Kammern fast völlig verstummt. Graf Lehrbach, der den Minister wegen Landesverraths verklagen wollte, stand vereinsamt; der Abgeordnete Schenk aber dankte der Regierung und schloß gemüthlich: Das einzige Mittel gegen den Wunsch nach politischer Einheit ist die Zolleinigung! Mit Selbstgefühl verwies Hofmann auf die günstigen Rechnungsabschlüsse und sagte "mit voller Zuversicht dieser auf gegenseitige Vortheile gegründeten Verbündung Bestand und Dauer voraus: so werden Sie hoffentlich bald dasjenige verwirklicht sehen, was noch vor wenigen Jahren zwar Gegenstand Ihrer angelegentlichsten Wünsche war, aber nach so vielen ver- geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen schien."*) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geschäftswelt, die sich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdessen hatte der König sein gesammtes thüringisches Gebiet in die Zolllinie aufgenom- men; die Lage der ernestinischen Fürstenthümer ward fast unerträglich. Es schien undenkbar, daß Kurhessen und Thüringen, also von allen Seiten umklammert, ihren thörichten Widerstand fortsetzen sollten.
Und doch sollte das Undenkbare geschehen. Auf das erste Gerücht hin versuchten allerdings einige Kleinstaaten sich den Verbündeten zu nähern -- lediglich in der Absicht den Inhalt des Vertrags, der noch streng ge- heim gehalten wurde, zu erfahren. Präsident Krafft in Meiningen schrieb an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen vielleicht dem hessischen Beispiele folgen werde, wenn man nur die Macht- stellung dieses Reiches nach Gebühr würdige: "Die Lage des Landes Mei- ningen läßt seinen Werth den geographischen Umfang desselben überschreiten, indem mehrere der frequentesten Landstraßen die Handelsplätze an den Küsten der Nordsee mit einem bedeutenden Theile des südlichen Deutsch- lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und Kurhessen zu seinen wichtigeren Grenznachbarn gehören."**) Die Mei- ninger Welthandelsstraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen sehr stattlichen Anblick; gebaut waren sie freilich noch nicht, auch besaß das Ländchen durchaus nicht die Mittel sie jemals zu bauen. Motz, dem die Naturgeschichte des deutschen Kleinstaats einen unerschöpflichen Quell der Ergötzung bot, sendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und versicherte, die geographische Bedeutung des Herzogthums sei ihm ganz neu; dann schloß er wehmüthig: "es ist betrübt, wenn solche überspannte Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürsten auch noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird." Der Vorfall blieb dem klugen Manne unvergessen; der Meininger Straßendünkel sollte zur rechten Stunde noch eine Rolle spielen in der deutschen Geschichte. Noch durch- sichtiger war ein diplomatisches Kunststück der freien Stadt Frankfurt.
*) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824--29.
**) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Kammern faſt völlig verſtummt. Graf Lehrbach, der den Miniſter wegen Landesverraths verklagen wollte, ſtand vereinſamt; der Abgeordnete Schenk aber dankte der Regierung und ſchloß gemüthlich: Das einzige Mittel gegen den Wunſch nach politiſcher Einheit iſt die Zolleinigung! Mit Selbſtgefühl verwies Hofmann auf die günſtigen Rechnungsabſchlüſſe und ſagte „mit voller Zuverſicht dieſer auf gegenſeitige Vortheile gegründeten Verbündung Beſtand und Dauer voraus: ſo werden Sie hoffentlich bald dasjenige verwirklicht ſehen, was noch vor wenigen Jahren zwar Gegenſtand Ihrer angelegentlichſten Wünſche war, aber nach ſo vielen ver- geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen ſchien.“*) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geſchäftswelt, die ſich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdeſſen hatte der König ſein geſammtes thüringiſches Gebiet in die Zolllinie aufgenom- men; die Lage der erneſtiniſchen Fürſtenthümer ward faſt unerträglich. Es ſchien undenkbar, daß Kurheſſen und Thüringen, alſo von allen Seiten umklammert, ihren thörichten Widerſtand fortſetzen ſollten.
