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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Metternich's Ermahnungen an Berstett.

Es war das Glück seines Lebens, daß alle Erzeugnisse seiner Feder
ihn selber mit aufrichtiger Bewunderung erfüllten. Dies sein neuestes
Werk versetzte ihn fast in Verzückung, und er konnte sich nicht enthalten in
einem Begleitschreiben an Berstett hinzuzufügen: "Es ist kein Wort darin,
das ich nicht aus den Tiefen meines Denkens geschöpft hätte. Die Ruhe,
welche Sie darin herrschen sehen, ist die Ruhe meiner Seele. Ich werde
ein sehr theueres Ziel erreicht haben, wenn ich durch meine Worte --
und der Ausdruck Worte scheint mir sehr schwach um den Werth meiner
Arbeit zu bezeichnen*) -- Ihrem vortrefflichen Herrn zu beweisen ver-
mag was wir wollen, glauben und hoffen!" Als die Note bald nachher,
wahrscheinlich mit Vorwissen ihres Verfassers, in mehreren deutschen und
französischen Zeitschriften erschien, da hoffte Metternich, daß alle irgend
besonnenen Politiker, nur die wildesten Radikalen ausgenommen, ihm für
die förmliche Anerkennung der neuen Verfassungen danken würden. Bald
genug sah er sich enttäuscht. Da das große Publikum jetzt zum ersten
male eine geheime Denkschrift des gefürchteten Staatsmannes kennen
lernte und mit den eigenthümlichen Redeblumen des Metternich'schen
Stiles noch nicht vertraut war, so wurde der versöhnliche Sinn des
Schreibens allgemein verkannt. Die Presse suchte den Kern der Note in
jenen Phrasen über die Erhaltung des Bestehenden und schenkte den
Mahnungen zur Verfassungstreue, in denen doch der praktische Zweck des
Schreibens lag, keine Beachtung. Die Note vom 4. Mai erlangte einen
europäischen Ruf. Zwei Jahrzehnte hindurch hieß sie bei der Opposition
aller Länder "das Programm der Stabilitätspolitik, der Aufruf zum
Kampfe wider das Vorwärtsschreiten der Zeit", während sie in Wahr-
heit bestimmt war, den badischen Hof vor reaktionären Gewaltstreichen zu
warnen.

Berstett selbst verstand die Absichten seines Meisters richtig und
klagte dem treuen Marschall bitterlich, daß "unsere im reinsten deutschen
Stile redigirte Schlußakte" den gut gesinnten Regierungen so wenig Hilfe
biete; aber "wenn man von außen keine Energie noch Unterstützung zu
erwarten hat, so muß man a tout prix den inneren Frieden zu erhalten
suchen."**) So war es denn, seltsam genug, zum Theil das Verdienst
von Metternich's besonnenen Rathschlägen, daß sich der badische Hof mit
seinen kurz zuvor so ungnädig heimgeschickten Landständen wieder ver-
söhnte. Diese Mäßigung hinderte den österreichischen Staatsmann freilich
nicht, die Demagogenverfolgung in Baden, wie überall in Deutschland
persönlich zu überwachen. Er konnte es nicht lassen seinen eigenen Büttel
zu spielen. Selbst der Heidelberger Scharfrichter, der die Reliquien Sand's

*) Et le mot de paroles me semble bien faible pour exprimer la valeur de
mon travail.
Metternich an Berstett, 4. Mai 1820.
**) Berstett an Marschall, 13. Okt. 1820.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 4
Metternich’s Ermahnungen an Berſtett.

Es war das Glück ſeines Lebens, daß alle Erzeugniſſe ſeiner Feder
ihn ſelber mit aufrichtiger Bewunderung erfüllten. Dies ſein neueſtes
Werk verſetzte ihn faſt in Verzückung, und er konnte ſich nicht enthalten in
einem Begleitſchreiben an Berſtett hinzuzufügen: „Es iſt kein Wort darin,
das ich nicht aus den Tiefen meines Denkens geſchöpft hätte. Die Ruhe,
welche Sie darin herrſchen ſehen, iſt die Ruhe meiner Seele. Ich werde
ein ſehr theueres Ziel erreicht haben, wenn ich durch meine Worte —
und der Ausdruck Worte ſcheint mir ſehr ſchwach um den Werth meiner
Arbeit zu bezeichnen*) — Ihrem vortrefflichen Herrn zu beweiſen ver-
mag was wir wollen, glauben und hoffen!“ Als die Note bald nachher,
wahrſcheinlich mit Vorwiſſen ihres Verfaſſers, in mehreren deutſchen und
franzöſiſchen Zeitſchriften erſchien, da hoffte Metternich, daß alle irgend
beſonnenen Politiker, nur die wildeſten Radikalen ausgenommen, ihm für
die förmliche Anerkennung der neuen Verfaſſungen danken würden. Bald
genug ſah er ſich enttäuſcht. Da das große Publikum jetzt zum erſten
male eine geheime Denkſchrift des gefürchteten Staatsmannes kennen
lernte und mit den eigenthümlichen Redeblumen des Metternich’ſchen
Stiles noch nicht vertraut war, ſo wurde der verſöhnliche Sinn des
Schreibens allgemein verkannt. Die Preſſe ſuchte den Kern der Note in
jenen Phraſen über die Erhaltung des Beſtehenden und ſchenkte den
Mahnungen zur Verfaſſungstreue, in denen doch der praktiſche Zweck des
Schreibens lag, keine Beachtung. Die Note vom 4. Mai erlangte einen
europäiſchen Ruf. Zwei Jahrzehnte hindurch hieß ſie bei der Oppoſition
aller Länder „das Programm der Stabilitätspolitik, der Aufruf zum
Kampfe wider das Vorwärtsſchreiten der Zeit“, während ſie in Wahr-
heit beſtimmt war, den badiſchen Hof vor reaktionären Gewaltſtreichen zu
warnen.

