Tage in der Woche für den gnädigen Herrn, der, wie der Pächter im Domanium, mit Stock und Peitsche das Recht des Dienstzwangs übte und bei schlechter Wirthschaft den Bauer unnachsichtlich abmeiern ließ.
Dies Bauernelend hatte Stein im Auge, wenn er das Schloß des mecklenburgischen Edelmanns mit der Höhle des Raubthiers verglich, und Schlözer, wenn er diese Ritter privilegirte Landesverräther nannte. Unter solchen Eindrücken bildete sich Voß seinen leidenschaftlichen Haß gegen den Erbadel, "dies stinkende Ehrenkleid aus der Lade der Ahnen." Bei der großen Nahrhaftigkeit des Landes war die Lage der Bauern nicht überall unerträglich. Im "Hahn'schen" hausten die Gutsunterthanen behaglicher als anderswo die Freien; auch die Maltzan und andere durch ihren Ahnen- stolz bekannte Familien sorgten immer väterlich für ihre Leute. Durch die milderen Sitten der neuen Zeit ward allmählich der Dienstzwang etwas erleichtert. Die Mehrzahl der kleinen Leute aber lebte in arger Roheit, vielfach mißhandelt, in elenden Schulen kaum nothdürftig unterrichtet.
In dem Jahrzehnt der Revolution bekundete sich der Groll des armen Mannes zum Schrecken des Adels in mehrfachen Aufläufen, und als der Befreiungskrieg das gesammte Volk unter die Fahnen gerufen hatte, da fühlte man endlich, daß man einlenken mußte. Auf dem Landtage von 1815 nahmen sich die Städte "der edlen Unfreien" an, die für Deutsch- land so wacker gefochten, und nach langen stürmischen Verhandlungen ward am 18. Jan. 1820 die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündigt -- seit unvordenklicher Zeit die erste sociale Reform in diesem Lande. Doch die Selbstsucht der Ritterschaft hatte dafür gesorgt, daß der Bauer seiner Freiheit nicht froh wurde. Er erlangte nur die Befreiung von der Scholle, durchaus keinen Anspruch auf Grund und Boden. Wagte er seinem Dienstherrn zu kündigen, so ward er heimathlos und erfuhr, was der landläufige Jammerruf "ken Hüsung!" bedeutete; von einer Gutsherr- schaft zur anderen abgeschoben mußte er schließlich in dem großen Land- armenhause zu Güstrow eine Zuflucht suchen. Schon nach Jahresfrist war das gewaltige alte Obotritenschloß zu klein um die Masse der neuen Heimathlosen zu beherbergen, und der Landtag beschloß, die Grundherren sollten fortan den befreiten Leibeigenen ein Obdach geben -- aber was war solch ein Obdach, von widerwilligen Händen gewährt? Von diesen Ständen, Friedrich Franz wußte es längst, stand eine ernstliche Erleichte- rung des Bauernstandes nicht zu erwarten; darum beschloß der Groß- herzog mindestens selber mit gutem Beispiele voranzugehen und ließ seit 1822 auf seinen Kammergütern eine umfassende Auseinandersetzung vor- nehmen. Er wünschte der Mehrzahl seiner bäuerlichen Hintersassen eine wohlgesicherte Erbpacht zu verschaffen, aber der Schlendrian der Behörden und die wundersam verfitzten Rechtsverhältnisse bewirkten, daß die wohl- gemeinte Reform nur sehr langsam fortschritt.
Unter allen den hocharistokratischen Staaten, welche einst das Ost-
Aufhebung der Leibeigenſchaft.
Tage in der Woche für den gnädigen Herrn, der, wie der Pächter im Domanium, mit Stock und Peitſche das Recht des Dienſtzwangs übte und bei ſchlechter Wirthſchaft den Bauer unnachſichtlich abmeiern ließ.
Dies Bauernelend hatte Stein im Auge, wenn er das Schloß des mecklenburgiſchen Edelmanns mit der Höhle des Raubthiers verglich, und Schlözer, wenn er dieſe Ritter privilegirte Landesverräther nannte. Unter ſolchen Eindrücken bildete ſich Voß ſeinen leidenſchaftlichen Haß gegen den Erbadel, „dies ſtinkende Ehrenkleid aus der Lade der Ahnen.“ Bei der großen Nahrhaftigkeit des Landes war die Lage der Bauern nicht überall unerträglich. Im „Hahn’ſchen“ hauſten die Gutsunterthanen behaglicher als anderswo die Freien; auch die Maltzan und andere durch ihren Ahnen- ſtolz bekannte Familien ſorgten immer väterlich für ihre Leute. Durch die milderen Sitten der neuen Zeit ward allmählich der Dienſtzwang etwas erleichtert. Die Mehrzahl der kleinen Leute aber lebte in arger Roheit, vielfach mißhandelt, in elenden Schulen kaum nothdürftig unterrichtet.