Und doch ſollte das Undenkbare geſchehen. Auf das erſte Gerücht hin verſuchten allerdings einige Kleinſtaaten ſich den Verbündeten zu nähern — lediglich in der Abſicht den Inhalt des Vertrags, der noch ſtreng ge- heim gehalten wurde, zu erfahren. Präſident Krafft in Meiningen ſchrieb an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen vielleicht dem heſſiſchen Beiſpiele folgen werde, wenn man nur die Macht- ſtellung dieſes Reiches nach Gebühr würdige: „Die Lage des Landes Mei- ningen läßt ſeinen Werth den geographiſchen Umfang deſſelben überſchreiten, indem mehrere der frequenteſten Landſtraßen die Handelsplätze an den Küſten der Nordſee mit einem bedeutenden Theile des ſüdlichen Deutſch- lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und Kurheſſen zu ſeinen wichtigeren Grenznachbarn gehören.“**) Die Mei- ninger Welthandelsſtraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen ſehr ſtattlichen Anblick; gebaut waren ſie freilich noch nicht, auch beſaß das Ländchen durchaus nicht die Mittel ſie jemals zu bauen. Motz, dem die Naturgeſchichte des deutſchen Kleinſtaats einen unerſchöpflichen Quell der Ergötzung bot, ſendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und verſicherte, die geographiſche Bedeutung des Herzogthums ſei ihm ganz neu; dann ſchloß er wehmüthig: „es iſt betrübt, wenn ſolche überſpannte Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürſten auch noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird.“ Der Vorfall blieb dem klugen Manne unvergeſſen; der Meininger Straßendünkel ſollte zur rechten Stunde noch eine Rolle ſpielen in der deutſchen Geſchichte. Noch durch- ſichtiger war ein diplomatiſches Kunſtſtück der freien Stadt Frankfurt.
*) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824—29.
**) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.
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Landesverraths verklagen wollte, ſtand vereinſamt; der Abgeordnete Schenk
aber dankte der Regierung und ſchloß gemüthlich: Das einzige Mittel
gegen den Wunſch nach politiſcher Einheit iſt die Zolleinigung! Mit
Selbſtgefühl verwies Hofmann auf die günſtigen Rechnungsabſchlüſſe und
ſagte „mit voller Zuverſicht dieſer auf gegenſeitige Vortheile gegründeten
Verbündung Beſtand und Dauer voraus: ſo werden Sie hoffentlich
bald dasjenige verwirklicht ſehen, was noch vor wenigen Jahren zwar
Gegenſtand Ihrer angelegentlichſten Wünſche war, aber nach ſo vielen ver-
geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen
ſchien.“ *) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geſchäftswelt, die
ſich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdeſſen hatte
der König ſein geſammtes thüringiſches Gebiet in die Zolllinie aufgenom-
men; die Lage der erneſtiniſchen Fürſtenthümer ward faſt unerträglich.
Es ſchien undenkbar, daß Kurheſſen und Thüringen, alſo von allen Seiten
umklammert, ihren thörichten Widerſtand fortſetzen ſollten.
Und doch ſollte das Undenkbare geſchehen. Auf das erſte Gerücht
hin verſuchten allerdings einige Kleinſtaaten ſich den Verbündeten zu nähern
— lediglich in der Abſicht den Inhalt des Vertrags, der noch ſtreng ge-
heim gehalten wurde, zu erfahren. Präſident Krafft in Meiningen ſchrieb
an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen
vielleicht dem heſſiſchen Beiſpiele folgen werde, wenn man nur die Macht-
ſtellung dieſes Reiches nach Gebühr würdige: „Die Lage des Landes Mei-
ningen läßt ſeinen Werth den geographiſchen Umfang deſſelben überſchreiten,
indem mehrere der frequenteſten Landſtraßen die Handelsplätze an den
Küſten der Nordſee mit einem bedeutenden Theile des ſüdlichen Deutſch-
lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und
Kurheſſen zu ſeinen wichtigeren Grenznachbarn gehören.“ **) Die Mei-
ninger Welthandelsſtraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen ſehr
ſtattlichen Anblick; gebaut waren ſie freilich noch nicht, auch beſaß das
Ländchen durchaus nicht die Mittel ſie jemals zu bauen. Motz, dem die
Naturgeſchichte des deutſchen Kleinſtaats einen unerſchöpflichen Quell der
Ergötzung bot, ſendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und
verſicherte, die geographiſche Bedeutung des Herzogthums ſei ihm ganz
neu; dann ſchloß er wehmüthig: „es iſt betrübt, wenn ſolche überſpannte
Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürſten auch
noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird.“ Der Vorfall blieb dem klugen
Manne unvergeſſen; der Meininger Straßendünkel ſollte zur rechten
Stunde noch eine Rolle ſpielen in der deutſchen Geſchichte. Noch durch-
ſichtiger war ein diplomatiſches Kunſtſtück der freien Stadt Frankfurt.
*) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824—29.
**) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/654>, abgerufen am 16.02.2025.
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