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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Thiersch und die Gymnasien.
nehmens; Lindner, der Vertraute des Stuttgarter Hofes, und der junge
Heinrich Heine wurden mit der Leitung betraut. Aber die Zeitschrift
ging schon nach wenigen Monaten ein, und Lindner fand nachher ein
stilles Unterkommen bei der Bairischen Staatszeitung, wo er dann sein
altes Lied vom "reinen Deutschland" noch jahrelang, wenig beachtet und
mit gedämpfter Stimme sang.

Mit lebhaftem Eifer betrieb der König die Reform seiner Gymnasien.
Er wollte sie nach dem Muster der sächsischen und württembergischen Ge-
lehrtenschulen umgestalten und die Lyceen, die noch in unhaltbarer Mittel-
stellung zwischen der Universität und dem Gymnasium standen, ganz be-
seitigen. Von Schelling unterstützt entwarf Thiersch einen tief durchdachten
Lehrplan, der die Absicht verfolgte, durch die Einfachheit einer gründlichen
humanistischen Bildung die Jugend zum Können und dann erst zum
Wissen zu erziehen: die Ueberbürdung der Schüler mit verschiedenartigem
Unterrichtsstoffe, die auf den preußischen Gymnasien unter Joh. Schulze's
Leitung schon bedenklich zunahm, sollte vermieden, die geisttödende Plage
der Examina eingeschränkt, die Zahl der Lehrstunden so weit herabgesetzt
werden, daß der Klassenlehrer den Unterricht in allen Hauptfächern zu-
gleich ertheilen, durch die Kraft seiner Persönlichkeit die Schüler geistig
beherrschen könnte.

Als aber diese treffliche Schulordnung erschien (1829), da regte sich
von allen Seiten her ein Widerstand, der nur zu deutlich zeigte, wie
schwer dies neue, von so mannichfachen Interessen bewegte Jahrhundert
sich über die Lebensbedingungen aller Bildung zu verständigen vermochte.
Der Geistliche Rath Schrank und seine Parteigenossen wünschten Rück-
kehr zu der Unterrichtsmethode der Jesuiten, während Paulus' Sophro-
nizon umgekehrt in der neuen Schulordnung hierarchische Hintergedanken
witterte. Das gewerbreiche Frankenland forderte Begünstigung des natur-
wissenschaftlichen Unterrichts, der allerdings in Thiersch's Lehrplane über
Gebühr vernachlässigt war, und als Wortführer dieser Realisten verlangte
Oken kurzweg, der Schüler müsse in "die gesammte Cultur der Welt"
eingeführt, über Alles was er vielleicht einmal im Leben brauchen könne
zum Voraus unterrichtet werden. Die alten Beamten dagegen fanden
die Anforderungen des Schulplans überspannt. Zentner namentlich, der
alte Professor, sprach -- wie so viele Gelehrte, wenn sie ins Geschäfts-
leben übergetreten sind -- mit der äußersten Geringschätzung von der Wis-
senschaft; er meinte, der Staat dürfe von der Schule nur verlangen,
daß sie seine künftigen Beamten für die praktischen Bedürfnisse des Staats-
dienstes abrichte. Auch der einflußreiche Cabinetssecretär Grandauer schloß
sich diesen Gegnern an, ein beschränkter Kopf, der gleichwohl verstand sich
dem geistreichen Monarchen unentbehrlich zu machen. Also von allen
Seiten her bestürmt entschloß sich der König schon nach Jahresfrist, durch
eine neue Schulordnung den classischen Unterricht wieder etwas zu be-

Thierſch und die Gymnaſien.
nehmens; Lindner, der Vertraute des Stuttgarter Hofes, und der junge
Heinrich Heine wurden mit der Leitung betraut. Aber die Zeitſchrift
ging ſchon nach wenigen Monaten ein, und Lindner fand nachher ein
ſtilles Unterkommen bei der Bairiſchen Staatszeitung, wo er dann ſein
altes Lied vom „reinen Deutſchland“ noch jahrelang, wenig beachtet und
mit gedämpfter Stimme ſang.

Mit lebhaftem Eifer betrieb der König die Reform ſeiner Gymnaſien.
Er wollte ſie nach dem Muſter der ſächſiſchen und württembergiſchen Ge-
lehrtenſchulen umgeſtalten und die Lyceen, die noch in unhaltbarer Mittel-
ſtellung zwiſchen der Univerſität und dem Gymnaſium ſtanden, ganz be-
ſeitigen. Von Schelling unterſtützt entwarf Thierſch einen tief durchdachten
Lehrplan, der die Abſicht verfolgte, durch die Einfachheit einer gründlichen
humaniſtiſchen Bildung die Jugend zum Können und dann erſt zum
Wiſſen zu erziehen: die Ueberbürdung der Schüler mit verſchiedenartigem
Unterrichtsſtoffe, die auf den preußiſchen Gymnaſien unter Joh. Schulze’s
Leitung ſchon bedenklich zunahm, ſollte vermieden, die geiſttödende Plage
der Examina eingeſchränkt, die Zahl der Lehrſtunden ſo weit herabgeſetzt
werden, daß der Klaſſenlehrer den Unterricht in allen Hauptfächern zu-
gleich ertheilen, durch die Kraft ſeiner Perſönlichkeit die Schüler geiſtig
beherrſchen könnte.

