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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Erbvergleich.
neben dem wendischen Kreise auch das Großherzogthum Strelitz unter dem
Namen des Stargardischen Kreises angehörte; beide Serenissimi führten
nach altständischem Brauche genau den gleichen Titel als Großherzoge
von Mecklenburg, Fürsten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg. In
dieser ständischen Union war aber keineswegs das gesammte Land der
beiden mecklenburgischen Großherzoge enthalten. Stadt und Gebiet von
Wismar, welche die Krone Schweden erst im Jahre 1803 pfandweise zu-
rückgegeben hatte, wurden nicht wieder in die Ritter- und Landschaft auf-
genommen, und das Fürstenthum Ratzeburg blieb als neue Erwerbung
von vornherein ausgeschlossen: die Stadt Ratzeburg sandte ihren Ver-
treter auf den Landtag des dänischen Herzogthums Lauenburg, der dem
mecklenburgischen ähnlich war, aber vor dem Eingang ihres herrlichen
alten Doms verkündeten zwei blaugelbrothe Laternenpfähle, daß hier die
unbeschränkte Herrschaft des Strelitzer Großherzogs begann. Was hier
einmal der historische Zufall geschaffen hatte, blieb für alle Zukunft un-
abänderlich. Dicht an der preußischen Grenze lag ein Rittergut Wolde,
das seit grauer Vorzeit weder Steuern zahlte noch Soldaten stellte, weil
Pommern und Mecklenburg sich um die Staatshoheit stritten und Preußen
den kleinen Nachbarn schlechterdings nicht zu einem gütlichen Vergleiche
bewegen konnte.

Ob ein Staat Mecklenburg überhaupt bestehe, blieb dem Rechtskun-
digen zweifelhaft; gewiß war ein Staatsbürgerrecht nicht vorhanden. Die
beiden Großherzoge herrschten in ihrem Kammergute, das reichlich zwei
Fünftel des gesammten Gebiets umfaßte, ebenso unumschränkt wie die
Ritter auf ihren Dörfern, die Magistrate in den Städten. Jede dieser
Ortsobrigkeiten durfte Fremde in den Verband ihres Dorfes oder ihrer
Bürgerschaft aufnehmen, und die also Aufgenommenen nannten sich Meck-
lenburger, obgleich sie im ganzen übrigen Lande heimathlos waren. Auch
im Handel und Wandel bestand keine Einheit. Die beiden Seestädte Ro-
stock und Wismar erhoben ihre eigenen Zölle, und mitten im Lande mußten
an 83 landesfürstliche Zollstellen Abgaben gezahlt werden -- nach ver-
schiedenen Zollrollen, von denen keine jünger war als zweihundert Jahre.
Da aber die Ritter, ihre Pächter, sowie viele andere Privilegirte steuer-
frei waren und den Genuß des trefflichen unverzollten Lübecker Bordeaux-
weins zu ihren wohlerworbenen Standesrechten zählten, so warf dies
wundersame Zollwesen nicht mehr als etwa 60,000 Thlr. jährlich ab.
Einmal im Jahre kamen die Stände mit prächtigen Gespannen nach einer
der beiden Landtagsstädte Sternberg oder Malchin herübergefahren; die
adlichen Vasallen prangten in den rothen Röcken, die den bürgerlichen
hartnäckig versagt blieben. Die Ritterschaft zählte an 700 Virilstimmen;
die Landschaft war durch 45 Bevollmächtigte der Magistrate vertreten.
Keine Rede von einer Geschäftsordnung, von einer geregelten Verhand-
lung; oft sprachen zwei, drei Redner zugleich. Jeder Landstand konnte

Der Erbvergleich.
neben dem wendiſchen Kreiſe auch das Großherzogthum Strelitz unter dem
Namen des Stargardiſchen Kreiſes angehörte; beide Sereniſſimi führten
nach altſtändiſchem Brauche genau den gleichen Titel als Großherzoge
von Mecklenburg, Fürſten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg. In
dieſer ſtändiſchen Union war aber keineswegs das geſammte Land der
beiden mecklenburgiſchen Großherzoge enthalten. Stadt und Gebiet von
Wismar, welche die Krone Schweden erſt im Jahre 1803 pfandweiſe zu-
rückgegeben hatte, wurden nicht wieder in die Ritter- und Landſchaft auf-
genommen, und das Fürſtenthum Ratzeburg blieb als neue Erwerbung
von vornherein ausgeſchloſſen: die Stadt Ratzeburg ſandte ihren Ver-
treter auf den Landtag des däniſchen Herzogthums Lauenburg, der dem
mecklenburgiſchen ähnlich war, aber vor dem Eingang ihres herrlichen
alten Doms verkündeten zwei blaugelbrothe Laternenpfähle, daß hier die
unbeſchränkte Herrſchaft des Strelitzer Großherzogs begann. Was hier
einmal der hiſtoriſche Zufall geſchaffen hatte, blieb für alle Zukunft un-
abänderlich. Dicht an der preußiſchen Grenze lag ein Rittergut Wolde,
das ſeit grauer Vorzeit weder Steuern zahlte noch Soldaten ſtellte, weil
Pommern und Mecklenburg ſich um die Staatshoheit ſtritten und Preußen
den kleinen Nachbarn ſchlechterdings nicht zu einem gütlichen Vergleiche
bewegen konnte.

