Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
Hessens erste Anträge.

Von den freieren und kühneren Ansichten, welche Motz sich inzwischen
gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte sich des Erfolges so wenig
sicher, daß er nicht einmal seinen greisen Großherzog zu unterrichten
wagte, sondern zunächst bei Bernstorff, mit dem er von den Wiener
Conferenzen her befreundet war, vertraulich anfragte. Bernstorff aber
kannte die Pläne des Finanzministers ebenso wenig wie der Hesse, da er
seit Jahren die Handelssachen an Eichhorn zu überlassen pflegte, und gab
eine zaghafte Antwort: finanziellen Gewinn verspreche der Vertrag für
Preußen nicht, und auf eine unbedingte Unterwerfung des Großherzog-
thums werde König Friedrich Wilhelm selbst nicht eingehen wollen. Erst
als du Thil erwiderte, an eine Mediatisirung seines Großherzogs denke
er auch keineswegs, sendete Bernstorff einen zweiten, ermuthigenden Brief.*)

Nunmehr weihte der hessische Minister seinen Großherzog in das
Geheimniß ein und stellte bei dem preußischen Gesandten v. Maltzan,
der trotz wiederholter Andeutungen nicht aus seiner Zurückhaltung her-
ausgegangen war, am 10. August 1827 die förmliche Anfrage, ob man
in Berlin geneigt sei, einen geheimen Bevollmächtigten seines Hofes zu
empfangen.**) Die Frage lautete noch immer unbestimmt genug, du Thil
sprach nur von gegenseitigen Handelserleichterungen. Und selbst wenn der
bedrängte Darmstädter Hof, wie zu erwarten stand, weiter ging und zu
einem wirklichen Zollvereine die Hand bot, welchen Vortheil gewährte ein
solcher Bund den Finanzen und der Volkswirthschaft Preußens? Der
kleine Staat besaß kein zusammenhängendes Gebiet, grenzte nur auf drei
Stellen, auf wenige Meilen, an preußisches Land. Eben jetzt hoffte man
in Berlin, die Verträge mit den Enclaven endlich zum Abschluß zu
bringen; gelang dies, so war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der
Zollgrenzen verminderte sich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darm-
stadt hinzu, so waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während
das freie Marktgebiet sich nur um 152 Geviertmeilen vergrößerte. Eine
sehr beträchtliche Vermehrung des Absatzes preußischer Fabrikwaaren stand
nicht in Aussicht, da Darmstadt nicht zu den stark consumirenden Ländern
zählte. Nur die bergisch-märkische Industrie durfte auf Erweiterung ihres
Verkehrs rechnen. Im Mosellande dagegen fürchtete man die Concurrenz
der rheinhessischen Weine. Den Staatskassen drohte gradezu Verlust,
wenn die Zolleinkünfte nach der Kopfzahl vertheilt wurden. Das kleine
Nachbarland verzehrte weit weniger Colonialwaaren, hatte bisher eine
zehnmal niedrigere Zolleinnahme bezogen als Preußen: Darmstadt kaum
21/2 Sgr., Preußen 24 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung.

*) Ich benutze hier unter Anderem die Aufzeichnungen du Thil's -- aber mit
Vorsicht, da sie erst fast ein Menschenalter später (1854) diktirt und nachweislich von
Gedächtnißfehlern nicht frei sind.
**) Maltzan's Berichte, 22. April, 9. Juli, 10. Aug. 1827.
Heſſens erſte Anträge.

