Achter Abschnitt. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
Während die kleinen Staaten des Nordens in tiefer Stille gebunden lagen, brach in Baiern geräuschvoll ein hoffnungsreiches neues Leben an. König Ludwig stand bereits in seinem vierzigsten Jahre, als er den Thron bestieg, und die Aerzte versprachen ihm kein hohes Alter. Da war keine Zeit zu verlieren. Längst schon die Hoffnung der patriotischen Jugend des Südens, hatte er sich in den letzten Jahren dem väterlichen Hofe meist mißmuthig fern gehalten; denn in gesellschaftlicher Gewandtheit konnte er weder mit seinem Schwager Eugen Beauharnais wetteifern, noch mit seinem jüngeren Bruder Karl, dem erklärten Liebling der Eltern, und die schwankende politische Haltung des Cabinets, die geheimen Hilferufe, die von München aus an die Großmächte ergingen, verletzten seinen Stolz. Nun endlich war er der Herr und konnte der Nation zeigen, was ein König sei, "teutsch, religiös, volksrechtlich gesinnt." Friedrich der Große galt ihm als das Ideal des Herrschers, obgleich er selbst mit dem Vor- bilde nicht viel mehr gemein hatte als die unermüdliche Arbeitslust, die sich nie genug that. Von der genialen Nüchternheit des historischen Helden lag gar nichts in dieser phantastisch aufgeregten Natur, die mit unersätt- licher Empfänglichkeit alle die neuen politischen, kirchlichen, künstlerischen Ideale, welche der gährenden Zeit entstiegen, in sich aufnahm.
Ein echtes Kind der Romantik stand König Ludwig seinem Schwager, dem Kronprinzen von Preußen, sehr nahe; aber glücklicher als Friedrich Wilhelm blieb er vor dem Fluche des unfruchtbaren Dilettantismus be- wahrt; denn unter den Gaben seines allseitig erregbaren Geistes war doch eine, die alle anderen beherrschte, die seinem Leben Halt und Richtung gab: der Kunstsinn.
Neue Schöpfung ewig neuer Freude Im geschäft'gen Geiste stets entsteht. Nicht der Zeit wird jemals sie zur Beute, Und es ist ein sel'ges, ew'ges Heute, Von dem Geist der Liebe angeweht --
so schildert er einmal selber das Unsterbliche in seinem Wirken. Sein Ehrgeiz war, den schlummernden Farben- und Formensinn zu wecken, die
Achter Abſchnitt. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Während die kleinen Staaten des Nordens in tiefer Stille gebunden lagen, brach in Baiern geräuſchvoll ein hoffnungsreiches neues Leben an. König Ludwig ſtand bereits in ſeinem vierzigſten Jahre, als er den Thron beſtieg, und die Aerzte verſprachen ihm kein hohes Alter. Da war keine Zeit zu verlieren. Längſt ſchon die Hoffnung der patriotiſchen Jugend des Südens, hatte er ſich in den letzten Jahren dem väterlichen Hofe meiſt mißmuthig fern gehalten; denn in geſellſchaftlicher Gewandtheit konnte er weder mit ſeinem Schwager Eugen Beauharnais wetteifern, noch mit ſeinem jüngeren Bruder Karl, dem erklärten Liebling der Eltern, und die ſchwankende politiſche Haltung des Cabinets, die geheimen Hilferufe, die von München aus an die Großmächte ergingen, verletzten ſeinen Stolz. Nun endlich war er der Herr und konnte der Nation zeigen, was ein König ſei, „teutſch, religiös, volksrechtlich geſinnt.“ Friedrich der Große galt ihm als das Ideal des Herrſchers, obgleich er ſelbſt mit dem Vor- bilde nicht viel mehr gemein hatte als die unermüdliche Arbeitsluſt, die ſich nie genug that. Von der genialen Nüchternheit des hiſtoriſchen Helden lag gar nichts in dieſer phantaſtiſch aufgeregten Natur, die mit unerſätt- licher Empfänglichkeit alle die neuen politiſchen, kirchlichen, künſtleriſchen Ideale, welche der gährenden Zeit entſtiegen, in ſich aufnahm.
