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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
der Macht verloren hat, so hat es doch das Scepter der öffentlichen Mei-
nung bewahrt." Vor dem Scepterträger der öffentlichen Meinung fand
Preußen, wie billig, keine Gnade. Auf diesem Wege der Usurpationen,
rief Bignon, ist das Haus der Capetinger einst schrittweis dahin gelangt,
die großen Vasallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig sprach der
deutsche Liberale die Warnung des Bonapartisten nach.

Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener
Hofes, die selbst nach der Freigebung jenes Elbschiffes nicht zurückgezogen
wurde, bereitwillig entgegen. Umsonst verwahrte sich König Friedrich Wil-
helm, als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit scharfen Worten
wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatisiren wolle. Die kleinen Höfe
ließen sich's nicht ausreden: Preußen wünsche, wie Berstett sich ausdrückte,
"seine geographische Dünnleibigkeit auf Kosten einiger Kleineren zu arron-
diren". Der neu ernannte badische Bundesgesandte Blittersdorff und
die Klügeren seiner Genossen wußten wohl, wie wenig "bei dem bekannten
Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin" auf ein ver-
ständiges Abkommen zu rechnen sei; doch sie meinten, "dies sei die Gelegen-
heit für den Bundestag, seine Dauer und Lebenskraft zu erproben".*)
Es galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es
galt, der norddeutschen Großmacht zu beweisen, daß sie, nach Marschall's
Worten, ebenso sehr durch Köthen geschützt werde, wie Köthen durch
Preußen. Von den größeren Bundesstaaten zeigte allein Baiern ein Ver-
ständniß für die Machtverhältnisse; nachdem die Münchener Regierung so-
eben selber die Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollsystems
kennen gelernt hatte, meinte sie doch, daß ein kleiner Unterschied bestehe
zwischen einem Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die
Frage nach den Gesichtspunkten des Civilprocesses, und da die Rechts-
frage allerdings zweifelhaft lag, so entspann sich am Bundestage eine
grimmige Fehde, die durch viele Jahre hingeschleppt den liberalen Zei-
tungen immer wieder den willkommenen Anlaß bot, Preußen als den
Friedensbrecher Deutschlands zu brandmarken.

Das also war für Preußen das Ergebniß der handelspolitischen
Verhandlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgesetz war gegen
den Widerstand fast aller Bundesstaaten unverändert aufrecht geblieben,
auch die Freiheit der Elbe war nothdürftig sicher gestellt, und die alte
Ansicht der preußischen Regierung, daß der Bund für den deutschen Ver-
kehr schlechterdings nichts zu leisten vermöge, hatte sich abermals bestätigt.
Aber ebenso fest stand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den
einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz
aussichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehässigkeit war dem Grafen
Bernstorff entgegengetreten, welche anmaßende Sprache hatte er anhören

*) Blittersdorff's Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
der Macht verloren hat, ſo hat es doch das Scepter der öffentlichen Mei-
nung bewahrt.“ Vor dem Scepterträger der öffentlichen Meinung fand
Preußen, wie billig, keine Gnade. Auf dieſem Wege der Uſurpationen,
rief Bignon, iſt das Haus der Capetinger einſt ſchrittweis dahin gelangt,
die großen Vaſallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig ſprach der
deutſche Liberale die Warnung des Bonapartiſten nach.

Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener
Hofes, die ſelbſt nach der Freigebung jenes Elbſchiffes nicht zurückgezogen
wurde, bereitwillig entgegen. Umſonſt verwahrte ſich König Friedrich Wil-
helm, als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit ſcharfen Worten
wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatiſiren wolle. Die kleinen Höfe
ließen ſich’s nicht ausreden: Preußen wünſche, wie Berſtett ſich ausdrückte,
„ſeine geographiſche Dünnleibigkeit auf Koſten einiger Kleineren zu arron-
diren“. Der neu ernannte badiſche Bundesgeſandte Blittersdorff und
die Klügeren ſeiner Genoſſen wußten wohl, wie wenig „bei dem bekannten
Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin“ auf ein ver-
ſtändiges Abkommen zu rechnen ſei; doch ſie meinten, „dies ſei die Gelegen-
heit für den Bundestag, ſeine Dauer und Lebenskraft zu erproben“.*)
Es galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es
galt, der norddeutſchen Großmacht zu beweiſen, daß ſie, nach Marſchall’s
Worten, ebenſo ſehr durch Köthen geſchützt werde, wie Köthen durch
Preußen. Von den größeren Bundesſtaaten zeigte allein Baiern ein Ver-
ſtändniß für die Machtverhältniſſe; nachdem die Münchener Regierung ſo-
eben ſelber die Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollſyſtems
kennen gelernt hatte, meinte ſie doch, daß ein kleiner Unterſchied beſtehe
zwiſchen einem Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die
Frage nach den Geſichtspunkten des Civilproceſſes, und da die Rechts-
frage allerdings zweifelhaft lag, ſo entſpann ſich am Bundestage eine
grimmige Fehde, die durch viele Jahre hingeſchleppt den liberalen Zei-
tungen immer wieder den willkommenen Anlaß bot, Preußen als den
Friedensbrecher Deutſchlands zu brandmarken.

