III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
alten General um seine Pension zu betrügen, dann ward sein Dienst- leben mit allerhand erlogenen Verdächtigungen bemängelt, und klagte Einer, daß er nur Kartoffeln zu essen habe, so hieß es kurzab: ich esse auch gern Kartoffeln. Der Präsenzstand der Armee wurde, da England keine Sub- sidien mehr gab, bald auf 1500 Mann (80 Mann im Bataillon) herab- gesetzt; das Land aber mußte noch immer für 20,000 Mann Steuern zahlen. Um noch etwas herauszuschlagen, ließ der Kurfürst die Fuhren bei seinem Schloßbau durch die Pferde der Artillerie besorgen.*) Selbst die Stiftungen waren vor den diebischen Händen des alten Herrn nicht sicher. Von dem Vermögen der aufgehobenen Universität Rinteln wurde ein Theil für das Rintelner Gymnasium, ein anderer für die Marburger Hochschule bestimmt und der ansehnliche Rest wieder der unersättlichen Kammerkasse überwiesen. Am Besten fuhr noch die Judenschaft; sie ver- stand sich auf diesen fürstlichen Charakter, zahlte rechtzeitig eine gute Summe baar und erhielt dafür einige der Rechte, welche ihr der Code Napoleon gewährt hatte, von Neuem bestätigt.
So waren fast alle wohlthätigen Reformen der westphälischen Herr- schaft beseitigt, nur ihre Härten bestanden fort und gesellten sich zu den wiederauflebenden Mißbräuchen der guten alten Zeit. Die Willkür war so empörend, daß selbst Goethe, der sonst so ungern den Klagen der libe- ralen Welt glaubte, die bitteren Verse schrieb:
Der alte reiche Fürst Blieb doch vom Zeitgeist weit, Sehr weit! Wer sich aufs Geld versteht, Versteht sich auf die Zeit, Sehr auf die Zeit!
Dazu am Hofe ewige Händel zwischen dem Kurfürsten, seinem Sohne und seiner Hauptmaitresse, gräuliche Wuchergeschäfte des Günstlings Bu- derus v. Carlshausen, und beständige Ungezogenheiten gegen das diplo- matische Corps, das sich erst durch Drohungen eine anständige Behand- lung erzwingen mußte. Wie gern hätte der preußische Gesandte, der gute alte Hänlein, diesen Hof geschont, der seinem königlichen Hause so nahe stand; als ehrlicher Mann konnte er doch nur von Sultanslaunen und Unsauberkeiten berichten. Der Landesherr selbst war in seiner cynischen Menschenverachtung schon so eingerostet, daß er den Jammer ringsum gar nicht bemerkte. Bei einem patriotischen Feste lasen die Casseler über dem Portale seines Schlosses die Flammeninschrift: Der Vater seinen Kindern! --
Beim Eintritt in die große Allianz hatte der Kurfürst den Groß- mächten versprechen müssen, seinen alten Landtag wiederherzustellen, der in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch ein Geldtag gewesen und
*) Hänlein's Berichte, 25. Mai, 1. Juni 1818.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
alten General um ſeine Penſion zu betrügen, dann ward ſein Dienſt- leben mit allerhand erlogenen Verdächtigungen bemängelt, und klagte Einer, daß er nur Kartoffeln zu eſſen habe, ſo hieß es kurzab: ich eſſe auch gern Kartoffeln. Der Präſenzſtand der Armee wurde, da England keine Sub- ſidien mehr gab, bald auf 1500 Mann (80 Mann im Bataillon) herab- geſetzt; das Land aber mußte noch immer für 20,000 Mann Steuern zahlen. Um noch etwas herauszuſchlagen, ließ der Kurfürſt die Fuhren bei ſeinem Schloßbau durch die Pferde der Artillerie beſorgen.*) Selbſt die Stiftungen waren vor den diebiſchen Händen des alten Herrn nicht ſicher. Von dem Vermögen der aufgehobenen Univerſität Rinteln wurde ein Theil für das Rintelner Gymnaſium, ein anderer für die Marburger Hochſchule beſtimmt und der anſehnliche Reſt wieder der unerſättlichen Kammerkaſſe überwieſen. Am Beſten fuhr noch die Judenſchaft; ſie ver- ſtand ſich auf dieſen fürſtlichen Charakter, zahlte rechtzeitig eine gute Summe baar und erhielt dafür einige der Rechte, welche ihr der Code Napoleon gewährt hatte, von Neuem beſtätigt.