In dem Jahrzehnt der Revolution bekundete ſich der Groll des armen Mannes zum Schrecken des Adels in mehrfachen Aufläufen, und als der Befreiungskrieg das geſammte Volk unter die Fahnen gerufen hatte, da fühlte man endlich, daß man einlenken mußte. Auf dem Landtage von 1815 nahmen ſich die Städte „der edlen Unfreien“ an, die für Deutſch- land ſo wacker gefochten, und nach langen ſtürmiſchen Verhandlungen ward am 18. Jan. 1820 die Aufhebung der Leibeigenſchaft verkündigt — ſeit unvordenklicher Zeit die erſte ſociale Reform in dieſem Lande. Doch die Selbſtſucht der Ritterſchaft hatte dafür geſorgt, daß der Bauer ſeiner Freiheit nicht froh wurde. Er erlangte nur die Befreiung von der Scholle, durchaus keinen Anſpruch auf Grund und Boden. Wagte er ſeinem Dienſtherrn zu kündigen, ſo ward er heimathlos und erfuhr, was der landläufige Jammerruf „ken Hüſung!“ bedeutete; von einer Gutsherr- ſchaft zur anderen abgeſchoben mußte er ſchließlich in dem großen Land- armenhauſe zu Güſtrow eine Zuflucht ſuchen. Schon nach Jahresfriſt war das gewaltige alte Obotritenſchloß zu klein um die Maſſe der neuen Heimathloſen zu beherbergen, und der Landtag beſchloß, die Grundherren ſollten fortan den befreiten Leibeigenen ein Obdach geben — aber was war ſolch ein Obdach, von widerwilligen Händen gewährt? Von dieſen Ständen, Friedrich Franz wußte es längſt, ſtand eine ernſtliche Erleichte- rung des Bauernſtandes nicht zu erwarten; darum beſchloß der Groß- herzog mindeſtens ſelber mit gutem Beiſpiele voranzugehen und ließ ſeit 1822 auf ſeinen Kammergütern eine umfaſſende Auseinanderſetzung vor- nehmen. Er wünſchte der Mehrzahl ſeiner bäuerlichen Hinterſaſſen eine wohlgeſicherte Erbpacht zu verſchaffen, aber der Schlendrian der Behörden und die wunderſam verfitzten Rechtsverhältniſſe bewirkten, daß die wohl- gemeinte Reform nur ſehr langſam fortſchritt.
Unter allen den hochariſtokratiſchen Staaten, welche einſt das Oſt-
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[575/0591]
Aufhebung der Leibeigenſchaft.
Tage in der Woche für den gnädigen Herrn, der, wie der Pächter im
Domanium, mit Stock und Peitſche das Recht des Dienſtzwangs übte und
bei ſchlechter Wirthſchaft den Bauer unnachſichtlich abmeiern ließ.
Dies Bauernelend hatte Stein im Auge, wenn er das Schloß des
mecklenburgiſchen Edelmanns mit der Höhle des Raubthiers verglich, und
Schlözer, wenn er dieſe Ritter privilegirte Landesverräther nannte. Unter
ſolchen Eindrücken bildete ſich Voß ſeinen leidenſchaftlichen Haß gegen den
Erbadel, „dies ſtinkende Ehrenkleid aus der Lade der Ahnen.“ Bei der
großen Nahrhaftigkeit des Landes war die Lage der Bauern nicht überall
unerträglich. Im „Hahn’ſchen“ hauſten die Gutsunterthanen behaglicher
als anderswo die Freien; auch die Maltzan und andere durch ihren Ahnen-
ſtolz bekannte Familien ſorgten immer väterlich für ihre Leute. Durch die
milderen Sitten der neuen Zeit ward allmählich der Dienſtzwang etwas
erleichtert. Die Mehrzahl der kleinen Leute aber lebte in arger Roheit,
vielfach mißhandelt, in elenden Schulen kaum nothdürftig unterrichtet.
In dem Jahrzehnt der Revolution bekundete ſich der Groll des armen
Mannes zum Schrecken des Adels in mehrfachen Aufläufen, und als
der Befreiungskrieg das geſammte Volk unter die Fahnen gerufen hatte,
da fühlte man endlich, daß man einlenken mußte. Auf dem Landtage von
1815 nahmen ſich die Städte „der edlen Unfreien“ an, die für Deutſch-
land ſo wacker gefochten, und nach langen ſtürmiſchen Verhandlungen
ward am 18. Jan. 1820 die Aufhebung der Leibeigenſchaft verkündigt —
ſeit unvordenklicher Zeit die erſte ſociale Reform in dieſem Lande. Doch
die Selbſtſucht der Ritterſchaft hatte dafür geſorgt, daß der Bauer ſeiner
Freiheit nicht froh wurde. Er erlangte nur die Befreiung von der Scholle,
durchaus keinen Anſpruch auf Grund und Boden. Wagte er ſeinem
Dienſtherrn zu kündigen, ſo ward er heimathlos und erfuhr, was der
landläufige Jammerruf „ken Hüſung!“ bedeutete; von einer Gutsherr-
ſchaft zur anderen abgeſchoben mußte er ſchließlich in dem großen Land-
armenhauſe zu Güſtrow eine Zuflucht ſuchen. Schon nach Jahresfriſt
war das gewaltige alte Obotritenſchloß zu klein um die Maſſe der neuen
Heimathloſen zu beherbergen, und der Landtag beſchloß, die Grundherren
ſollten fortan den befreiten Leibeigenen ein Obdach geben — aber was
war ſolch ein Obdach, von widerwilligen Händen gewährt? Von dieſen
Ständen, Friedrich Franz wußte es längſt, ſtand eine ernſtliche Erleichte-
rung des Bauernſtandes nicht zu erwarten; darum beſchloß der Groß-
herzog mindeſtens ſelber mit gutem Beiſpiele voranzugehen und ließ ſeit
1822 auf ſeinen Kammergütern eine umfaſſende Auseinanderſetzung vor-
nehmen. Er wünſchte der Mehrzahl ſeiner bäuerlichen Hinterſaſſen eine
wohlgeſicherte Erbpacht zu verſchaffen, aber der Schlendrian der Behörden
und die wunderſam verfitzten Rechtsverhältniſſe bewirkten, daß die wohl-
gemeinte Reform nur ſehr langſam fortſchritt.
Unter allen den hochariſtokratiſchen Staaten, welche einſt das Oſt-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/591>, abgerufen am 22.11.2024.
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