Ob ein Staat Mecklenburg überhaupt beſtehe, blieb dem Rechtskun-
digen zweifelhaft; gewiß war ein Staatsbürgerrecht nicht vorhanden. Die
beiden Großherzoge herrſchten in ihrem Kammergute, das reichlich zwei
Fünftel des geſammten Gebiets umfaßte, ebenſo unumſchränkt wie die
Ritter auf ihren Dörfern, die Magiſtrate in den Städten. Jede dieſer
Ortsobrigkeiten durfte Fremde in den Verband ihres Dorfes oder ihrer
Bürgerſchaft aufnehmen, und die alſo Aufgenommenen nannten ſich Meck-
lenburger, obgleich ſie im ganzen übrigen Lande heimathlos waren. Auch
im Handel und Wandel beſtand keine Einheit. Die beiden Seeſtädte Ro-
ſtock und Wismar erhoben ihre eigenen Zölle, und mitten im Lande mußten
an 83 landesfürſtliche Zollſtellen Abgaben gezahlt werden — nach ver-
ſchiedenen Zollrollen, von denen keine jünger war als zweihundert Jahre.
Da aber die Ritter, ihre Pächter, ſowie viele andere Privilegirte ſteuer-
frei waren und den Genuß des trefflichen unverzollten Lübecker Bordeaux-
weins zu ihren wohlerworbenen Standesrechten zählten, ſo warf dies
wunderſame Zollweſen nicht mehr als etwa 60,000 Thlr. jährlich ab.
Einmal im Jahre kamen die Stände mit prächtigen Geſpannen nach einer
der beiden Landtagsſtädte Sternberg oder Malchin herübergefahren; die
adlichen Vaſallen prangten in den rothen Röcken, die den bürgerlichen
hartnäckig verſagt blieben. Die Ritterſchaft zählte an 700 Virilſtimmen;
die Landſchaft war durch 45 Bevollmächtigte der Magiſtrate vertreten.
Keine Rede von einer Geſchäftsordnung, von einer geregelten Verhand-
lung; oft ſprachen zwei, drei Redner zugleich. Jeder Landſtand konnte

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[569/0585] Der Erbvergleich. neben dem wendiſchen Kreiſe auch das Großherzogthum Strelitz unter dem Namen des Stargardiſchen Kreiſes angehörte; beide Sereniſſimi führten nach altſtändiſchem Brauche genau den gleichen Titel als Großherzoge von Mecklenburg, Fürſten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg. In dieſer ſtändiſchen Union war aber keineswegs das geſammte Land der beiden mecklenburgiſchen Großherzoge enthalten. Stadt und Gebiet von Wismar, welche die Krone Schweden erſt im Jahre 1803 pfandweiſe zu- rückgegeben hatte, wurden nicht wieder in die Ritter- und Landſchaft auf- genommen, und das Fürſtenthum Ratzeburg blieb als neue Erwerbung von vornherein ausgeſchloſſen: die Stadt Ratzeburg ſandte ihren Ver- treter auf den Landtag des däniſchen Herzogthums Lauenburg, der dem mecklenburgiſchen ähnlich war, aber vor dem Eingang ihres herrlichen alten Doms verkündeten zwei blaugelbrothe Laternenpfähle, daß hier die unbeſchränkte Herrſchaft des Strelitzer Großherzogs begann. Was hier einmal der hiſtoriſche Zufall geſchaffen hatte, blieb für alle Zukunft un- abänderlich. Dicht an der preußiſchen Grenze lag ein Rittergut Wolde, das ſeit grauer Vorzeit weder Steuern zahlte noch Soldaten ſtellte, weil Pommern und Mecklenburg ſich um die Staatshoheit ſtritten und Preußen den kleinen Nachbarn ſchlechterdings nicht zu einem gütlichen Vergleiche bewegen konnte. Ob ein Staat Mecklenburg überhaupt beſtehe, blieb dem Rechtskun- digen zweifelhaft; gewiß war ein Staatsbürgerrecht nicht vorhanden. Die beiden Großherzoge herrſchten in ihrem Kammergute, das reichlich zwei Fünftel des geſammten Gebiets umfaßte, ebenſo unumſchränkt wie die Ritter auf ihren Dörfern, die Magiſtrate in den Städten. Jede dieſer Ortsobrigkeiten durfte Fremde in den Verband ihres Dorfes oder ihrer Bürgerſchaft aufnehmen, und die alſo Aufgenommenen nannten ſich Meck- lenburger, obgleich ſie im ganzen übrigen Lande heimathlos waren. Auch im Handel und Wandel beſtand keine Einheit. Die beiden Seeſtädte Ro- ſtock und Wismar erhoben ihre eigenen Zölle, und mitten im Lande mußten an 83 landesfürſtliche Zollſtellen Abgaben gezahlt werden — nach ver- ſchiedenen Zollrollen, von denen keine jünger war als zweihundert Jahre. Da aber die Ritter, ihre Pächter, ſowie viele andere Privilegirte ſteuer- frei waren und den Genuß des trefflichen unverzollten Lübecker Bordeaux- weins zu ihren wohlerworbenen Standesrechten zählten, ſo warf dies wunderſame Zollweſen nicht mehr als etwa 60,000 Thlr. jährlich ab. Einmal im Jahre kamen die Stände mit prächtigen Geſpannen nach einer der beiden Landtagsſtädte Sternberg oder Malchin herübergefahren; die adlichen Vaſallen prangten in den rothen Röcken, die den bürgerlichen hartnäckig verſagt blieben. Die Ritterſchaft zählte an 700 Virilſtimmen; die Landſchaft war durch 45 Bevollmächtigte der Magiſtrate vertreten. Keine Rede von einer Geſchäftsordnung, von einer geregelten Verhand- lung; oft ſprachen zwei, drei Redner zugleich. Jeder Landſtand konnte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/585>, abgerufen am 22.11.2024.