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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Geist und die anderen herrlichen Stiftungen der Vorzeit die Armuth
nirgends aufkommen ließen, so konnte die Stadt doch, von ihrem Hinter-
lande künstlich getrennt, sich des Friedens nicht recht freuen. Ganz uner-
träglich ward ihr die böse Nachbarschaft der Dänen, die, als ob sie der
Schlacht von Bornhöved gar nicht vergessen könnten, jetzt wie vormals
durch Feindseligkeiten jeder Art das Aufsteigen Lübecks zu hemmen suchten.
Erst nach jahrelangen ärgerlichen Verhandlungen erlaubte die dänische
Krone den Bau der unentbehrlichen Straße nach Hamburg quer durch
Holstein, und auch dann nur auf einem großen Umwege. --


Noch weit schwerer lastete die Hand dieses bösen Nachbarn auf der
transalbingischen Nordmark. Es war ein Schicksalstag, entscheidend für
vier Jahrhunderte, jener 3. März 1460, da die Landräthe Schleswig-
holsteins in Ripen den Dänenkönig Christian I. zum Herzog von Schles-
wig und Grafen von Holstein kürten. "So wurden die Holsten Dänen"
klagte der Lübecker Chronist. Manchen der Tagenden mochte das dänische
Gold bestimmen, Manchen die Hoffnung, der ferne Landesherr, der Karsten
aver'n Belte werde die heimische Adelsfreiheit wenig stören; den Ausschlag
gab doch die Einsicht, daß die alte, in so viel blutigen Kämpfen gegen die
Unionskönige des Nordens behauptete Verbindung zwischen dem dänischen
Lehen Schleswig und dem deutschen Reichslehen Holstein nur durch diese
Wahl gesichert werden konnte. Ausdrücklich "nicht als ein König zu Däne-
mark" sondern als ein Herr dieser Lande wurde Christian gewählt und mußte
durch die Magna Charta und ihre Tapfere Verbesserung das Staatsrecht
der beiden vereinten Lande feierlich sicherstellen. Er beschwor -- und nach
ihm die lange Reihe seiner Nachfolger -- dat se bliven up ewig tosamede
ungedeelt, daß nur deutsche Holstenkinder angestellt, nur mit Bewilligung
der Stände Steuern erhoben, nur im Lande selber Kriegsdienste geleistet
werden sollten. Hoch war der Preis, der für diese Freiheitsbriefe gezahlt
wurde. Das altholsatische Hamburg trennte sich nun erst, wie vor ihm
Lübeck, von seinem Heimathsstaate. Statt des glorreichen heimischen
Grafengeschlechtes der Schauenburger herrschten jetzt fremde Fürsten, die
mit leerer Tasche kamen um mit gefüllter davonzugehen. Das deutsche
Reichsland Holstein gerieth durch die Vereinigung mit dem dänischen Schles-
wig in unhaltbare Rechtsverhältnisse, die nur darum erträglich schienen,
weil der Reichsverband so wenig mehr bedeutete. Beide Länder wurden
durch ihre dänischen Herrscher der deutschen Politik entfremdet und in die
Händel Skandinaviens verwickelt.

Gleichwohl blieb das Eine gewahrt, worauf hier die ganze Zukunft
deutschen Rechtes und deutscher Gesittung ruhte: die Untrennbarkeit der
Herzogthümer. Zwar ist auch Schleswigholstein dem gemeinen deutschen
Schicksal wiederholter Landestheilungen nicht entgangen. Aber niemals
wurde Schleswig von Holstein abgetrennt; die Gottorper Herzöge, die sich

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Geiſt und die anderen herrlichen Stiftungen der Vorzeit die Armuth
nirgends aufkommen ließen, ſo konnte die Stadt doch, von ihrem Hinter-
lande künſtlich getrennt, ſich des Friedens nicht recht freuen. Ganz uner-
träglich ward ihr die böſe Nachbarſchaft der Dänen, die, als ob ſie der
Schlacht von Bornhöved gar nicht vergeſſen könnten, jetzt wie vormals
durch Feindſeligkeiten jeder Art das Aufſteigen Lübecks zu hemmen ſuchten.
Erſt nach jahrelangen ärgerlichen Verhandlungen erlaubte die däniſche
Krone den Bau der unentbehrlichen Straße nach Hamburg quer durch
Holſtein, und auch dann nur auf einem großen Umwege. —


