III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
herrschaft, und das Landvolk wußte, daß er die Wahrheit sprach. Die Bauern vom Diemelstrom (131 Gemeinden) sendeten dem Landtage ihre Klagen über die erdrückende Steuerlast: "Die Franzosenzeiten waren schlimm, aber die jetzigen sind, wenn man alles Geben zusammenrechnet, noch schlimmer, und wenn es nicht unser lieber Kurfürst wäre, der ein Hesse ist so gut wie wir, so hätte das Land nicht so lange still geschwiegen." Dann baten sie kindlich, der Landtag möge untersuchen: was von dem vielen Gelde, das Hessen ausstehen hat, dem Lande gehört, und wohin das viele Geld, das wir zahlen müssen, kommt.*) Aehnliche Eingaben waren auch an den anderen vier Strömen schon im Umlauf. Auch einige Offiziere wendeten sich im Namen ihrer Kameraden an die Stände um über die widerrechtlich vorenthaltenen Gehalte Bericht zu erstatten, und selbst Hänlein fand dies militärisch unstatthafte Verfahren entschuldbar, da die Unglücklichen wirklich kaum mehr leben könnten.**)
Als die Stände nach längerer Vertagung im Februar 1816 wieder zusammentraten, ließ ihnen der Kurfürst eine Verfassung für den neuen Gesammtstaat Kurhessen-Fulda vorlegen. Ich bedarf keiner Constitution, sagte er dem preußischen Gesandten, aber ich will sie geben des Beispiels und der Folge wegen.***) Der Verfassungsentwurf, ein Werk des wohl- meinenden Ministers v. Schmerfeld, enthielt manche heilsame Bestim- mungen, nur das Eine nicht, worauf hier Alles ankam: die Absonderung des fürstlichen Hausgutes von dem Staatsvermögen. In den lebhaften Verhandlungen, die sich nun entspannen, erklangen schon zuweilen die vieldeutigen Schlagworte der herrschenden constitutionellen Doctrin: man wollte sich "das Ideal einer glücklichen Regierungsform, die englische" zum Muster nehmen, man ersetzte den Namen "Landesherr" -- zur Entrüstung des Kurfürsten -- durch den vernunftrechtlichen Ausdruck "Regent" und verlangte, daß der Regent den Verfassungseid vor der Huldigung leiste. Der beredte städtische Abgeordnete Robert sprach viel von einem allgemeinen Staatsrechte, das dem Landesrechte vorgehe. Indeß die meisten Abände- rungsvorschläge des Landtags lauteten durchaus verständig; und wenn er schließlich beantragte, "die vereinbarte Constitution" unter die Bürgschaft von zwei deutschen Mächten zu stellen+), so war auch diese Forderung weder überflüssig, einem solchen Fürstenhause gegenüber, noch ohne Vorgang in der Landesgeschichte. Hatten doch einst, als der Vater des Kurfürsten zur römischen Kirche übergetreten war, Preußen, die Seemächte und die skan- dinavischen Kronen die Gewähr übernommen für die hessische Assecura- tionsakte und also dem Lande seinen kirchlichen Besitzstand gesichert.
*) Wünsche der Bauern am Diemelstrom, März 1816.
