrikanten zu großartigem Schmuggel veranlaßte. Gewichtige Stimmen in der Pfalz forderten laut den Anſchluß an Preußen; einer der erſten Induſtriellen der Provinz, Geh. Rath Camuzzi, ſchrieb in dieſem Sinne an die Allgemeine Zeitung, ward aber von der Firma Cotta ab- gewieſen.
König Ludwig wollte die Gebrechen des Vereines lange nicht bemerken. Wie war er ſtolz auf ſeiner Hände Werk, den erſten deutſchen Zollverein; wie ſchwelgte er in erhabenen Träumen von hiſtoriſcher Unſterblichkeit. Er wollte fortleben im Munde ſpäter Geſchlechter als der Vollender der fossa Carolina, jenes Canales zwiſchen der Nordſee und dem ſchwarzen Meer, den Karl der Große erſonnen doch nicht ausgeführt hatte, und be- ſchäftigte ſich auch mit großen Eiſenbahnplänen, ſeit Franz Baader im Nymphenburger Park einen Dampfwagen fahren ließ. „Jetzt ſind die Zollſyſteme der beiden Großmächte nicht mehr furchtbar“ — hieß es bei Hofe. Schon war ein Unterhändler nach Zürich geſendet, um die Schweiz zum Eintritt in den ſüddeutſchen Verein oder doch zu einem Handels- vertrage zu bewegen. Niemals hatte Baierns Geſtirn glänzender geleuchtet als im Januar 1828; niemals zuvor hatte der König eine ſo ſtolze Sprache gegen den Bundestag geführt. „Die antiſocialen, antiföderaliſtiſchen Tendenzen der bairiſchen Politik“ traten, wie Blittersdorff klagte, dem Präſidialgeſandten ſchroff entgegen. Sofort nach der Unterzeichnung des ſüddeutſchen Zollvertrages ging Frhr. v. Zu Rhein nach Darmſtadt um das Großherzogthum zum Beitritt einzuladen und ihm die Parität, welche ihm die beiden Königreiche bisher verweigert hatten, bedingungslos zu- zugeſtehen.*) War Heſſen gewonnen, ſo mußte das widerhaarige Baden auf Gnade oder Ungnade ſich ergeben.
Mitten in dieſe holden Träume fiel niederſchmetternd die Kunde von dem preußiſch-heſſiſchen Vertrage. Durch dieſen Verein, das ſprang in die Augen, verlor der ſüddeutſche Verein ſofort Sinn und Bedeutung. König Ludwig ſah ſeine theuerſten Hoffnungen zerſtört, blieb mehrere
*) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
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Doch betrugen die Zolleinnahmen nur 9½ Sgr. auf den Kopf der Be-
völkerung, während Preußen das Zweiundeinhalbfache, 24 Sgr., einnahm.
Die Koſten der Zollverwaltung verſchlangen mindeſtens 44 Proc. der Ein-
künfte; in Baiern war der Rohertrag für das Rechnungsjahr 1828—1829:
2,842 Mill. Fl., der Reinertrag nur 1,582 Mill. Fl. Die geringen Zölle
genügten nicht die heimiſche Induſtrie wirkſam zu ſchützen, und doch blieb
jede Erhöhung unmöglich, wenn nicht der geſammte Reingewinn den
Staatskaſſen verloren gehen ſollte. Am Kläglichſten befand ſich die bai-
riſche Pfalz. Die entlegene Provinz ſollte vor der Hand außerhalb der
Mauthlinien bleiben und ihre eigenen Erzeugniſſe zollfrei in das Vereins-
land einführen, was denn ſofort franzöſiſche, badiſche, rheinpreußiſche,
heſſiſche Fabrikanten zu großartigem Schmuggel veranlaßte. Gewichtige
Stimmen in der Pfalz forderten laut den Anſchluß an Preußen; einer
der erſten Induſtriellen der Provinz, Geh. Rath Camuzzi, ſchrieb in dieſem
Sinne an die Allgemeine Zeitung, ward aber von der Firma Cotta ab-
gewieſen.
König Ludwig wollte die Gebrechen des Vereines lange nicht bemerken.
Wie war er ſtolz auf ſeiner Hände Werk, den erſten deutſchen Zollverein;
wie ſchwelgte er in erhabenen Träumen von hiſtoriſcher Unſterblichkeit.
Er wollte fortleben im Munde ſpäter Geſchlechter als der Vollender der
fossa Carolina, jenes Canales zwiſchen der Nordſee und dem ſchwarzen
Meer, den Karl der Große erſonnen doch nicht ausgeführt hatte, und be-
ſchäftigte ſich auch mit großen Eiſenbahnplänen, ſeit Franz Baader im
Nymphenburger Park einen Dampfwagen fahren ließ. „Jetzt ſind die
Zollſyſteme der beiden Großmächte nicht mehr furchtbar“ — hieß es bei
Hofe. Schon war ein Unterhändler nach Zürich geſendet, um die Schweiz
zum Eintritt in den ſüddeutſchen Verein oder doch zu einem Handels-
vertrage zu bewegen. Niemals hatte Baierns Geſtirn glänzender geleuchtet
als im Januar 1828; niemals zuvor hatte der König eine ſo ſtolze
Sprache gegen den Bundestag geführt. „Die antiſocialen, antiföderaliſtiſchen
Tendenzen der bairiſchen Politik“ traten, wie Blittersdorff klagte, dem
Präſidialgeſandten ſchroff entgegen. Sofort nach der Unterzeichnung des
ſüddeutſchen Zollvertrages ging Frhr. v. Zu Rhein nach Darmſtadt um
das Großherzogthum zum Beitritt einzuladen und ihm die Parität, welche
ihm die beiden Königreiche bisher verweigert hatten, bedingungslos zu-
zugeſtehen. *) War Heſſen gewonnen, ſo mußte das widerhaarige Baden
auf Gnade oder Ungnade ſich ergeben.
Mitten in dieſe holden Träume fiel niederſchmetternd die Kunde von
dem preußiſch-heſſiſchen Vertrage. Durch dieſen Verein, das ſprang in
die Augen, verlor der ſüddeutſche Verein ſofort Sinn und Bedeutung.
König Ludwig ſah ſeine theuerſten Hoffnungen zerſtört, blieb mehrere
*) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/658>, abgerufen am 22.11.2024.
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