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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Münchener Kunst.

Was die Kunst nur aus sich selbst heraus zu finden vermag, konnte
ihr der königliche Beschützer freilich nicht schenken. Einheit des Stiles war
unmöglich in einer unruhigen Zeit, die das literarische Schaffen der ge-
sammten Vorwelt übersah, die unter der Last neuer und widerspruchsvoller
Gedanken fast erlag und doch erst wieder lernen mußte aus prosaischem Un-
geschmack sich zum A B C des Formensinnes zu erheben. Der Münchener
Malerei gab ihr "Peter der Große", Cornelius, von Haus aus die Richtung
auf das Erhabene und Monumentale. Unter seinen Architekten dagegen
fand der König keinen, der durch die Uebermacht einer großen Persönlich-
keit die Münchener Baukunst so vollständig hätte beherrschen können, wie
Schinkel die Berliner; und obwohl er selber der Antike den Vorzug gab, so
sah er sich doch fast gezwungen, seine Baumeister auf die freie Nachbildung
verschiedener Stile hinzuweisen. Er verfuhr dabei mit feinem Geschmack;
fast immer entsprach der gewählte Stil dem Zwecke des Bauwerks. Aber
neben den malerischen engen Gassen der Altstadt, in denen sich das katho-
lische Stillleben der beiden letzten Jahrhunderte noch so getreu widerspie-
gelte, erschienen die weiten Straßen und Plätze des neuen Münchens
wunderlich, buntscheckig, charakterlos, zumal in diesen ersten Jahren, so
lange der bürgerliche Verkehr den verwegenen Plänen des Königs noch nicht
zu folgen vermochte. Griechische Tempel, römische Triumphbogen, florenti-
nische Paläste ragten fremdartig aus dürftigen Häuserzeilen empor oder sie
standen ganz einsam auf der öden Geröll-Ebene, und wer nur die Mängel
sehen wollte, wie H. Heine, fand reichen Anlaß über die gekünstelte Herr-
lichkeit des deutschen "Bier-Athens" zu spotten. Auch die brennende Un-
geduld des Bauherrn that seinen Werken Abbruch. Immer mit neuen
Plänen beschäftigt, gönnte er den halbvollendeten selten die rechte Liebe
und drängte hastig zum Abschluß, obwohl die ungeschulten Hände der
deutschen Kunsthandwerker noch nachsichtiger Geduld bedurften. Er über-
nahm sich in Entwürfen, so daß man schließlich kaum mehr wußte, welchem
großen Baiern noch ein Denkmal gesetzt werden sollte, und störte die Ar-
beit der Meister zuweilen durch ein willkürliches Machtwort, da er sich
selber als den eigentlichen Schöpfer ansah. Unter der Masse von Künst-
lern, die an der Isar zusammenströmten, wurde manche edle Kraft ungerecht
mißhandelt, selbst das grandiose Zeichner-Talent Bonaventura Genelli's.
Die Eifersucht, die in diesem Gewühle nicht fehlen konnte, führte bald zu
widerwärtigen Händeln, da der König von der sorglosen Selbstgewißheit
Karl August's gar nichts besaß, sondern eifersüchtig auf sein Ansehen bedacht,
Jedem, der etwa "den Großvezier" spielen wollte, sogleich einen Neben-
buhler entgegenstellte. Aber mit allen ihren menschlichen Schwächen war es
doch eine reiche Zeit voll kühnen Schaffens und fröhlichen Hoffens, die der
deutschen Kunst jetzt tagte, als Cornelius, von ehrfürchtigen Schülern um-
geben, in der Glyptothek seine Malergerüste aufschlug; und mit Sehnsucht
dachte der Meister noch im hohen Alter an diesen wonnevollen Lenz zurück.

Die Münchener Kunſt.