Von den freieren und kühneren Anſichten, welche Motz ſich inzwiſchen
gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte ſich des Erfolges ſo wenig
ſicher, daß er nicht einmal ſeinen greiſen Großherzog zu unterrichten
wagte, ſondern zunächſt bei Bernſtorff, mit dem er von den Wiener
Conferenzen her befreundet war, vertraulich anfragte. Bernſtorff aber
kannte die Pläne des Finanzminiſters ebenſo wenig wie der Heſſe, da er
ſeit Jahren die Handelsſachen an Eichhorn zu überlaſſen pflegte, und gab
eine zaghafte Antwort: finanziellen Gewinn verſpreche der Vertrag für
Preußen nicht, und auf eine unbedingte Unterwerfung des Großherzog-
thums werde König Friedrich Wilhelm ſelbſt nicht eingehen wollen. Erſt
als du Thil erwiderte, an eine Mediatiſirung ſeines Großherzogs denke
er auch keineswegs, ſendete Bernſtorff einen zweiten, ermuthigenden Brief.*)

Nunmehr weihte der heſſiſche Miniſter ſeinen Großherzog in das
Geheimniß ein und ſtellte bei dem preußiſchen Geſandten v. Maltzan,
der trotz wiederholter Andeutungen nicht aus ſeiner Zurückhaltung her-
ausgegangen war, am 10. Auguſt 1827 die förmliche Anfrage, ob man
in Berlin geneigt ſei, einen geheimen Bevollmächtigten ſeines Hofes zu
empfangen.**) Die Frage lautete noch immer unbeſtimmt genug, du Thil
ſprach nur von gegenſeitigen Handelserleichterungen. Und ſelbſt wenn der
bedrängte Darmſtädter Hof, wie zu erwarten ſtand, weiter ging und zu
einem wirklichen Zollvereine die Hand bot, welchen Vortheil gewährte ein
ſolcher Bund den Finanzen und der Volkswirthſchaft Preußens? Der
kleine Staat beſaß kein zuſammenhängendes Gebiet, grenzte nur auf drei
Stellen, auf wenige Meilen, an preußiſches Land. Eben jetzt hoffte man
in Berlin, die Verträge mit den Enclaven endlich zum Abſchluß zu
bringen; gelang dies, ſo war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der
Zollgrenzen verminderte ſich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darm-
ſtadt hinzu, ſo waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während
das freie Marktgebiet ſich nur um 152 Geviertmeilen vergrößerte. Eine
ſehr beträchtliche Vermehrung des Abſatzes preußiſcher Fabrikwaaren ſtand
nicht in Ausſicht, da Darmſtadt nicht zu den ſtark conſumirenden Ländern
zählte. Nur die bergiſch-märkiſche Induſtrie durfte auf Erweiterung ihres
Verkehrs rechnen. Im Moſellande dagegen fürchtete man die Concurrenz
der rheinheſſiſchen Weine. Den Staatskaſſen drohte gradezu Verluſt,
wenn die Zolleinkünfte nach der Kopfzahl vertheilt wurden. Das kleine
Nachbarland verzehrte weit weniger Colonialwaaren, hatte bisher eine
zehnmal niedrigere Zolleinnahme bezogen als Preußen: Darmſtadt kaum
2½ Sgr., Preußen 24 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung.

*) Ich benutze hier unter Anderem die Aufzeichnungen du Thil’s — aber mit
Vorſicht, da ſie erſt faſt ein Menſchenalter ſpäter (1854) diktirt und nachweislich von
Gedächtnißfehlern nicht frei ſind.
