III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
reits abgelaufen war, da die öffentliche Meinung schon mit schärferen Blicken das Treiben der Großen verfolgte und fast alle namhaften Fürsten- häuser Deutschlands sich ernstlich zusammenrafften um den Spuren König Friedrich's zu folgen. Seit Landgraf Friedrich II. beginnt im Hause Philipp's des Großmüthigen, stetig fortschreitend, eine räthselhafte Ent- artung, in vier Generationen geht der Ruhm fünf reicher Jahrhunderte schmählich verloren, bis dies weiland ehrenreiche Fürstengeschlecht endlich seinem treuen Volke selber zum Ekel wird und unbeweint ins Verderben stürzt. An den Erbfehler ihrer Fürsten, den Jähzorn, waren die Hessen gewöhnt, auch die Lust an Weibern hatte schon einmal, als Philipp der Großmüthige seine Doppelehe schloß, viel Elend über das Land gebracht; aber ganz neu war die herzlose Habsucht, die sich fortan mit unheim- licher Regelmäßigkeit zu jenen Schwächen gesellte und die Landesherren geradezu als Feinde ihres Volkes erscheinen ließ.
So lange die Heere aus geworbenen Söldnerschaaren bestanden, haftete noch kein Makel an dem Kriegsdienst unter fremden Fahnen. Erst seit den Tagen König Friedrich's begannen die Deutschen zu erkennen, daß die be- waffnete Macht dem Staate angehöre; die Hessen selbst fochten im sieben- jährigen Kriege zwar in englischem Solde, aber für Hof und Heerd, für die Sache ihres eigenen Landes. Mittlerweile wurde das preußische Can- tonsystem in Hessen eingeführt (1762); und als nun mit diesem Heere dienst- pflichtiger Landeskinder der Soldatenhandel abermals, und schwunghafter denn zuvor, betrieben wurde, da erschien das altgewohnte Geschäft der verwandelten Zeit sehr anstößig. Mirabeau, Burke, Friedrich der Große selbst sprachen in den härtesten Worten ihren Abscheu aus, als Landgraf Friedrich und sein Sohn Erbprinz Wilhelm in Hanau von ihren 300,000 Unterthanen nach und nach 19,400, fast den dritten Theil der gesammten waffenfähigen Bevölkerung, an England verkauften, zum Bürgerkriege wider die Amerikaner, die den Zeitgenossen als Vorkämpfer der Freiheit galten. Im englischen Parlamente wurden "die Schandthaten dieser kleinen deut- schen Fürsten" unbarmherzig ans Licht gezogen. Der alte Landgraf hatte immerhin noch den äußern Anstand gewahrt und mit Großbritannien ein förmliches Bündniß geschlossen, das beiden Mächten ihren Besitzstand ver- bürgte; der Erbprinz aber warf in schmeichlerischen Briefen sich und sein Heer "seinem großherzigen Beschützer und edlen Wohlthäter" Georg III. zu Füßen. Dann wetteiferten Beide in fiscalischen Künsten um den eng- lischen Soldherrn zu übervortheilen; der Sohn ließ sich seine gefallenen und verwundeten Landeskinder Kopf für Kopf besonders vergüten, der Vater fand es einträglicher, die Löhnung seiner Soldaten selber in Em- pfang zu nehmen, so konnte er die Gefallenen noch eine Weile in den Präsenzlisten fortführen. Die Amerikaner aber bezeichneten fortan alle knechtische Niedertracht mit dem guten Hessennamen der unglücklichen Ver- kauften, von denen mehr als ein Drittel die Heimath niemals wiedersah.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
reits abgelaufen war, da die öffentliche Meinung ſchon mit ſchärferen Blicken das Treiben der Großen verfolgte und faſt alle namhaften Fürſten- häuſer Deutſchlands ſich ernſtlich zuſammenrafften um den Spuren König Friedrich’s zu folgen. Seit Landgraf Friedrich II. beginnt im Hauſe Philipp’s des Großmüthigen, ſtetig fortſchreitend, eine räthſelhafte Ent- artung, in vier Generationen geht der Ruhm fünf reicher Jahrhunderte ſchmählich verloren, bis dies weiland ehrenreiche Fürſtengeſchlecht endlich ſeinem treuen Volke ſelber zum Ekel wird und unbeweint ins Verderben ſtürzt. An den Erbfehler ihrer Fürſten, den Jähzorn, waren die Heſſen gewöhnt, auch die Luſt an Weibern hatte ſchon einmal, als Philipp der Großmüthige ſeine Doppelehe ſchloß, viel Elend über das Land gebracht; aber ganz neu war die herzloſe Habſucht, die ſich fortan mit unheim- licher Regelmäßigkeit zu jenen Schwächen geſellte und die Landesherren geradezu als Feinde ihres Volkes erſcheinen ließ.
