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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Bernstorff und die holsteinischen Ritter.
Schlage hinwegfegen sollte. Die Stände Schleswigholsteins befanden sich
genau in demselben Rechtszustande wie die Stände der Kurmark oder der
Niederlausitz -- nur mit dem einen Unterschiede, daß der König von
Dänemark ihre Privilegien noch neuerdings anerkannt hatte; und der-
selbe hochconservative Rath Schlosser, der vor fünf Jahren im Namen
des jülich-cleve-bergischen Adels geschrieben,*) diente jetzt den holsteinischen
Rittern in Frankfurt als Agent. So verkettete sich der preußische Ver-
fassungskampf mit den transalbingischen Händeln. Wenn Preußen zugab,
daß der Bundestag -- im Widerspruche mit dem eigentlichen Sinne des
Art. 56 der Schlußakte -- die alte Verfassung Schleswigholsteins aner-
kannte, so konnten jederzeit auch die alten Stände der Lausitzen oder der
Kurmark in Frankfurt erscheinen um mit Hilfe der Bundesversammlung
die neue Provinzial-Ständeverfassung der Monarchie über den Haufen zu
werfen.

Darum ertheilte Bernstorff dem Bundesgesandten die Weisung
(22. April 1823): von einer "anerkannten Wirksamkeit" der alten schles-
wigholsteinischen Verfassung könne gar nicht die Rede sein; mit besserem
Rechte hätten die Ritter sich auf den Art. 54 der Schlußakte berufen
sollen, der den Bundestag anwies darüber zu wachen, daß die verheißene
Einführung einer landständischen Verfassung "in keinem Bundesstaate un-
erfüllt bleibe". In einem Berichte an den König führte er dann noch-
mals aus, daß die Ritterschaft den Art. 56 "offenbar falsch" auslege.**)
Mit dieser Behauptung war der Minister unzweifelhaft im Recht. Aber
wie gänzlich verkannte er die Lage, wenn er nicht einmal versuchte, mit
Hilfe jenes von ihm selber angezogenen Art. 54 der Schlußakte die Un-
trennbarkeit der Herzogthümer zu sichern, sondern den Bundesgesandten
einfach beauftragte, für die Abweisung der Klagenden zu stimmen! Und doch
wußte man in Berlin bereits aus den Berichten des Gesandten in Kopen-
hagen, daß König Friedrich VI. beabsichtigte, durch eine neue Verfassung
für Holstein allein die Verbindung der beiden Herzogthümer aufzuheben
(alterer).***) Was die Einheit Schleswigholsteins für Deutschlands Macht
im Norden bedeutete, war dem preußischen Hofe noch ganz dunkel. Man
wußte nicht, daß dieser unscheinbare neueste Handel nur ein Glied war
aus einer Kette vielhundertjähriger nationaler Kämpfe. Unbedenklich er-
theilte Bernstorff dem dänischen Könige auf dessen wiederholte Bitten die
Zusage: Preußen werde mit Dänemark stimmen, da die Petenten den
Art. 56 mißverstanden hätten.+)

Wenn Preußen für den Ernst der Sache so wenig Verständniß zeigte,

*) S. o. II. 454.
**) Weisung an Goltz (von Eichhorn verfaßt, von Bernstorff durchgesehen) 22. April.
Bernstorff's Bericht an den König, 22. April 1823.
***) Bericht des Grafen Dohna aus Kopenhagen, 11. Jan. 1823.
+) Dohna's Bericht, 5. April; Weisung an Dohna, 22. April 1823.

Bernſtorff und die holſteiniſchen Ritter.
Schlage hinwegfegen ſollte. Die Stände Schleswigholſteins befanden ſich
genau in demſelben Rechtszuſtande wie die Stände der Kurmark oder der
Niederlauſitz — nur mit dem einen Unterſchiede, daß der König von
Dänemark ihre Privilegien noch neuerdings anerkannt hatte; und der-
ſelbe hochconſervative Rath Schloſſer, der vor fünf Jahren im Namen
des jülich-cleve-bergiſchen Adels geſchrieben,*) diente jetzt den holſteiniſchen
Rittern in Frankfurt als Agent. So verkettete ſich der preußiſche Ver-
faſſungskampf mit den transalbingiſchen Händeln. Wenn Preußen zugab,
daß der Bundestag — im Widerſpruche mit dem eigentlichen Sinne des
Art. 56 der Schlußakte — die alte Verfaſſung Schleswigholſteins aner-
kannte, ſo konnten jederzeit auch die alten Stände der Lauſitzen oder der
Kurmark in Frankfurt erſcheinen um mit Hilfe der Bundesverſammlung
die neue Provinzial-Ständeverfaſſung der Monarchie über den Haufen zu
werfen.