Das alſo war für Preußen das Ergebniß der handelspolitiſchen
Verhandlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgeſetz war gegen
den Widerſtand faſt aller Bundesſtaaten unverändert aufrecht geblieben,
auch die Freiheit der Elbe war nothdürftig ſicher geſtellt, und die alte
Anſicht der preußiſchen Regierung, daß der Bund für den deutſchen Ver-
kehr ſchlechterdings nichts zu leiſten vermöge, hatte ſich abermals beſtätigt.
Aber ebenſo feſt ſtand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den
einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz
ausſichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehäſſigkeit war dem Grafen
Bernſtorff entgegengetreten, welche anmaßende Sprache hatte er anhören

*) Blittersdorff’s Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.
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[46/0062] III. 1. Die Wiener Conferenzen. der Macht verloren hat, ſo hat es doch das Scepter der öffentlichen Mei- nung bewahrt.“ Vor dem Scepterträger der öffentlichen Meinung fand Preußen, wie billig, keine Gnade. Auf dieſem Wege der Uſurpationen, rief Bignon, iſt das Haus der Capetinger einſt ſchrittweis dahin gelangt, die großen Vaſallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig ſprach der deutſche Liberale die Warnung des Bonapartiſten nach. Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener Hofes, die ſelbſt nach der Freigebung jenes Elbſchiffes nicht zurückgezogen wurde, bereitwillig entgegen. Umſonſt verwahrte ſich König Friedrich Wil- helm, als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit ſcharfen Worten wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatiſiren wolle. Die kleinen Höfe ließen ſich’s nicht ausreden: Preußen wünſche, wie Berſtett ſich ausdrückte, „ſeine geographiſche Dünnleibigkeit auf Koſten einiger Kleineren zu arron- diren“. Der neu ernannte badiſche Bundesgeſandte Blittersdorff und die Klügeren ſeiner Genoſſen wußten wohl, wie wenig „bei dem bekannten Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin“ auf ein ver- ſtändiges Abkommen zu rechnen ſei; doch ſie meinten, „dies ſei die Gelegen- heit für den Bundestag, ſeine Dauer und Lebenskraft zu erproben“. *) Es galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es galt, der norddeutſchen Großmacht zu beweiſen, daß ſie, nach Marſchall’s Worten, ebenſo ſehr durch Köthen geſchützt werde, wie Köthen durch Preußen. Von den größeren Bundesſtaaten zeigte allein Baiern ein Ver- ſtändniß für die Machtverhältniſſe; nachdem die Münchener Regierung ſo- eben ſelber die Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollſyſtems kennen gelernt hatte, meinte ſie doch, daß ein kleiner Unterſchied beſtehe zwiſchen einem Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die Frage nach den Geſichtspunkten des Civilproceſſes, und da die Rechts- frage allerdings zweifelhaft lag, ſo entſpann ſich am Bundestage eine grimmige Fehde, die durch viele Jahre hingeſchleppt den liberalen Zei- tungen immer wieder den willkommenen Anlaß bot, Preußen als den Friedensbrecher Deutſchlands zu brandmarken. Das alſo war für Preußen das Ergebniß der handelspolitiſchen Verhandlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgeſetz war gegen den Widerſtand faſt aller Bundesſtaaten unverändert aufrecht geblieben, auch die Freiheit der Elbe war nothdürftig ſicher geſtellt, und die alte Anſicht der preußiſchen Regierung, daß der Bund für den deutſchen Ver- kehr ſchlechterdings nichts zu leiſten vermöge, hatte ſich abermals beſtätigt. Aber ebenſo feſt ſtand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz ausſichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehäſſigkeit war dem Grafen Bernſtorff entgegengetreten, welche anmaßende Sprache hatte er anhören *) Blittersdorff’s Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/62>, abgerufen am 28.11.2024.