**) Maltzan’s Berichte, 22. April, 9. Juli, 10. Aug. 1827.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0647" n="631"/>
          <fw place="top" type="header">He&#x017F;&#x017F;ens er&#x017F;te Anträge.</fw><lb/>
          <p>Von den freieren und kühneren An&#x017F;ichten, welche Motz &#x017F;ich inzwi&#x017F;chen<lb/>
gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte &#x017F;ich des Erfolges &#x017F;o wenig<lb/>
&#x017F;icher, daß er nicht einmal &#x017F;einen grei&#x017F;en Großherzog zu unterrichten<lb/>
wagte, &#x017F;ondern zunäch&#x017F;t bei Bern&#x017F;torff, mit dem er von den Wiener<lb/>
Conferenzen her befreundet war, vertraulich anfragte. Bern&#x017F;torff aber<lb/>
kannte die Pläne des Finanzmini&#x017F;ters eben&#x017F;o wenig wie der He&#x017F;&#x017F;e, da er<lb/>
&#x017F;eit Jahren die Handels&#x017F;achen an Eichhorn zu überla&#x017F;&#x017F;en pflegte, und gab<lb/>
eine zaghafte Antwort: finanziellen Gewinn ver&#x017F;preche der Vertrag für<lb/>
Preußen nicht, und auf eine unbedingte Unterwerfung des Großherzog-<lb/>
thums werde König Friedrich Wilhelm &#x017F;elb&#x017F;t nicht eingehen wollen. Er&#x017F;t<lb/>
als du Thil erwiderte, an eine Mediati&#x017F;irung &#x017F;eines Großherzogs denke<lb/>
er auch keineswegs, &#x017F;endete Bern&#x017F;torff einen zweiten, ermuthigenden Brief.<note place="foot" n="*)">Ich benutze hier unter Anderem die Aufzeichnungen du Thil&#x2019;s &#x2014; aber mit<lb/>
Vor&#x017F;icht, da &#x017F;ie er&#x017F;t fa&#x017F;t ein Men&#x017F;chenalter &#x017F;päter (1854) diktirt und nachweislich von<lb/>
Gedächtnißfehlern nicht frei &#x017F;ind.</note></p><lb/>
          <p>Nunmehr weihte der he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Mini&#x017F;ter &#x017F;einen Großherzog in das<lb/>
Geheimniß ein und &#x017F;tellte bei dem preußi&#x017F;chen Ge&#x017F;andten v. Maltzan,<lb/>
der trotz wiederholter Andeutungen nicht aus &#x017F;einer Zurückhaltung her-<lb/>
ausgegangen war, am 10. Augu&#x017F;t 1827 die förmliche Anfrage, ob man<lb/>
in Berlin geneigt &#x017F;ei, einen geheimen Bevollmächtigten &#x017F;eines Hofes zu<lb/>
empfangen.<note place="foot" n="**)">Maltzan&#x2019;s Berichte, 22. April, 9. Juli, 10. Aug. 1827.</note> Die Frage lautete noch immer unbe&#x017F;timmt genug, du Thil<lb/>
&#x017F;prach nur von gegen&#x017F;eitigen Handelserleichterungen. Und &#x017F;elb&#x017F;t wenn der<lb/>
bedrängte Darm&#x017F;tädter Hof, wie zu erwarten &#x017F;tand, weiter ging und zu<lb/>
einem wirklichen Zollvereine die Hand bot, welchen Vortheil gewährte ein<lb/>
&#x017F;olcher Bund den Finanzen und der Volkswirth&#x017F;chaft Preußens? Der<lb/>
kleine Staat be&#x017F;aß kein zu&#x017F;ammenhängendes Gebiet, grenzte nur auf drei<lb/>
Stellen, auf wenige Meilen, an preußi&#x017F;ches Land. Eben jetzt hoffte man<lb/>
in Berlin, die Verträge mit den Enclaven endlich zum Ab&#x017F;chluß zu<lb/>
bringen; gelang dies, &#x017F;o war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der<lb/>
Zollgrenzen verminderte &#x017F;ich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darm-<lb/>
&#x017F;tadt hinzu, &#x017F;o waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während<lb/>
das freie Marktgebiet &#x017F;ich nur um 152 Geviertmeilen vergrößerte. Eine<lb/>
&#x017F;ehr beträchtliche Vermehrung des Ab&#x017F;atzes preußi&#x017F;cher Fabrikwaaren &#x017F;tand<lb/>
nicht in Aus&#x017F;icht, da Darm&#x017F;tadt nicht zu den &#x017F;tark con&#x017F;umirenden Ländern<lb/>
zählte. Nur die bergi&#x017F;ch-märki&#x017F;che Indu&#x017F;trie durfte auf Erweiterung ihres<lb/>