Was die Kunſt nur aus ſich ſelbſt heraus zu finden vermag, konnte
ihr der königliche Beſchützer freilich nicht ſchenken. Einheit des Stiles war
unmöglich in einer unruhigen Zeit, die das literariſche Schaffen der ge-
ſammten Vorwelt überſah, die unter der Laſt neuer und widerſpruchsvoller
Gedanken faſt erlag und doch erſt wieder lernen mußte aus proſaiſchem Un-
geſchmack ſich zum A B C des Formenſinnes zu erheben. Der Münchener
Malerei gab ihr „Peter der Große“, Cornelius, von Haus aus die Richtung
auf das Erhabene und Monumentale. Unter ſeinen Architekten dagegen
fand der König keinen, der durch die Uebermacht einer großen Perſönlich-
keit die Münchener Baukunſt ſo vollſtändig hätte beherrſchen können, wie
Schinkel die Berliner; und obwohl er ſelber der Antike den Vorzug gab, ſo
ſah er ſich doch faſt gezwungen, ſeine Baumeiſter auf die freie Nachbildung
verſchiedener Stile hinzuweiſen. Er verfuhr dabei mit feinem Geſchmack;
faſt immer entſprach der gewählte Stil dem Zwecke des Bauwerks. Aber
neben den maleriſchen engen Gaſſen der Altſtadt, in denen ſich das katho-
liſche Stillleben der beiden letzten Jahrhunderte noch ſo getreu widerſpie-
gelte, erſchienen die weiten Straßen und Plätze des neuen Münchens
wunderlich, buntſcheckig, charakterlos, zumal in dieſen erſten Jahren, ſo
lange der bürgerliche Verkehr den verwegenen Plänen des Königs noch nicht
zu folgen vermochte. Griechiſche Tempel, römiſche Triumphbogen, florenti-
niſche Paläſte ragten fremdartig aus dürftigen Häuſerzeilen empor oder ſie
ſtanden ganz einſam auf der öden Geröll-Ebene, und wer nur die Mängel
ſehen wollte, wie H. Heine, fand reichen Anlaß über die gekünſtelte Herr-
lichkeit des deutſchen „Bier-Athens“ zu ſpotten. Auch die brennende Un-
geduld des Bauherrn that ſeinen Werken Abbruch. Immer mit neuen
Plänen beſchäftigt, gönnte er den halbvollendeten ſelten die rechte Liebe
und drängte haſtig zum Abſchluß, obwohl die ungeſchulten Hände der
deutſchen Kunſthandwerker noch nachſichtiger Geduld bedurften. Er über-
nahm ſich in Entwürfen, ſo daß man ſchließlich kaum mehr wußte, welchem
großen Baiern noch ein Denkmal geſetzt werden ſollte, und ſtörte die Ar-
beit der Meiſter zuweilen durch ein willkürliches Machtwort, da er ſich
ſelber als den eigentlichen Schöpfer anſah. Unter der Maſſe von Künſt-
lern, die an der Iſar zuſammenſtrömten, wurde manche edle Kraft ungerecht
mißhandelt, ſelbſt das grandioſe Zeichner-Talent Bonaventura Genelli’s.
Die Eiferſucht, die in dieſem Gewühle nicht fehlen konnte, führte bald zu
widerwärtigen Händeln, da der König von der ſorgloſen Selbſtgewißheit
Karl Auguſt’s gar nichts beſaß, ſondern eiferſüchtig auf ſein Anſehen bedacht,
Jedem, der etwa „den Großvezier“ ſpielen wollte, ſogleich einen Neben-
buhler entgegenſtellte. Aber mit allen ihren menſchlichen Schwächen war es
doch eine reiche Zeit voll kühnen Schaffens und fröhlichen Hoffens, die der
deutſchen Kunſt jetzt tagte, als Cornelius, von ehrfürchtigen Schülern um-
geben, in der Glyptothek ſeine Malergerüſte aufſchlug; und mit Sehnſucht
dachte der Meiſter noch im hohen Alter an dieſen wonnevollen Lenz zurück.