Berſtett ſelbſt verſtand die Abſichten ſeines Meiſters richtig und
klagte dem treuen Marſchall bitterlich, daß „unſere im reinſten deutſchen
Stile redigirte Schlußakte“ den gut geſinnten Regierungen ſo wenig Hilfe
biete; aber „wenn man von außen keine Energie noch Unterſtützung zu
erwarten hat, ſo muß man à tout prix den inneren Frieden zu erhalten
ſuchen.“**) So war es denn, ſeltſam genug, zum Theil das Verdienſt
von Metternich’s beſonnenen Rathſchlägen, daß ſich der badiſche Hof mit
ſeinen kurz zuvor ſo ungnädig heimgeſchickten Landſtänden wieder ver-
ſöhnte. Dieſe Mäßigung hinderte den öſterreichiſchen Staatsmann freilich
nicht, die Demagogenverfolgung in Baden, wie überall in Deutſchland
perſönlich zu überwachen. Er konnte es nicht laſſen ſeinen eigenen Büttel
zu ſpielen. Selbſt der Heidelberger Scharfrichter, der die Reliquien Sand’s

*) Et le mot de paroles me semble bien faible pour exprimer la valeur de
mon travail.
Metternich an Berſtett, 4. Mai 1820.
**) Berſtett an Marſchall, 13. Okt. 1820.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 4
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[49/0065] Metternich’s Ermahnungen an Berſtett. Es war das Glück ſeines Lebens, daß alle Erzeugniſſe ſeiner Feder ihn ſelber mit aufrichtiger Bewunderung erfüllten. Dies ſein neueſtes Werk verſetzte ihn faſt in Verzückung, und er konnte ſich nicht enthalten in einem Begleitſchreiben an Berſtett hinzuzufügen: „Es iſt kein Wort darin, das ich nicht aus den Tiefen meines Denkens geſchöpft hätte. Die Ruhe, welche Sie darin herrſchen ſehen, iſt die Ruhe meiner Seele. Ich werde ein ſehr theueres Ziel erreicht haben, wenn ich durch meine Worte — und der Ausdruck Worte ſcheint mir ſehr ſchwach um den Werth meiner Arbeit zu bezeichnen *) — Ihrem vortrefflichen Herrn zu beweiſen ver- mag was wir wollen, glauben und hoffen!“ Als die Note bald nachher, wahrſcheinlich mit Vorwiſſen ihres Verfaſſers, in mehreren deutſchen und franzöſiſchen Zeitſchriften erſchien, da hoffte Metternich, daß alle irgend beſonnenen Politiker, nur die wildeſten Radikalen ausgenommen, ihm für die förmliche Anerkennung der neuen Verfaſſungen danken würden. Bald genug ſah er ſich enttäuſcht. Da das große Publikum jetzt zum erſten male eine geheime Denkſchrift des gefürchteten Staatsmannes kennen lernte und mit den eigenthümlichen Redeblumen des Metternich’ſchen Stiles noch nicht vertraut war, ſo wurde der verſöhnliche Sinn des Schreibens allgemein verkannt. Die Preſſe ſuchte den Kern der Note in jenen Phraſen über die Erhaltung des Beſtehenden und ſchenkte den Mahnungen zur Verfaſſungstreue, in denen doch der praktiſche Zweck des Schreibens lag, keine Beachtung. Die Note vom 4. Mai erlangte einen europäiſchen Ruf. Zwei Jahrzehnte hindurch hieß ſie bei der Oppoſition aller Länder „das Programm der Stabilitätspolitik, der Aufruf zum Kampfe wider das Vorwärtsſchreiten der Zeit“, während ſie in Wahr- heit beſtimmt war, den badiſchen Hof vor reaktionären Gewaltſtreichen zu warnen. Berſtett ſelbſt verſtand die Abſichten ſeines Meiſters richtig und klagte dem treuen Marſchall bitterlich, daß „unſere im reinſten deutſchen Stile redigirte Schlußakte“ den gut geſinnten Regierungen ſo wenig Hilfe biete; aber „wenn man von außen keine Energie noch Unterſtützung zu erwarten hat, ſo muß man à tout prix den inneren Frieden zu erhalten ſuchen.“ **) So war es denn, ſeltſam genug, zum Theil das Verdienſt von Metternich’s beſonnenen Rathſchlägen, daß ſich der badiſche Hof mit ſeinen kurz zuvor ſo ungnädig heimgeſchickten Landſtänden wieder ver- ſöhnte. Dieſe Mäßigung hinderte den öſterreichiſchen Staatsmann freilich nicht, die Demagogenverfolgung in Baden, wie überall in Deutſchland perſönlich zu überwachen. Er konnte es nicht laſſen ſeinen eigenen Büttel zu ſpielen. Selbſt der Heidelberger Scharfrichter, der die Reliquien Sand’s *) Et le mot de paroles me semble bien faible pour exprimer la valeur de mon travail. Metternich an Berſtett, 4. Mai 1820. **) Berſtett an Marſchall, 13. Okt. 1820. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 4

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/65>, abgerufen am 25.11.2024.