Ein echtes Kind der Romantik ſtand König Ludwig ſeinem Schwager, dem Kronprinzen von Preußen, ſehr nahe; aber glücklicher als Friedrich Wilhelm blieb er vor dem Fluche des unfruchtbaren Dilettantismus be- wahrt; denn unter den Gaben ſeines allſeitig erregbaren Geiſtes war doch eine, die alle anderen beherrſchte, die ſeinem Leben Halt und Richtung gab: der Kunſtſinn.
Neue Schöpfung ewig neuer Freude Im geſchäft’gen Geiſte ſtets entſteht. Nicht der Zeit wird jemals ſie zur Beute, Und es iſt ein ſel’ges, ew’ges Heute, Von dem Geiſt der Liebe angeweht —
ſo ſchildert er einmal ſelber das Unſterbliche in ſeinem Wirken. Sein Ehrgeiz war, den ſchlummernden Farben- und Formenſinn zu wecken, die
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Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Während die kleinen Staaten des Nordens in tiefer Stille gebunden
lagen, brach in Baiern geräuſchvoll ein hoffnungsreiches neues Leben an.
König Ludwig ſtand bereits in ſeinem vierzigſten Jahre, als er den Thron
beſtieg, und die Aerzte verſprachen ihm kein hohes Alter. Da war keine
Zeit zu verlieren. Längſt ſchon die Hoffnung der patriotiſchen Jugend des
Südens, hatte er ſich in den letzten Jahren dem väterlichen Hofe meiſt
mißmuthig fern gehalten; denn in geſellſchaftlicher Gewandtheit konnte
er weder mit ſeinem Schwager Eugen Beauharnais wetteifern, noch mit
ſeinem jüngeren Bruder Karl, dem erklärten Liebling der Eltern, und die
ſchwankende politiſche Haltung des Cabinets, die geheimen Hilferufe, die
von München aus an die Großmächte ergingen, verletzten ſeinen Stolz.
Nun endlich war er der Herr und konnte der Nation zeigen, was ein
König ſei, „teutſch, religiös, volksrechtlich geſinnt.“ Friedrich der Große
galt ihm als das Ideal des Herrſchers, obgleich er ſelbſt mit dem Vor-
bilde nicht viel mehr gemein hatte als die unermüdliche Arbeitsluſt, die
ſich nie genug that. Von der genialen Nüchternheit des hiſtoriſchen Helden
lag gar nichts in dieſer phantaſtiſch aufgeregten Natur, die mit unerſätt-
licher Empfänglichkeit alle die neuen politiſchen, kirchlichen, künſtleriſchen
Ideale, welche der gährenden Zeit entſtiegen, in ſich aufnahm.
Ein echtes Kind der Romantik ſtand König Ludwig ſeinem Schwager,
dem Kronprinzen von Preußen, ſehr nahe; aber glücklicher als Friedrich
Wilhelm blieb er vor dem Fluche des unfruchtbaren Dilettantismus be-
wahrt; denn unter den Gaben ſeines allſeitig erregbaren Geiſtes war doch
eine, die alle anderen beherrſchte, die ſeinem Leben Halt und Richtung
gab: der Kunſtſinn.
Neue Schöpfung ewig neuer Freude
Im geſchäft’gen Geiſte ſtets entſteht.
Nicht der Zeit wird jemals ſie zur Beute,
Und es iſt ein ſel’ges, ew’ges Heute,
Von dem Geiſt der Liebe angeweht —
ſo ſchildert er einmal ſelber das Unſterbliche in ſeinem Wirken. Sein
Ehrgeiz war, den ſchlummernden Farben- und Formenſinn zu wecken, die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. [603]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/619>, abgerufen am 24.11.2024.
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