Noch weit ſchwerer laſtete die Hand dieſes böſen Nachbarn auf der
transalbingiſchen Nordmark. Es war ein Schickſalstag, entſcheidend für
vier Jahrhunderte, jener 3. März 1460, da die Landräthe Schleswig-
holſteins in Ripen den Dänenkönig Chriſtian I. zum Herzog von Schles-
wig und Grafen von Holſtein kürten. „So wurden die Holſten Dänen“
klagte der Lübecker Chroniſt. Manchen der Tagenden mochte das däniſche
Gold beſtimmen, Manchen die Hoffnung, der ferne Landesherr, der Karſten
aver’n Belte werde die heimiſche Adelsfreiheit wenig ſtören; den Ausſchlag
gab doch die Einſicht, daß die alte, in ſo viel blutigen Kämpfen gegen die
Unionskönige des Nordens behauptete Verbindung zwiſchen dem däniſchen
Lehen Schleswig und dem deutſchen Reichslehen Holſtein nur durch dieſe
Wahl geſichert werden konnte. Ausdrücklich „nicht als ein König zu Däne-
mark“ ſondern als ein Herr dieſer Lande wurde Chriſtian gewählt und mußte
durch die Magna Charta und ihre Tapfere Verbeſſerung das Staatsrecht
der beiden vereinten Lande feierlich ſicherſtellen. Er beſchwor — und nach
ihm die lange Reihe ſeiner Nachfolger — dat ſe bliven up ewig toſamede
ungedeelt, daß nur deutſche Holſtenkinder angeſtellt, nur mit Bewilligung
der Stände Steuern erhoben, nur im Lande ſelber Kriegsdienſte geleiſtet
werden ſollten. Hoch war der Preis, der für dieſe Freiheitsbriefe gezahlt
wurde. Das altholſatiſche Hamburg trennte ſich nun erſt, wie vor ihm
Lübeck, von ſeinem Heimathsſtaate. Statt des glorreichen heimiſchen
Grafengeſchlechtes der Schauenburger herrſchten jetzt fremde Fürſten, die
mit leerer Taſche kamen um mit gefüllter davonzugehen. Das deutſche
Reichsland Holſtein gerieth durch die Vereinigung mit dem däniſchen Schles-
wig in unhaltbare Rechtsverhältniſſe, die nur darum erträglich ſchienen,
weil der Reichsverband ſo wenig mehr bedeutete. Beide Länder wurden
durch ihre däniſchen Herrſcher der deutſchen Politik entfremdet und in die
Händel Skandinaviens verwickelt.

Gleichwohl blieb das Eine gewahrt, worauf hier die ganze Zukunft
deutſchen Rechtes und deutſcher Geſittung ruhte: die Untrennbarkeit der
Herzogthümer. Zwar iſt auch Schleswigholſtein dem gemeinen deutſchen
Schickſal wiederholter Landestheilungen nicht entgangen. Aber niemals
wurde Schleswig von Holſtein abgetrennt; die Gottorper Herzöge, die ſich

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[586/0602] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. Geiſt und die anderen herrlichen Stiftungen der Vorzeit die Armuth nirgends aufkommen ließen, ſo konnte die Stadt doch, von ihrem Hinter- lande künſtlich getrennt, ſich des Friedens nicht recht freuen. Ganz uner- träglich ward ihr die böſe Nachbarſchaft der Dänen, die, als ob ſie der Schlacht von Bornhöved gar nicht vergeſſen könnten, jetzt wie vormals durch Feindſeligkeiten jeder Art das Aufſteigen Lübecks zu hemmen ſuchten. Erſt nach jahrelangen ärgerlichen Verhandlungen erlaubte die däniſche Krone den Bau der unentbehrlichen Straße nach Hamburg quer durch Holſtein, und auch dann nur auf einem großen Umwege. — Noch weit ſchwerer laſtete die Hand dieſes böſen Nachbarn auf der transalbingiſchen Nordmark. Es war ein Schickſalstag, entſcheidend für vier Jahrhunderte, jener 3. März 1460, da die Landräthe Schleswig- holſteins in Ripen den Dänenkönig Chriſtian I. zum Herzog von Schles- wig und Grafen von Holſtein kürten. „So wurden die Holſten Dänen“ klagte der Lübecker Chroniſt. Manchen der Tagenden mochte das däniſche Gold beſtimmen, Manchen die Hoffnung, der ferne Landesherr, der Karſten aver’n Belte werde die heimiſche Adelsfreiheit wenig ſtören; den Ausſchlag gab doch die Einſicht, daß die alte, in ſo viel blutigen Kämpfen gegen die Unionskönige des Nordens behauptete Verbindung zwiſchen dem däniſchen Lehen Schleswig und dem deutſchen Reichslehen Holſtein nur durch dieſe Wahl geſichert werden konnte. Ausdrücklich „nicht als ein König zu Däne- mark“ ſondern als ein Herr dieſer Lande wurde Chriſtian gewählt und mußte durch die Magna Charta und ihre Tapfere Verbeſſerung das Staatsrecht der beiden vereinten Lande feierlich ſicherſtellen. Er beſchwor — und nach ihm die lange Reihe ſeiner Nachfolger — dat ſe bliven up ewig toſamede ungedeelt, daß nur deutſche Holſtenkinder angeſtellt, nur mit Bewilligung der Stände Steuern erhoben, nur im Lande ſelber Kriegsdienſte geleiſtet werden ſollten. Hoch war der Preis, der für dieſe Freiheitsbriefe gezahlt wurde. Das altholſatiſche Hamburg trennte ſich nun erſt, wie vor ihm Lübeck, von ſeinem Heimathsſtaate. Statt des glorreichen heimiſchen Grafengeſchlechtes der Schauenburger herrſchten jetzt fremde Fürſten, die mit leerer Taſche kamen um mit gefüllter davonzugehen. Das deutſche Reichsland Holſtein gerieth durch die Vereinigung mit dem däniſchen Schles- wig in unhaltbare Rechtsverhältniſſe, die nur darum erträglich ſchienen, weil der Reichsverband ſo wenig mehr bedeutete. Beide Länder wurden durch ihre däniſchen Herrſcher der deutſchen Politik entfremdet und in die Händel Skandinaviens verwickelt. Gleichwohl blieb das Eine gewahrt, worauf hier die ganze Zukunft deutſchen Rechtes und deutſcher Geſittung ruhte: die Untrennbarkeit der Herzogthümer. Zwar iſt auch Schleswigholſtein dem gemeinen deutſchen Schickſal wiederholter Landestheilungen nicht entgangen. Aber niemals wurde Schleswig von Holſtein abgetrennt; die Gottorper Herzöge, die ſich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/602>, abgerufen am 22.11.2024.