So waren faſt alle wohlthätigen Reformen der weſtphäliſchen Herr- ſchaft beſeitigt, nur ihre Härten beſtanden fort und geſellten ſich zu den wiederauflebenden Mißbräuchen der guten alten Zeit. Die Willkür war ſo empörend, daß ſelbſt Goethe, der ſonſt ſo ungern den Klagen der libe- ralen Welt glaubte, die bitteren Verſe ſchrieb:
Der alte reiche Fürſt Blieb doch vom Zeitgeiſt weit, Sehr weit! Wer ſich aufs Geld verſteht, Verſteht ſich auf die Zeit, Sehr auf die Zeit!
Dazu am Hofe ewige Händel zwiſchen dem Kurfürſten, ſeinem Sohne und ſeiner Hauptmaitreſſe, gräuliche Wuchergeſchäfte des Günſtlings Bu- derus v. Carlshauſen, und beſtändige Ungezogenheiten gegen das diplo- matiſche Corps, das ſich erſt durch Drohungen eine anſtändige Behand- lung erzwingen mußte. Wie gern hätte der preußiſche Geſandte, der gute alte Hänlein, dieſen Hof geſchont, der ſeinem königlichen Hauſe ſo nahe ſtand; als ehrlicher Mann konnte er doch nur von Sultanslaunen und Unſauberkeiten berichten. Der Landesherr ſelbſt war in ſeiner cyniſchen Menſchenverachtung ſchon ſo eingeroſtet, daß er den Jammer ringsum gar nicht bemerkte. Bei einem patriotiſchen Feſte laſen die Caſſeler über dem Portale ſeines Schloſſes die Flammeninſchrift: Der Vater ſeinen Kindern! —
Beim Eintritt in die große Allianz hatte der Kurfürſt den Groß- mächten verſprechen müſſen, ſeinen alten Landtag wiederherzuſtellen, der in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch ein Geldtag geweſen und
*) Hänlein’s Berichte, 25. Mai, 1. Juni 1818.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0540"n="524"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.</fw><lb/>
alten General um ſeine Penſion zu betrügen, dann ward ſein Dienſt-<lb/>
leben mit allerhand erlogenen Verdächtigungen bemängelt, und klagte Einer,<lb/>
daß er nur Kartoffeln zu eſſen habe, ſo hieß es kurzab: ich eſſe auch gern<lb/>
Kartoffeln. Der Präſenzſtand der Armee wurde, da England keine Sub-<lb/>ſidien mehr gab, bald auf 1500 Mann (80 Mann im Bataillon) herab-<lb/>
geſetzt; das Land aber mußte noch immer für 20,000 Mann Steuern<lb/>
zahlen. Um noch etwas herauszuſchlagen, ließ der Kurfürſt die Fuhren<lb/>
bei ſeinem Schloßbau durch die Pferde der Artillerie beſorgen.<noteplace="foot"n="*)">Hänlein’s Berichte, 25. Mai, 1. Juni 1818.</note> Selbſt<lb/>
die Stiftungen waren vor den diebiſchen Händen des alten Herrn nicht<lb/>ſicher. Von dem Vermögen der aufgehobenen Univerſität Rinteln wurde<lb/>
ein Theil für das Rintelner Gymnaſium, ein anderer für die Marburger<lb/>
Hochſchule beſtimmt und der anſehnliche Reſt wieder der unerſättlichen<lb/>
Kammerkaſſe überwieſen. Am Beſten fuhr noch die Judenſchaft; ſie ver-<lb/>ſtand ſich auf dieſen fürſtlichen Charakter, zahlte rechtzeitig eine gute Summe<lb/>
baar und erhielt dafür einige der Rechte, welche ihr der Code Napoleon<lb/>
gewährt hatte, von Neuem beſtätigt.</p><lb/><p>So waren faſt alle wohlthätigen Reformen der weſtphäliſchen Herr-<lb/>ſchaft beſeitigt, nur ihre Härten beſtanden fort und geſellten ſich zu den<lb/>
wiederauflebenden Mißbräuchen der guten alten Zeit. Die Willkür war<lb/>ſo empörend, daß ſelbſt Goethe, der ſonſt ſo ungern den Klagen der libe-<lb/>
ralen Welt glaubte, die bitteren Verſe ſchrieb:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Der alte reiche Fürſt</l><lb/><l>Blieb doch vom Zeitgeiſt weit,</l><lb/><l>Sehr weit!</l><lb/><l>Wer ſich aufs Geld verſteht,</l><lb/><l>Verſteht ſich auf die Zeit,</l><lb/><l>Sehr auf die Zeit!</l></lg><lb/><p>Dazu am Hofe ewige Händel zwiſchen dem Kurfürſten, ſeinem Sohne<lb/>
und ſeiner Hauptmaitreſſe, gräuliche Wuchergeſchäfte des Günſtlings Bu-<lb/>
derus v. Carlshauſen, und beſtändige Ungezogenheiten gegen das diplo-<lb/>