So lange die Heere aus geworbenen Söldnerſchaaren beſtanden, haftete noch kein Makel an dem Kriegsdienſt unter fremden Fahnen. Erſt ſeit den Tagen König Friedrich’s begannen die Deutſchen zu erkennen, daß die be- waffnete Macht dem Staate angehöre; die Heſſen ſelbſt fochten im ſieben- jährigen Kriege zwar in engliſchem Solde, aber für Hof und Heerd, für die Sache ihres eigenen Landes. Mittlerweile wurde das preußiſche Can- tonſyſtem in Heſſen eingeführt (1762); und als nun mit dieſem Heere dienſt- pflichtiger Landeskinder der Soldatenhandel abermals, und ſchwunghafter denn zuvor, betrieben wurde, da erſchien das altgewohnte Geſchäft der verwandelten Zeit ſehr anſtößig. Mirabeau, Burke, Friedrich der Große ſelbſt ſprachen in den härteſten Worten ihren Abſcheu aus, als Landgraf Friedrich und ſein Sohn Erbprinz Wilhelm in Hanau von ihren 300,000 Unterthanen nach und nach 19,400, faſt den dritten Theil der geſammten waffenfähigen Bevölkerung, an England verkauften, zum Bürgerkriege wider die Amerikaner, die den Zeitgenoſſen als Vorkämpfer der Freiheit galten. Im engliſchen Parlamente wurden „die Schandthaten dieſer kleinen deut- ſchen Fürſten“ unbarmherzig ans Licht gezogen. Der alte Landgraf hatte immerhin noch den äußern Anſtand gewahrt und mit Großbritannien ein förmliches Bündniß geſchloſſen, das beiden Mächten ihren Beſitzſtand ver- bürgte; der Erbprinz aber warf in ſchmeichleriſchen Briefen ſich und ſein Heer „ſeinem großherzigen Beſchützer und edlen Wohlthäter“ Georg III. zu Füßen. Dann wetteiferten Beide in fiscaliſchen Künſten um den eng- liſchen Soldherrn zu übervortheilen; der Sohn ließ ſich ſeine gefallenen und verwundeten Landeskinder Kopf für Kopf beſonders vergüten, der Vater fand es einträglicher, die Löhnung ſeiner Soldaten ſelber in Em- pfang zu nehmen, ſo konnte er die Gefallenen noch eine Weile in den Präſenzliſten fortführen. Die Amerikaner aber bezeichneten fortan alle knechtiſche Niedertracht mit dem guten Heſſennamen der unglücklichen Ver- kauften, von denen mehr als ein Drittel die Heimath niemals wiederſah.
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
reits abgelaufen war, da die öffentliche Meinung ſchon mit ſchärferen
Blicken das Treiben der Großen verfolgte und faſt alle namhaften Fürſten-
häuſer Deutſchlands ſich ernſtlich zuſammenrafften um den Spuren König
Friedrich’s zu folgen. Seit Landgraf Friedrich II. beginnt im Hauſe
Philipp’s des Großmüthigen, ſtetig fortſchreitend, eine räthſelhafte Ent-
artung, in vier Generationen geht der Ruhm fünf reicher Jahrhunderte
ſchmählich verloren, bis dies weiland ehrenreiche Fürſtengeſchlecht endlich
ſeinem treuen Volke ſelber zum Ekel wird und unbeweint ins Verderben
ſtürzt. An den Erbfehler ihrer Fürſten, den Jähzorn, waren die Heſſen
gewöhnt, auch die Luſt an Weibern hatte ſchon einmal, als Philipp der
Großmüthige ſeine Doppelehe ſchloß, viel Elend über das Land gebracht;
aber ganz neu war die herzloſe Habſucht, die ſich fortan mit unheim-
licher Regelmäßigkeit zu jenen Schwächen geſellte und die Landesherren
geradezu als Feinde ihres Volkes erſcheinen ließ.
So lange die Heere aus geworbenen Söldnerſchaaren beſtanden, haftete
noch kein Makel an dem Kriegsdienſt unter fremden Fahnen. Erſt ſeit den
Tagen König Friedrich’s begannen die Deutſchen zu erkennen, daß die be-
waffnete Macht dem Staate angehöre; die Heſſen ſelbſt fochten im ſieben-
jährigen Kriege zwar in engliſchem Solde, aber für Hof und Heerd, für
die Sache ihres eigenen Landes. Mittlerweile wurde das preußiſche Can-
tonſyſtem in Heſſen eingeführt (1762); und als nun mit dieſem Heere dienſt-
pflichtiger Landeskinder der Soldatenhandel abermals, und ſchwunghafter
denn zuvor, betrieben wurde, da erſchien das altgewohnte Geſchäft der
verwandelten Zeit ſehr anſtößig. Mirabeau, Burke, Friedrich der Große
ſelbſt ſprachen in den härteſten Worten ihren Abſcheu aus, als Landgraf
Friedrich und ſein Sohn Erbprinz Wilhelm in Hanau von ihren 300,000
Unterthanen nach und nach 19,400, faſt den dritten Theil der geſammten
waffenfähigen Bevölkerung, an England verkauften, zum Bürgerkriege wider
die Amerikaner, die den Zeitgenoſſen als Vorkämpfer der Freiheit galten.
Im engliſchen Parlamente wurden „die Schandthaten dieſer kleinen deut-
ſchen Fürſten“ unbarmherzig ans Licht gezogen. Der alte Landgraf hatte
immerhin noch den äußern Anſtand gewahrt und mit Großbritannien ein
förmliches Bündniß geſchloſſen, das beiden Mächten ihren Beſitzſtand ver-
bürgte; der Erbprinz aber warf in ſchmeichleriſchen Briefen ſich und ſein
Heer „ſeinem großherzigen Beſchützer und edlen Wohlthäter“ Georg III.
zu Füßen. Dann wetteiferten Beide in fiscaliſchen Künſten um den eng-
liſchen Soldherrn zu übervortheilen; der Sohn ließ ſich ſeine gefallenen
und verwundeten Landeskinder Kopf für Kopf beſonders vergüten, der
Vater fand es einträglicher, die Löhnung ſeiner Soldaten ſelber in Em-
pfang zu nehmen, ſo konnte er die Gefallenen noch eine Weile in den
Präſenzliſten fortführen. Die Amerikaner aber bezeichneten fortan alle
knechtiſche Niedertracht mit dem guten Heſſennamen der unglücklichen Ver-
kauften, von denen mehr als ein Drittel die Heimath niemals wiederſah.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/536>, abgerufen am 22.11.2024.
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