**) Hänlein's Bericht, 22. Juni 1816.
***) Hänlein's Bericht, 11. Jan. 1816.
+) Bemerkungen der Stände zum Constitutions-Entwurf, nebst Promemoria vom 29. März und Adresse vom 1. April 1816.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
herrſchaft, und das Landvolk wußte, daß er die Wahrheit ſprach. Die Bauern vom Diemelſtrom (131 Gemeinden) ſendeten dem Landtage ihre Klagen über die erdrückende Steuerlaſt: „Die Franzoſenzeiten waren ſchlimm, aber die jetzigen ſind, wenn man alles Geben zuſammenrechnet, noch ſchlimmer, und wenn es nicht unſer lieber Kurfürſt wäre, der ein Heſſe iſt ſo gut wie wir, ſo hätte das Land nicht ſo lange ſtill geſchwiegen.“ Dann baten ſie kindlich, der Landtag möge unterſuchen: was von dem vielen Gelde, das Heſſen ausſtehen hat, dem Lande gehört, und wohin das viele Geld, das wir zahlen müſſen, kommt.*) Aehnliche Eingaben waren auch an den anderen vier Strömen ſchon im Umlauf. Auch einige Offiziere wendeten ſich im Namen ihrer Kameraden an die Stände um über die widerrechtlich vorenthaltenen Gehalte Bericht zu erſtatten, und ſelbſt Hänlein fand dies militäriſch unſtatthafte Verfahren entſchuldbar, da die Unglücklichen wirklich kaum mehr leben könnten.**)
Als die Stände nach längerer Vertagung im Februar 1816 wieder zuſammentraten, ließ ihnen der Kurfürſt eine Verfaſſung für den neuen Geſammtſtaat Kurheſſen-Fulda vorlegen. Ich bedarf keiner Conſtitution, ſagte er dem preußiſchen Geſandten, aber ich will ſie geben des Beiſpiels und der Folge wegen.***) Der Verfaſſungsentwurf, ein Werk des wohl- meinenden Miniſters v. Schmerfeld, enthielt manche heilſame Beſtim- mungen, nur das Eine nicht, worauf hier Alles ankam: die Abſonderung des fürſtlichen Hausgutes von dem Staatsvermögen. In den lebhaften Verhandlungen, die ſich nun entſpannen, erklangen ſchon zuweilen die vieldeutigen Schlagworte der herrſchenden conſtitutionellen Doctrin: man wollte ſich „das Ideal einer glücklichen Regierungsform, die engliſche“ zum Muſter nehmen, man erſetzte den Namen „Landesherr“ — zur Entrüſtung des Kurfürſten — durch den vernunftrechtlichen Ausdruck „Regent“ und verlangte, daß der Regent den Verfaſſungseid vor der Huldigung leiſte. Der beredte ſtädtiſche Abgeordnete Robert ſprach viel von einem allgemeinen Staatsrechte, das dem Landesrechte vorgehe. Indeß die meiſten Abände- rungsvorſchläge des Landtags lauteten durchaus verſtändig; und wenn er ſchließlich beantragte, „die vereinbarte Conſtitution“ unter die Bürgſchaft von zwei deutſchen Mächten zu ſtellen†), ſo war auch dieſe Forderung weder überflüſſig, einem ſolchen Fürſtenhauſe gegenüber, noch ohne Vorgang in der Landesgeſchichte. Hatten doch einſt, als der Vater des Kurfürſten zur römiſchen Kirche übergetreten war, Preußen, die Seemächte und die ſkan- dinaviſchen Kronen die Gewähr übernommen für die heſſiſche Aſſecura- tionsakte und alſo dem Lande ſeinen kirchlichen Beſitzſtand geſichert.
*) Wünſche der Bauern am Diemelſtrom, März 1816.