matiſche Corps, das ſich erſt durch Drohungen eine anſtändige Behand-<lb/>
lung erzwingen mußte. Wie gern hätte der preußiſche Geſandte, der gute<lb/>
alte Hänlein, dieſen Hof geſchont, der ſeinem königlichen Hauſe ſo nahe<lb/>ſtand; als ehrlicher Mann konnte er doch nur von Sultanslaunen und<lb/>
Unſauberkeiten berichten. Der Landesherr ſelbſt war in ſeiner cyniſchen<lb/>
Menſchenverachtung ſchon ſo eingeroſtet, daß er den Jammer ringsum<lb/>
gar nicht bemerkte. Bei einem patriotiſchen Feſte laſen die Caſſeler über<lb/>
dem Portale ſeines Schloſſes die Flammeninſchrift: Der Vater ſeinen<lb/>
Kindern! —</p><lb/><p>Beim Eintritt in die große Allianz hatte der Kurfürſt den Groß-<lb/>
mächten verſprechen müſſen, ſeinen alten Landtag wiederherzuſtellen, der<lb/>
in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch ein Geldtag geweſen und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[524/0540]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
alten General um ſeine Penſion zu betrügen, dann ward ſein Dienſt-
leben mit allerhand erlogenen Verdächtigungen bemängelt, und klagte Einer,
daß er nur Kartoffeln zu eſſen habe, ſo hieß es kurzab: ich eſſe auch gern
Kartoffeln. Der Präſenzſtand der Armee wurde, da England keine Sub-
ſidien mehr gab, bald auf 1500 Mann (80 Mann im Bataillon) herab-
geſetzt; das Land aber mußte noch immer für 20,000 Mann Steuern
zahlen. Um noch etwas herauszuſchlagen, ließ der Kurfürſt die Fuhren
bei ſeinem Schloßbau durch die Pferde der Artillerie beſorgen. *) Selbſt
die Stiftungen waren vor den diebiſchen Händen des alten Herrn nicht
ſicher. Von dem Vermögen der aufgehobenen Univerſität Rinteln wurde
ein Theil für das Rintelner Gymnaſium, ein anderer für die Marburger
Hochſchule beſtimmt und der anſehnliche Reſt wieder der unerſättlichen
Kammerkaſſe überwieſen. Am Beſten fuhr noch die Judenſchaft; ſie ver-
ſtand ſich auf dieſen fürſtlichen Charakter, zahlte rechtzeitig eine gute Summe
baar und erhielt dafür einige der Rechte, welche ihr der Code Napoleon
gewährt hatte, von Neuem beſtätigt.
So waren faſt alle wohlthätigen Reformen der weſtphäliſchen Herr-
ſchaft beſeitigt, nur ihre Härten beſtanden fort und geſellten ſich zu den
wiederauflebenden Mißbräuchen der guten alten Zeit. Die Willkür war
ſo empörend, daß ſelbſt Goethe, der ſonſt ſo ungern den Klagen der libe-
ralen Welt glaubte, die bitteren Verſe ſchrieb:
Der alte reiche Fürſt
Blieb doch vom Zeitgeiſt weit,
Sehr weit!
Wer ſich aufs Geld verſteht,
Verſteht ſich auf die Zeit,
Sehr auf die Zeit!
Dazu am Hofe ewige Händel zwiſchen dem Kurfürſten, ſeinem Sohne
und ſeiner Hauptmaitreſſe, gräuliche Wuchergeſchäfte des Günſtlings Bu-
derus v. Carlshauſen, und beſtändige Ungezogenheiten gegen das diplo-
matiſche Corps, das ſich erſt durch Drohungen eine anſtändige Behand-
lung erzwingen mußte. Wie gern hätte der preußiſche Geſandte, der gute
alte Hänlein, dieſen Hof geſchont, der ſeinem königlichen Hauſe ſo nahe
ſtand; als ehrlicher Mann konnte er doch nur von Sultanslaunen und
Unſauberkeiten berichten. Der Landesherr ſelbſt war in ſeiner cyniſchen
Menſchenverachtung ſchon ſo eingeroſtet, daß er den Jammer ringsum
gar nicht bemerkte. Bei einem patriotiſchen Feſte laſen die Caſſeler über
dem Portale ſeines Schloſſes die Flammeninſchrift: Der Vater ſeinen
Kindern! —
Beim Eintritt in die große Allianz hatte der Kurfürſt den Groß-
mächten verſprechen müſſen, ſeinen alten Landtag wiederherzuſtellen, der
in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch ein Geldtag geweſen und
*) Hänlein’s Berichte, 25. Mai, 1. Juni 1818.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/540>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.