Verkehrs rechnen. Im Mo&#x017F;ellande dagegen fürchtete man die Concurrenz<lb/>
der rheinhe&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Weine. Den Staatska&#x017F;&#x017F;en drohte gradezu Verlu&#x017F;t,<lb/>
wenn die Zolleinkünfte nach der Kopfzahl vertheilt wurden. Das kleine<lb/>
Nachbarland verzehrte weit weniger Colonialwaaren, hatte bisher eine<lb/>
zehnmal niedrigere Zolleinnahme bezogen als Preußen: Darm&#x017F;tadt kaum<lb/>
2½ Sgr., Preußen 24 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[631/0647] Heſſens erſte Anträge. Von den freieren und kühneren Anſichten, welche Motz ſich inzwiſchen gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte ſich des Erfolges ſo wenig ſicher, daß er nicht einmal ſeinen greiſen Großherzog zu unterrichten wagte, ſondern zunächſt bei Bernſtorff, mit dem er von den Wiener Conferenzen her befreundet war, vertraulich anfragte. Bernſtorff aber kannte die Pläne des Finanzminiſters ebenſo wenig wie der Heſſe, da er ſeit Jahren die Handelsſachen an Eichhorn zu überlaſſen pflegte, und gab eine zaghafte Antwort: finanziellen Gewinn verſpreche der Vertrag für Preußen nicht, und auf eine unbedingte Unterwerfung des Großherzog- thums werde König Friedrich Wilhelm ſelbſt nicht eingehen wollen. Erſt als du Thil erwiderte, an eine Mediatiſirung ſeines Großherzogs denke er auch keineswegs, ſendete Bernſtorff einen zweiten, ermuthigenden Brief. *) Nunmehr weihte der heſſiſche Miniſter ſeinen Großherzog in das Geheimniß ein und ſtellte bei dem preußiſchen Geſandten v. Maltzan, der trotz wiederholter Andeutungen nicht aus ſeiner Zurückhaltung her- ausgegangen war, am 10. Auguſt 1827 die förmliche Anfrage, ob man in Berlin geneigt ſei, einen geheimen Bevollmächtigten ſeines Hofes zu empfangen. **) Die Frage lautete noch immer unbeſtimmt genug, du Thil ſprach nur von gegenſeitigen Handelserleichterungen. Und ſelbſt wenn der bedrängte Darmſtädter Hof, wie zu erwarten ſtand, weiter ging und zu einem wirklichen Zollvereine die Hand bot, welchen Vortheil gewährte ein ſolcher Bund den Finanzen und der Volkswirthſchaft Preußens? Der kleine Staat beſaß kein zuſammenhängendes Gebiet, grenzte nur auf drei Stellen, auf wenige Meilen, an preußiſches Land. Eben jetzt hoffte man in Berlin, die Verträge mit den Enclaven endlich zum Abſchluß zu bringen; gelang dies, ſo war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der Zollgrenzen verminderte ſich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darm- ſtadt hinzu, ſo waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während das freie Marktgebiet ſich nur um 152 Geviertmeilen vergrößerte. Eine ſehr beträchtliche Vermehrung des Abſatzes preußiſcher Fabrikwaaren ſtand nicht in Ausſicht, da Darmſtadt nicht zu den ſtark conſumirenden Ländern zählte. Nur die bergiſch-märkiſche Induſtrie durfte auf Erweiterung ihres Verkehrs rechnen. Im Moſellande dagegen fürchtete man die Concurrenz der rheinheſſiſchen Weine. Den Staatskaſſen drohte gradezu Verluſt, wenn die Zolleinkünfte nach der Kopfzahl vertheilt wurden. Das kleine Nachbarland verzehrte weit weniger Colonialwaaren, hatte bisher eine zehnmal niedrigere Zolleinnahme bezogen als Preußen: Darmſtadt kaum 2½ Sgr., Preußen 24 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung. *) Ich benutze hier unter Anderem die Aufzeichnungen du Thil’s — aber mit Vorſicht, da ſie erſt faſt ein Menſchenalter ſpäter (1854) diktirt und nachweislich von Gedächtnißfehlern nicht frei ſind. **) Maltzan’s Berichte, 22. April, 9. Juli, 10. Aug. 1827.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/647
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/647>, abgerufen am 23.11.2024.