Als aber dieſe treffliche Schulordnung erſchien (1829), da regte ſich
von allen Seiten her ein Widerſtand, der nur zu deutlich zeigte, wie
ſchwer dies neue, von ſo mannichfachen Intereſſen bewegte Jahrhundert
ſich über die Lebensbedingungen aller Bildung zu verſtändigen vermochte.
Der Geiſtliche Rath Schrank und ſeine Parteigenoſſen wünſchten Rück-
kehr zu der Unterrichtsmethode der Jeſuiten, während Paulus’ Sophro-
nizon umgekehrt in der neuen Schulordnung hierarchiſche Hintergedanken
witterte. Das gewerbreiche Frankenland forderte Begünſtigung des natur-
wiſſenſchaftlichen Unterrichts, der allerdings in Thierſch’s Lehrplane über
Gebühr vernachläſſigt war, und als Wortführer dieſer Realiſten verlangte
Oken kurzweg, der Schüler müſſe in „die geſammte Cultur der Welt“
eingeführt, über Alles was er vielleicht einmal im Leben brauchen könne
zum Voraus unterrichtet werden. Die alten Beamten dagegen fanden
die Anforderungen des Schulplans überſpannt. Zentner namentlich, der
alte Profeſſor, ſprach — wie ſo viele Gelehrte, wenn ſie ins Geſchäfts-
leben übergetreten ſind — mit der äußerſten Geringſchätzung von der Wiſ-
ſenſchaft; er meinte, der Staat dürfe von der Schule nur verlangen,
daß ſie ſeine künftigen Beamten für die praktiſchen Bedürfniſſe des Staats-
dienſtes abrichte. Auch der einflußreiche Cabinetsſecretär Grandauer ſchloß
ſich dieſen Gegnern an, ein beſchränkter Kopf, der gleichwohl verſtand ſich
dem geiſtreichen Monarchen unentbehrlich zu machen. Alſo von allen
Seiten her beſtürmt entſchloß ſich der König ſchon nach Jahresfriſt, durch
eine neue Schulordnung den claſſiſchen Unterricht wieder etwas zu be-

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[613/0629] Thierſch und die Gymnaſien. nehmens; Lindner, der Vertraute des Stuttgarter Hofes, und der junge Heinrich Heine wurden mit der Leitung betraut. Aber die Zeitſchrift ging ſchon nach wenigen Monaten ein, und Lindner fand nachher ein ſtilles Unterkommen bei der Bairiſchen Staatszeitung, wo er dann ſein altes Lied vom „reinen Deutſchland“ noch jahrelang, wenig beachtet und mit gedämpfter Stimme ſang. Mit lebhaftem Eifer betrieb der König die Reform ſeiner Gymnaſien. Er wollte ſie nach dem Muſter der ſächſiſchen und württembergiſchen Ge- lehrtenſchulen umgeſtalten und die Lyceen, die noch in unhaltbarer Mittel- ſtellung zwiſchen der Univerſität und dem Gymnaſium ſtanden, ganz be- ſeitigen. Von Schelling unterſtützt entwarf Thierſch einen tief durchdachten Lehrplan, der die Abſicht verfolgte, durch die Einfachheit einer gründlichen humaniſtiſchen Bildung die Jugend zum Können und dann erſt zum Wiſſen zu erziehen: die Ueberbürdung der Schüler mit verſchiedenartigem Unterrichtsſtoffe, die auf den preußiſchen Gymnaſien unter Joh. Schulze’s Leitung ſchon bedenklich zunahm, ſollte vermieden, die geiſttödende Plage der Examina eingeſchränkt, die Zahl der Lehrſtunden ſo weit herabgeſetzt werden, daß der Klaſſenlehrer den Unterricht in allen Hauptfächern zu- gleich ertheilen, durch die Kraft ſeiner Perſönlichkeit die Schüler geiſtig beherrſchen könnte. Als aber dieſe treffliche Schulordnung erſchien (1829), da regte ſich von allen Seiten her ein Widerſtand, der nur zu deutlich zeigte, wie ſchwer dies neue, von ſo mannichfachen Intereſſen bewegte Jahrhundert ſich über die Lebensbedingungen aller Bildung zu verſtändigen vermochte. Der Geiſtliche Rath Schrank und ſeine Parteigenoſſen wünſchten Rück- kehr zu der Unterrichtsmethode der Jeſuiten, während Paulus’ Sophro- nizon umgekehrt in der neuen Schulordnung hierarchiſche Hintergedanken witterte. Das gewerbreiche Frankenland forderte Begünſtigung des natur- wiſſenſchaftlichen Unterrichts, der allerdings in Thierſch’s Lehrplane über Gebühr vernachläſſigt war, und als Wortführer dieſer Realiſten verlangte Oken kurzweg, der Schüler müſſe in „die geſammte Cultur der Welt“ eingeführt, über Alles was er vielleicht einmal im Leben brauchen könne zum Voraus unterrichtet werden. Die alten Beamten dagegen fanden die Anforderungen des Schulplans überſpannt. Zentner namentlich, der alte Profeſſor, ſprach — wie ſo viele Gelehrte, wenn ſie ins Geſchäfts- leben übergetreten ſind — mit der äußerſten Geringſchätzung von der Wiſ- ſenſchaft; er meinte, der Staat dürfe von der Schule nur verlangen, daß ſie ſeine künftigen Beamten für die praktiſchen Bedürfniſſe des Staats- dienſtes abrichte. Auch der einflußreiche Cabinetsſecretär Grandauer ſchloß ſich dieſen Gegnern an, ein beſchränkter Kopf, der gleichwohl verſtand ſich dem geiſtreichen Monarchen unentbehrlich zu machen. Alſo von allen Seiten her beſtürmt entſchloß ſich der König ſchon nach Jahresfriſt, durch eine neue Schulordnung den claſſiſchen Unterricht wieder etwas zu be-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/629>, abgerufen am 25.11.2024.