**) Hänlein’s Bericht, 22. Juni 1816.
***) Hänlein’s Bericht, 11. Jan. 1816.
†) Bemerkungen der Stände zum Conſtitutions-Entwurf, nebſt Promemoria vom 29. März und Adreſſe vom 1. April 1816.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0542"n="526"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.</fw><lb/>
herrſchaft, und das Landvolk wußte, daß er die Wahrheit ſprach. Die<lb/>
Bauern vom Diemelſtrom (131 Gemeinden) ſendeten dem Landtage ihre<lb/>
Klagen über die erdrückende Steuerlaſt: „Die Franzoſenzeiten waren ſchlimm,<lb/>
aber die jetzigen ſind, wenn man alles Geben zuſammenrechnet, noch<lb/>ſchlimmer, und wenn es nicht unſer lieber Kurfürſt wäre, der ein Heſſe<lb/>
iſt ſo gut wie wir, ſo hätte das Land nicht ſo lange ſtill geſchwiegen.“<lb/>
Dann baten ſie kindlich, der Landtag möge unterſuchen: was von dem<lb/>
vielen Gelde, das Heſſen ausſtehen hat, dem Lande gehört, und wohin<lb/>
das viele Geld, das wir zahlen müſſen, kommt.<noteplace="foot"n="*)">Wünſche der Bauern am Diemelſtrom, März 1816.</note> Aehnliche Eingaben<lb/>
waren auch an den anderen vier Strömen ſchon im Umlauf. Auch einige<lb/>
Offiziere wendeten ſich im Namen ihrer Kameraden an die Stände um<lb/>
über die widerrechtlich vorenthaltenen Gehalte Bericht zu erſtatten, und<lb/>ſelbſt Hänlein fand dies militäriſch unſtatthafte Verfahren entſchuldbar,<lb/>
da die Unglücklichen wirklich kaum mehr leben könnten.<noteplace="foot"n="**)">Hänlein’s Bericht, 22. Juni 1816.</note></p><lb/><p>Als die Stände nach längerer Vertagung im Februar 1816 wieder<lb/>
zuſammentraten, ließ ihnen der Kurfürſt eine Verfaſſung für den neuen<lb/>
Geſammtſtaat Kurheſſen-Fulda vorlegen. Ich bedarf keiner Conſtitution,<lb/>ſagte er dem preußiſchen Geſandten, aber ich will ſie geben des Beiſpiels<lb/>
und der Folge wegen.<noteplace="foot"n="***)">Hänlein’s Bericht, 11. Jan. 1816.</note> Der Verfaſſungsentwurf, ein Werk des wohl-<lb/>
meinenden Miniſters v. Schmerfeld, enthielt manche heilſame Beſtim-<lb/>
mungen, nur das Eine nicht, worauf hier Alles ankam: die Abſonderung<lb/>
des fürſtlichen Hausgutes von dem Staatsvermögen. In den lebhaften<lb/>
Verhandlungen, die ſich nun entſpannen, erklangen ſchon zuweilen die<lb/>
vieldeutigen Schlagworte der herrſchenden conſtitutionellen Doctrin: man<lb/>
wollte ſich „das Ideal einer glücklichen Regierungsform, die engliſche“ zum<lb/>
Muſter nehmen, man erſetzte den Namen „Landesherr“— zur Entrüſtung<lb/>
des Kurfürſten — durch den vernunftrechtlichen Ausdruck „Regent“ und<lb/>
verlangte, daß der Regent den Verfaſſungseid vor der Huldigung leiſte.<lb/>
Der beredte ſtädtiſche Abgeordnete Robert ſprach viel von einem allgemeinen<lb/>
Staatsrechte, das dem Landesrechte vorgehe. Indeß die meiſten Abände-<lb/>
rungsvorſchläge des Landtags lauteten durchaus verſtändig; und wenn er<lb/>ſchließlich beantragte, „die vereinbarte Conſtitution“ unter die Bürgſchaft von<lb/>
zwei deutſchen Mächten zu ſtellen<noteplace="foot"n="†)">Bemerkungen der Stände zum Conſtitutions-Entwurf, nebſt Promemoria vom<lb/>
29. März und Adreſſe vom 1. April 1816.</note>, ſo war auch dieſe Forderung weder<lb/>
überflüſſig, einem ſolchen Fürſtenhauſe gegenüber, noch ohne Vorgang in<lb/>
der Landesgeſchichte. Hatten doch einſt, als der Vater des Kurfürſten zur<lb/>