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[615/0631] Die Münchener Kunſt. Was die Kunſt nur aus ſich ſelbſt heraus zu finden vermag, konnte ihr der königliche Beſchützer freilich nicht ſchenken. Einheit des Stiles war unmöglich in einer unruhigen Zeit, die das literariſche Schaffen der ge- ſammten Vorwelt überſah, die unter der Laſt neuer und widerſpruchsvoller Gedanken faſt erlag und doch erſt wieder lernen mußte aus proſaiſchem Un- geſchmack ſich zum A B C des Formenſinnes zu erheben. Der Münchener Malerei gab ihr „Peter der Große“, Cornelius, von Haus aus die Richtung auf das Erhabene und Monumentale. Unter ſeinen Architekten dagegen fand der König keinen, der durch die Uebermacht einer großen Perſönlich- keit die Münchener Baukunſt ſo vollſtändig hätte beherrſchen können, wie Schinkel die Berliner; und obwohl er ſelber der Antike den Vorzug gab, ſo ſah er ſich doch faſt gezwungen, ſeine Baumeiſter auf die freie Nachbildung verſchiedener Stile hinzuweiſen. Er verfuhr dabei mit feinem Geſchmack; faſt immer entſprach der gewählte Stil dem Zwecke des Bauwerks. Aber neben den maleriſchen engen Gaſſen der Altſtadt, in denen ſich das katho- liſche Stillleben der beiden letzten Jahrhunderte noch ſo getreu widerſpie- gelte, erſchienen die weiten Straßen und Plätze des neuen Münchens wunderlich, buntſcheckig, charakterlos, zumal in dieſen erſten Jahren, ſo lange der bürgerliche Verkehr den verwegenen Plänen des Königs noch nicht zu folgen vermochte. Griechiſche Tempel, römiſche Triumphbogen, florenti- niſche Paläſte ragten fremdartig aus dürftigen Häuſerzeilen empor oder ſie ſtanden ganz einſam auf der öden Geröll-Ebene, und wer nur die Mängel ſehen wollte, wie H. Heine, fand reichen Anlaß über die gekünſtelte Herr- lichkeit des deutſchen „Bier-Athens“ zu ſpotten. Auch die brennende Un- geduld des Bauherrn that ſeinen Werken Abbruch. Immer mit neuen Plänen beſchäftigt, gönnte er den halbvollendeten ſelten die rechte Liebe und drängte haſtig zum Abſchluß, obwohl die ungeſchulten Hände der deutſchen Kunſthandwerker noch nachſichtiger Geduld bedurften. Er über- nahm ſich in Entwürfen, ſo daß man ſchließlich kaum mehr wußte, welchem großen Baiern noch ein Denkmal geſetzt werden ſollte, und ſtörte die Ar- beit der Meiſter zuweilen durch ein willkürliches Machtwort, da er ſich ſelber als den eigentlichen Schöpfer anſah. Unter der Maſſe von Künſt- lern, die an der Iſar zuſammenſtrömten, wurde manche edle Kraft ungerecht mißhandelt, ſelbſt das grandioſe Zeichner-Talent Bonaventura Genelli’s. Die Eiferſucht, die in dieſem Gewühle nicht fehlen konnte, führte bald zu widerwärtigen Händeln, da der König von der ſorgloſen Selbſtgewißheit Karl Auguſt’s gar nichts beſaß, ſondern eiferſüchtig auf ſein Anſehen bedacht, Jedem, der etwa „den Großvezier“ ſpielen wollte, ſogleich einen Neben- buhler entgegenſtellte. Aber mit allen ihren menſchlichen Schwächen war es doch eine reiche Zeit voll kühnen Schaffens und fröhlichen Hoffens, die der deutſchen Kunſt jetzt tagte, als Cornelius, von ehrfürchtigen Schülern um- geben, in der Glyptothek ſeine Malergerüſte aufſchlug; und mit Sehnſucht dachte der Meiſter noch im hohen Alter an dieſen wonnevollen Lenz zurück.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/631>, abgerufen am 25.11.2024.