Darum ertheilte Bernſtorff dem Bundesgeſandten die Weiſung
(22. April 1823): von einer „anerkannten Wirkſamkeit“ der alten ſchles-
wigholſteiniſchen Verfaſſung könne gar nicht die Rede ſein; mit beſſerem
Rechte hätten die Ritter ſich auf den Art. 54 der Schlußakte berufen
ſollen, der den Bundestag anwies darüber zu wachen, daß die verheißene
Einführung einer landſtändiſchen Verfaſſung „in keinem Bundesſtaate un-
erfüllt bleibe“. In einem Berichte an den König führte er dann noch-
mals aus, daß die Ritterſchaft den Art. 56 „offenbar falſch“ auslege.**)
Mit dieſer Behauptung war der Miniſter unzweifelhaft im Recht. Aber
wie gänzlich verkannte er die Lage, wenn er nicht einmal verſuchte, mit
Hilfe jenes von ihm ſelber angezogenen Art. 54 der Schlußakte die Un-
trennbarkeit der Herzogthümer zu ſichern, ſondern den Bundesgeſandten
einfach beauftragte, für die Abweiſung der Klagenden zu ſtimmen! Und doch
wußte man in Berlin bereits aus den Berichten des Geſandten in Kopen-
hagen, daß König Friedrich VI. beabſichtigte, durch eine neue Verfaſſung
für Holſtein allein die Verbindung der beiden Herzogthümer aufzuheben
(altérer).***) Was die Einheit Schleswigholſteins für Deutſchlands Macht
im Norden bedeutete, war dem preußiſchen Hofe noch ganz dunkel. Man
wußte nicht, daß dieſer unſcheinbare neueſte Handel nur ein Glied war
aus einer Kette vielhundertjähriger nationaler Kämpfe. Unbedenklich er-
theilte Bernſtorff dem däniſchen Könige auf deſſen wiederholte Bitten die
Zuſage: Preußen werde mit Dänemark ſtimmen, da die Petenten den
Art. 56 mißverſtanden hätten.†)

Wenn Preußen für den Ernſt der Sache ſo wenig Verſtändniß zeigte,

*) S. o. II. 454.
**) Weiſung an Goltz (von Eichhorn verfaßt, von Bernſtorff durchgeſehen) 22. April.
Bernſtorff’s Bericht an den König, 22. April 1823.
***) Bericht des Grafen Dohna aus Kopenhagen, 11. Jan. 1823.
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[599/0615] Bernſtorff und die holſteiniſchen Ritter. Schlage hinwegfegen ſollte. Die Stände Schleswigholſteins befanden ſich genau in demſelben Rechtszuſtande wie die Stände der Kurmark oder der Niederlauſitz — nur mit dem einen Unterſchiede, daß der König von Dänemark ihre Privilegien noch neuerdings anerkannt hatte; und der- ſelbe hochconſervative Rath Schloſſer, der vor fünf Jahren im Namen des jülich-cleve-bergiſchen Adels geſchrieben, *) diente jetzt den holſteiniſchen Rittern in Frankfurt als Agent. So verkettete ſich der preußiſche Ver- faſſungskampf mit den transalbingiſchen Händeln. Wenn Preußen zugab, daß der Bundestag — im Widerſpruche mit dem eigentlichen Sinne des Art. 56 der Schlußakte — die alte Verfaſſung Schleswigholſteins aner- kannte, ſo konnten jederzeit auch die alten Stände der Lauſitzen oder der Kurmark in Frankfurt erſcheinen um mit Hilfe der Bundesverſammlung die neue Provinzial-Ständeverfaſſung der Monarchie über den Haufen zu werfen. Darum ertheilte Bernſtorff dem Bundesgeſandten die Weiſung (22. April 1823): von einer „anerkannten Wirkſamkeit“ der alten ſchles- wigholſteiniſchen Verfaſſung könne gar nicht die Rede ſein; mit beſſerem Rechte hätten die Ritter ſich auf den Art. 54 der Schlußakte berufen ſollen, der den Bundestag anwies darüber zu wachen, daß die verheißene Einführung einer landſtändiſchen Verfaſſung „in keinem Bundesſtaate un- erfüllt bleibe“. In einem Berichte an den König führte er dann noch- mals aus, daß die Ritterſchaft den Art. 56 „offenbar falſch“ auslege. **) Mit dieſer Behauptung war der Miniſter unzweifelhaft im Recht. Aber wie gänzlich verkannte er die Lage, wenn er nicht einmal verſuchte, mit Hilfe jenes von ihm ſelber angezogenen Art. 54 der Schlußakte die Un- trennbarkeit der Herzogthümer zu ſichern, ſondern den Bundesgeſandten einfach beauftragte, für die Abweiſung der Klagenden zu ſtimmen! Und doch wußte man in Berlin bereits aus den Berichten des Geſandten in Kopen- hagen, daß König Friedrich VI. beabſichtigte, durch eine neue Verfaſſung für Holſtein allein die Verbindung der beiden Herzogthümer aufzuheben (altérer). ***) Was die Einheit Schleswigholſteins für Deutſchlands Macht im Norden bedeutete, war dem preußiſchen Hofe noch ganz dunkel. Man wußte nicht, daß dieſer unſcheinbare neueſte Handel nur ein Glied war aus einer Kette vielhundertjähriger nationaler Kämpfe. Unbedenklich er- theilte Bernſtorff dem däniſchen Könige auf deſſen wiederholte Bitten die Zuſage: Preußen werde mit Dänemark ſtimmen, da die Petenten den Art. 56 mißverſtanden hätten. †) Wenn Preußen für den Ernſt der Sache ſo wenig Verſtändniß zeigte, *) S. o. II. 454. **) Weiſung an Goltz (von Eichhorn verfaßt, von Bernſtorff durchgeſehen) 22. April. Bernſtorff’s Bericht an den König, 22. April 1823. ***) Bericht des Grafen Dohna aus Kopenhagen, 11. Jan. 1823. †) Dohna’s Bericht, 5. April; Weiſung an Dohna, 22. April 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/615>, abgerufen am 22.05.2024.