römiſchen Kirche übergetreten war, Preußen, die Seemächte und die ſkan-<lb/>
dinaviſchen Kronen die Gewähr übernommen für die heſſiſche Aſſecura-<lb/>
tionsakte und alſo dem Lande ſeinen kirchlichen Beſitzſtand geſichert.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[526/0542]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
herrſchaft, und das Landvolk wußte, daß er die Wahrheit ſprach. Die
Bauern vom Diemelſtrom (131 Gemeinden) ſendeten dem Landtage ihre
Klagen über die erdrückende Steuerlaſt: „Die Franzoſenzeiten waren ſchlimm,
aber die jetzigen ſind, wenn man alles Geben zuſammenrechnet, noch
ſchlimmer, und wenn es nicht unſer lieber Kurfürſt wäre, der ein Heſſe
iſt ſo gut wie wir, ſo hätte das Land nicht ſo lange ſtill geſchwiegen.“
Dann baten ſie kindlich, der Landtag möge unterſuchen: was von dem
vielen Gelde, das Heſſen ausſtehen hat, dem Lande gehört, und wohin
das viele Geld, das wir zahlen müſſen, kommt. *) Aehnliche Eingaben
waren auch an den anderen vier Strömen ſchon im Umlauf. Auch einige
Offiziere wendeten ſich im Namen ihrer Kameraden an die Stände um
über die widerrechtlich vorenthaltenen Gehalte Bericht zu erſtatten, und
ſelbſt Hänlein fand dies militäriſch unſtatthafte Verfahren entſchuldbar,
da die Unglücklichen wirklich kaum mehr leben könnten. **)
Als die Stände nach längerer Vertagung im Februar 1816 wieder
zuſammentraten, ließ ihnen der Kurfürſt eine Verfaſſung für den neuen
Geſammtſtaat Kurheſſen-Fulda vorlegen. Ich bedarf keiner Conſtitution,
ſagte er dem preußiſchen Geſandten, aber ich will ſie geben des Beiſpiels
und der Folge wegen. ***) Der Verfaſſungsentwurf, ein Werk des wohl-
meinenden Miniſters v. Schmerfeld, enthielt manche heilſame Beſtim-
mungen, nur das Eine nicht, worauf hier Alles ankam: die Abſonderung
des fürſtlichen Hausgutes von dem Staatsvermögen. In den lebhaften
Verhandlungen, die ſich nun entſpannen, erklangen ſchon zuweilen die
vieldeutigen Schlagworte der herrſchenden conſtitutionellen Doctrin: man
wollte ſich „das Ideal einer glücklichen Regierungsform, die engliſche“ zum
Muſter nehmen, man erſetzte den Namen „Landesherr“ — zur Entrüſtung
des Kurfürſten — durch den vernunftrechtlichen Ausdruck „Regent“ und
verlangte, daß der Regent den Verfaſſungseid vor der Huldigung leiſte.
Der beredte ſtädtiſche Abgeordnete Robert ſprach viel von einem allgemeinen
Staatsrechte, das dem Landesrechte vorgehe. Indeß die meiſten Abände-
rungsvorſchläge des Landtags lauteten durchaus verſtändig; und wenn er
ſchließlich beantragte, „die vereinbarte Conſtitution“ unter die Bürgſchaft von
zwei deutſchen Mächten zu ſtellen †), ſo war auch dieſe Forderung weder
überflüſſig, einem ſolchen Fürſtenhauſe gegenüber, noch ohne Vorgang in
der Landesgeſchichte. Hatten doch einſt, als der Vater des Kurfürſten zur
römiſchen Kirche übergetreten war, Preußen, die Seemächte und die ſkan-
dinaviſchen Kronen die Gewähr übernommen für die heſſiſche Aſſecura-
tionsakte und alſo dem Lande ſeinen kirchlichen Beſitzſtand geſichert.
*) Wünſche der Bauern am Diemelſtrom, März 1816.
**) Hänlein’s Bericht, 22. Juni 1816.
***) Hänlein’s Bericht, 11. Jan. 1816.
†) Bemerkungen der Stände zum Conſtitutions-Entwurf, nebſt Promemoria vom
29. März und Adreſſe vom 1. April 1816.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/542>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.